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Schwamm mit Glasfasergerippe

Physik. - Das "Venusblumenkörbchen" ist ein Tiefseeschwamm, einem Strumpf nicht unähnlich und dient Garnelen als Behausung. Wie der Organismus dem enormen Druck in der Tiefe und den Malträtierungen der Bewohner widersteht, untersucht Physiker Peter Fratzl, der mit dem Max-Planck-Forschungspreis geehrt wird.

Von Hellmuth Nordwig |
    Was das Venusblumenkörbchen kann, das können Bäume schon lange. Genau wie bei Holz sind die Fasern des Tiefseeschwamms zu Röhren gewickelt und in eine Art Harz eingebettet - so ist das Geflecht flexibel und hält den scharfen Zangen der Krebse trotzdem Stand. Auch Holz hält Belastungen aus, denen ihr wichtigster Bestandteil allein bei weitem nicht gewachsen ist: die Zellulose, aus der zum Beispiel Zeitungspapier besteht.

    "Wenn man ein Material als Material nimmt, zum Beispiel Stahl, Beton, Keramik, kommt eigentlich keines an das Holz heran, was dessen Funktion betrifft, nämlich gleichzeitig leicht und steif zu sein,"

    sagt Forschungspreisträger Professor Peter Fratzl. Er leitet die Abteilung für Biomaterialien am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in der Nähe von Potsdam. Dass es zugleich leicht und hoch belastbar ist, verdankt Holz den vielen parallelen Röhren in seinem Inneren.

    "Nun sind diese Röhren aber nicht aus einem einfachen Material, sondern auf der nächsten Hierarchieebene wieder aus mehreren Komponenten zusammengesetzt. Eine davon sind Zellulosefasern, die quasi in einen "Kunststoff"-Polymerkleber eingebettet sind. Also wir sehen viele Hierarchieebenen, und auf jeder besteht die Möglichkeit, das Material an die Anforderungen anzupassen."

    Das beginnt schon auf der Ebene der einzelnen Moleküle. Zellulose besteht aus Zuckerbausteinen, die wie Perlen zu einer Kette verknüpft sind. Diese Kette baumelt nicht einfach lose herunter, sie ist mehrfach zu einer Faser verdrillt und wird dadurch viel fester. Wie sich die einzelnen Fasern nun um die Röhren, die sogenannten Holz-Zellen, anordnen, das ist keineswegs dem Zufall überlassen.

    "Die Holzzelle kann man sich etwa so vorstellen, dass man eine Feder aus Zellulosefasern nimmt und einbettet in ein Harz zum Beispiel. Und je steiler der Winkel ist, mit dem die Feder läuft, desto steifer ist die Feder; je flacher der Winkel ist, desto weicher ist die Feder. Und der Baum ist in der Lage, diesen Winkel zu steuern in Abhängigkeit von den aktuellen Bedürfnissen."

    Die ändern sich mit dem Alter: Ist der Baum noch sehr klein, dann ist er flexibel, gibt unter Schneelast oder den Hufen von Weidevieh nach und steht dann wieder auf. Später ist Widerstand sinnvoll - das Holz des Stamms wird härter. Die Äste müssen dagegen einen Gutteil ihrer Flexibilität behalten: Sie haben Früchte, Schnee oder kletternde Kinder auszuhalten, und vor allem dürfen sie unter ihrem eigenen Gewicht nicht brechen. Wenn Peter Fratzl versucht, hier die Natur nachzuahmen, tut er das nicht, um ein noch besseres Material zu finden als Holz. Denn er baut nicht die Substanz nach, sondern das Konstruktionsprinzip. Fachwerke zum Beispiel.

    "Fachwerkkonstruktionen sind die erste Annäherung an das, was der Baum auch macht, der besteht zwar nicht aus einem Fachwerk, sondern aus Röhren, aber es ist eben ein konstruiertes Material und kein Vollmaterial. Man baut heute Fachwerke nicht in der Größe eines Hauses, sondern einer Nadel oder wesentlich feiner, die ebenso geringe Dichte haben und strukturiert sind. Wir haben zum Beispiel Projekte, wo wir Knochenersatzmaterialien auf diese Weise herstellen. "

    Auch einen künstlichen Muskel hat der Potsdamer Forscher gebaut. Er funktioniert nach dem Prinzip, das Blüten nutzen, wenn sie sich am Morgen öffnen. Dahinter steckt ein Gel, das bei höherer Luftfeuchtigkeit anschwillt. Nach einem ähnlichen Mechanismus bohren sich auch die Körner des wilden Weizens in den Boden - unterstützt von den Grannen, die mit Glasfasern verstärkt sind. Das macht sie biegsam und belastbar zugleich - genau wie Holz oder die Glasröhren des Venusblumenkörbchens in der Tiefsee.

    http://www.mpikg.mpg.de/