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Schwan in Bilderflut

Zwei Gralsritter-Stücke hat Richard Wagner geschrieben: Den "Parsifal" und den "Lohengrin". Stefan Herheim hat im letzten Sommer in Bayreuth eine bejubelte Inszenierung des "Parsifal" abgeliefert. Jetzt hat er - anlässlich der Festtage 2009 - zusammen mit Daniel Barenboim eine Interpretation des romantischen Meisterwerks "Lohengrin" an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin erarbeitet.

Von Christoph Schmitz | 05.04.2009
    Stefan Herheim ist ein Regisseur, der den Theaterzauber liebt. Die Bühnenmaschinerie mit all ihren Möglichkeiten ist die Sprache, in der er schwelgt. Das Liebespaare verschlingende Bett in seinem Bayreuther Parsifal gehört dazu, eine Gralsburg, die sich in die Villa Wahnfried und nach der Bombennacht in den Bundestag verwandelt, aber auch ein Don Giovanni, der als Johannes der Täufer im Kamelfell aus einem Kathedralengemälde springt, wie bei der Essener Mozart-Inszenierung. Das sind Bühnengeschichten nach Herheims Geschmack. Dabei sucht er zwar die bühnentechnische Perfektion, aber nie in einem filmisch-realistischen Sinne. Herheim will keine Fantasy-Illusion, sondern gutes handgemachtes Bühnenspiel, bei dem die Kulissen wackeln dürfen und die störrische Mechanik mit ihrem Ruckeln und Knirschen hörbar und sichtbar bleibt, also die ästhetische Anmutung der Augsburger Puppenkiste. Und dass Herheim eigentlich vom Marionettentheater kommt, ist mittlerweile in jeder seiner Kurzbiografien nachzulesen.

    Und so lässt er auch bei seinem Berliner Lohengrin die Puppen tanzen. Im wahrsten Sinne des Wortes: Zu den sphärischen Klängen des Vorspiels liegt eine kindergroße Richard-Wagner-Marionette auf einem Baumstumpf und beginnt sich mit dem Erwachen der Musik langsam zu regen. Mit ihren ungelenken Bewegungen gerät die Figur in eine Ekstase kreativer Verzückung, beginnt zu fliegen und wird im Rausch aufgesaugt von einem riesigen, über ihm schwebenden, roterleuchteten heiligen Gralskelch, geformt aus einem faltenreichen Gazeschleier. Der hölzerne Richard schafft die Illusion einer erlösten Welt. So gewinnt das romantische Kunstpathos in den Händen des staubigen Marionettentheaters ihre Poesie zurück. Und so nähert sich Herheim dem Hintertürchen des Paradieses. Dankbar folgt er Heinrich von Kleists Wanderkarte für uns verstoßene Menschenkinder.

    "Nie sollst du mich befragen, noch Wissens Sorge tragen, woher ich kam der Fahrt, noch wie mein Nam' und Art."

    Dieser Lohengrin, gesungen von Klaus Florian Vogt mit unvergleichlich reinem, glänzendem und warmem Tenor, dieser Lohengrin sieht in seinem weißen germanischen Kriegeroutfit wie eine Marionette aus. Starr sind auch seine Mimik und seine Bewegungen. Der marionettenhafte Lohengrin ist in die Welt der Puppenspieler von heute getreten. Die Sängerin der Elsa von Brabant, Dorothea Röschmann mit mattiertem Sopran, sie führt die Fäden der Elsa-Puppe, die von Lohengrin angesprochen wird. Auch der Heinrich-Sänger Kwangchul Youn in schwarzem Anzug bewegt eine historische Königsfigur. Wagner- und Germanen-Marionetten sogar in den Händen der Chorsänger. Die moderne Puppenspielertruppe lässt sich mit Lohengrins Auftritt auf die heile Kunstillusion ein. Sie streift ihre Jeans und Röcke ab und verwandelt sich in nackte Adams und Evas, auf deren Stoffhaut die Maserung des Holzes zu sehen ist, aus dem sie geschnitzt wurden. Nur die an Vorteil, Ansehen, Erfolg und Macht Interessierten, Ortrud und Friedrich, machen nicht mit. Immer wieder gelingen Herheim mit diesem Verkleidungs- und Verwandlungsspiel zauberhafte Momente. Ein ausgezeichnetes Solistenensemble wirkt daran entscheidend mit. Wie Michaela Schuster, die ihrer Ortrud dämonische Finsternis und beißenden Zynismus verleiht, um die naive und klamaukige Puppenwelt des zweiten und dritten Aufzugs kräftig zu stören.

    "Hör! Vor allem gilt's von hinnen nicht zu fliehen; drum schärfe deinen Witz! Gerechten Argwohn ihr zu wecken, tritt vor, klag ihn des Zaubers an, mit dem er das Gericht getäuscht!"

    Bei aller Qualität des neuen Berliner Lohengrin, so kann sie dennoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass vieles noch unausgereift ist. Die szenische und musikalische Interpretation wirkt über lange Strecken wie ein Torso. Die Sänger wissen oft nicht, wie sie sich zu bewegen haben, der szenische Einfallsreichtum gerät ins Stocken, die Plausibilität mancher Idee bleibt auf der Strecke, der Chor geht aus den Fugen, zahlreiche Patzer im Orchestergraben, wo Daniel Barenboim das romantische Farbenspektrum zwar immer wieder wunderbar entfaltet, aber nicht durchgängig gestalterisch formt. So bescherte die Premiere gestern Abend statt Stunden, nur Minuten der wahren Empfindung.

    "Sie naht die Engelsgleiche, von keuscher Glut entbrannt. Heil dir, o Tugendreiche! Heil Elsa von Brabant."