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Schulische Brandbriefe in Berlin

Lehrer der Berliner Rütli-Schule prangerten vor fünf Jahren in einem Brandbrief die Gewaltbereitschaft der Schüler an. Seitdem gab es immer wieder Briefe, in denen Schulleiter oder Lehrer Missstände an Schulen bemängelten. Derzeit macht die Heinrich-Mann-Schule in Berlin in diesem Sinne Schlagzeilen.

Von Daniela Siebert |
    Prolog: In Berlin tobt der Wahlkampf mit vollem Elan. Da erscheinen viele Dinge in ganz anderem Licht als normalerweise. Ende des Prologs.

    In der Senatsverwaltung für Bildung sieht man überhaupt keinen Grund zur Aufregung. Beate Stoffers, die Pressesprecherin von SPD-Senator Jürgen Zöllner weigert sich sogar, von "Brennpunktschulen" oder von "Brandbriefen" zu sprechen. Für ihre Verwaltung seien alle Briefe gleich erklärt sie:

    "Alle Schreiben von Schulen – egal in welchem sozialen Milieu sich die Schulen befinden – werden hier sehr ernst genommen, die Schulaufsicht wird sofort tätig. Die Briefe sind nicht als Hilferuf zu verstehen, sondern als Kommunikationsmittel zwischen Schule und der Schulaufsicht."

    In der Tat hat die aktuelle Aufregung etwas Künstliches. Dass ein nichtöffentlicher Brief vom Juni ausgerechnet jetzt für Schlagzeilen sorgt und von unbekannter Hand an ein Nachrichtenmagazin in Hamburg weitergereicht wurde, lässt sich nur mit dem Wahlkampf in Berlin erklären. Das sagt mehr über die Medien und die Politik als über die Heinrich-Mann-Schule. Zumal der Brief von den Lehrern dort gar nicht nötig gewesen wäre, glaubt man Beate Stoffers.

    "Im Vorfeld bereits haben wir entschieden, dass die Heinrich-Mann-Schule eine weitere Erzieherstelle bekommt und eine Sozialarbeiterstelle, die jetzt zum Beginn des Schuljahrs startet, und die Schule wird noch eine weitere Sozialarbeiterstelle seitens des Jugendamtes jetzt in Kürze erhalten. Also es bedarf nicht unbedingt einer öffentlichen Diskussion, damit die Bildungsverwaltung tätig wird – das wäre schlimm – so ist es aber gerade in diesem Fall gar nicht gelaufen, wenn wir uns das chronologisch angucken, haben wir diese Entscheidung bereits im Mai getroffen und der Brief, der kam hier im Juni an."

    Geht man vor Ort an die Heinrich-Mann-Schule ist man als Medienkonsument dieser Tage enttäuscht: Hier ist kein Höllenort, sondern eine ganz normale Schule. Manche Schüler sind rotzfrech und unverschämt – wie an anderen Schulen. Auf der Toilette sind massenweise Graffiti-Tags an der Wand – wie in anderen Schulen. Die Gänge sind sauber, aber nicht klinisch rein. Wie in anderen Schulen. Mehrere der im Lehrer-Brief beklagten kaputten Fenster sind schon repariert. Für den neuen Schulleiter Rudolf Kemmer ist der Brandbrief vom Juni ein schwieriges Erbe. Er ist gerade erst hergezogen und seit 1. August im Amt. Dass sein Posten vorher monatelang unbesetzt war hat zweifelsohne zu den Problemen der Schule beigetragen. Jetzt muss Kemmer mit dem teilweise überholten postalischen Hilfeschrei seines Kollegiums leben und ein Interview nach dem andern geben, um zu erklären, wie es dazu kam.

    "Fehlender Schulleiter, plus punktuell einige schwierige Situationen, die in dem Brandbrief nur in Klammern als Beispiel genannt wurden, dass es eben zu einer gewalttätigen Situation gekommen ist zwischen einem Schüler und einem Lehrer, dass mal ins Treppenhaus uriniert wurde und dass die räumlichen Voraussetzungen, dass die Fenster und der Sonnenschutz renoviert werden müssen. Dass das gefehlt hat, das hat die Lehrer dazu veranlasst, aber nicht mit dem Ziel, dass das in die Presse kommt."

    Seine Schule aus dem negativen Schlaglicht herausholen, das wird wohl die größte Herausforderung für Kemmer. Für die wahlkämpfende Opposition ist der bekannt gewordene Brief dagegen ein gefundenes Fressen. So bilanziert etwa Sascha Steuer, bildungspolitischer Sprecher der CDU im Berliner Abgeordnetenhaus:

    "Der Senat hat vor fünf Jahren der Rütli-Schule 25 Millionen zur Verfügung gestellt, um ein Leuchtturmprojekt zu haben, aber er hat nichts getan für die anderen Brennpunktschulen, an denen ähnliche Zustände herrschen wie an der Rütli-Schule."

    Auch Özcan Mutlu, Bildungspolitiker bei den Bündnisgrünen, kritisiert die Schulpolitik der Regierung:

    "Es ist bedauerlich, dass der rot-rote Senat immer nur reagiert, wenn es Brandbriefe gibt, diese Probleme, die wir an Berliner Schulen haben, sei es Gewalt, sei es Verrohung, Respektlosigkeit bedürfen nachhaltiger und konkreter Lösungen und nicht hier mal ein bisschen Sozialarbeiter, dort mal ein bisschen Schulpsychologen. Wir müssen das Problem grundlegend lösen, das können wir nur wenn wir materiell und personell den Schulen Mittel zur Verfügung stellen."

    Und auch die FDP-Politikerin Mieke Senftleben kritisiert die Berliner Schulpolitik seit dem berühmten Rütli-Brief. Dass verzweifelte Lehrer gleich an Senator Zöllner schreiben bestätigt für sie unter anderm, dass die regionale Schulaufsicht vor Ort – also eine ganze Verwaltungsebene - entbehrlich ist.

    "Die regionalen Schulaufsichten, das ist für uns, für die FDP ein großes Problem, da wir klar sagen: die Schule brauchen die Eigenverantwortung, müssen die Entscheidungen vor Ort treffen – brauchen wir eigentlich nur zwei Ebenen und das ist der Senat und das ist die Schule. Die Zwischenebene kann und muss weg."

    Fazit: Während für die einen also nicht mal ein Brandbrief existiert, ist solche Post für die anderen Ausweis einer total verfehlten Politik. Sicher ist: Ab dem 18. September – dem Wahltag - dürften sich die Gemüter wieder abkühlen. Und die Hoffnungen an der Heinrich-Mann-Schule richten sich ohnehin auf einen Termin im November: Dann soll eine vom Senat finanzierte Zukunftskonferenz über das weitere Schicksal der Schule beraten.