"Also, erst mal finde ich es erfreulich, dass die Diskussion über die Kernkraft wieder eröffnet ist und in einem Gesamtenergiemodell eingepasst werden soll. Wir sind als Betreiber natürlich vorbereitet, unsere Kernkraftwerke länger laufen zu lassen. Insofern begrüßen wir die Diskussion und warten was da kommen wird..."
"Dann sagen die Leute: 'Nee - Moment. So haben wir nicht gewettet. Ihr habt versprochen: Ihr macht einen Atomausstieg und jetzt macht ihr ihn nicht? Also machen wir wieder Druck.'"
"...uns aber interessieren der Fluss, der Wald, das Feld und unsere Gesundheit kauft uns keiner ab fürs Geld! Auf welcher Seite stehst Du hey, hier wird ein Platz besetzt, hier schützen wir uns vor dem Dreck nicht morgen sondern jetzt!"
Noch ist es eine Erinnerung an damals. An 1975, als Demonstranten den Bauplatz des geplanten Atomkraftwerks im baden-württembergischen Whyl besetzten, dessen Bau verhinderten und den Startschuss gaben für die Anti-Atomkraftbewegung. Aber die Aussage von RWE-Chef Jürgen Großmann und die Drohung eines Demonstranten in Gorleben zeigen: Die Ankündigung von Union und FDP, die Laufzeiten deutscher Atomkraftwerke zu verlängern, sorgt für Unruhe im Land.
Vor neun Jahren wurde unter Rot-Grün der Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. Seitdem war es ruhig geworden im gesellschaftlichen Großkonflikt über die Atomkraft. Nur bei den jährlichen Castor-Transporten kam es noch zu Demonstrationen. Nun aber will Schwarz-Gelb diesen Ausstieg wieder rückgängig machen. In der öffentlichen Wahrnehmung wird die Energiepolitik von Union und FDP damit zu dem, was sie aus Sicht der neuen Koalitionäre gerade nicht sein soll. Sie wird wieder zur Atompolitik!
Dabei kam Angela Merkel das Wort "Atom" bei der Vorstellung des Koalitionsprogramms nicht ein einziges Mal über die Lippen:
"Wir brauchen hier natürlich Brückentechnologien in einem Energiemix. Aber unser Ziel ist klar und deutlich verankert, nämlich eine Energiepolitik aus einem Guss, die hinführt in ein neues Zeitalter erneuerbarer Energien."
Das klingt eher nach einem grünen als nach einem schwarz-gelben Energiekonzept. Union und FDP wollen es bis nächstes Jahr erarbeiten: ideologiefrei, technikoffen und marktorientiert soll es sein. So steht es im Koalitionsvertrag. Doch grün ist das Programm nicht: Die Atomkraft ist ausdrücklich miteingeschlossen.
Zwar wollen Union und FDP keine neuen Atomkraftwerke bauen, doch dafür sollen die 17 alten Meiler länger laufen. Das verbirgt sich hinter Merkels sogenannten "Brückentechnologien". Mit längeren Laufzeiten wollen Union und FDP die Zeit überbrücken, bis der Strom für Industrie und Haushalte, aber auch für Elektroautos, die in Zukunft vermehrt eingesetzt werden sollen, aus erneuerbaren Energien stammt. Und zwar möglichst komplett!
Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Deshalb folgen Union und FDP den Forderungen vor allem der Energieversorger, aber auch der meisten traditionellen Industrieverbände, die 17 deutschen Atomkraftwerke erst einmal länger am Netz zu lassen. Politisch ein schwieriges Unterfangen in einem Land, in dem die Mehrheit der Bevölkerung unverändert gegen längere Laufzeiten ist. Laufzeiten, von denen mit RWE, E.ON, EnBW und Vattenfall zunächst nur die vier großen deutschen Energiekonzerne profitieren würden:
"Wir berechnen Zusatzgewinne von 44 Mrd. Euro. Das betrifft eine Laufzeitverlängerung um zehn Jahre. Sie können natürlich deutlich mehr errechnen, wenn Sie das technische Potenzial voll ausschöpfen und um 25 Jahre verlängern würden. Dann liegen wir bei den konservativen Strompreis-Szenario bei 119 Milliarden Euro und bei dem progressiveren langfristig realistischen Strompreis bei bis 233 Milliarden Euro."
Bernhard Jeggle von Landesbank Baden-Württemberg LBBW hat die Zusatzgewinne berechnet. Egal ob die Atommeiler zehn oder 25 Jahre länger laufen, die Zusatzgewinne gehen in jedem Fall in die Milliarden.
