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Schwarz ist eine Farbe

In den großen Glasfronten der Fondation Maegth in Saint-Paul-de-Vence spiegeln sich der blaue Himmel, die Schirm-Pinien auf sattgrünem Rasen, die Mosaike Chagalls und die bunten Fantasiegestalten Miròs, die in einem weitläufigen Skulpturengarten stehen. Der Architekt José Luis Sert hatte vor gut 40 Jahren den Gebäudekomplex in die südfranzösische Landschaft integriert. Im Auftrag des Kunsthändlerehepaars Marguerite und Aimé Maeght. Zurzeit aber ist jegliche Farbenpracht im Haus verbannt, zumindest in den Räumen für Wechselausstellungen.

Von Björn Stüben |
    In den großen Glasfronten der Fondation Maeght in Saint-Paul-de-Vence spiegeln sich der azurblaue Himmel, die Schirmpinien auf sattgrünem gepflegtem Rasen, die Mosaike Chagalls und die bunten Fantasiegestalten Miròs im weitläufigen Skulpturengarten. Auch hier im Hinterland der Côte d’Azur herrscht an Farbreizen kein Mangel.

    Aus der vom Kunsthändlerehepaar Marguerite und Aimé Maeght 1964 eingerichteten Stiftung, für die der Architekt José Luis Sert einen grandios in die Landschaft integrierten Gebäudekomplex schuf, ist momentan jedoch jegliche fröhliche Farbenorgie, zumindest in den Wechselausstellungsräumen, verbannt. "Schwarz ist eine Farbe" nennt sich die diesjährige Ausstellung, die damit einen Ausspruch von Henri Matisse aufgreift und an eine erste, viel kleinere Schau erinnert, die Stiftungsgründer Aimé Maeght bereits 1946 in Cannes unter dem selben provokanten Titel veranstaltet hatte. Gehört es nicht zum Schulwissen, dass Schwarz eigentlich gar keine Farbe ist? Dominique Païni, Direktor der Fondation Maeght, will hiervon jedoch nichts wissen.

    "Dass Schwarz vom naturwissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet nicht als Farbe eingestuft wird, das ist völlig unwichtig angesichts seiner kulturellen Bedeutung vor allem in der Kunstgeschichte. Schwarz spielte immer schon eine herausragende Rolle bei den Künstlern. Das trifft nicht nur auf das 20. Jahrhundert zu. Man braucht sich nur die Werke etwa von Caravaggio oder Velasquez anzuschauen. Es bleibt weiterhin die Farbe der Melancholie, denn dabei geht es ja um die schwarze Galle, die im Körper diesen Gemütszustand produzieren soll. Es steht auch für den Abgrund und die Tiefe an und für sich, aber auch für die seelischen Abgründe, die schwarzen Gedanken. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bringen die Künstler die Farbe Schwarz in Verbindung mit dem Ende aller Bilder."

    In den letzten sechzig Jahren entstandene Werke von über einhundert Künstlern aus aller Welt hat Dominique Païni zusammengetragen, um deutlich zu machen, wie konsequent die Farbe Schwarz in der Kunst zum Einsatz kommt. Matisse, der eigentlich eher für seine Vorliebe für reine Formen und vor allem Farben bekannt ist, meinte, dass bevor er nicht mehr wisse, welche Farbe er einsetzten könne, immer Schwarz wählte, denn Schwarz besitze Kraft. Wie hat Matisse das wohl gemeint?

    "Nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs haben sich viele Künstler gefragt, ob es noch Poesie, Malerei, ob es überhaupt noch Kunst geben könne. Schwarz wurde damals sicher nicht als eigenständige Farbe betrachtet und benutzt. Matisse versuchte mit dem Gebrauch von Schwarz etwas absolut Neues zu schaffen. Nach dem Krieg sollte die Farbe Schwarz wieder belebt und endgültig von ihrem Ruf befreit werden, ausschließlich Ausdruck von Trauer zu sein."
    Auf einem Aquarell von Matisse aus dem Jahr 1950 mit Entwürfen für liturgische Gewänder tauchen seine berühmten stilisierten, Korallen ähnlichen Blumen aus pechschwarzem Untergrund auf. Wo sonst ausgewogene Farbigkeit regiert, herrscht jetzt der Kontrast zwischen Schwarz und Weiß. Christian Boltanski übermalt 55 Jahre später eine Schwarzweiß-Fotografie mit schwarzer Farbe. Dabei lässt er ausschnitthaft lachende Kinderköpfe frei. 1947 kratzt Dubuffet seine mit "Zahnarzt" betitelte Figur wie eine Kinderzeichnung aus einem mit schwarzem Gips bedeckten weißen Karton. Léger begnügt sich schon um 1930 mit dem Schwarz-Weiß-Kontrast seiner kubistischen Szene "Jazz". Hans Hartung schleudert 1982 seiner Leinwand schwarze Farbe entgegen. Mark Dions schwarzer Kojote von 2003 erinnert an bei einer Ölpest verendete Tiere. Martial Raysses kleine Figuren mimen einen düsteren Totentanz.

    Bernar Venets vier schwarze Quadrate bestehen aus schwarzem Asphalt und drohen ihren Untergrund mit in die Tiefe zu reißen. Raoul Ubacs "Mauer" aus massivem Schiefer wirkt mit seinen abstrakten, rätselhaften Einkerbungen wie ein Relikt aus grauer Vorzeit.

    "Ich finde, dass die Farbe Schwarz zum Nachdenken einlädt und auch zur Selbstreflexion auffordert. Wenn ein Eremit sich auf sich selber besinnen möchte, dann zieht er sich doch in die Einsamkeit und in ein abgedunkeltes Zimmer oder in eine schwarze Grotte zurück. Außerdem ist es die Nacht, die für Gedanken und Träume sorgt. Diese können fürchterlich dunkel sein, aber durchaus auch hell und erfreulich. Schwarz wird schließlich auch mit Erotik in Verbindung gebracht. Wir zeigen ein Werk von Jean-Jacques Lebel, der hierin schwarze Spitze, mit der schöne Frauen meistens verführen wollen, verarbeitet."

    Erotische Gedanken dürften den meisten Besuchern in der Ausstellung allerdings schnell verfliegen im Anblick von so viel schwarzer Farbe. Die Kraft des Schwarzes, von der Matisse einst sprach, triumphiert. Oft stellt sich die Frage, wie einzelne Bilder wirken würden, wenn sie in bunten Farben gemalt worden wären. Schwarz geht keine Kompromisse ein und dominiert die Kompositionen, eine Eigenschaft, die den Besucher am Ende des Parcours nur noch eines wünschen lässt: endlich wieder unter den blauen Himmel der Côte d’Azur hinaustreten zu dürfen.