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Schwarz-Gelb und die Suche nach der politischen Botschaft

Elf Jahre nach der Ablösung von Helmut Kohl regiert erneut Schwarz-Gelb die Bundesrepublik. Doch wie das Parlament heute nicht mehr in Bonn, sondern in Berlin tagt, so haben sich auch die beiden Parteien verändert.

Von Alexander Gauland | 25.12.2009
    Konservativ war gestern
    Auch wenn der politische Gegner immer wieder einmal das Gegenteil behauptet und manche intellektuelle Debatte von der Beschwörung ihrer Gefahren lebt, die konservative Karte sticht schon lange nicht mehr, genauer, sie wird nicht einmal mehr gezogen. Denn längst sind die Konservativen in der Union eine aussterbende Spezies, spielen konservative Werte und Überzeugungen fast keine Rolle mehr, in der Union so wenig wie in der FDP. Und folglich war die Regierungsbildung auch keine konservative Wende.

    In der öffentlichen Diskussion wird der Terminus konservativ gern mit dem Vorwurf des Neoliberalismus vermengt, also einer durchgehenden Ökonomisierung aller Lebensverhältnisse, doch eben Neoliberale sind die wenigen Konservativen in der Union nicht. Sie stehen einer gesellschaftlichen Kosten-Nutzen-Rechnung so skeptisch gegenüber wie der deutsche Papst und sie haben fast ebenso geringen Einfluss wie dieser. Konservatives Denken hält sich am Konkreten fest, versucht sich der Traditionen zu vergewissern und die gesellschaftliche Wirklichkeit dadurch pragmatisch zu reformieren, dass es konkrete Verbesserungen in Angriff nimmt. Der Konservativismus setzt auf Anschauung und Erfahrung statt auf Spekulation und Theorie.

    Nun ist es immer schwierig, eine allgemeine Definition mit konservativem Inhalt zu füllen. Doch cum grano salis kann man sagen, dass der Konservative für den Erhalt einfacher Lebenszusammenhänge eintritt und gegenüber industriellen wie bürokratischen Großprojekten eines alles steuernden Staates skeptisch ist, dass er für Embryonenschutz und gegen Abtreibung votiert, dass er im Zweifel gegen Veränderungen des Erbgutes ist, Ehe und Familie als etwas anderes ansieht als gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften und den Unterschied zwischen Mann und Frau als einen biologischen und nicht bloß kulturellen begreift. Der Konservative setzt auf eine durch Sprache vermittelte deutsche Leitkultur und steht der Aufnahme von Menschen aus fremden Kulturen nach rein ökonomischen statt kulturellen Gesichtspunkten skeptisch bis ablehnend gegenüber. Der Konservative beharrt auf einem gegliederten Schulsystem als Ausdruck einer gegliederten Gesellschaft und sieht in Europa mehr als eine zufällige Ansammlung von Staaten unterschiedlicher kultureller und religiöser Herkunft.

    Schaut man sich den Koalitionsvertrag daraufhin an, wird schnell klar, dass eine konservative Wende allen Unkenrufen zum Trotz nirgends sichtbar wird. Die Erhöhung des Kinderfreibetrages wie des Kindergeldes wird von allen politischen Kräften getragen. Allenfalls der Wunsch, Deutsch im Grundgesetz zu verankern, und das unter den Koalitionspartnern nach wie vor umstrittene Betreuungsgeld atmen den zaghaft konservativen Geist einer deutschen Leitkultur und der Anerkennung familiärer Erziehung im Vergleich mit der Betreuung in Krippe und Kindergarten.