Deshalb soll es diese längeren Laufzeiten auch nicht zum Nulltarif geben. Mehr Atomkraft muss der atomkritischen Öffentlichkeit erst einmal schmackhaft gemacht werden. Vor allem wenn die Laufzeit von Atommeilern auf 40, 60 oder gar 80 Jahre verlängert werden soll. Das wissen auch E.ON, RWE, Vattenfall und EnbW, die die derzeit 17 deutschen Atomkraftwerke betreiben. Sie haben schon seit langem angeboten, einen Teil der Zusatzgewinne abzutreten, sagt auch RWE-Chef Jürgen Großmann, der erst am Wochenende über Laufzeiten von bis zu 80 Jahren gesprochen hatte:
"Das haben wir immer gesagt. Ein dicker zweistelliger Prozentsatz. Ob das 50, 55, 45 Prozent sind das muss man sehen. Das muss eingebettet sein in einer ganzheitlichen Betrachtung, in Energiepolitik eben."
Das ganze ist also Verhandlungssache. Auch die Frage, wofür die abgeschöpften Atom-Milliarden ausgegeben werden sollen. Union und FDP wollen damit die erneuerbaren Energien fördern. Wie aber soll das geschehen? Wie lange sollen die AKWs am Netz bleiben? Welche Nachrüstungen in Sachen Sicherheit sind erforderlich? Zentrale Fragen des Energie-Konzepts der neuen Regierung sind offen. Aushandeln muss sie der neue Umweltminister Norbert Röttgen, CDU.
Der 44-jährige Jurist ist umweltpolitisch ein unbeschriebenes Blatt. Mindestlohn, Familienpolitik, Steuern - kaum ein Thema, zu dem der lang gediente parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion nicht Stellung genommen hat. Zur Energiepolitik haben die Archive nur vage Aussagen des neuen Umweltministers gespeichert:
"Wasser, Energie und anderes Gemeinwohlaufgaben, die zum Kernbereich von Kommunen und Staat gehören."
In seinem Buch "Deutschlands beste Jahre kommen noch" erklärt Röttgen den "Umgang mit Energie zu einem entscheidenden Parameter für die Wachstums- und Entwicklungschancen eines Landes". Angeblich war das Umweltministerium Röttgens Wunsch-Ressort. Hier können sich Politiker profilieren - siehe Angela Merkel, Bundeskanzlerin, siehe Sigmar Gabriel, SPD-Chef in spe. Auch Röttgens Vorgänger waren keine Umweltpolitiker, als sie das Amt übernahmen. Umweltverbände begegnen dem neuen Umweltminister mit skeptischem Wohlwollen. Jörn Ehlers vom WWF:
"Er ist weit angesehen in der politischen Szene und er hat den Ruf, offen zu sein. Und genau das muss man ja auch sein, wenn man so ein Amt in dieser doch eher konservativen Regierung übernimmt. Es ist ein Amt, wo man sich profilieren kann. Röttgen kann diese Chance für sich nutzen und sicher auch für sein Amt nutzen. Und darin sieht der WWF durchaus eine Chance."
Noch zu Bonner Zeiten war Norbert Röttgen Mitglied der so genannten "Pizza-Connection", traf sich bei einem Italiener regelmäßig mit Abgeordneten der Grünen. Bis heute gilt der Vater dreier Kinder als Sympathisant einer schwarz-grünen Koalition, seine Berufung zum Umweltminister als Zeichen Merkels an die Öko-Partei. Vor der Bundestagswahl sagte Röttgen zur grünen Koalitions-Option:
"Wir müssen auf alles, was realistisch werden könnte, vorbereitet sein - programmatisch und koalitionspolitisch, nicht anbiedernd, aber auf alles vorbereitet. Verengung bedeutet immer die Ausblendung von Realität. Und das war noch nie ein gutes Mittel, um mit der Wirklichkeit fertig zu werden."
Doch in Röttgen steckt mehr Friedrich Merz als Jürgen Trittin. 2006 wollte der rheinländische Bundestagsabgeordnete Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der deutschen Industrie werden - und Volksvertreter bleiben. Das sorgte für einen Proteststurm, Röttgen sagte dem BDI ab.
Die inhaltliche Nähe zur Wirtschaft blieb. Bei den Koalitionsverhandlungen saß Röttgen in der Arbeitsgruppe Wirtschaft. Sein Credo:
"Wir wollen ja sowohl die Natur schützen, Klimawandel vorbeugen, eindämmen, als auch wirtschaftlich erfolgreich sein, wir wollen auch weiterhin Arbeitsplätze in diesem Land. Und wer glaubt, ökologische Ziele dadurch zu erreichen, dass wir Maßnahmen ergreifen, die wirtschaftlich negativ sind, die Arbeitsplätze gefährden, der wird am Ende Ziele nicht erreichen."
