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Schwarz ist die Macht

Der erfolgreiche, siegreiche, schwarze Feldherr Otello kehrt bei Unwetter vom Türkenkrieg mit dem Schiff nach Hause, wo das Volk ihn feiert und die Rachepläne warten. Der tragische Tod steht am Ende dieser ganz großen dramatischen Oper Giuseppe Verdis. Mit einem Initial-Sturm dirigiert Ricardo Muti die Wiener Philharmoniker bei den Salzburger Festspielen. Nur hört der Sturm dann nicht mehr auf. Buchstäblich alles wird in dieser Inszenierung zur orchestralen Staatsaktion gepusht.

Von Holger Noltze |
    Sehr vermutlich saßen ja sogar ein paar Maseratifahrer im Parkett. Diese wissen, wie es ist, wenn man aufs Gas drückt und 320 PS so richtig losgehen. Auf Verdimusik übertragen klingt das so:

    Es ist Sturm vor Zyperns Küste, aber das Chor-Volk steht recht ordentlich aufgebaut (wie auch den Rest des Abends) in einem Bild, das aussieht, als hätte der britische Regisseur Stephen Langridge lieber nebenan in der Galerien-Optik der Felsenreitschule inszeniert und sich das Ganze stattdessen als riesige Laubsägearbeit nachbauen lassen.

    Durch die umlaufenden Fenster-Vierecke lässt sich schön herabschauen auf die Bühne, die zentral von einer schiefen Plexiglas-Ebene beherrscht wird. Dahinter ein Projektionsfeld, auf dem man mal Meer, mal Wolkendampf zu sehen bekommt. Dazu also lässt Maestro Muti es mit den Wiener Philharmonikern krachen, als wären die ein Musik-Maserati. Hier ist eigentlich alles zu laut, der Initial-Sturm drückt einen schier in den Sitz. Das macht, bei diesem spektakulärsten aller Opern-Anfänge, Sinn und auch Spaß. Es hört nur nicht auf.

    Man bekommt auch manches mit, eine vorwitzige Flötenstelle, eine waghalsige Begleitfigur, die einem nie aufgefallen war. Doch der Maserati Muti berauscht sich haltlos an diesem Apparat, der so herrlich leicht anspricht, und vergröbert - erstens - Verdis sublime Partitur. Zweitens spottet er der von der Regie behaupteten Intimität des Stücks, indem hier buchstäblich alles zur orchestralen Staatsaktion gepusht wird. Und drittens ist von den überwiegend jungen Stimmen, die Muti sich für seinen dritten Otello gesucht hat, im Radio bestimmt mehr zu hören gewesen als im Festspielhaus.

    Schon das von dem lettischen Tenor Aleksandrs Antonenko doch bestimmt markerschütternd gemeinte "Esultate!", mit dem der Kriegs- und Seeheld Otello die Szene betritt, geht im philharmonischen Sturm beinah unter. Antonenko steigerte sich nach einem anfangs recht pauschalen, aber eben nicht durchdringenden Dauerforte im Laufe des Abends noch zu einem etwas entspannteren Singen und einigen schönen Tönen. Es half ihm nichts mehr. Dem Salzburger Premierenpublikum war der Mann nicht Held genug.

    Der Regisseur zeigt ihn als Mohren im Geiste, als Außenseiter einer strengen Kastengesellschaft, was nun allerdings keine Neuigkeit darstellt. Als er ganz am Boden ist, weil die Liebe den Liebenden in dieser falschen Welt kein Halt ist, schmiert er sich etwas mohrenmäßig Schwarzes ins Gesicht. Wogegen nun aber auch gar nichts zu sagen ist. Außer, dass man in einer Neuinszenierung in Salzburg vielleicht etwas mehr Deutungsanstrengung erwarten dürfte.

    Dass sich, um das Spannungsfeld zwischen einem Einzelnen und der Gesellschaft zu zeigen, eben jenes venezianische Handels- und Seefahrerreich Ende des 15. Jahrhunderts anbietet, das hier in prächtig historischer Kostümierung gezeigt wird, rückt den neuen Salzburger Otello fatal in die Nähe dessen, was hier dereinst Herbert von Karajan als sein eigener Regisseur als Opern-Autokino aufs Breitwand-Format wuchtete. Viel Händeringen an der Rampe.

    Immerhin Jago wird von Carlos Álvarez mit gebremster Dämonie und Willen zur Differenzierung gezeichnet, auch er einer, der nicht dazugehört. Cassio dagegen, der in die Eifersuchtsintrige eingespannt wird, kann man sich als Mitglied der venezianisch-zypriotischen Jeunesse dorée gut vorstellen. Am Ende geht ein Riss durch den Boden dieses Bühnen-Zypern, man hatte es lang schon kommen sehen.

    Otello, sterbend, am Boden, schafft es nicht mehr auf die andere Seite, wo die tote Desdemona liegt. Das allertraurigste Lied von der Weide, das die russische Sopranistin Marina Poplavskaja vor ihrem Tod noch gesungen hatte, mit charakteristischer Tiefe, beseelter Mittellage und nicht immer leuchtender Höhe, schwebte da noch im Raum.

    Das Ermutigendste an diesem deprimierenden Abend waren die Buhs für die Inszenierung. So schlicht geht es denn doch nicht mehr. Und dann ging es raus in den Regen, draußen warteten aber kaum Maseratis, sondern große schwarze Riesen-Audis.