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Schutz für die Schutzlosen

In Ländern, in denen Krieg herrscht, kommen Kinder ums Leben, verlieren Gliedmaßen oder werden Waisen. Deutschland will nun im UN-Sicherheitsrat mit einer Resolution den Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten verbessern.

Von Thomas Schmidt |
    Über der afghanischen Hauptstadt Kabul lastet die Mittagshitze. Eine leichte Brise wirbelt den gelben Wüstenstaub auf, die Luft riecht nach Holzkohlefeuern und Autoabgasen. Kabul ist eine Stadt der ständigen Bedrohung: Über ihren braun-grauen Dächern schweben Fesselballone mit hochauflösenden Überwachungskameras. Öffentliche Gebäude, aber auch die teils opulenten Landsitze des afghanischen Geldadels gleichen abweisenden Festungsanlagen, verborgen hinter meterdicken Betonsperren, hinter Stacheldraht und Sichtblenden. Sandsack-Barrikaden sollen die schwer bewaffneten Sicherheitsleute schützen, die an Eingangstoren oder Straßenecken auf Posten stehen. Es ist kaum vorstellbar, dass es in diesem Belagerungszustand noch Platz für Kinder gibt.

    Wasserplanschen im Kabuler Sommer, eine willkommene Abwechselung zu Staub und Hitze. Aber was hier nach kindlichem Vergnügen klingt, ist nicht so ganz fröhlich, und es ist wohl auch nicht unbeschwert: Die Jungen, zwischen sieben und zwölf Jahre alt, sind Waisen, sie haben ihre Eltern im Afghanistan-Krieg verloren. Und sie spielen nicht, sondern sie waschen einen Teppich. Sie haben ihn, etwa vier mal vier Meter groß und rot, aus einem der Häuser geschleppt und an einer Wegekreuzung auf dem Waisenhausgelände ausgerollt, direkt neben einer kleinen Wasser-Zapfstelle. Mit Eimern holen sie das Wasser heran, kippen es über den Teppich, dann wird mit Handbürsten und Plastikschabern geschrubbt. Das Waisenhaus am Stadtrand von Kabul wird vom Roten Halbmond betrieben, der islamischen Variante des Roten Kreuzes. 380 Kinder sind hier untergebracht, nicht alle sind Vollwaisen. Das Heim ist das gegenwärtige Zuhause von Khalil, er ist 13 Jahre alt und stammt aus einem kleinen Dorf, etwa 350 Kilometer westlich von Kabul. Khalil hat Mutter und Vater durch einen Angriff der Taliban verloren. Schlimmer noch: Er musste ihren Tod mit ansehen:


    "Ich komme aus der Provinz Ghor. Die Taliban haben meinen Vater bei einem Angriff vor meinen Augen umgebracht. Meine Mutter ist dann eine Woche später gestorben: Sie war damals schwanger und hat vor Kummer einen Herzinfarkt bekommen. Von da an war nichts mehr, wie es war. Meine Schwester und mein Bruder sind seitdem auch verschwunden. Ein Verwandter hat dafür gesorgt, dass ich ins Waisenhaus komme, weil ich keine Eltern mehr habe."

    Heute kann Khalil das vergleichsweise gefasst erzählen. Der zierliche Junge mit den großen dunklen Augen wirkt unbeschwert und aufgeweckt, aber er hat einen langen Weg hinter sich: Nach dem Schock über den Tod der Eltern hatte er sich abgekapselt, er litt unter Alpträumen und hatte das Spielen verlernt, als er schließlich in das Waisenhaus in Kabul kam. Über ein Jahr lang mühte sich ein Therapeut in Einzel- und Gruppentherapie-Sitzungen, um die Angstzustände zu lindern, die auf Khalils Seele lasteten. Die Therapie bei posttraumatischen Belastungsstörungen, so die medizinische Diagnose, erfordert vor allem Geduld. Der Erfolg stellt sich oft nur in sehr kleinen Schritten ein. Aber, sagt der afghanische Therapeut Wasil Shah Ibrahimi, Khalils Zustand hat sich deutlich verbessert:

    "Es geht ihm sehr viel besser: Er geht zur Schule, er spielt wieder, er spielt sogar Fußball. Die Kinder, mit denen er im Waisenhaus das Zimmer teilt, sagen, er ist viel umgänglicher geworden und kommt besser mit den anderen Jungen zurecht. Er hat mehr Selbstvertrauen und ist unternehmungslustiger geworden."