Diese inhaltliche Offenheit wird der neue Umweltminister brauchen - bei den harten Klimaverhandlungen im Dezember in Kopenhagen, der Ausarbeitung eines neuen umfassenden Energiekonzepts, aber auch der geplanten Lockerung der Exportvorschriften für deutsche Atomtechnik. Bei all diesen Vorhaben muss er sich mit dem Wirtschaftsministerium einigen, auch bei den neuen Förderregeln für erneuerbare Energien. Zwar hat die Bundeskanzlerin verhindert, dass die Zuständigkeit dafür - wie von Industrie und FDP gefordert - vom Umwelt- ins Wirtschaftsministerium wandern. Doch Energiepolitik ist nach wie vor ein Querschnitts-Thema.
Subventionen für Ökostrom, sparsame Kühlschränke oder gedämmte Altbauten? Alles geht auch über den Schreibtisch von Wirtschaftsminister Rainer Brüderle, FDP. Die enge Beziehung zu seiner Duz-Chefin Merkel dürfte Röttgen beim traditionellen Konflikt mit dem Wirtschaftsministerium von Vorteil sein. Denn Röttgen muss aus einem Koalitionsvertrag, der es allen recht machen will, ein schlüssiges Energiekonzept schmieden. Rainer Baake, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe:
"Und wenn er sich jetzt daran macht, mit seinem Kollegen aus dem Wirtschaftsministerium eine konsistente Klima- und Energiepolitik zu entwerfen, dann steht er hier vor einer Herkulesaufgabe, weil das, was die Koalition aufgeschrieben hat, in dieser Form nicht zusammenpasst."
So fordert der Koalitionsvertrag den Bau neuer Kohlekraftwerke und massive CO2-Reduktion. Dies, so die Umweltverbände, passe nicht zusammen. Und erst recht nicht das Ziel, erneuerbare Energie zu fördern und gleichzeitig die Laufzeiten der Atomkraftwerke zu verlängern....
17 Atommeiler sind derzeit noch am Netz. Mit 23 Prozent deckten sie letztes Jahr knapp ein Viertel des Strombedarfs in Deutschland ab. Die erneuerbaren Energien, also Wind, Sonne, Wasser, Biomasse und Erdwärme, kamen auf 15 Prozent. Bis 2020, so sah es das Klimaschutzprogramm der alten Bundesregierung vor, soll sich der Anteil der Erneuerbaren auf 30 Prozent verdoppeln. An diesem Ziel wollen auch Union und FDP bislang nicht rütteln.
Auch unter Schwarz-Gelb soll Strom aus erneuerbaren Quellen unverändert mit Vorrang ins Netz eingespeist werden. Kohle- und Gaskraftwerke müssen danach grundsätzlich ihre Leistung reduzieren, wenn genug Ökostrom im Netz ist. Union und FDP wollen so konventionelle Energieträger, also Kohle und Atom, kontinuierlich durch alternative Energien ersetzen. Verteidigt werden soll auch die deutsche Technologieführerschaft bei den erneuerbaren Energien.
Diese Ankündigungen sind wegweisend und richtig. Das räumt auch der Bundesverband Erneuerbarer Energien ein, der Dachverband der Ökostrombranche. Und das obwohl Union und FDP beispielsweise die Solarstromförderung zusammenstreichen wollen. Die Förderung der privaten Photovoltaikanlagen verschlingt Milliarden, die Anlagen selbst decken aber nicht einmal ein Prozent des deutschen Stromverbrauchs ab. Doch Carsten Körnig, Geschäftsführer des Bundesverbands Solarwirtschaft, gibt sich gelassen.
"Wir haben seit 2000 bei Solartechnik die Kosten halbiert. Wir werden sie in den nächsten fünf Jahren noch mal halbieren. Wir werden spätestens im Jahr 2015 den Solarstrom vom eigenen Dach günstiger erzeugen können als aus der Steckdose. Das heißt, dann wird jeder Verbraucher drüber nachdenken, doch lieber den Strom auf dem eigenen Dach zu erzeugen als Strom vom konventionellen Energieanbieter zu beziehen."
Aufgrund solcher Perspektiven strotzen die Ökostromerzeuger vor Selbstbewusstsein. Sie versprechen: dass Wind, Sonne und Biomasse schon in zehn Jahren knapp die Hälfte des Stromverbrauchs abdecken: 47 Prozent! Dreimal mehr als heute! Damit könnte auch der Atomstrom ersetzt werden.
Fraglich ist nur, ob die längeren Laufzeiten für Atommeiler den Ausbau der Erneuerbaren nicht behindern werden ...
