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Schwacher, mentaler Skizzenblock

Neurologie. - Je älter Menschen werden, desto schwächer wird vor allem dieses Kurzzeitgedächtnis. An welchen Schwächen im Gehirn diese Vergesslichkeit liegt, war bisher nicht klar. Forscher erklären jetzt in "Nature", dass man diese Schwächen zumindest zum Teil mit Medikamenten ausbügeln kann.

Von Katrin Zöfel | 28.07.2011
    Unser Kurzzeitgedächtnis nennen Forscher gerne unseren "mentalen Skizzenblock". Es ist ein Netz von Nervenzellen im so genannten präfrontalen Kortex, es liegt also gleich hinter unserer Stirn. Diese Nervenzellen sind eng miteinander verknüpft. Was bei einem echten Skizzenblock der Bleistiftstrich, ist hier ein flüchtiges Muster aus Signalen, die die Nervenzellen untereinander austauschen. Das sagt die Neurobiologin Amy Arnsten.

    "Sie regen sich gegenseitig an. Und sie haben die Fähigkeit, auch dann, wenn kein Impuls mehr von außen kommt, weiter Signale hin und her zu schicken. Dadurch entsteht auf dem Skizzenblock - so ähnlich wie bei einem Bild aus Lichtpunkten - ein Abbild im Hirn von etwas, das in der Umwelt gar nicht mehr da ist. Das ist die Grundlage für das Kurzzeitgedächtnis."

    Amy Arnsten ist Professorin an der Yale Universität in den USA. Jede dieser Hirnskizzen für sich genommen, hält gerade einmal 15 Sekunden. Nach 15 Sekunden also braucht das Nervennetz einen neuen Impuls von Außen. Dieser kann aus der Umwelt kommen oder aus dem Langzeitgedächtnis. Ein Beispiel: Man ist daheim im oberen Stock seines Hauses. Man packt ein Geschenk ein und braucht dafür die Schere. Die aber ist im Erdgeschoss in der Küche. Auf dem Weg in die Küche, um die Schere zu holen, verlässt man sich auf sein Kurzzeitgedächtnis. Darin gespeichert sind: das Vorhaben, die Schere zu holen; außerdem, wie die Schere aussieht und wo man sie verstaut hat. Weil der Weg länger als 15 Sekunden dauert, muss die Information immer wieder nachgefüttert werden, in diesem Fall aus dem Langzeitgedächtnis. Es agiert wie eine Souffleuse. Versagt die Souffleuse, läuft man zerstreut wieder hoch ins erste Stockwerk und erst das Geschenkpapier erinnert einen daran: "Oh, ich brauche doch die Schere." Ob einen nun das Langzeitgedächtnis erinnert oder das Geschenkpapier, das Ganze funktioniert nur, wenn das Kurzzeitgedächntis diese Signale empfängt und versteht. Arnsten:

    "Deshalb brauchen wir ein starkes Kurzzeitgedächtnis – wir nennen es auch gerne unseren 'Arbeitsspeicher' – um gute Pläne zu machen und unser Verhalten gezielt zu steuern."

    All diese Vorgänge und wo sie im Gehirn ablaufen, sind schon länger bekannt, auch dass unser Arbeitsspeicher schon im Alter von 30 Jahren nachlässt. Was Amy Arnsten nun untersucht hat, ist, woran das liegt. Sie ließ unterschiedlich alte Makakenaffen einfache Gedächtnistests absolvieren und beobachtete dabei die Aktivität ihrer Nervenzellen.

    "Das war das erste Mal, dass wir bei jungen, mittelalten und alten Affen beobachten konnten, was in diesen Nervenzellen geschieht, wenn sie gerade eine Gedächtnisleistung vollbringen."

    Das Ergebnis: Nur bestimmte Nervenzellen waren vom Altern betroffen. Jene Zellen, die Signale von außen aufnehmen und weitergeben, funktionierten weiter gut. Jene aber, die nur untereinander Signale hin und her schicken, die also das Erinnerungsbild aufrechterhalten, deren Funktionstüchtigkeit war gestört. Im nächsten Schritt half Arnsten dem Gedächtnis der Tiere durch verschiedene Medikamente auf die Sprünge. Dabei zeigte sich zweierlei: zum Einen wirkten solche Stoffe, die die Membranen der Nervenzellen beeinflussen, zum Anderen auch solche, die in die Signalwege im Zellinneren eingreifen.

    "Was wir also gelernt haben, ist, dass die Funktionsfähigkeit dieser Nervenzellen stark von chemischen Stoffen beeinflusst wird, weniger davon, dass zum Beispiel ganze Zellen im Alter absterben würden. Das aber bedeutet, das wir mit Medikamenten etwas gegen den Gedächtnisschwund tun können."

    Klar sei, dass neben den Effekte, die sie gefunden haben, noch andere Prozesse für den Gedächtnisverlust im Alter eine Rolle spielen. Doch immerhin sind für Arnsten die Ergebnisse Grund genug, die im Affenversuch erfolgreichen Wirkstoffe nun vorsichtig an Menschen zu testen. Die Neurobiologin Carol Barnes von der Universität von Arizona in Tucson, teilt die Ansicht ihrer Kollegin aus Yale.

    "Ich denke, ein Ziel von uns, die wir am alternden Gehirn forschen, ist, die menschliche Denkfähigkeit zu erhalten, egal wie lang jemand lebt. Und es ist leicht, sich solche Versuche wie die von Yale auszudenken, ihre Durchführung aber ist ziemlich schwierig. Insofern ist das eine sehr, sehr wichtige Studie."