    Khalil ist kein Einzelfall, Tausenden anderer Kindern in Afghanistan ist es ähnlich ergangen, viele blieben dabei ihrem Schicksal überlassen, ohne schützendes Waisenhaus und kundige Therapeuten. Dass Khalils Geschichte hier erzählt werden kann, ist den Vereinten Nationen zu verdanken. Denn Kinder wie Khalil zählen zu den namenlosen Opfern der zahlreichen Kriegsschauplätze der Erde. Schätzungen zufolge sind allein in den letzten zehn Jahren mehr als zwei Millionen Kinder durch bewaffnete Konflikte ums Leben gekommen. Etwa eine Million Kinder hat die Eltern verloren, fast 20 Millionen sind Vertriebene oder Flüchtlinge. Deutschland will an diesem Dienstag im UN-Sicherheitsrat mit einer Resolution dafür sorgen, dass der Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten verbessert wird. Um sich ein Bild von der aktuellen Lage in einem Krisengebiet zu machen, hatte Berlins UN-Botschafter Peter Wittig Mitglieder des Sicherheitsrates zu einer Reise nach Afghanistan eingeladen.

    "Der Sicherheitsrat muss dieses humanitäre Thema aktiver aufgreifen. Und hier wollen wir unseren Beitrag leisten. Und das ist auch Teil unserer aktiven Friedenspolitik."

    In dem von Deutschland erarbeiteten Resolutionsentwurf sollen Angriffe auf Schulen und andere Bildungseinrichtungen besonders verurteilt werden, und man will die Verantwortlichen – in der Regel die Taliban – künftig zur Rechenschaft ziehen können. Nach Angaben der UN kam es im vergangenen Jahr jeden Monat zu rund 50 Attacken dieser Art in Afghanistan: Schulhäuser wurden niedergebrannt, Schülern wurde mit Entführung gedroht, Lehrer wurden ermordet. Fast 400 Schulen, die meisten im Süden des Landes, wurden inzwischen aus Sicherheitsgründen geschlossen. Aber der Terror ist nicht nur auf entlegene Gegenden beschränkt: Erst im Mai dieses Jahres wurde ein Schulrektor in einem Vorort der Hauptstadt Kabul ermordet. Wegen dieser anhaltenden Grausamkeiten wird im deutschen Resolutionsentwurf besonderes Gewicht auf die Identifizierung der Täter gelegt: Sie sollen namentlich auf schwarzen Listen bloßgestellt – und gegebenenfalls - bestraft werden:

    "Wenn gutes Zureden nicht hilft, müssen die Übeltäter es am eigenen Leibe spüren, und da haben wir Instrumente, die wir einsetzen können, auch mit Sanktionen zu arbeiten."

    Im Stadtzentrum, im Gebäude eines ehemaligen Kindergartens aus der Zeit der sowjetischen Besatzung, hat die italienische Regierung eine chirurgische Klinik eingerichtet. "No weapons",keine Waffen fordert ein Schild am Eingang des Flachbaus. Ein frommer Wunsch in einem waffenstarrenden Land und die Folgen davon bestimmen den Alltag des Klinikpersonals:

    "Kinder die, sagen wir mal, Kriegsverletzungen haben, sind hauptsächlich Opfer von Minen und selbstgebauten Sprengsätzen. Kinder mit Schussverletzungen werden dagegen selten eingeliefert."