Atomkraftwerke produzieren vor allem den sogenannten Grundlaststrom, der rund um die Uhr zur Verfügung steht. Dagegen schwankt witterungsbedingt die Produktion von Wind- und Solarstrom. Zugleich muss aus technischen Gründen aber immer genau so viel Strom im Netz vorgehalten werden wie gerade verbraucht wird. Mit einem steigenden Ökostromangebot, muss es immer mehr flexibel zuschaltbare Kraftwerke auf Kohle- und Gasbasis geben, um diese schwankende Produktion von Wind- und Solarstrom ausgleichen zu können. Dafür sind Atommeiler aber völlig ungeeignet. Sie sind groß und träge. Wenn jetzt der Ökostromanteil, wie von Schwarz-gelb politisch gewollt, noch weiter steigt, aus technischen Gründen die Atomkraftwerke aber nicht herunterregelt werden können und diese Meiler auch noch viele Jahre länger laufen, dann droht der rund um die Uhr anfallende Atomstrom nicht nur die Stromnetze verstopfen ...
Das Festhalten an der Atomkraft hält auch neue kleinere Stromanbieter davon ab, ihrerseits in neue moderne Kraftwerke zu investieren. Damit werden ausgerechnet die neuen Stromanbieter ausgebremst, die auf dem Strommarkt für mehr Wettbewerb und sinkende Preise sorgen sollen. Zementiert wird stattdessen der 80-Prozent-Anteil, den die vier großen Stromkonzerne und Atomkraftwerksbetreiber immer noch am Markt haben, kritisiert auch Professor Uwe Leprich vom Saarbrücker Institut für Zukunftsenergiesysteme:
"In dem Moment, wo jetzt das Signal kommt, wir lassen die Kernkraftwerke länger am Netz, gibt es jetzt schon Signale, dass Ausbaupläne auf Eis gelegt werden. Und das können wir gar nicht leisten, wenn wir eine Brücke in das Solarzeitalter bauen wollen."
Der Weiterbetrieb der Atomkraftwerke, für den die vier großen Stromkonzerne massiv Einfluss nehmen auf die Politik, droht den Ausbau der Erneuerbaren Energien also ebenso massiv zu bremsen, warnt auch Hermann Albers, Präsident des Bundesverbandes Windenergie:
"Wer diesen Weg gehen will stützt Monopole und spricht sich gegen Wettbewerb im Strommarkt aus. Ich habe von allen Parteien im Wahlkampf immer gehört: man will Wettbewerb. Man will neue Player im Markt und faire Preise. Das Gegenteil wird hier entschieden. Ich weiß nicht für wen solche Entscheidungen gefällt werden."
Noch größer ist das Unverständnis über verlängerte Laufzeiten im Lager der Atomkraftgegner. Ihnen geht es wie schon vor 30 Jahren um das atomare Restrisiko - und um das ungelöste Endlagerproblem...
"Wir sind viele Tausend Menschen und wir werden noch mehr. Und es ist ein ganzes klares Signal: Wir lassen uns nicht verarschen mit Gorleben. Schluss mit der Atomindustrie! Jubel-Pfeifen ... ."
Denn mit längeren Laufzeiten für Atommeiler steigt auch die Atommüllmenge, die irgendwo entsorgt werden muss, betont Hubert Weiger, Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz BUND:
"Allein durch den jetzigen Ausstiegsbeschluss verdoppelt sich die Menge an hochradioaktiven Abfällen auf 12 000 Tonnen und jedes Jahr Laufzeitverlängerung bedeutet 450 Tonnen hochradioaktive Abfälle zusätzlich, von denen bisher kein einziges Gramm irgendwo endgelagert ist."
Auch dieses Problem will die neue Bundesregierung lösen, indem sie erst einmal auf Gorleben setzt. Der Erkundungsstopp für den Salzstock, den die rot-grüne Bundesregierung von zehn Jahren verhängte, soll aufgehoben werden, um ergebnisoffen zu prüfen, ob Gorleben als Endlager geeignet ist oder nicht. Nach Ansicht von Umweltschützern ist der Salzstock in Gorleben ungeeignet, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass doch Grundwasser eindringen kann. Deshalb sei auch nicht garantiert, dass der tödliche strahlende Atommüll auf ewig von Mensch, Tier und Umwelt ferngehalten werden kann. Irgendwo muss der Müll aber hin. Dessen ist sich auch Hubert Weiger bewusst und verweist auf die größte offene Flanke der Energiepolitik, egal ob diese von einer schwarz-gelben oder einer anders farbigen Koalition verantwortet wird:
"Es muss überall gesucht werden im Rahmen der in Frage kommenden geologischen Formationen: Salz, Tone und Urgestein und das heißt - ich sag das ganz bewusst als bayerischer Umweltschützer: Es muss auch in Bayern gesucht werden... ."