    Doch selbst wenn man einige gern als konservativ apostrophierte wirtschaftsliberale Positionen in die Betrachtung einbezieht, ändert sich das Bild nicht wesentlich. Denn weder wurde die gewerkschaftliche Mitbestimmung angetastet, noch wurden die in der Großen Koalition vereinbarten Mindestlöhne zur Disposition gestellt. Allein im Gesundheitswesen deutet sich so etwas wie eine Wende an. Hier will die neue Regierung erklärtermaßen nicht nur die Arbeitgeberbeiträge für die Krankenversicherung einfrieren, um die Gesundheitskosten von den Lohnzusatzkosten abzukoppeln, sie will das System langfristig auch auf einkommensunabhängige Arbeitnehmerbeiträge umstellen. Den Mut, dieses Unternehmen Kopfpauschale zu nennen und etwas genauer zu beschreiben, haben Union und FDP jedoch nicht aufgebracht, wie auch keine Rede davon ist, auf welche Weise der notwendige Sozialausgleich aus Steuermitteln gestaltet werden soll und welche Prämienbelastung die neue Regierung für zumutbar hält. Kein Wunder, dass Horst Seehofer und seine CSU das Ganze zur unverbindlichen Zukunftsmusik erklären, da allein der Sozialausgleich - so hat es die Union vor Jahren ausgerechnet - 24 Milliarden Euro kosten würde, also genau die Summe, die man jetzt schon nicht hat, um sie, ohne neue Schulden aufzunehmen, den Steuerzahlern zurückzugeben.

    Ähnlich vage sind die Vorstellungen der Koalitionäre zur Pflege. Auch hier soll die Pflicht zur Privatvorsorge die einkommensabhängigen Beiträge ergänzen ohne dass deutlich wird, wie viel wem am Ende zumutbar ist und ob es nach der Finanzkrise überhaupt angebracht erscheint, einen Teil des Sozialversicherungssystems dem Kapitalmarkt zu überantworten.



    Anfang ohne Aufbruch
    So wenig Aufbruch war nie. Kein "Mehr Demokratie wagen" á la Willy Brandt, aber auch keine geistig-moralische Wende á la Helmut Kohl, kein Glockenklang und kein "Zurück zu den Wurzeln" haben diese Koalitionsverhandlungen begleitet. Vom konservativ-liberalen Projekt spricht niemand mehr und auch von der inneren Notwendigkeit dieser christlich-liberalen Zusammenarbeit hört man kaum etwas. Im Gegenteil! Noch selten hat eine Koalitionsvereinbarung so schnell ganz unterschiedliche Interpretationen erfahren, ist das angeblich Beschlossene so schnell von nagendem Zweifel befallen worden. Nein, diesem Anfang wohnte kein Zauber inne. Nun muss das nicht in jedem Fall schlecht sein. Brandts historischem Aufbruch folgte bald die Ernüchterung unter Schmidt und Kohls geistig-moralische Wende blieb von Anfang an ein Muster ohne Wert. Überhaupt neigen bürgerliche Parteien nicht zu Visionen, auch wenn es der Sozialdemokrat Helmut Schmidt war, der politischen Visionären den Gang zum Arzt empfahl. Und doch hätte man sich etwas mehr an geistiger Orientierung, an gesellschaftlicher Analyse und Problembeschreibung gewünscht. Es kann ja sein, dass ein Weiter-so in vielen Fällen unvermeidlich ist, und Korrekturen kaum möglich sind, zumal die größere Regierungspartei nicht völlig verwerfen kann, was sie selbst in anderer Konstellation mitbeschlossen und mitgetragen hat. Doch dann müsste das ausgesprochen, diskutiert und begründet werden, müsste am Maßstab konservativer oder auch liberaler Überzeugungen gemessen und danach beurteilt werden. Statt dessen gilt ein kräftiges Sowohl-als-auch, werden Ziele formuliert, die sich ausschließen, soll mit weniger Geld mehr erreicht werden, sollen Eigenverantwortung und staatliche Vorsorge in gleichem Maße wachsen.

