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Schutzlose Wanderung durchs All

Physik. - Die großen Artensterben scheinen einem eigenen Rhythmus von etwa 62 Millionen Jahren zu folgen. Doch den Grund hierfür kennen Forscher bislang nicht. Einer neuen Theorie zufolge könnte der Weg des Sonnensystems durch die Galaxis für das Leben ungesund sein.

Von Björn Schwentker | 19.04.2007
    Die Vielfalt des Lebens erlitt schon viele Rückschläge: Zum Beispiel vor gut 250 Millionen Jahren. Am Ende der Perm-Epoche verschwanden 95 Prozent aller Tierarten im Meer und drei Viertel aller Reptilien- und Amphibienarten. Tatsächlich gab es ähnliche Massensterben immer wieder, und sie kamen regelmäßig vor, sagt Adrian Melott von der University of Kansas:

    "Niemand versteht jedes dieser Ereignisse. Aber wir haben herausgefunden, dass sie alle 62 Millionen Jahre vorkommen, das zeigt die Statistik. Die Vielfalt der Arten schwankte zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich stark. Aber alle 62 Millionen Jahre ist der besonders extrem."

    Schon früher hatten Forscher vermutet, dass es einen solchen Zyklus gibt. Adrian Melott hat ihn jetzt bestätigt, indem er die vorhandenen Fossiliendaten neu auswertete. Bisher konnte man sich die Regelmäßigkeit der Massensterben jedoch nicht erklären. Die Wissenschaftler spekulierten, es hänge zusammen mit der Bewegung des Sonnensystems in der Scheibe der Milchstraße. Doch das erschien nicht plausibel. Über 200 Millionen Jahren braucht die Erde, um eine Runde in der Galaxie zu drehen, nicht 62 Millionen Jahre, der Zeit zwischen den Massensterben. Nun präsentierte Mikhail Medvedev von der University of Kansas auf dem Jahrestreffen der amerikanischen Physiker in Florida eine Theorie, die den Zyklus erklären soll: Es sind kosmische Strahlen, die die Artensterben verursachen.

    "Die Erde bewegt sich in der Ebene der Galaxie immer auf und ab. Steigt sie nach oben, wird der Abstand zum Rand der Galaxie immer kleiner. Dann erreichen mehr kosmische Strahlen die Erde. Dieses Auf und Ab des Sonnensystems dauert 62 plus minus drei Millionen Jahre."

    Innerhalb der Milchstraße ist die Erde durch das Magnetfeld der Galaxie vor gefährlichen kosmischen Strahlen geschützt. Bewegt sich der Planet aber zum nördlichen Rand der Galaxie, wird das magnetische Schutzschild dünner. Doch das ist noch nicht alles, sagt Mikhail Medvedev.

    "Die Milchstraße bewegt sich auf das sehr massenreiche so genannte Virgo-Cluster zu. Das ist in der Nähe des galaktischen Nordens. Unsere Galaxie fällt quasi wie ein Pfannkuchen mit der flachen Seite zuerst in Richtung dieser Massenansammlung."

    Dadurch bekommt die Milchstraße gerade von Norden her besonders viel kosmische Strahlung zu spüren – dort versagt ein zweiter Schutzmechanismus: Die Galaxie stößt ständig elektrisch geladene Teilchen in den intergalaktischen Raum ab, die die kosmische Strahlung blockieren. Doch in Bewegungsrichtung der Milchstraße wird dieser "galaktische Wind" gestaucht und bietet deshalb geringeren Schutz. So können viele der hochenergetischen Partikel in der kosmischen Strahlung bis zur Erde gelangen. Dort werden sie zwar gestoppt. Doch gleichzeitig erzeugen sie in der Lufthülle besonders schwere Teilchen, so genannte Myonen, die bis zur Erdoberfläche sausen und dort Mutationen im Erbgut auslösen. Viele Arten sind dann nicht mehr überlebensfähig. Sie sterben in Scharen aus. Stimmt die Theorie der amerikanischen Forscher, dann könnte sie sogar den nächsten Massenexitus voraussagen: Er käme in zehn Millionen Jahren. Ob der Effekt dann aber noch sichtbar sein wird, bezweifeln die Wissenschaftler. Der Mensch könnte die meisten Arten viel schneller vernichtet haben, sagt Adrian Melott.

    "Wenn die Arten auch in den nächsten hundert Jahren so schnell verschwinden wie jetzt, dann haben wir ein Massenaussterben, das genau so schlimm ist wie die größten der Erdgeschichte."