"Dann sagen die Leute: 'Nee - Moment. So haben wir nicht gewettet. Ihr habt versprochen: Ihr macht einen Atomausstieg und jetzt macht ihr ihn nicht? Also machen wir wieder Druck.'"
"...uns aber interessieren der Fluss, der Wald, das Feld und unsere Gesundheit kauft uns keiner ab fürs Geld! Auf welcher Seite stehst Du hey, hier wird ein Platz besetzt, hier schützen wir uns vor dem Dreck nicht morgen sondern jetzt!"
Noch ist es eine Erinnerung an damals. An 1975, als Demonstranten den Bauplatz des geplanten Atomkraftwerks im baden-württembergischen Whyl besetzten, dessen Bau verhinderten und den Startschuss gaben für die Anti-Atomkraftbewegung. Aber die Aussage von RWE-Chef Jürgen Großmann und die Drohung eines Demonstranten in Gorleben zeigen: Die Ankündigung von Union und FDP, die Laufzeiten deutscher Atomkraftwerke zu verlängern, sorgt für Unruhe im Land.
Vor neun Jahren wurde unter Rot-Grün der Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. Seitdem war es ruhig geworden im gesellschaftlichen Großkonflikt über die Atomkraft. Nur bei den jährlichen Castor-Transporten kam es noch zu Demonstrationen. Nun aber will Schwarz-Gelb diesen Ausstieg wieder rückgängig machen. In der öffentlichen Wahrnehmung wird die Energiepolitik von Union und FDP damit zu dem, was sie aus Sicht der neuen Koalitionäre gerade nicht sein soll. Sie wird wieder zur Atompolitik!
Dabei kam Angela Merkel das Wort "Atom" bei der Vorstellung des Koalitionsprogramms nicht ein einziges Mal über die Lippen:
"Wir brauchen hier natürlich Brückentechnologien in einem Energiemix. Aber unser Ziel ist klar und deutlich verankert, nämlich eine Energiepolitik aus einem Guss, die hinführt in ein neues Zeitalter erneuerbarer Energien."
Das klingt eher nach einem grünen als nach einem schwarz-gelben Energiekonzept. Union und FDP wollen es bis nächstes Jahr erarbeiten: ideologiefrei, technikoffen und marktorientiert soll es sein. So steht es im Koalitionsvertrag. Doch grün ist das Programm nicht: Die Atomkraft ist ausdrücklich miteingeschlossen.
Zwar wollen Union und FDP keine neuen Atomkraftwerke bauen, doch dafür sollen die 17 alten Meiler länger laufen. Das verbirgt sich hinter Merkels sogenannten "Brückentechnologien". Mit längeren Laufzeiten wollen Union und FDP die Zeit überbrücken, bis der Strom für Industrie und Haushalte, aber auch für Elektroautos, die in Zukunft vermehrt eingesetzt werden sollen, aus erneuerbaren Energien stammt. Und zwar möglichst komplett!
Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Deshalb folgen Union und FDP den Forderungen vor allem der Energieversorger, aber auch der meisten traditionellen Industrieverbände, die 17 deutschen Atomkraftwerke erst einmal länger am Netz zu lassen. Politisch ein schwieriges Unterfangen in einem Land, in dem die Mehrheit der Bevölkerung unverändert gegen längere Laufzeiten ist. Laufzeiten, von denen mit RWE, E.ON, EnBW und Vattenfall zunächst nur die vier großen deutschen Energiekonzerne profitieren würden:
"Wir berechnen Zusatzgewinne von 44 Mrd. Euro. Das betrifft eine Laufzeitverlängerung um zehn Jahre. Sie können natürlich deutlich mehr errechnen, wenn Sie das technische Potenzial voll ausschöpfen und um 25 Jahre verlängern würden. Dann liegen wir bei den konservativen Strompreis-Szenario bei 119 Milliarden Euro und bei dem progressiveren langfristig realistischen Strompreis bei bis 233 Milliarden Euro."
Bernhard Jeggle von Landesbank Baden-Württemberg LBBW hat die Zusatzgewinne berechnet. Egal ob die Atommeiler zehn oder 25 Jahre länger laufen, die Zusatzgewinne gehen in jedem Fall in die Milliarden.
