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Schwarze Kassen und geschmierte Beamte

Korruption ist eines der Hauptprobleme im mittelamerikanischen Paraguay. Als der ehemalige Bischof Fernando Lugo vor mehr als einem Jahr das Präsidentenamt antrat, versprach er mehr Transparenz und Einsatz gegen Korruption. Doch dies lässt sich einfacher versprechen, als umsetzen.

Von Victoria Eglau | 21.11.2009
    "Heute endet ein sozial ungerechtes, ein nicht transparentes Paraguay, ein Paraguay, das für seine Korruption bekannt ist."

    Präsident Fernando Lugo in seiner Antrittsrede am 15. August 2008. Lugos Wahl war auch ein Votum gegen die Korruption. In den zwei Jahrzehnten nach Ende der Diktatur 1989 waren Filz, Bestechlichkeit und persönliche Bereicherung auf allen Ebenen der öffentlichen Verwaltung keineswegs verschwunden - im Gegenteil. Ein Beispiel: die Korruption in den Lokalregierungen Paraguays. Die Organisation "Semillas por la Democracia", zu Deutsch "Samenkörner für die Demokratie", arbeitet seit zwei Jahren mit Stadtverwaltungen zusammen, um deren Transparenz zu erhöhen. Fernando Martínez, 29 Jahre alt und Jurist, beschreibt die in den Kommunen gängigen Praktiken:

    "Im Allgemeinen stecken Lokalregierungen und Unternehmen unter einer Decke. Öffentliche Aufträge werden an befreundete Firmen vergeben, die für ihre Arbeit überhöhte Rechnungen ausstellen. Die Differenz zum eigentlichen Preis fließt in die Taschen korrupter Beamter. Oder im städtischen Haushalt werden Ausgaben für Brücken oder Straßen aufgeführt, die gar nicht gebaut wurden, die es nicht gibt."

    In Paraguay gibt es bisher kein Gesetz, das den Zugang der Bürger zu Informationen der Verwaltung regelt, auch wenn dieses Recht in der Verfassung verankert ist. Die Menschen wüssten in der Regel nicht, wofür ihre Lokalregierung Geld ausgebe, meint Fernando Martínez. Die Stadtverwaltungen dazu zu bringen, Rechenschaft abzulegen, sei sehr schwierig.

    "Die Beamten sehen ihre Arbeitsweise, ja, ihre Lebensweise gefährdet. Viele betrachten Politik und Machtausübung seit jeher als Möglichkeit, die persönliche Kasse zu füllen. Dennoch beobachten wir eine Tendenz zur Öffnung der Kommunalverwaltungen, eine Tendenz zu mehr Transparenz. Ich glaube, zum Teil hat das mit dem Regierungswechsel in Paraguay zu tun."

    Doch schon seit Ende der 90er-Jahre sind in vielen Orten Paraguays sogenannte Bürgerkontrollkomitees entstanden. Sie unterstützen Bürger dabei, Korruptionsfälle in Verwaltung und Justiz zur Anzeige zu bringen. Einer der Initiatoren: Carlos Barreiro aus der Hauptstadt Asunción, ein schlanker, weißhaariger Mann Mitte 60.

    "Leute, die mitkriegen, dass Politiker, Beamte oder Justizangestellte Geld stehlen, sollten das anzeigen. Wenn jemand ein zu großes Risiko eingehen würde, erstattet das Kontrollkomitee für ihn Anzeige. Zum Beispiel riskiert ein Lehrer, der seinen Direktor wegen Korruption anzeigt, den Verlust seines Jobs. In solchen Fällen werden wir aktiv."

    Die Juristin Beatriz Sosa vom Netzwerk der Kontrollkomitees nennt ein Erfolgsbeispiel.

    "In einer Ortschaft im Departement Caazapá gelang es dem Bürgerkontrollkomitee, über ein Mitglied des Stadtrates Dokumente des Bürgermeisters zu besorgen. Daraus ging ganz klar hervor, wie viel Geld angeblich für die Kommune ausgegeben worden war, aber tatsächlich im Portemonnaie des Bürgermeisters landete. Der wurde dann entlassen."

    40 Prozent der Einwohner Paraguays leben in Armut oder extremer Armut. Nach Ansicht des obersten Rechnungsprüfers des Landes, Octavio Airaldi, ist dafür maßgeblich die Korruption verantwortlich. Als Beispiel nennt Airaldi den Fall der beiden Mega-Wasserkraftwerke Itaipú und Yaciretá, die gemeinsam mit Brasilien und Argentinien erbaut wurden und die wichtigste Devisenquelle Paraguays sind.