    Selten, sagt Paolo von den Klinikleitung, aber doch immer wieder: Seit zwei Wochen behandelt das italienische Chirurgenteam die siebenjährige Sayeda aus der Provinz Wardak. Bei einem Gefecht auf der Straße war sie im Haus ihrer Eltern von einem Querschläger getroffen worden. Die Kugel hat eine ihrer Nieren zerfetzt und ist durch die Leber gedrungen. Die Ärzte sind aber sicher: Das scheue Mädchen ist über den Berg. Sie wird am Ende der Behandlung völlig wiederhergestellt sein. Viele der anderen Kinderpatienten haben weniger gute Aussichten: Sie haben bei Minenexplosionen Finger oder Unterschenkel verloren, einem Fünfjährigen wurden von einem Sprengsatz der rechte Arm und das rechte Bein abgerissen. Es ist ein Bild des Elends, aber diese wenigen Kinderschicksale zeigen nur den Bruchteil einer Katastrophe: Die weltweiten Konflikte haben nach Angaben der Vereinten Nationen mittlerweile rund 6 Millionen Kinder zu Krüppeln gemacht. Dass die internationale Gemeinschaft versucht, auch diesen Schwerbehinderten eine erträgliche Zukunft zu ermöglichen, zeigt eine Einrichtung des Internationalen Roten Kreuzes nahe der Universität von Kabul. Es ist eine Kombination aus orthopädischer Werkstatt und Rehabilitationszentrum, täglich kommen bis zu 250 Patienten hierher, um sich Prothesen anpassen zu lassen oder Rollstühle abzuholen. Unter ihnen sind zahlreiche Kleinkinder, die nach Amputationen erstmals künstliche Gliedmaßen erhalten, und die nun auf einem kleinen Parcours mühsam und häufig unter Tränen auf ihren Ersatzbeinen das Gehen neu erlernen müssen. Dabei treffen sie bei den Technikern und Therapeuten auf viel Verständnis, denn im Zentrum arbeiten ausschließlich Behinderte: Es sind Kriegsopfer mit Amputationen, aber auch Menschen mit genetischen Defekten, Blinde und Gelähmte.

    Verletzungen sind an der Tagesordnung in Afghanistan, und Kinder sind immer wieder unschuldige Opfer. Aber der Krieg geht auch skrupellos mit der Moral um. Homosexualität ist in Afghanistan ein Straftatbestand, trotzdem halten sich viele Warlords jugendliche Sexsklaven. Es sind meist neun- bis sechzehnjährige Jungen, die oft verniedlichend als "Tanzknaben" bezeichnet werden, und die vor – ausschließlich männlichem – Publikum auftreten müssen.

    Bacha Bazi nennt man sie in der Landesprache, Kind ohne Bart, sie werden mit üppigem Make-up, Frauenkleidern und Glöckchen an den Fußgelenken für ihre Auftritte hergerichtet. Nach der Vorstellung kommt es dann immer wieder zu Übergriffen, bei denen die Jungen nicht selten von ihren sogenannten "Besitzern" vergewaltigt werden.

    "Wer immer eine Moral hat ist dagegen, sogar die Taliban, alle in Afghanistan sind dagegen und wollen, dass Schluss gemacht wird mit dieser Praxis."

    Rhadika Coomaraswamy ist die Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs für Kinder und bewaffnete Konflikte. Sie wehrt sich dagegen, den fortgesetzten Kindsmissbrauch als kulturelles Erbe zu kaschieren und damit salonfähig zu erhalten. Sie hat Afghanistans Polizei im vergangenen Jahr auf die "Schwarze Liste" der UN setzen lassen, weil Kommandeure in der Provinz Jungen immer wieder mit klar sexuellen Absichten rekrutierten. Der Schritt hatte Wirkung: Im Februar dieses Jahres hat sich die Regierung in Kabul nun vertraglich verpflichtet, gegen diese Praxis vorzugehen. Das Abkommen ist ein Erfolg, auch weil Afghanistan damit erstmals die Existenz der pervertierten Praxis der Tanzknaben formell anerkannt hat. Wie weit es allerdings umgesetzt wird, bleibt ein Problem. Aber, sagt Martin Kobler, er ist der Vize-Chef der zivilen UN-Mission in Afghanistan – die Anstrengungen der Regierung in Kabul seien durchaus Ernst zu nehmen:

    "Ich habe die Überzeugung, dass die afghanischen Behörden - Verteidigungsministerium, Geheimdienste, Innenministerium, die Sicherheitsbehörden – wirklich die Brisanz des Themas erkannt haben, dass es das Image Afghanistans im Ausland natürlich mindert, wenn man auf so einer Liste ist, die Kinderrechte nicht respektiert, und dass sie alles tun, um von dieser Liste zu kommen."

