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Schulschwund in Thüringen

In Thüringen sind im vergangenen Sommer 14 Schulen geschlossen worden. In diesem Jahr kommen wieder neue hinzu - unter anderem in Herbsleben. Die Kinder des Gymnasiums brauchen ab September einen Schulbus und sind – wenn es schlecht läuft - zwei Stunden am Tag auf der Strecke.

Von Blanka Weber |
    Der Ort ist idyllisch. Mehr als 3.000 Einwohner. Der Schulbau des Gymnasiums befindet sich im Karree mit Grundschule, Kindergarten und Kirche. Kurze Wege also – für die "kurzen Beine" – der Slogan der Politik, hier ist er Realität. Noch. Denn der Schulteil des Salza-Gymnasiums in Herbsleben wird in 3 Monaten schließen. Olaf Eisenmenger schüttelt den Kopf:

    "Und man muss ganz eindeutig sagen, wenn der Ort im Zentrum das Gymnasium verliert, dann haben wir verschiedene Standortfaktoren auch verloren. Das bedeutet, wir haben weniger Zuzüge. Denn die Leute, die hierher ziehen wollen, fragen als Erstes, welche Schule ist vorhanden, welche weiterführende Schule, gibt es eine Kindertagesstätte?"

    Und auch der kleine Schreibwarenladen, der Bäcker und all die anderen werden künftig weniger Kundschaft haben – sagt der Mann, der selbst Vater einer 14-jährigen Schülerin ist und vor Jahren eine Bürgerinitiative zum Erhalt der Schule gegründet hat. Es liegt immer an den Menschen, sagt Olaf Eisenmenger. Den Direktoren, Lehrern und Eltern – aber auch an den Politikern, wie stark oder eben nicht stark sie sich für eine Schule machen. Hier gab es viel Ärger und es ging schief:

    "Die Politik wollte es anders. Weil man wollte, das die Gymnasien in den Städten etabliert werden und nicht in einem 3.024 Einwohner-Ort wie Herbsleben."

    Auch seine Tochter wird ab nächstem Schuljahr einen deutlich längeren Schulweg haben, eine Stunde Weg hin und eine Stunde zurück. An Hobbys – wie jetzt – ist dann fast nicht mehr zu denken. Ein deutlicher Einschnitt auch für die Familie, zum Beispiel, wenn schnell ein Kind abgeholt werden muss, doch die Schule 30 Kilometer entfernt ist:

    "Wenn zwei Arbeitnehmer im Arbeitsprozess stehen, vielleicht noch im Schichtdienst, die können nicht mal schnell sagen, ich muss mein Kind in Bad Langensalza abholen."

    Ortswechsel. Ostthüringen, fast in Sachsen gelegen – der kleine Ortsteil Ehrenberg nahe Altenburg. Heute gibt es im Landkreis reichlich 5.000 Schüler, vor mehr als einem Jahrzehnt waren es 12.000. Abwanderung, Arbeitslosigkeit – wenn Standortfaktoren weg brechen gehen auch die Familien, sagt die Ortsteilbürgermeisterin Marina Baumann:

    "Gerade in unserem Stadtteil sind sehr viele ältere Menschen. So viele Kinder und Jugendliche haben wir jetzt eigentlich gar nicht mehr hier. Wenn ich da vor zehn Jahren zurückdenke, hatten wir einen Jugendklub mit Kindern und Jugendlichen, das ist jetzt alles weg."

    Sie steht vor der Schule, wo sie einst lernet – damals mit 34 Kindern in einer Klasse. Lange her, sagt Marina Baumann. Die Schule ist später geschlossen worden. Heute hat sie wieder geöffnet – dank einer Elterninitiative. Es ist eine Freie Schule geworden, staatlich anerkannt und sie ist integrativ. Manche Eltern fahren viermal am Tag eine Dreiviertel Stunde um die Kinder hierher zu bringen oder abzuholen.

    Die Randklage im Dorf hat Vor- und Nachteile sagt die Schulleiterin:

    "Wir sind geteilter Meinung. Wir genießen die Randlage, die wir haben und können mit den Kindern jederzeit raus. Natürlich, für das Einzugsgebiet von der Schule wäre es besser in der Stadt, weil viele Eltern sagen, sie können ihre Kinder nicht bringen. Sie müssen ja den Transport selber übernehmen und viele schaffen das vor Arbeit nicht. Da ist es natürlich bequemer, eine Schule in Altenburg zu nehmen."

    Wolfgang Kepplin ist für Schulen im Landkreis zuständig. Er weiß um die Probleme, wenn schulen geschlossen werden müssen. Der Satz "Kurze Beine, kurze Wege!" sei gut gemeint, er zuckt mit den Schultern, auch weil in Thüringen bald Kommunalwahlen sind und das Thema äußerst sensibel in der Gunst der Wähler behandelt wird:

    "Gut, ich bin kein Politiker. Ich bin Verwaltung. Ich mache das, was der Kreistag mir an Aufgaben aufgibt und ich denke und das sollte auch das Fazit sein, dass das was sehr sensibel in den vergangenen Jahren an Schulschließungen erfolgt ist, dass das durchaus auch im Interesse aller Beteiligten war."

    Olaf Eisenmenger in Herbsleben sieht das anders. Er kämpft mit seiner Bürgerinitiative auch weiterhin für den Erhalt des Gymnasiums in seinem Ort und er kandidiert - jetzt erst recht - als Bürgermeister des Ortes, parteienunabhängig.