    "Statt mit den vielen Millionen US-Dollar die Lebensqualität unserer Bürger zu verbessern, ist das Geld verschwendet worden. Wegen des hohen Grades an Korruption hat das Volk von den Erträgen der Wasserkraftwerke nicht profitiert. Unser Bildungsniveau ist niedrig und unser Gesundheitssystem schlecht. Wir hätten das ganze Land mit Straßen und Wegen überziehen können. Aber das ist nicht geschehen. Es wurden zwar sogenannte Sozialfonds eingerichtet, aber das Geld floss in Wahlkampagnen und in die Taschen von 100 bis 200 Politikern."

    Ende letzten Jahres, wenige Monate nach Präsident Fernando Lugos Amtsantritt, richtete Paraguays Oberste Rechnungsprüfungsbehörde eine Anlaufstelle für Bürger ein. Seine Mitarbeiter könnten die Prüfung aller Korruptionsvorwürfe kaum bewältigen, erzählt Behördenchef Airaldi und klagt über einen zu geringen Etat. Wie auch die Erfahrung der Bürgerkontrollkomitees zeigt, scheint sich eines definitiv geändert zu haben: Eine wachsende Zahl von Paraguayern nimmt korrupte Praktiken nicht mehr stillschweigend hin.

    Im Vorzimmer von Staatsanwalt Arnaldo Giuzzio sitzt eine aufgebracht wirkende Frau auf dem Wartesofa. Giuzzio gehört zur Anti-Korruptions-Einheit in Paraguays Generalstaatsanwaltschaft. Er bittet die Frau in sein enges Büro, danach hat er Zeit für ein Interview.

    "Wir bekommen zur Zeit Beschwerden über Polizisten auf den Landstraßen. Sie verlangen von den Autofahrern Geld, bevor sie sie passieren lassen. Für uns ist das ein vergleichsweise kleines Problem. Aber für den Bürger ist es eine große Sache. Wir müssen uns darum kümmern - allein schon deshalb, weil die Leute Mut fassen und Anzeige erstatten."

    Nur selten sehen Ermittler Giuzzio und seine Kollegen ihre Arbeit davon gekrönt, dass ein korrupter Beamter ins Gefängnis wandert. Bei Spitzenfunktionären und Politikern kommt es so gut wie nie vor.

    "Keiner der unter Korruptionsverdacht stehenden Ex-Präsidenten wurde verurteilt. Meist wurden die Klagen zurückgewiesen, oder es kam zum Freispruch. In einigen Fällen gab es eine Verurteilung in erster Instanz, aber einen Freispruch durch den Obersten Gerichtshof."

    Die starke politische Beeinflussung von Richtern und Staatsanwälten, die ihre Posten in der Regel Politikern zu verdanken haben, ist eines der größten Probleme des paraguayischen Rechtssystems. Die Paraguayer halten Justiz und Polizei für die korruptesten Institutionen ihres Landes. Dass Präsident Lugo im Parlament über keine stabile Mehrheit verfügt, erschwerte bisher die Umsetzung der von ihm angekündigten Anti-Korruptions-Politik. Abgesehen von vereinzelten Initiativen in einigen Behörden fehlte der große Wurf. Mitte Oktober nun, mehr als ein Jahr nach Lugos Amtsantritt, stellte die Regierung einen Zweijahresplan gegen die Korruption und für die Stärkung des Rechtsstaates vor. Er wird mit umgerechnet gut 20 Millionen Euro von der US-Regierung finanziert und soll unter anderem Justiz, Polizei und Zoll unterstützen. Ob das Programm trotz der Altlasten in der öffentlichen Verwaltung zum Erfolg führen wird, bleibt abzuwarten.

    ""Es gibt immer noch dieselben Beamten mit denselben Untugenden. Beamte, die wahrscheinlich ihr ganzes Arbeitsleben lang korrupt waren, werden sich nicht ändern, weil es eine neue Regierung gibt","

    … sagt Staatsanwalt Arnaldo Giuzzio. Das Heer der Beamten, die während der jahrzehntelangen Alleinherrschaft der rechten Colorado-Partei eingestellt wurden, ist ein entscheidendes Hindernis für die Korruptionsbekämpfung unter Lugo. Während an der Spitze der Ministerien und Behörden inzwischen überwiegend Personen mit einem sauberen Image stehen, hat es auf der mittleren und unteren Ebene kaum personelle Veränderungen gegeben. Eine tiefgreifende Reform des öffentlichen Dienstes steht noch aus.