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Schwarze Kanäle

Beim "Sachsensumpf" geht es um angebliche Verstrickungen hochrangiger Persönlichkeiten aus Politik und Justiz in der Prostitution von Minderjährigen. Zwei Journalisten wurden 2010 vom Amtsgericht Dresden wegen übler Nachrede verurteilt - in dieser Woche hat die Berufungsverhandlung begonnen.

Von Jennifer Stange |
    "Caltha Palustris" – das ist der lateinische Name der Sumpfdotterblume. Und es ist der Titel eines Artikels, den der Dresdner Richter Martin Schultze-Griebler 2007 für die Mitgliederzeitschrift des Sächsischen Richtervereins geschrieben hat. Darin beklagt er die mangelnden Versuche, im Skandal um den Sachsensumpf die Ehre der Justiz zu retten. Und gesteht, er habe auf das Sumpfgequake, wie er es nennt, emotional reagiert. Ausgerechnet dieser Richter hat nun den Vorsitz in einem Berufungsverfahren am Dresdner Landgericht, in dem es erneut um den Sachsensumpf geht:

    "Wenn ein Richter so offen sagt, dass er da emotional ist und vor allen Dingen parteiisch, dann sollte er das schon bei so einem Verfahren, das damit in Zusammenhang steht, anzeigen. Der kann seine Meinung haben, er kann der Meinung sein, der Sachsensumpf ist eine Erfindung von schlecht recherchierenden Journalisten und da werden unschuldige Juristen verfolgt durch die öffentliche Berichterstattung. Aber es gebietet nicht nur der Anstand, sondern es gebieten die Pflichten eines Richters, dass er dann sagt, dieses Verfahren kann ich nicht führen."

    Sagt Thomas Datt, einer der beschuldigten Journalisten in dem Verfahren. Er und sein Kollege Arndt Ginzel haben deshalb zum Auftakt des Prozesses einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter gestellt.

    Dienstagmorgen, Medienrummel im Dresdner Landgericht. Kamerateams, Journalisten, Fotografen sind da. Vor Gericht stehen die beiden freien Reporter Arndt Ginzel und Thomas Datt - zum zweiten Mal. 2010 hatte das Amtsgericht Dresden die Recherchespezialisten zu einer Geldstrafe verurteilt - wegen übler Nachrede. Die beiden hatten über den sogenannten Sachsensumpf berichtet, ein angebliches mafiöses Kartell aus Justiz, Polizei und Rotlichtmilieu. Im Mittelpunkt stand damals das Leipziger Bordell "Jasmin", in dem Minderjährige anschafften und hohe Justizbeamte ein- und ausgegangen sein sollen. Polizei und Behörden hätten das kriminelle Netzwerk angeblich gedeckt und vertuscht, so lauteten die Vorwürfe damals.

    Ginzel: "Ausgangsüberlegung war, mal zu gucken, was ist eigentlich aus den Zwangsprostituierten geworden. Wir haben die Frauen also nach und nach aufgesucht und mit denen gesprochen. Im zweiten Schritt haben wir den Frauen auch Fotos gezeigt teilweise von Personen, die auch über die Verfassungsschutzakten belastet waren, und haben abgeglichen, erkennen die die Männer wieder, also ist da was dran an diesen Verfassungsschutzunterlagen. Und das war halt wirklich das Erstaunliche für uns, dass die Personen, die auch schon über die Verfassungsschutzinformationen tatsächlich wiedererkannt wurden."

    Der "Spiegel" veröffentlichte 2008 eine Geschichte über den Sachsensumpf – die Recherchen dazu hatten Datt und Ginzel geliefert. Auch die Dresdner Staatsanwaltschaft hatte mittlerweile Ermittlungen aufgenommen. Wie gegenüber den Journalisten gaben die Frauen auch hier an, den ehemaligen Vizepräsidenten des Leipziger Landgerichts und den jetzigen Präsidenten des Landgerichts Chemnitz als Freier im Bordell erkannt zu haben. Allerdings kam die Staatsanwaltschaft zu einem anderen Ergebnis als die Reporter: Die Ermittler hielten die Aussagen der ehemaligen Zwangsprostituierten für unglaubwürdig. Kurz darauf wurden die Untersuchungen zum sogenannten Sachsensumpf beendet. Die Staatsanwaltschaft verkündete: Den Sumpf habe es nie gegeben.

    Ginzel: "Daraufhin haben wir für 'Zeit online' einen Artikel geschrieben, wo wir uns explizit mit der Ermittlungsarbeit der Staatsanwaltschaft beschäftigt haben. Kurze Zeit später haben wir dann erfahren, dass dieselbe Staatsanwaltschaft, dieselben Staatsanwälte, mit deren Arbeit wir uns da kritisch auseinandergesetzt haben, ein Ermittlungsverfahren gegen Thomas und mich führen."

    Denn in diesem Artikel stellten Ginzel und Datt die Arbeit der Ermittler infrage – und genau deshalb wurden sie 2010 verurteilt. Das Gericht wertete eine Passage des Artikels als falsche Tatsachenbehauptung. Im Berufungsverfahren fordern die Journalisten einen Freispruch; sie sehen sich in ihrer Recherche verfolgt. Rückendeckung bekommen sie von Journalistenverbänden. Diese kritisieren, dass die beiden Reporter nicht wie üblich presserechtlich, sondern strafrechtlich verfolgt worden seien. Nebenklägerin im Berufungsprozess ist Sieglinde Buchner-Hohner. Sie vertritt ihren Mann. Ihm war damals vorgeworfen worden, im Minderjährigen-Bordell "Jasmin" gewesen zu sein.

    Buchner-Hohner: "Datt und Ginzel, und das ist vielleicht auch nachvollziehbar, haben gesehen, da gibt's ne Möglichkeit ne Story, das könnte was Tolles sein – wahrscheinlich auch nicht so einfach als freier Journalist. Aber sie haben es verabsäumt, und als Journalist muss ich recherchieren, bevor ich einen derart schweren Vorwurf gegen einen unbescholtenen Bürger erhebe."

    Der Artikel mit dem Titel Caltha palustris – zu Deutsch Sumpfdotterblume – wurde am ersten Verhandlungstag im Gerichtssaal vorgelesen. Der Autor und Vorsitzende Richter Martin Schultze-Griebler lächelte nur. Den Befangenheitsantrag nahm er nicht zum Anlass, die Sitzung zu unterbrechen. Er will zunächst weiter verhandeln - bis ein anderer Richter des Landgerichts über den Antrag entschieden hat. Das soll am kommenden Montag soweit sein.