Deshalb soll es diese längeren Laufzeiten auch nicht zum Nulltarif geben. Mehr Atomkraft muss der atomkritischen Öffentlichkeit erst einmal schmackhaft gemacht werden. Vor allem wenn die Laufzeit von Atommeilern auf 40, 60 oder gar 80 Jahre verlängert werden soll. Das wissen auch E.ON, RWE, Vattenfall und EnbW, die die derzeit 17 deutschen Atomkraftwerke betreiben. Sie haben schon seit langem angeboten, einen Teil der Zusatzgewinne abzutreten, sagt auch RWE-Chef Jürgen Großmann, der erst am Wochenende über Laufzeiten von bis zu 80 Jahren gesprochen hatte:
"Das haben wir immer gesagt. Ein dicker zweistelliger Prozentsatz. Ob das 50, 55, 45 Prozent sind das muss man sehen. Das muss eingebettet sein in einer ganzheitlichen Betrachtung, in Energiepolitik eben."
Das ganze ist also Verhandlungssache. Auch die Frage, wofür die abgeschöpften Atom-Milliarden ausgegeben werden sollen. Union und FDP wollen damit die erneuerbaren Energien fördern. Wie aber soll das geschehen? Wie lange sollen die AKWs am Netz bleiben? Welche Nachrüstungen in Sachen Sicherheit sind erforderlich? Zentrale Fragen des Energie-Konzepts der neuen Regierung sind offen. Aushandeln muss sie der neue Umweltminister Norbert Röttgen, CDU.
Der 44-jährige Jurist ist umweltpolitisch ein unbeschriebenes Blatt. Mindestlohn, Familienpolitik, Steuern - kaum ein Thema, zu dem der lang gediente parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion nicht Stellung genommen hat. Zur Energiepolitik haben die Archive nur vage Aussagen des neuen Umweltministers gespeichert:
"Wasser, Energie und anderes Gemeinwohlaufgaben, die zum Kernbereich von Kommunen und Staat gehören."
In seinem Buch "Deutschlands beste Jahre kommen noch" erklärt Röttgen den "Umgang mit Energie zu einem entscheidenden Parameter für die Wachstums- und Entwicklungschancen eines Landes". Angeblich war das Umweltministerium Röttgens Wunsch-Ressort. Hier können sich Politiker profilieren - siehe Angela Merkel, Bundeskanzlerin, siehe Sigmar Gabriel, SPD-Chef in spe. Auch Röttgens Vorgänger waren keine Umweltpolitiker, als sie das Amt übernahmen. Umweltverbände begegnen dem neuen Umweltminister mit skeptischem Wohlwollen. Jörn Ehlers vom WWF:
"Er ist weit angesehen in der politischen Szene und er hat den Ruf, offen zu sein. Und genau das muss man ja auch sein, wenn man so ein Amt in dieser doch eher konservativen Regierung übernimmt. Es ist ein Amt, wo man sich profilieren kann. Röttgen kann diese Chance für sich nutzen und sicher auch für sein Amt nutzen. Und darin sieht der WWF durchaus eine Chance."
Noch zu Bonner Zeiten war Norbert Röttgen Mitglied der so genannten "Pizza-Connection", traf sich bei einem Italiener regelmäßig mit Abgeordneten der Grünen. Bis heute gilt der Vater dreier Kinder als Sympathisant einer schwarz-grünen Koalition, seine Berufung zum Umweltminister als Zeichen Merkels an die Öko-Partei. Vor der Bundestagswahl sagte Röttgen zur grünen Koalitions-Option:
"Wir müssen auf alles, was realistisch werden könnte, vorbereitet sein - programmatisch und koalitionspolitisch, nicht anbiedernd, aber auf alles vorbereitet. Verengung bedeutet immer die Ausblendung von Realität. Und das war noch nie ein gutes Mittel, um mit der Wirklichkeit fertig zu werden."
Doch in Röttgen steckt mehr Friedrich Merz als Jürgen Trittin. 2006 wollte der rheinländische Bundestagsabgeordnete Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der deutschen Industrie werden - und Volksvertreter bleiben. Das sorgte für einen Proteststurm, Röttgen sagte dem BDI ab.
Die inhaltliche Nähe zur Wirtschaft blieb. Bei den Koalitionsverhandlungen saß Röttgen in der Arbeitsgruppe Wirtschaft. Sein Credo:
"Wir wollen ja sowohl die Natur schützen, Klimawandel vorbeugen, eindämmen, als auch wirtschaftlich erfolgreich sein, wir wollen auch weiterhin Arbeitsplätze in diesem Land. Und wer glaubt, ökologische Ziele dadurch zu erreichen, dass wir Maßnahmen ergreifen, die wirtschaftlich negativ sind, die Arbeitsplätze gefährden, der wird am Ende Ziele nicht erreichen."