    Eine große deutsche Tageszeitung brachte es auf die griffige Formel: Blut, Schweiß und Steuersenkungen. Man kann es drehen und wenden, wie man will, die Botschaft der Koalitionäre ist unklar und zweideutig. Es geht eben nur schwer zusammen, dass auf der einen Seite Erben und Gastwirte entlastet werden, während auf der anderen Seite Ländern und Gemeinden das Geld für Kindergärten und Ganztagsschulen fehlt. Nun kann man mit guten Gründen das bürgerliche Projekt eines einfachen und gerechten Steuersystems für vordringlich halten, schon deshalb, weil sonst die Leistungsbereitschaft derer schwindet, die mit ihren Steuern den Zusammenhalt der Gesellschaft finanzieren sollen. Und man kann mit ebenso vielen Gründen eine integrations- und bildungspolitische Kraftanstrengung bei jenen Gruppen, die Sarrazin kritisch im Blick hatte, für wirkungslos halten, und darüber hinaus daran zweifeln, dass eine solche Anstrengung von der Mehrheitsgesellschaft wirklich gewollt und finanziell auch geschultert wird. Doch dürfte man sie dann nicht zum Herzstück deutscher Politik bestimmen und müsste Alternativen wie die großzügige Förderung der Rückwanderung ins Auge fassen. Mit einem Wort: Die Politik müsste sich ehrlich machen, um Vertrauen zu gewinnen. Wie aber soll zusammengehen, was nicht zusammenpasst, wie soll der Sozialausgleich einer möglichen Gesundheitsprämie finanziert werden und wie will man einen Satz finanziell unterfüttern, der so pathetisch klingt wie: "Die Integration der Menschen mit Migrationshintergrund ist für Deutschland eine Schlüsselaufgabe." Schlüsselaufgaben kosten bekanntlich Geld. Doch wo dieses Geld andernorts einzusparen oder gar zu erwirtschaften wäre, davon schweigt der Koalitionsvertrag. Ohne gesicherte Finanzierung aber stehen auch Schlüsselaufgaben nur auf jener unverbindlichen Wunschliste, die noch jede Regierung zu Beginn ihrer Amtszeit anlegt.

    In großer Eintracht plädieren Kanzlerin und FDP sowohl für die Bildungsrepublik wie für eine große Steuerreform, die der Finanzminister noch für unbezahlbar hält und der die eigenen Ministerpräsidenten ablehnend gegenüberstehen. Man kann es auch anders ausdrücken: Auf der einen Seite diejenigen, die den gesellschaftlichen Selbstheilungskräften wie den marktwirtschaftlichen Wachstumskräften vertrauen und das Geld an die Bürger zurückgeben möchten - auf der anderen Seite diejenigen, die an deren Wirksamkeit zweifeln und ihre Hoffnung auf Staat und Steuerung, also den Einsatz größerer öffentlicher Mittel setzen. Hier diejenigen, die noch an die Kraft der Familie zu Erziehung und Bildung glauben - dort diejenigen, die Kitas und Krippen für alle verpflichtend machen möchten. Nun war es immer die Stärke der Volkspartei CDU, unterschiedliche Politikansätze zu einem am Ende passenden Mosaik zusammenzufügen. Das macht Sinn, wenn sich Positionen ergänzen, es gerät an Grenzen, wenn sie sich ausschließen, wenn also das Betreuungsgeld gerade verhindert, was die anderen leidenschaftlich ersehnen - den gemeinsamen Kindergartenbesuch, besonders von Migrantenkindern.

    Bevor die Koalition weiter vor sich hinstolpert, sollte sie daher ein paar Grundsätze über das Verhältnis von Staat und Gesellschaft klären, also beispielsweise ob die Familie - auch die Migrantenfamilie - noch Keimzelle von Staat und Gesellschaft ist oder längst das Problem, das es durch den Staat zu lösen gilt. Man kann beide Wege gehen, aber eben nicht beide zugleich. Doch gerade das versucht die neue Koalition mit ihrem Mantra von den geringeren Steuern für mehr und größere staatliche Aufgaben.



