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Schulzki-Haddouti, Christiane: Datenjagd im Internet - Eine Anleitung zur Selbstverteidigung

Für viele Menschen ist das Internet Alltag geworden: ein virtueller Raum, in dem sie Bücher oder CDs kaufen, Börsenkurse abfragen, Bankgeschäfte erledigen oder ihre Post verschicken - schnell, praktisch und bequem. Doch nur wenige wissen, dass jeder einzelne ihrer Klicks verfolgt und gespeichert wird. "Datenjagd im Internet" heißt das neue Buch von Christiane Schulzki-Haddouti. Es erklärt, welche Datenspuren der normale Nutzer hinterlässt, wer diese Daten sammelt und was mit den Daten geschieht. Fazit: Der Datenschutz wird immer weiter zurückgedrängt. Mit "Datenjagd im Internet" öffnet die Autorin dem Nutzer nicht nur die Augen für den bedenklichen Zustand der Datensicherheit, sie zeigt auch, wie man sich gegen die Datenjäger im Internet zur Wehr setzen kann.

Jesko Hirschfeld |
    Boris Becker hat es vorgemacht: "Ich bin drin!" verkündete er strahlend in der Reklame eines Netz-Anbieters. Das sollte zeigen: So einfach ist das also mit dem Internet, und: Es geht schneller als man denkt! Boris Becker ist aber auch ein gutes Beispiel dafür, wie rasch sehr private Angelegenheiten sehr öffentlich werden können. Mehr als 25 Millionen Menschen in Deutschland haben einen Internet-Zugang, sie surfen im Netz und verschicken Mitteilungen per E-Mail. Doch nur wenige sind sich im Klaren darüber, wieviel sie dabei von ihrer Privatsphäre preisgeben, denn im Netz bleibt nahezu nichts wirklich privat.

    Online-Einkäufe beispielsweise werden immer beliebter. Dabei wird eine Menge abgefragt: die Lieferanschrift, manchmal zusätzlich die E-mail-Adresse, außerdem die Telefon- oder Kreditkartennummer. Was der Kunde häufig nicht bemerkt: Er bekommt eine kleine Datei in seinen Computer gespeichert, ein sogenanntes Cookie, zu Deutsch: Keks. Das Cookie sorgt dafür, dass der Kunde sofort eindeutig identifiziert wird, wenn er auf die Seite des Anbieters klickt. So kann er jedes Mal freundlich mit Namen begrüßt werden, seine Einkaufsvorlieben sind gespeichert und der Internet-Händler stellt ihm ein ganz persönliches Angebot zusammen. Diese Angebote fallen dann leider gelegentlich etwas teurer aus, als es für Neu-Kunden der Fall wäre - das Cookie verrät schließlich den treuen Kunden, der den Köder schon geschluckt hat. Wem der Appetit auf Cookies vergangen ist, sollte seine Browser-Software anders einstellen. Programme wie Opera, Explorer oder Navigator bieten die Möglichkeit, Cookies zurückzuweisen - es braucht dazu nur wenige Klicks. Trotzdem schlucken 99 Prozent der Surfer bereitwillig die kleinen Spionage-Kekse.

    In ihrem Buch "Datenjagd im Internet - Eine Anleitung zur Selbstverteidigung" erläutert Christiane Schulzki-Haddouti detailliert, welche Daten beim Surfen im Netz entstehen, wer sie speichert und was mit den Daten geschieht. Sie analysiert die wirtschaftliche und politische Dimension der Datenverarbeitung. Und sie gibt konkrete Tipps, wie man seine Daten im Netz schützen kann.

    "Ich bin drin", so einfach geht das. Dann los: Klick zur Suchmaschine. Klick zum Newsportal. Klick zum Buchhändler. Klick zur privaten Homepage. Wer meint, dass niemand diese Klicks verfolgt, täuscht sich. Zahlreiche Markierungs- und Auswertungstechniken machen den Nutzer zum gläsernen Surfer. Cookies registrieren Klicks, merken sich die Nummer des Computers. Aus der Datenspur entsteht schon bald ein Nutzerprofil, und je detaillierter das Profil einer Person, desto wertvoller ist es. Schon heute sind die bekanntesten Suchmaschinen in ein Werbenetz eingebunden, ohne jedoch die Nutzer darüber zu informieren. Trotz Datenschutzrichtlinie sind europäische Bürger vor rücksichtslosen Sammelmethoden nicht geschützt.

    Cookies können einem also auf den Keks gehen, mit dem Browser surft man im Netz - aber was zum Teufel ist ein Webkäfer? - Christiane Schulzki-Haddouti erklärt das englisch-deutsche Kauderwelsch der Netzwelt - geduldig genug für Einsteiger und knapp genug, damit auch Fortgeschrittene sich nicht langweilen. Sie vollbringt dabei das Kunststück, aus Computertechnik, Software-Finessen und Datenschutzrecht eine richtig spannende Sache zu machen: Webkäfer zum Beispiel sind unsichtbar kleine Bilder, die auf Internetseiten versteckt sind und aus dem Computer des Surfers unbemerkt Daten herauslesen können. Unbefugter Datenabruf ist strafbar, aber möglich.