Diese inhaltliche Offenheit wird der neue Umweltminister brauchen - bei den harten Klimaverhandlungen im Dezember in Kopenhagen, der Ausarbeitung eines neuen umfassenden Energiekonzepts, aber auch der geplanten Lockerung der Exportvorschriften für deutsche Atomtechnik. Bei all diesen Vorhaben muss er sich mit dem Wirtschaftsministerium einigen, auch bei den neuen Förderregeln für erneuerbare Energien. Zwar hat die Bundeskanzlerin verhindert, dass die Zuständigkeit dafür - wie von Industrie und FDP gefordert - vom Umwelt- ins Wirtschaftsministerium wandern. Doch Energiepolitik ist nach wie vor ein Querschnitts-Thema.
Subventionen für Ökostrom, sparsame Kühlschränke oder gedämmte Altbauten? Alles geht auch über den Schreibtisch von Wirtschaftsminister Rainer Brüderle, FDP. Die enge Beziehung zu seiner Duz-Chefin Merkel dürfte Röttgen beim traditionellen Konflikt mit dem Wirtschaftsministerium von Vorteil sein. Denn Röttgen muss aus einem Koalitionsvertrag, der es allen recht machen will, ein schlüssiges Energiekonzept schmieden. Rainer Baake, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe:
"Und wenn er sich jetzt daran macht, mit seinem Kollegen aus dem Wirtschaftsministerium eine konsistente Klima- und Energiepolitik zu entwerfen, dann steht er hier vor einer Herkulesaufgabe, weil das, was die Koalition aufgeschrieben hat, in dieser Form nicht zusammenpasst."
So fordert der Koalitionsvertrag den Bau neuer Kohlekraftwerke und massive CO2-Reduktion. Dies, so die Umweltverbände, passe nicht zusammen. Und erst recht nicht das Ziel, erneuerbare Energie zu fördern und gleichzeitig die Laufzeiten der Atomkraftwerke zu verlängern....
17 Atommeiler sind derzeit noch am Netz. Mit 23 Prozent deckten sie letztes Jahr knapp ein Viertel des Strombedarfs in Deutschland ab. Die erneuerbaren Energien, also Wind, Sonne, Wasser, Biomasse und Erdwärme, kamen auf 15 Prozent. Bis 2020, so sah es das Klimaschutzprogramm der alten Bundesregierung vor, soll sich der Anteil der Erneuerbaren auf 30 Prozent verdoppeln. An diesem Ziel wollen auch Union und FDP bislang nicht rütteln.
Auch unter Schwarz-Gelb soll Strom aus erneuerbaren Quellen unverändert mit Vorrang ins Netz eingespeist werden. Kohle- und Gaskraftwerke müssen danach grundsätzlich ihre Leistung reduzieren, wenn genug Ökostrom im Netz ist. Union und FDP wollen so konventionelle Energieträger, also Kohle und Atom, kontinuierlich durch alternative Energien ersetzen. Verteidigt werden soll auch die deutsche Technologieführerschaft bei den erneuerbaren Energien.
Diese Ankündigungen sind wegweisend und richtig. Das räumt auch der Bundesverband Erneuerbarer Energien ein, der Dachverband der Ökostrombranche. Und das obwohl Union und FDP beispielsweise die Solarstromförderung zusammenstreichen wollen. Die Förderung der privaten Photovoltaikanlagen verschlingt Milliarden, die Anlagen selbst decken aber nicht einmal ein Prozent des deutschen Stromverbrauchs ab. Doch Carsten Körnig, Geschäftsführer des Bundesverbands Solarwirtschaft, gibt sich gelassen.
"Wir haben seit 2000 bei Solartechnik die Kosten halbiert. Wir werden sie in den nächsten fünf Jahren noch mal halbieren. Wir werden spätestens im Jahr 2015 den Solarstrom vom eigenen Dach günstiger erzeugen können als aus der Steckdose. Das heißt, dann wird jeder Verbraucher drüber nachdenken, doch lieber den Strom auf dem eigenen Dach zu erzeugen als Strom vom konventionellen Energieanbieter zu beziehen."
Aufgrund solcher Perspektiven strotzen die Ökostromerzeuger vor Selbstbewusstsein. Sie versprechen: dass Wind, Sonne und Biomasse schon in zehn Jahren knapp die Hälfte des Stromverbrauchs abdecken: 47 Prozent! Dreimal mehr als heute! Damit könnte auch der Atomstrom ersetzt werden.
Fraglich ist nur, ob die längeren Laufzeiten für Atommeiler den Ausbau der Erneuerbaren nicht behindern werden ...