    Steuerentlastung als politisches Projekt
    Wenn es also überhaupt so etwas wie ein bürgerliches Projekt gibt, dann ist es Entlastung der Leistungsträger, seien es nun Apotheker, Gastwirte oder Steuerberater. Allein die schon im Gesetzblatt stehenden Entlastungen aus schwarz-roten Zeiten machen 14 Milliarden Euro im Jahr aus. Schwarz-Gelb will im Laufe der nächsten Jahre noch einmal 24 Milliarden Euro dazulegen. Es hat sich in den letzten Jahren auch über die FDP-Klientel der symbolischen Zahnärzte hinaus eine große Erbitterung breitgemacht, 15 Prozent liberale Wählerstimmen sind Ausdruck davon. Dabei geht es weniger um die Höhe der zu zahlenden Summe als um deren Undurchsichtigkeit. Denn - und das wollen viele Menschen nicht akzeptieren - die wenigen Spitzenverdiener nutzen Steuerschlupflöcher, die der Masse der Steuerbürger verschlossen sind. Und während einige wenige Bankmanager noch in der Finanzkrise ihr Schäfchen ins Trockene gebracht haben, werden die staatlichen Rettungsschirme von den Millionen Steuerzahlern finanziert, die eben nicht anders können als solidarisch zu sein. Dies zu korrigieren, ist das bürgerliche Projekt und hebt die Koalition - jedenfalls nach ihrem Selbstverständnis - über eine normale Zusammenarbeit hinaus.

    Doch auch hier beim Herzstück der Koalition gibt es bis jetzt mehr Fragen als Antworten: Stufentarif ja oder nein, wie kann der "Mittelstandsbauch" abgeflacht werden und was darf am Ende ein einfacheres und gerechteres Steuersystem kosten. Ohne einen Systembruch, also die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und den Wegfall von Ausnahmeregelungen, dürfte das Ganze nicht zu schaffen sein. Dabei wird man das Gefühl nicht los, dass - wieder einmal - Wahlversprechen von der Wirklichkeit kassiert werden. Als ob nicht von vornherein klar gewesen wäre, dass die Handlungsspielräume des Staates eng sind. Die Staatsverschuldung hat neue Höchststände erreicht und dennoch plant die Koalition, bis 2013 voraussichtlich mehr als 300 Milliarden Euro neue Schulden zu machen. Doch schon im nächsten Jahr muss die Regierung mehr Geld für die Zinsen der alten Schulden ausgeben als für Verteidigung, Bildung und Forschung zusammen. Schwarz-Gelb wird sich also entscheiden müssen, ob die versprochenen Steuersenkungen oder die Konsolidierung der Staatsschuld Vorrang haben und wofür in Zukunft das Geld der Bürger ausgegeben wird. Das heißt Sparen mit Verteilungskonflikten, es heißt, Prioritäten zu setzen, also eher Transparenz als Senkung der Steuerlast und eine Vorstellung zu haben, wie die Gesellschaft zukünftig aussehen soll und wem was zumutbar ist, wenn das Geld fehlt. Über den gesellschaftlichen Nutzen und den Erfolg dieser Regierung werden also nicht Angela Merkel oder gar Guido Westerwelle, sondern wird der Finanzminister entscheiden. Von Wolfgang Schäuble wird abhängen, ob sich das bürgerliche Projekt eines einfachen und gerechten Steuersystems in die gesellschaftspolitischen Vorstellungen der Koalition konfliktfrei einfügen lässt, ob die Regierung ihre Wahlziele miteinander vereinbaren kann: Einerseits den Mittelstand als Träger der Koalition zu entlasten und zugleich zusätzliche Anstrengungen zu unternehmen, um den gesellschaftlichen Zusammenhalts zu erhalten. Viele Bierdeckel zum Üben hat er dafür nicht.