    Datenjagd ist ein lukratives Geschäft. Datenjäger können mit detaillierten Kundenprofilen nicht nur ihr eigenes Marketing optimieren, sie können ihre Datenbeute auch direkt zu Geld machen - indem sie ihre Informationen einfach weiterverkaufen. Presserecherchen zufolge haben zahlreiche Online-Anbieter Kundenadressen zu Werbezwecken an andere Unternehmen weitergegeben - darunter der Internet-Provider America Online sowie die Versandhäuser Quelle, Neckermann und Beate Uhse. Die Zustimmung zu solchen Praktiken findet sich meist irgendwo im Kleingedruckten der Geschäftsbedingungen, nur selten aber wird der Kunde ausdrücklich gefragt, ob er die Weitergabe seiner Daten billigt oder nicht. Viele Surfer nehmen solche Datenschutzverletzungen klaglos in Kauf, manche bestellen deswegen lieber nichts. Einige jedoch beginnen, sich zu wehren:

    Im Netz gibt es längst eine kleine Gemeinde aktiver Nutzer, die aufmerksam jede Einschränkung der Privatsphäre verfolgt und öffentlich anprangert. Nutzer haben durchaus einen eigenen Handlungsspielraum: Sie können entsprechende Websites meiden, die Browser-Software neu konfigurieren oder Abwehrsoftware nutzen. Es ist möglich, im Netz die eigenen Spuren zu kontrollieren und Abwehrmaßnahmen zu ergreifen.

    Aber warum soll ich mich als Nutzer eigentlich wehren gegen die Verwendung meiner freiwilligen Angaben? Wenn ich nichts zu verbergen habe, was soll es mir dann schaden? Und: Nützt der Datenschutz nicht in erster Linie den Kriminellen? Mit solchen Fragen müssen sich engagierte Datenschützer schon seit Jahrzehnten immer wieder herumschlagen.

    Der Streit zwischen Strafverfolgern und Datenschützern ist vorprogrammiert. Sein Ausgang ist entscheidend für die weitere Nutzung des Internets. In diesem Konflikt stoßen zwei vollkommen unterschiedliche Zielrichtungen aufeinander: Die Datenschützer verlangen Pseudonymität und Anonymität, die Strafverfolger hingegen möchten sie verhindern. Bislang ging der Streit um mehr Privatsphäre immer zu Lasten der Datenschützer aus. Jedes neue Gesetz, jede neue Verordnung schränkte die Freiräume der Bürgerinnen und Bürger in den vergangenen Jahren ein Stück mehr ein.

    In dem Urteil zur Volkszählung stellte das Bundesverfassungsgericht 1983 klar, dass jeder Bürger das Recht hat, zu wissen, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn weiß. Denn wer beispielsweise unsicher darüber ist, ob die Teilnahme an einer Demonstration oder die Mitarbeit in einer Bürgerinitiative beobachtet und gespeichert wird, und wer befürchtet, dass diese Daten eines Tages gegen ihn verwendet werden könnten, der wird seine Grundrechte möglicherweise nicht mehr voll wahrnehmen. Informationelle Selbstbestimmung ist also eine elementare Funktionsbedingung der Demokratie. Angesichts der Datenmengen, die heute weltweit unkontrolliert erhoben und weitergegeben werden, wirkt die damals geplante Volkszählung datenschutztechnisch geradezu harmlos. Natürlich müssen Straftäter auch im Netz verfolgt werden. Trotzdem dürfen Grundrechte nicht leichtfertig weiter eingeschränkt werden, nur weil der Polizei bei der elektronischen Strafverfolgung Personal und Technik fehlen.

    Es gibt eine Menge Möglichkeiten, sich selbst und seine Daten im Netz zu schützen: Verschlüsselungsprogramme sichern das Postgeheimnis beim E-mail-Austausch, anonymisierende Server schützen beim Surfen vor Rückverfolgung, Firewalls halten Eindringlinge fern. Das Buch stellt sie alle vor, erklärt ihre Funktionsweise und erörtert ihre Praxistauglichkeit für Anwender mit unterschiedlichen Ansprüchen und Fähigkeiten. Doch auch wenn einzelne Nutzer ihren privaten Datenschutz aufrüsten: Grundrechte müssen durch Gesetze gewährleistet werden. Denn die Anschaffung einer Handfeuerwaffe ist ein schlechter Ersatz für das Vertrauen in einen funktionstüchtigen Rechtsstaat.

    Die Bürger verfügen über Rechte im Netz, die sie nicht nur vor Gericht, sondern auch per Technik verteidigen und durchsetzen können. Niemand soll auf das Internet verzichten aus Angst vor Datenmissbrauch. Ihre Rechte müssen die Nutzer jedoch aktiv aushandeln. Denn Unternehmen und auch der Staat verfolgen nicht nur die Interessen der Nutzer, sondern auch ihre eigenen. Wie souverän diese Rechte verhandelt werden, wird den Weg in eine erwachsene Informationsgesellschaft ausmachen. Und zur erwachsenen Informationsgesellschaft gehört auch der erwachsene Datenschutz.

    Gefragt ist also der mündige Netzbürger, der seine Ansprüche gegenüber Netzanbietern durchsetzt, der eine Modernisierung des Datenschutzes politisch einfordert und sich im Notfall selbst zu verteidigen weiß. Wer weitere Hilfe sucht, findet sie im Anhang des Buches - mit Adressen von Datenschutzbüros, Verbraucherschutzverbänden und sogenannten Cyber-NGOs, die man im realen Raum wohl als Bürgerinitiativen bezeichnen würde. Empfohlen sei außerdem das Online-Magazin "telepolis". Auf den Seiten von telepolis tummelt sich kompetent der kritische Teil der Netzgemeinde und versichert sich, dass man den Datenjägern nicht allein gegenübersteht. Und so ein bisschen Netzwärme kann man nach der Lektüre dieses Buches ganz gut gebrauchen.

    "Datenjagd im Internet - Eine Anleitung zur Selbstverteidigung" von Christiane Schulzki-Haddouti ist erschienen im Hamburger Rotbuch-Verlag, hat 270 Seiten und kostet 14 Euro und 50 Cent.