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Schwarzbrot und Apfelschorle

Immer mehr Deutsche leben und arbeiten in der Schweiz: In den vergangenen fünf Jahren hat sich die Zahl der "Gastarbeiter" aus dem nördlichen Nachbarland verdoppelt. Das Zusammenleben ist nicht immer konfliktfrei, doch wenigstens kulinarisch kommen Deutsche und Schweizer sich näher. Pascal Lechler über kleine Fortschritte in einer schwierigen Nachbarschaft.

Von Pascal Lechler | 16.07.2009
    Deutsche Wochen bei Bäcker Gnädinger am Schaffhauserplatz in Zürich. Der Verkaufstresen ist mit deutschen Flaggen geschmückt. Vor ein paar Jahren wäre das noch undenkbar gewesen genauso wie deutsches Sauerteigbrot oder norddeutsches Vollkornbrot in den Auslagen.

    "Ja, also wir haben festgestellt, dass unsere deutschen Kunden, sehr stark die schweren, dunklen Brote suchen, und haben sowieso ein Sortiment von 25 Brotsorten und dabei sind natürlich auch die dunklen dabei und haben dann festgestellt, dass die deutschen Kunden noch mehr in diese Richtung sich Produkte wünschen würden, und aus diesem Grund haben wir zwei neue Brote lanciert, die eigentlich genau dieses Segment abdecken."

    Eben das Sauerteigbrot und das norddeutsche Vollkornbrot nach original deutschen Rezepten. Beide Brote kommen übrigens auch bei den Schweizern an.

    "Nicht jeder Schweizer liebt die saueren Brote, deshalb haben wir auch ein großes Sortiment. Aber es ist schon so, dass auch Sauerteig in der Schweiz sehr gut und sehr viel gegessen wird und dass wir das jetzt ein bisschen auf die deutsche Schiene geschoben haben, mit den deutschen Wochen und der deutschen Flagge am Brotgestell, das ist gerade in den aktuellen Zeiten vielleicht nicht jedem sehr gut bekommen, aber alles in allem wird es sympathisch aufgenommen."

    Die deutsche Flagge am Brotgestell ist wohl für Schweizer nur ein sichtbares Zeichen für die schleichende Germanisierung ihres Landes. Über 200.000 Deutsche leben inzwischen in der Schweiz. Die meisten in und um Zürich. Das hinterlässt seine Spuren. Bei einem Bäcker in Kilchberg findet man jetzt Mohnkuchen mit Streuseln - so wie ihn die Hausfrau in der Oberlausitz zum Wochenende backt.

    Danilo Oppel aus Thüringen kredenzt seinen Gästen im Claridge Hotel in Zürich echte Thüringer Klöße mit Rouladen. Zunächst hatte der junge Koch aus Hildburghausen nur seine eigenen Landsleute als Zielgruppe im Blick. Dann hat er seine Thüringer Klöße etwas an Schweizer Gewohnheiten angepasst, um auch die Eidgenossen von dieser Beilage zu begeistern.

    "Und zwar ist es ja so, dass die Schweizer ja ihren Rösti lieben, und dann habe ich mir einfach gedacht, anstatt die feine Kartoffelreibe zu nehmen, nehme ich doch die weltberühmte Bircherreibe, wo man in der Schweiz auch das Birchermüsli mit raffelt, und habe dadurch die rohen Kartoffeln gemacht und dadurch ist es ein bisschen gröber und erinnert eher an den Rösti."

    Das deutsche Bier fehlt allerdings auf der Karte des Claridge Hotels. Das gibt es aber inzwischen bei Coop und zwar genau genommen in rund ein Dutzend Varianten. Neben der Schweizer Traditionswurst der Cervelat liegen auch Nürnberger Rostbratwürste oder bayerische Weißwürste im Kühlregal der Migros.

    Und während man in der Schweiz vor ein Paar Jahren mit Schorle nur wenig anfangen konnte, ist die Apfelschorle heute fester Teil der Produktpalette des Brausehersteller Ramseier. Genauso wie man nun das Getränk in der Schweiz kennt, hat auch die Vokabel "Schorle" als Wort aus der Hochsprache Eingang ins Schwyzerdütsche gefunden. Daneben finden sich andere hochdeutsche Worte wie "Sommersprossen". Früher sagte man auf Schwyzerdütsch "Märzeflecke". Die Germanistin Britta Juska-Bacher hat untersucht, wie sich der Wortschatz des Schweizerdeutschen in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Gerade jüngere Schweizer verwenden zunehmend hochdeutsche Begriffe. Allerdings glaubt Juska-Bacher nicht, dass die Veränderungen des Schweizerdeutschen auf die vielen Deutschen in der Schweiz zurückzuführen sind. Einen starken Einfluss hatte bereits die Einführung des Kabelfernsehens, mit dem viele deutsche Fernsehprogramme in Schweizer Wohnstuben kamen.

    "Und es fängt natürlich sehr früh an. Schon bei Kindern im Kindergartenalter merkt man irgendwo einen Schnitt, solange die noch kein Fernsehen schauen, sprechen sie im Dialekt. Dann merkt man langsam: Sie fangen an in der Standardsprache zu spielen, und dann ist es auch kein Problem mehr, sich mit Deutschen zu unterhalten oder mit anderen Ausländern, die eben Hochdeutsch sprechen."

    Auch den Redakteuren des Schweizer Mundartwörterbuchs, des Schweizer Idiotikons fällt auf, dass immer mehr Eidgenossen "Frühstück" statt "Zmorge" sagen oder "Pferd" statt "Ross".

    Trotz des starken Einflusses des Hochdeutschen auf den Schweizer Dialekt: Ein Aussterben des Schwyzerdütschen befürchten die Experten nicht.