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Schulen im Überlebenskampf

Viele klassische Schulen in Baden-Württemberg fallen sinkenden Schülerzahlen und den neu gegründeten und beliebten Gemeinschaftsschulen zum Opfer. Von den Schulschließungen sind besonders Schüler in strukturschwachen Regionen betroffen.

Von Michael Brandt |
    In Baden-Württemberg bleiben viele Klassenzimmer leer.
    In Baden-Württemberg bleiben viele Klassenzimmer leer. (picture alliance / dpa / Stefan Sauer)
    Es geht um die Zukunft von Schulen. Beispielsweise die der Grund- und Hauptschule Geradstetten im Remstal, über die Rektor Michael Gomolzig sagt:

    "Wir hatten mal stabil über 120 Schüler, also einzügig zumindest, zum Teil auch zweizügig. Wir hatten im letzten Schuljahr abnehmende Schülerzahlen. Bei meiner Schule wird deswegen die Schule dichtgemacht. Das heißt, ich bin auf meine alten Tage nur noch Rektor einer Grundschule."

    Die Schülerzahlen gehen bereits zurück und werden in den kommenden Jahren noch weiter dramatisch sinken und das Land Baden-Württemberg muss darauf reagieren. Das Stichwort heißt regionale Schulentwicklung und der neue Kultusminister Andreas Stoch hielt heute zu dem wichtigen Thema seine erste Regierungserklärung. Er beschreibt das Problem so:

    "Wir gehen davon aus, dass die Zahl der Schüler bis zum Jahr 2025 um knapp ein Fünftel weiter zurückgeht."

    Und das Problem wird durch zwei Faktoren noch weiter verschärft. Erstens die Abschaffung der Grundschulempfehlung durch Stochs Vorgängerin Warminski-Leitheusser zum vergangenen Schuljahreswechsel. Das habe die Entwicklung beschleunigt, räumt Stoch heute ein. Es sei ein großer Fehler gewesen, sagt Oppositionsredner Tim Kern von der FDP:

    "Mit der Abschaffung der Verbindlichkeit haben sie die schwierige Situation ohne Not mutwillig verschärft."

    Denn die Anmeldezahlen für Haupt- und sogenannte Werkrealschulen sind seitdem dramatisch zurückgegangen. Zusätzlich wurden zum laufenden Schuljahr 42 Gemeinschaftsschulen gegründet und zum nächsten Schuljahreswechsel kommen noch einmal 87 dazu. Und die sind teilweise so beliebt, dass sie anderen Schulen in der Region die Schüler wegschnappen, CDU Bildungspolitiker Georg Wacker spricht von:

    "Kannibalisierung im ländlichen Raum, weil bereits der Überlebenskampf der Gemeinschaftsschulen von Anfang an begonnen hat."

    Fest steht also, dass etwas passieren muss, damit die Schulentwicklung künftig regional ausgewogen funktioniert und dass nicht am Ende Schüler in strukturschwachen Regionen 30 Kilometer fahren müssen, um die Schule zu erreichen. Andererseits fehlt das Geld und Schulen können nicht immer weiter verkleinert werden, nur um einen Schulstandort zu halten. Minister Stoch formuliert daher zunächst Rahmenbedingungen:

    "Am Ende des Planungsprozesses sollen die weiterführenden Schulen in den Eingangsklassen eine stabile Zweizügigkeit, d.h. Schülerzahl von mindestens 40 Schülern aufweisen. Bei den Gymnasien sollen es 60 Schüler sein. Diese stabilen Schülerzahlen sind unter dem Gesichtspunkt der pädagogischen Qualität, aber auch im Hinblick auf die Investitionen der Kommunen eine Zahl, die Verlässlichkeit und Planungssicherheit bietet."

    Die Schulentwicklung soll aber dennoch nicht von oben vom Ministerium oder Oberschulämtern zentral geplant werden. Vielmehr soll ein Schulentwicklungsprozess ausgelöst werden, wenn vor Ort einer von drei Anlässen eintritt: Erstens, wenn ein Schulträger den Antrag auf eine neue Schule, zum Beispiel eine Gemeinschaftsschule stellt. Zweitens, wenn ein Schulträger vor Ort einen regionalen Schulentwicklungsprozess wünscht und drittens, wenn eine öffentliche Schule nicht mehr genug Schüler für eine Eingangsklasse hat, also weniger als 16 Schüler.

    Wenn eine dieser Bedingungen erreicht ist, sollen zunächst die staatlichen Schulämter die Schülerströme ermitteln. Dann setzen sich Schulen, Schulträger und Schulverwaltung zusammen, und sollen möglichst im Konsens eine Lösung finden.

    "Für uns steht im Mittelpunkt ein Ausgleich der Interessen. Wir wollen in so vielen Fällen wie möglich einen Konsens schaffen."

    Im Konfliktfall soll dann allerdings die Schulverwaltung, sprich das Ministerium und seine untergeordneten Behörden, entscheiden können. Insgesamt klingt das nicht unvernünftig, ob und wie es funktioniert, muss sich jetzt erweisen, insbesondere bei den 87 neuen Gemeinschaftsschulen. Die Opposition ist dennoch - erwartungsgemäß - dagegen. Tim Kern, FDP:

    "Ihre Aufgabe war es, eine echte regionale Schulentwicklungsplanung vorzulegen, abgeliefert haben sie ein zentrales Schulschließungsprogramm mit Beteiligungsfeigenblatt."

    Die Polemik ist nicht angemessen, wahr ist aber, dass die regionale Schulentwicklung zur Schließung von Schulen führen wird. Unter der Hand ist von 200 Schulstandorten in Baden-Württemberg die Rede.