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Schwangerschaftsstreifen im Knochen

Paläontologie. - Wie die Speisekarte der Neandertaler vermutlich ausgesehen hat, lässt sich aus dem Isotopenverhältnis ihrer Knochen lesen. Jetzt prüften britische Paläogenetiker, ob sich so auch Hinweise auf Schwangerschaften entdecken lassen.

Von Michael Stang |
    Knochen von Männern und Frauen unterscheiden sich nicht nur in der Größe, sagt Rhiannon Stevens. Im Labor kann die Chemikerin vom archäologischen Institut der Universität in Cambridge auch in der Zusammensetzung viele Abweichungen ausmachen.

    "Wenn wir Knochen aus archäologischen Hinterlassenschaften chemisch untersuchen, finden wir oft große Unterschiede in den Isotopenverhältnissen. Das deutet normalerweise auf eine verschiedene Ernährung hin. Unsere Hypothese war, dass diese Unterschiede nicht nur auf die Ernährung zurückzuführen sind, sondern auch ein Hinweis auf eine Schwangerschaft oder eine Stillzeit sein können."

    Im Knochen eingebettet befindet sich das Protein Kollagen, das je nach Ernährung unterschiedliche Verhältnisse von Stickstoffisotopen aufweist. So kann Rhiannon Stevens feststellen, ob sich das untersuchte Individuum zu Lebzeiten überwiegend vegetarisch, von Fisch oder von Fleisch ernährt hat. Um ihre Hypothese zu überprüfen, griff sie auf Rotwild zurück, da sich diese Tiere im Gegensatz zu Menschen auch unabhängig vom Geschlecht alle gleich ernähren. Auf der schottischen Insel Rum beobachten Biologen seit nunmehr 20 Jahren über 300 wildlebende Tiere, deren Lebenswandel bis hin zum natürlichen Tod exakt dokumentiert ist. Eine optimale Versuchsgruppe für die Britin.

    "Wir haben zuerst Haare von männlichen und weiblichen Tieren untersucht. Wir wussten von jedem Weibchen, ob und wie oft es trächtig gewesen ist, wie viele Nachkommen es hatte und ob und wie lange diese gesäugt wurden und schauten, ob sich das niederschlägt. Bei den Haaren hatten wir direkt Erfolg. Wir können zwar nicht sagen, wie viele Trächtigkeiten es waren, aber wir sehen, ob ein Tier nie trächtig war, ob eins mehrere Geburten hatte oder ob es gerade Milch produziert, weil es seinen Nachwuchs säugt. Diese drei Stadien können wir anhand der Stickstoffverhältnisse gut auseinanderhalten."

    Gegen Ende der Trächtigkeit und während der anschließenden Milchproduktion reduziert sich die Menge der Stickstoffisotope in den Haaren des Rotwilds. Dass sich diese Methode auch bei Menschen anwenden lässt, zeigte eine zeitgleiche internationale Studie, die Haare von heute lebenden Frauen in Gambia untersucht hatte. Diese Forscher konnten eine Schwangerschaft ebenso nachweisen wie eine Stillzeit.

    "Wenn wir alte Haare haben, etwa von Mumien oder von Tieren, können wir nun Schwangerschaften definitiv feststellen oder ausschließen. Die Methode funktioniert sehr gut. Das ist besonders bei der Forschung an ausgestorbenen Tieren interessant, weil wir da nicht wissen, in welchem Alter die weiblichen Tiere fruchtbar wurden und ob sie viele oder nur wenige Schwangerschaften hatten."

    Wenn sich Schwangerschaften in Haaren einfach nachweisen lassen, müsste – so die Überlegung – dies auch bei Knochen funktionieren. Aber egal, welche Rotwildknochen die britische Forscherin untersuchte, bei keinem konnten sie eine frühere Trächtigkeit nachweisen. Da sich Knochen permanent regenerieren, verschwinden so auch diese Spuren mit der Zeit. Haare hingegen regenerieren nicht, sondern wachsen nach Deshalb lassen sich solche Spuren nur in Haaren, Horn und Nägeln nachweisen. Das gilt sowohl für das Rotwild als auch für den Menschen.

    "Es war schon eine Überraschung, da wir ja in den Haaren Trächtigkeiten wunderbar nachweisen konnten; zudem waren einige der untersuchten Tiere fast ihr ganzes Leben lang schwanger und haben ihren Nachwuchs gesäugt. Es war eigentlich zu erwarten, dass wir das auch in den Knochen sehen können, aber es scheint so, dass Schwangerschaften dort keine Spuren hinterlassen."

    Bei Ausgrabungen werden Archäologen zukünftig also nicht feststellen können, wie oft eine Frau schwanger war. Die Ergebnisse sieht Rhiannon Stevens jedoch nicht negativ, im Gegenteil. Sie konnte nachweisen, dass Unterschiede in der Isotopenstruktur im Knochenkollagen einzig und allein auf eine unterschiedliche Ernährung zurückzuführen sind.