    Ein Land, beschäftigt mit sich selbst
    Wir haben uns längst daran gewöhnt, dass hinter den großen sozialpolitischen Fragen Steuern, Gesundheit, Pflege und Rente alles andere zurückstehen muss, dass sich die Wertschätzung einer Regierung in der Öffentlichkeit danach richtet, wie sie mit der Alterung der Gesellschaft und ihren Folgen, mit der mangelnden Integration und der daraus resultierenden Sorge vor einer neuen Unterschicht umgeht, wie sie damit zurechtkommt, dass auf der einen Seite das obere Fünftel der Leistungsträger fast 90 Prozent des Gesamtaufkommens der Einkommenssteuer bestreitet, auf der anderen Seite aber jedes Jahr 220.000 Schüler die Schule verlassen, ohne ausreichend lesen und schreiben zu können, ob es ihr gelingt, eine Haltung in der Gesellschaft, die der Soziologe Heinz Bude kürzlich mit "Seht, wo ihr bleibt!" umschrieb, zu konterkarieren und die gesellschaftlichen Fliehkräfte in einem neuen Gleichgewicht zwischen Selbstverantwortung und Entlastung auf der einen Seite und größerer staatlicher Anstrengung auf der anderen zu bändigen. Daneben erscheint fast alles unwichtig, Klimapolitik, Entwicklungshilfe, Außenpolitik. Sieht man einmal von der umstrittenen Verlängerung der Laufzeiten einiger Atomkraftwerke ab, so finden sich hier kaum grundsätzliche Differenzen zu früheren andersfarbigen Regierungen. Und weil das so ist, gab es vor der Koalitionsbildung Stimmen, die Westerwelle davor warnten, den einfachen Weg des Außenministers zu gehen und ihn aufforderten, als FDP-Vorsitzender mit seinem Gewicht das Amt des Finanzministers zu beanspruchen, um das im Wahlkampf so erfolgreiche Anliegen der Steuererleichterungen selbst in die Hand zu nehmen. Was immer man von der Macht des Finanzministers halten mag, die Überlegungen zeigen, wie nachrangig das Amt des Außenministers geworden ist, gut zur Selbstdarstellung aber weit weniger wichtig als Steuern, Gesundheit oder die Rente. Gibt es so etwas wie eine konservative Außenpolitik oder werden wir den Unterschied zwischen Steinmeier und Westerwelle nur in der Form der Selbstdarstellung und nicht in der Substanz des Dargestellten bemerken. Gut, wir sind eingebunden in EU, NATO und transatlantische Gemeinschaft, umgeben von Freunden und also kaum zu echten nationalen, außenpolitischen Entscheidungen aufgerufen. Das hat dazu geführt, dass außenpolitisches Denken den Wählern fremd geworden ist, dass deutsche Interessen selten formuliert, geschweige denn durchgesetzt werden. Es war Genschers Markenzeichen, die deutschen außenpolitischen Spielräume millimeterweise zu vergrößern und das an die große Glocke zu hängen. In der rauen Wirklichkeit galt Kissingers Diktum, das er einst Scheels Staatssekretär Frank entgegenschleuderte: "Und eins sage ich Ihnen, wenn Entspannungspolitik gemacht wird, dann machen wir sie." Die größere Freiheit außenpolitischer Entscheidungen nach dem Ende der Blockkonfrontation hat Deutschland erst einmal wahrgenommen, als Kanzler Schröder sich mit guten Gründen der angloamerikanischen Intervention im Irak verschloss. Aber noch immer gilt die schon militärisch nicht haltbare Maxime, dass die Bundesrepublik am Hindukusch verteidigt wird.

    Ein Antrittsbesuch in Polen vor dem üblichen in Frankreich löst nicht das Problem, dass Deutschland Beziehungen zu Russland pflegt, die man ruhig mit dem Symbolbegriff der energiepolitischen Rückversicherung belegen kann, was einer konservativen außenpolitischen Tradition entspricht und gerade deshalb in Polen wenig gemocht wird. Auch wenn die deutsche öffentliche Meinung außenpolitisch ebenso verantwortungs- wie entscheidungsscheu ist, wird sie sich auf ein paar Konfliktfelder einstellen müssen, die eine konservativ-liberale Koalition vielleicht anders sieht als ihre Vorgängerin. Dazu gehören bestimmt das ungelöste Problem des EU-Beitritts der Türkei, das weitere Vorgehen in Afghanistan und die Konflikte im postsowjetischen Raum, die spätestens aufbrechen könnten, wenn der Leihvertrag für die russische Flottenbasis auf der Krim abläuft. Auch diese außenpolitischen Fehlstellen im Koalitionsvertrag machen deutlich, dass es sich bei Schwarz-Gelb um eine ganz normale Koalition und nicht um ein ideologisches Projekt handelt.