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Schutz für Mädchen und junge Frauen

Schätzungen zufolge leben 65.000 schwarzafrikanische Frauen in Frankreich, die unter Klitorisverstümmelungen leiden. Weltweit sind es wohl um die 130 Millionen, jährlich kommen 3 Millionen neue Opfer hinzu. Nun hat die französische Regierung beschlossen, alles dafür zu tun, der menschenverachtenden Tradition ein Ende zu setzen. Suzanne Krause berichtet.

Von Suzanne Krause | 08.12.2006
    "Es scheint, als sei es normal”, hat Jeanne Cherhal, Shooting-Star des französischen Chansons, ihr neues Stück betitelt: Darin schildert sie beklemmend die Qualen eines Mädchens, dessen Klitoris verstümmelt wird. Dass eine weiße Französin die schändliche Tradition auf der Bühne anklagt, ist ein Novum. Auch Nafissatou Fall kämpft schon seit über 15 Jahren gegen die sexuelle Verstümmelung von Frauen. Die Senegalesin arbeitet als interkulturelle Mediatorin im Gesundheitsbereich in der Hafenstadt Le Havre. Viele ihrer Landsleute verurteilen das Engagement von Nafissatou Fall.

    "Ich weiß, dass es gut ist, was ich tue. Denn wir haben unzählige Mädchen vor der Klitorisverstümmelung gerettet. Früher waren alle vierjährigen Mädchen schon beschnitten. Und heute sieht man in Le Havre bis zum Schulbeginn mit sechs Jahren kein Mädchen mehr, das verstümmelt wurde.

    Denn bis zu diesem Alter wird die Gesundheit aller Kinder in Frankreich bei Pflichtuntersuchungen regelmäßig überwacht. Aber dennoch müssen wir weiterkämpfen. Die Eltern wissen genau, dass die Klitorisverstümmelung gesetzlich verboten ist. Jetzt lassen sie die Mädchen einfach beschneiden, wenn die Töchter älter sind und wenn keine Gefahr mehr besteht, dass das bei einer ärztlichen Untersuchung auffliegt. Das passiert dann bei einer Urlaubsreise in die afrikanische Heimat."

    Was Nafissatou Fall in Le Havre beobachtet, gilt für das ganze Land. Da trägt die jahrzehntelange Aufklärungsarbeit ebenso ihre Früchte wie auch das gute Dutzend Gerichtsprozesse, bei denen Eltern und Beschneiderinnen verurteilt wurden. Mit dieser Strafverfolgung ist Frankreich weltweit federführend. Anwältin Linda Weil-Curiel hat die Opfer in fast allen Fällen vertreten. Seit 25 Jahren führt sie immer wieder dasselbe Argument an:

    "Wir sind hier in Frankreich. Die Töchter schwarzafrikanischer Einwanderer sind französische Staatsbürger, oder sie können es werden. Und sie haben das Anrecht auf denselben Schutz für ihre körperliche Unversehrtheit, auf dieselben Zukunftsperspektiven wie ihre französischen Altersgenossinnen."

    Eine Botschaft, die sich nun auch die Regierung in Paris zu eigen macht. Im vergangenen April wurde das Gesetz gegen die Gewalt an Frauen und Kindern verabschiedet. Es erweitert auch die Rechte der Opfer: Ein Mädchen, das als Minderjährige verstümmelt wurde, kann nun bis zu ihrem 38. Lebensjahr Anzeige erstatten. Vom Schutz profitieren jetzt auch Mädchen mit ausländischer Staatsangehörigkeit. Gleichfalls werden Mediziner nun ausdrücklich von ihrer ärztlichen Schweigepflicht entbunden. Catherine Vautrin, Ministerin für die Gleichstellung, kündigt zudem mehr Aufklärung an:

    "Die Broschüre 'Schützt unsere kleinen Mädchen vor der Klitorisverstümmelung' wurde gerade aktualisiert und neu gedruckt. Außerdem habe ich veranlasst, dass ein spezieller Rechteführer für Einwandererfamilien in Frankreich verfasst wird, in dem ihnen unter anderem erklärt wird, dass Klitorisverstümmelung ein Verbrechen ist."

    Im Gesundheitsministerium wird derzeit an einem landesweiten Plan gegen Gewalt gearbeitet, ein wichtiges Element darin ist der Kampf gegen Klitorisverstümmelung. Dafür will die Regierung nun auch auf europäischer Ebene mobil machen. Und im eigenen Land, in neun Regionen, werden spezielle Koordinationsstellen eingerichtet. Ebenso wird das Gesundheitsministerium im kommenden Jahr eine Studie finanzieren. Ermittelt werden soll auch, wie viele Opfer eine Operation zur Wiederherstellung ihrer Klitoris wünschen. Denn seit bald zehn Jahren hilft Chirurg Pierre Foldes mit einer von ihm entwickelten Technik verstümmelten Frauen, ihre Weiblichkeit wiederzuerlangen. Mehr als 2000 Opfern hat er bereits geholfen. Die Kosten dafür trägt seit Jahren die staatliche Krankenversicherung. Für den Chirugen Pierre Foldes ist dies ein klares politisches Signal, mit der schädlichen Tradition zu brechen:

    "Ich bin mehr Zeuge als Akteur. Ich gebe das weiter, was mir Tausende von Frauen in meiner Sprechstunde in erschütternden Berichten erzählt haben von ihrem Leid über die Verstümmelung. Dass sie nun darüber reden können, ermöglicht, dass sich die Dinge verändern."