    Es ist eine Politik der kleinen Schritte, die Kobler beobachtet, hauptsächlich in Kabul, aber auch in einigen Provinzzentralen, in denen die UN ebenfalls Büros unterhält. Vieles scheitert an der ständigen Bedrohungslage in Afghanistan – der Arm der Regierung reicht nicht allzu weit über die Grenzen der Hauptstadt hinaus, und selbst in Kabul kann sich niemand wirklich sicher sein. Aber nicht nur die fehlende Sicherheit ist ein Problem. Es fehlt, sagt Kobler, bei der Regierung auch an klaren Konzepten:

    "Ich glaube, wir brauchen einen Masterplan für Erziehung. 50 Prozent der Bevölkerung sind hier wirklich unter 18. Sie werden alle auf den Arbeitsmarkt kommen. Und diesen Entwicklungsplan für die Erziehung, diesen Masterplan, das ist Aufgabe der Afghanen. Und hier würde ich immer einen Schwerpunkt des zivilen Engagements der internationalen Gemeinschaft legen: Kinder, Jugendliche."

    Grundsätzlich steht die afghanische Regierung dem auch durchaus aufgeschlossen gegenüber, nur die Umsetzung, die traut man sich in den Kabuler Behörden - zumindest nicht alleine – zu. Deshalb soll die internationale Gemeinschaft helfen, und sie tut das in der Regel auch:

    "Und hier beißt sich die Katze wieder in den Schwanz. Wenn man etwas schnell erreichen muss, sind die afghanischen Institutionen zur Zeit noch nicht in der Lage, so etwas schnell zu machen. Dann ist der Ausweg natürlich sehr einfach, zu sagen: Ja, dann organisiert das mal für uns. – Das ist kurzfristig von Erfolg gekrönt, es ist aber langfristig nicht nachhaltig."

    Der Transformationsprozess läuft, nicht nur bei Militär und Polizei, sondern auch in der Zivilverwaltung soll Afghanistan zunehmend eigenverantwortlich entscheiden und handeln. Seitdem mit 2014 ein klares Datum für den militärischen Rückzug aus dem Land am Hindukusch gesetzt wurde, spüren auch die zivilen Organisationen zunehmenden Zeitdruck:

    "Was ist mit dem Institutionen-Aufbau? Was ist mit den Schulen, der Gesundheitsversorgung, der Müllentsorgung? Das muss ja auch alles geplant werden. Und hier braucht man die Verpflichtung der internationalen Gemeinschaft weit über 2014 hinaus."

    Schon jetzt versucht die internationale Gemeinschaft, in Afghanistan viele Probleme gleichzeitig zu lösen. Deutschland beteiligt sich an diesen Bemühungen unter anderem durch die geplante Resolution zum Schutz von Kindern und Schulen. Wegen dieses Vorhabens im Sicherheitsrat war Berlins UN-Botschafter Peter Wittig nach Afghanistan gereist, und die vier Tage haben ihn beeindruckt: Die Reise zeige deutlich, sagt er, dass Deutschland mit dem gewählten Schwerpunkt für die Resolution genau richtig liege. Wittig hat Kabul als eine waffenstarrende Stadt erlebt, verbarrikadiert, verbunkert, als in Beton gegossene ständige Bedrohung für Leib und Leben. Er hat keinen Schritt ohne bewaffnete Leibwächter in kugelsicheren Westen gemacht, er hat kranke Kindern getroffen und Politiker, die mal guten Willens waren und manchmal weniger zugänglich. Und er hat das Wort– zumindest virtuell – sogar an die richten können, die keinerlei Interesse an einem freiheitlichen, demokratischen und modernen Afghanistan haben:

    "Wir haben in Afghanistan indirekt, nicht direkt, eine Botschaft an die Taliban gesandt und auch ihnen gesagt, sie müssen Kinderrechte schützen, sie dürfen Kinder nicht als Kämpfer missbrauchen. Und auch da wird uns gesagt, diese warnenden Botschaften des Sicherheitsrates bleiben nicht ungehört, zumal wenn einige der Taliban anstreben, Teil einer politischen Lösung zu sein."

    Für den erforderlichen Nachdruck brauchen die warnenden Worte nun das abschließende Votum des Sicherheitsrates. Aber selbst bei einem Thema, dass so wenig kontrovers erscheint wie der Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten, ist eine Mehrheit im mächtigsten Gremium der UN keineswegs ein Selbstgänger:

    "Hier in den Vereinten Nationen ist praktisch nichts selbstverständlich. Hier findet immer irgendjemand irgendein Haar in der Suppe. So werden wir auch mit dieser Resolution noch einige Hürden zu überspringen haben. Ich setze auch auf die gute Kooperation mit den Kollegen im Sicherheitsrat. Und es geht letztlich um eine wichtige und gute Sache."