Atomkraftwerke produzieren vor allem den sogenannten Grundlaststrom, der rund um die Uhr zur Verfügung steht. Dagegen schwankt witterungsbedingt die Produktion von Wind- und Solarstrom. Zugleich muss aus technischen Gründen aber immer genau so viel Strom im Netz vorgehalten werden wie gerade verbraucht wird. Mit einem steigenden Ökostromangebot, muss es immer mehr flexibel zuschaltbare Kraftwerke auf Kohle- und Gasbasis geben, um diese schwankende Produktion von Wind- und Solarstrom ausgleichen zu können. Dafür sind Atommeiler aber völlig ungeeignet. Sie sind groß und träge. Wenn jetzt der Ökostromanteil, wie von Schwarz-gelb politisch gewollt, noch weiter steigt, aus technischen Gründen die Atomkraftwerke aber nicht herunterregelt werden können und diese Meiler auch noch viele Jahre länger laufen, dann droht der rund um die Uhr anfallende Atomstrom nicht nur die Stromnetze verstopfen ...
Das Festhalten an der Atomkraft hält auch neue kleinere Stromanbieter davon ab, ihrerseits in neue moderne Kraftwerke zu investieren. Damit werden ausgerechnet die neuen Stromanbieter ausgebremst, die auf dem Strommarkt für mehr Wettbewerb und sinkende Preise sorgen sollen. Zementiert wird stattdessen der 80-Prozent-Anteil, den die vier großen Stromkonzerne und Atomkraftwerksbetreiber immer noch am Markt haben, kritisiert auch Professor Uwe Leprich vom Saarbrücker Institut für Zukunftsenergiesysteme:
"In dem Moment, wo jetzt das Signal kommt, wir lassen die Kernkraftwerke länger am Netz, gibt es jetzt schon Signale, dass Ausbaupläne auf Eis gelegt werden. Und das können wir gar nicht leisten, wenn wir eine Brücke in das Solarzeitalter bauen wollen."
Der Weiterbetrieb der Atomkraftwerke, für den die vier großen Stromkonzerne massiv Einfluss nehmen auf die Politik, droht den Ausbau der Erneuerbaren Energien also ebenso massiv zu bremsen, warnt auch Hermann Albers, Präsident des Bundesverbandes Windenergie:
"Wer diesen Weg gehen will stützt Monopole und spricht sich gegen Wettbewerb im Strommarkt aus. Ich habe von allen Parteien im Wahlkampf immer gehört: man will Wettbewerb. Man will neue Player im Markt und faire Preise. Das Gegenteil wird hier entschieden. Ich weiß nicht für wen solche Entscheidungen gefällt werden."
Noch größer ist das Unverständnis über verlängerte Laufzeiten im Lager der Atomkraftgegner. Ihnen geht es wie schon vor 30 Jahren um das atomare Restrisiko - und um das ungelöste Endlagerproblem...
"Wir sind viele Tausend Menschen und wir werden noch mehr. Und es ist ein ganzes klares Signal: Wir lassen uns nicht verarschen mit Gorleben. Schluss mit der Atomindustrie! Jubel-Pfeifen ... ."
Denn mit längeren Laufzeiten für Atommeiler steigt auch die Atommüllmenge, die irgendwo entsorgt werden muss, betont Hubert Weiger, Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz BUND:
"Allein durch den jetzigen Ausstiegsbeschluss verdoppelt sich die Menge an hochradioaktiven Abfällen auf 12 000 Tonnen und jedes Jahr Laufzeitverlängerung bedeutet 450 Tonnen hochradioaktive Abfälle zusätzlich, von denen bisher kein einziges Gramm irgendwo endgelagert ist."
Auch dieses Problem will die neue Bundesregierung lösen, indem sie erst einmal auf Gorleben setzt. Der Erkundungsstopp für den Salzstock, den die rot-grüne Bundesregierung von zehn Jahren verhängte, soll aufgehoben werden, um ergebnisoffen zu prüfen, ob Gorleben als Endlager geeignet ist oder nicht. Nach Ansicht von Umweltschützern ist der Salzstock in Gorleben ungeeignet, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass doch Grundwasser eindringen kann. Deshalb sei auch nicht garantiert, dass der tödliche strahlende Atommüll auf ewig von Mensch, Tier und Umwelt ferngehalten werden kann. Irgendwo muss der Müll aber hin. Dessen ist sich auch Hubert Weiger bewusst und verweist auf die größte offene Flanke der Energiepolitik, egal ob diese von einer schwarz-gelben oder einer anders farbigen Koalition verantwortet wird:
"Es muss überall gesucht werden im Rahmen der in Frage kommenden geologischen Formationen: Salz, Tone und Urgestein und das heißt - ich sag das ganz bewusst als bayerischer Umweltschützer: Es muss auch in Bayern gesucht werden... ."