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Schulen
Leipzig wächst - und in den Schulen wird es eng

In Leipzig werden viele Kinder geboren und junge Familien mit Kindern ziehen in die Stadt. Die Folge: Wo noch vor Jahren Schulstandorte geschlossen wurden, fehlen heute Räume und Lehrer. Für viele Fünftklässler, die auf das Gymnasium wollen, wird es eng - einige müssen sich mit einer Notlösung zufriedengeben.

Von Jens Falkowski | 20.06.2014
    Unterricht an der Heinz-Brandt-Sekundarschule in Berlin-Weißensee.
    Dort, wo noch vor Jahren Schulstandorte geschlossen wurden, fehlen heute Räume und Lehrer - besonders in Leipzig. (picture alliance / dpa / Stephanie Pilick)
    "Wir stehen acht Wochen vor Beginn der Schule, eines Gymnasiums, was entscheiden ist für den Werdegang der Kinder. Sie stellen sich hin und spielen fünf Lieder hier vor und haben kein Konzept, was hier los sein soll."
    Neues Interimsgymnasium als Außenstelle
    Die Wogen auf dem Elternabend am Leipziger Brockhausgymnasium schlagen hoch, denn viele Eltern sind nicht freiwillig hier. Das neue Interimsgymnasium wird als eine Außenstelle betrieben - ein Provisorium, das sich weder Kinder noch Eltern ausgesucht haben. So geht es auch Katja Kirsche. Sie und ihr Sohn Theodor haben sich ihr Wunschgymnasium sorgfältig ausgewählt. Doch jetzt soll er jeden Tag quer durch die Stadt zur Schule fahren.
    "Wir wohnen im Zentrum in Leipzig im Waldstraßenviertel und haben uns an drei relativ zentralen Schulen beworben. Er hat sich sehr auf eine der drei Schulen gefreut. Also, wir wussten zwar, dass die Anmeldungszahlen relativ hoch sind. Aber wir haben gedacht, dass das Leibnizgymnasium nicht so stark ausgelastet ist, das liegt im Stadtteil Gohlis, der immer noch sehr zentral ist. Wir dachten, wenn die anderen nicht klappen, dann klappt bestimmt diese Schule."
    Unfreiwillige Schulwahl
    Mit einem Losverfahren entscheiden die Gymnasien, wer aufgenommen wird. Für rund 100 Schüler in Leipzig bedeutet das eine unfreiwillige Schulwahl, die weder am gewünschten Ort ist, noch das gewünschte Profil hat. Trotzdem ist Leipzigs Sozialbürgermeister Thomas Fabian überzeugt, dass die neue Schule ein Erfolg wird.
    "Auch die neue Schule, die jetzt neu aufgebaut wird in Schönefeld, die wird eine sehr gute Schule werden. Sie hat auch noch besondere Angebot, insbesondere was die englischsprachigen Module anbelangt. Ich gehe davon aus, dass diese Schule in absehbarer Zeit von den Eltern angenommen wird, insbesondere mit diesem neuen Profil, das sie dort entwickelt."
    Losverfahren entscheidet
    Doch die Vorstellung des neuen Interimsgymnasiums kam bei den Eltern nicht an. Denn ein konkretes Konzept haben sie nicht erfahren. So geht es auch Kathlen Jost. Trotz des anfänglichen Schocks über die Zuweisung wollte sie sich auf die neue Schule einlassen.
    "Man muss ja auch offen sein für die neuen Dinge des Lebens. So gesehen in zwei Jahren, wenn dann dieses richtige Gymnasium saniert ist, dann werden die Top ausgestattet sein mit der neuesten Technik. Man hatte ja gelesen, es soll irgendwelche englische Module geben - klar, Englisch ist total wichtig heutzutage. Insofern habe ich gesagt: Okay, ich gehe hier her und lasse mich überzeugen von dem Gymnasium. Und ganz ehrlich, das ganze Gegenteil ist passiert. Man hat kein Konzept. Es war alles auf seichten Brückenpfeilern gebaut. Man konnte keine konkrete Auskunft geben und das enttäuscht einfach nur."
    Problem in der Schulstruktur
    Mit dem Problem der vollen Schulen und Notlösungen steht Leipzig nicht allein da. Nils Berkenmeyer ist Professor für Schulpädagogik und Schulentwicklung an der Universität Jena. Für ihn ist selbst das zweigliedrige Schulsystem in Sachsen zu viel.
    "Ja es gibt ein Problem in der Schulstruktur, weil die Dichotomisierung in Gymnasium und Oberschule eigentlich kein Schulkonzept für die Zukunft ist. Insofern leiden große Kommunen, die auch wachsen, wie Leipzig unter dieser schulstrukturellen Ausbaupolitik."
    Mit dem neuen Interimsgymnasium sollte aber nicht nur das Schulproblem gelöst werden, sondern die Stadt will damit auch einen bildungsschwachen Stadtteil aufwerten. So soll hier später ein vollständiges Gymnasium entstehen. Für Nils Berkenmeyer ein ungeeignetes Konzept.
    "Ich glaube, dass die Strategie über Gymnasien Viertel aufzuwerten hochgradig riskant ist, weil man im Grunde genommen Schülerkarrieren benutzt um Stadtteilentwicklung zu betreiben. Das ist glaube ich schwierig. Aber muss auch sehen, dass Angebotsstrukturen auch Schülerströme leiten. Ich kann mir vorstellen, dass die Strategie dazu führt, dass die Übergangsquoten in diesen Stadtteilen ganz andere sind an die Gymnasien. Aber gerade für diese Viertel wäre wahrscheinlich ein alternativer Schultyp günstiger."
    Niels Berkenmeyer hält eine integrative Gesamtschule für die bessere Lösung Bewegung, in ein solches Stadtviertel zu bekommen. In Leipzig werden derzeit weitere Gymnasien geplant. Doch der Stadtelternrat hält die neuen Planungen bei Weitem nicht für ausreichend. Für das neue Schuljahr will das Land Sachsen jetzt noch einmal zusätzlich 185 Lehrer einstellen.