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Schwache Sonne, starker Schwefelausstoß in China

Klima.- Zwischen 1998 und 2008 stieg die globale Durchschnittstemperatur deutlich weniger als in den jeweiligen drei Jahrzehnten davor - trotz steigender Treibhausgasemissionen. Für Klimawandel-Skeptiker eine willkommene Gelegenheit, die globale Erwärmung in Abrede zu stellen. Nun haben Klimaforscher diese Zeitspanne noch einmal genau untersucht.

Von Volker Mrasek | 04.07.2011
    Zwischen 1998 und 2008 gab es keine weiteren Temperaturrekorde, nur das Jahr 2005 war noch einmal besonders. Über die komplette Elf-Jahresspanne gesehen machte die globale Erwärmung Pause. Robert Kaufmann empfindet das so, als habe jemand auf die Wiederholungstaste des Weltklima-Rekorders gedrückt. Denn es gebe eine historische Parallele, sagt der Professor für Geografie und Umwelt an der Boston University in den USA:

    "Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebten Nordamerika, Europa und Japan ein kräftiges Wirtschaftswachstum. Zu dieser Zeit gingen die Kohlendioxid–Emissionen mächtig in die Höhe. Gleichzeitig nahm aber auch der Ausstoß von Schwefel stark zu. Das wirkte der Erwärmung durch CO2 in den 50er-, 60er- und frühen 70er-Jahren entgegen."

    Schwefelpartikel stammten aus Kohlekraftwerken, die damals zuhauf ans Netz gingen und noch keine Rauchgasreinigung besaßen. In der Atmosphäre werden solche Teilchen zu Sulfat-Aerosolen und haben dann eine kühlende Wirkung auf das Klima, das heißt, sie kontern den Treibhauseffekt von Gasen wie CO2.

    In den Jahren zwischen 1998 und 2008 war das offenbar wieder so. In den westlichen Industrieländern laufen zwar längst nur noch Kohlekraftwerke mit Entschwefelung – nicht aber in China.

    "Die chinesische Wirtschaft ist zuletzt enorm gewachsen, um rund zehn Prozent jährlich. Es ist ein Aufschwung, wie ihn der Westen nach dem Krieg erlebte. Als Folge davon hat sich der Verbrauch von Kohle in China zwischen 2003 und 2007 glatt verdoppelt. Entsprechend gingen die Schwefel-Emissionen hoch, und ihre kühlende Wirkung hat den Treibhauseffekt durch Kohlendioxid weitgehend aufgehoben."

    Für ihre neue Studie benutzten Robert Kaufmann und seine Kollegen aus den USA und aus Finnland ein statistisches Modell. Damit gewichteten sie alle Faktoren, die Einfluss auf die Temperaturentwicklung seit 1998 gehabt haben sollten, natürliche wie künstliche – auch den Schwefelausstoß von Chinas Kohlekraftwerken. Weil er allerdings nicht genau bekannt ist, arbeiteten die Forscher hier mit verschiedenen Schätzwerten.

    Das Ergebnis der Rechnungen sei aber stets das gleiche gewesen, sagt Kaufmann:

    "Die heutige Theorie des Klimawandels kann erklären, warum eine Erwärmung zwischen 1998 und 2008 ausblieb. Weil sich kühlender Schwefelstaub und wärmende Treibhausgase praktisch die Waage hielten, hatten menschliche Aktivitäten in dieser Zeit kaum einen Einfluss auf den Temperaturtrend. Stattdessen dominierten natürliche Faktoren. Das war einmal der Übergang von einer Wärme- zu einer Kältephase im Pazifik. Und zum anderen eine schwächere Sonne im Zuge ihrer normalen zyklischen Schwankungen."

    Vermutlich gönnt sich die globale Erwärmung aber nur eine kurze Pause – zumal neue Kohlekraftwerke in China inzwischen mit Entschwefelung ans Netz gehen.

    Um ein Haar hätte 2010 bereits einen neuen Temperaturrekord aufgestellt, mit 14,53 Grad Celsius im globalen Jahresmittel. Das ergibt sich aus einem neuen Klimareport, der jetzt in den USA veröffentlicht wurde. Zu den Autoren zählt der Meteorologe Derek Arndt von Nationalen Klimadaten-Zentrum in Asheville im US-Bundesstaat North Carolina:

    "2010 war eines der zwei wärmsten Jahre seit Beginn der Aufzeichnungen. Zum neuen Temperaturrekord fehlte nach unseren Analysen nicht mal ein Hundertstel Grad! Grönland hat 2010 mehr Eis verloren als in jedem der vorausgegangenen Jahre, der Wasserdampfgehalt der Luft ist gestiegen. Das alles sind unabhängige Indikatoren für den Zustand des Klimas."

    Und diesen Zustand muss man als nach wie vor "aufgeheizt" bezeichnen. Die Klimaforscher rechnen sogar mit einem neuen Temperaturschub, wenn die Luft über China allmählich sauberer wird und die Sonne wieder stärker strahlt.