    Nach den Kriterien des gesunden Menschenverstands ist das, was die Resolution erreichen soll, eine reine Selbstverständlichkeit: Die bereits vorhandene "Schwarze Liste" von internationalen Übeltätern – Organisationen oder Einzelpersonen - soll ergänzt werden: Auf ihr sollen künftig auch diejenigen aufgeführt werden, die man für Angriffe auf Bildungseinrichtungen wie Kindergärten und Schulen, aber auch für die zielgerichtete Zerstörung von Krankenhäusern verantwortlich machen kann. "Naming and shaming" – benennen und bloßstellen, lautet das Prinzip, das neben seiner Symbolwirkung auch durchaus einen juristischen Wert hat: Erkannte und Erfasste können damit der internationalen Gerichtsbarkeit überstellt werden. Ein kleiner Schritt, aber dennoch nicht ohne Fußangeln: In den ersten Beratungen des Resolutionsentwurfes, bei denen die Fach-Referenten der 15 Sicherheitsrats-Nationen den Text Zeile für Zeile durchgingen, sperrten sich Indien und Kolumbien, wie Deutschland gegenwärtig Nichtständige Mitglieder des Sicherheitsrates, zunächst gegen einige Passagen in dem Entwurf. Kolumbien hat – indirekt – ein eigenes Problem mit Kindern in bewaffneten Konflikten: Die Linksgerichtete Rebellen-Organisation FARC, die seit 1964 einen bewaffneten Kampf gegen die Regierung führt und die 2002 die damalige Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancour entführt hatte, unterhält nach UN-Angaben knapp 10.000 Kindersoldaten. Kolumbien betrachtet dieses Problem aber als rein interne Angelegenheit und fürchtet eine eventuelle Aufwertung der FARC für den Fall, dass es zu direkten Kontakten zwischen den Rebellen und der UN kommen sollte. Indien fürchtet hingegen, selber auf der "schwarzen Liste" zu landen, weil offenbar nicht nur militante Oppositionsgruppen, sondern auch reguläre Regierungssoldaten für Angriffe auf Schulen verantwortlich sind. Wie so häufig im Sicherheitsrat, zählen also Eigeninteressen zunächst mehr als das Gemeinwohl, was in der Regel zu einem zähen Ringen um das Kleingedruckte führt. Für Ralf Schröer, den Menschenrechtsexperten der deutschen UN-Vertretung in New York ist dieses Feilen an Nebensätzen und Unterpunkten ein bekanntes Szenario:

    "Wir wollen einen neuen Vorschlag vorlegen und versuchen, sozusagen, die drei, vier Knackpunkte herauszuextrahieren, die dann auf höherer Ebene vermutlich einer abschließenden Erklärung zugeführt werden müssten, damit wir dann den Sack zubinden können."

    Zu muss der Sack noch an diesem Wochenende sein, denn vor der Abstimmung am kommenden Dienstag gilt eine Abgabefrist des ausverhandelten Textes von 24 Stunden. Aber Zeitdruck ist manchmal ein guter Gehilfe – je weiter die Uhr vorrückt, um so besser stehen häufig die Chancen auf einen Kompromiss in letzter Minute. Deutschlands UN-Botschafter Peter Wittig ist da sehr zuversichtlich: Letztendlich werde man eine Formulierung finden, die für alle 15 Mitglieder des Sicherheitsrates akzeptabel ist und dennoch den Kern der Resolution nicht aufweicht. Das Ziel ist klar: Die Resolution soll nicht einfach ‚durchgebracht’ werden, Deutschland möchte seinen Präsidentschaftsmonat im mächtigsten Gremium der Vereinten Nationen gern mit einem einstimmigen Votum krönen. Aber es geht für Peter Wittig neben der großen Politik auch um Khalil, den 13-Jährigen aus Kabul, der mit ansehen musste, wie sein Vater von den Taliban ermordet wurde. Heute scheint er sein Trauma überwunden zu haben – ein Einzelschicksal, für Wittig aber ein Symbol dafür, dass es lohnt, für eine bessere Zukunft von weltweit Millionen Kinder zu kämpfen, die tagtäglich unschuldig das Leid bewaffneter Konflikte erfahren müssen:

    "Ein Junge, der uns gegenüber doch selbstbewusst und fast fröhlich und in die Zukunft blickend und aufgeweckt gegenübertrat, da hat sich die Tragik und auch die Hoffnung gespiegelt. Und dieser Junge ist mir haften geblieben."