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Schwarze Konten in der Schweiz und in Liechtenstein?

Heinemann: Heute vor vier Monaten war die Welt der Christdemokraten noch in Ordnung. Mit feiner Witterung für symbolisch Notwendiges rüstete die Partei zum Einheitsjubiläum. Die Meldung aus Augsburg, wo ein Haftbefehl gegen den ehemaligen Schatzmeister Kiep ausgestellt wurde, klang wie eine lästige Notiz aus der Provinz. Aus dem sanften Föhn ist ein apokalyptischer Orkan geworden. Bilanz: In der CDU gibt es kein unten, kein oben und keine politische Führung mehr. Diese Analyse stammt von Franz Müntefering, der als nordrhein-westfälischer SPD-Vorsitzender nur zu gut weiss, wie man die Wörter ‚Filz' und ‚Affäre' buchstabiert. Vorläufiger Höhepunkt: Wolfgang Schäubles Erinnerung an sein zweites Treffen mit Karl-Heinz Schreiber; und dennoch will der Parteichef im April den Hut abermals in den Ring werfen, auch wenn ihn die ersten Parteifreunde öffentlich auffordern, denselben lieber zu nehmen. Von Politik aus dem ‚C' heraus ist zur Zeit nicht, von Politik aus dem ‚K' heraus umso mehr die Rede - Koffer, Kassen, Konten. Gestern meldete das ZDF, wie die hessische, so habe auch die Bundes-CDU jahrelang schwarze Konten in der Schweiz und in Liechtenstein geführt. Nach eigenen Angaben hat die CDU keine Anhaltspunkte dafür. Die Partei setzte dem früheren Finanzberater Weyrauch unterdessen eine Frist bis heute, um einen umfangreichen Fragenkatalog eidesstattlich zu beantworten. Am Telefon ist jetzt der nordrhein-westfälische CDU-Vorsitzende Jürgen Rüttgers, Spitzenkandidat der Christdemokraten bei den Landtagswahlen. Guten Morgen.

    Rüttgers: Guten Morgen Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Rüttgers, was wissen Sie über schwarze Konten der Bundes-CDU in der Schweiz und in Lichtenstein?

    Rüttgers: Gar nichts.

    Heinemann: Schließen Sie aus, dass es diese Konten gibt?

    Rüttgers: Nein, das habe ich mir abgewöhnt. Also, in der Geschichte schließe ich überhaupt nichts mehr aus.

    Heinemann: Also, in der CDU ist inzwischen alles möglich?

    Rüttgers: Ja, schauen Sie: Wir haben ja mit Leuten zu tun, die in einem Umfeld gearbeitet haben, wo das anscheinend möglich bis zu Gang und Gebe war, und die jetzt rumlaufen und düster in der Landschaft rumdrohen. Wissen Sie, ich gehöre zu einer Generation in der CDU, die sagen: ‚Da habe ich überhaupt keine Angst vor'. Wo ich Angst vor habe ist, dass irgendetwas nicht ans Tageslicht kommt, denn dann kann es giftig werden. Insofern regt mich das nicht auf, wenn da irgendwo gedroht wird.

    Heinemann: Ja, Stichwort ‚Tageslicht': In der CDU passiert jetzt genau das, was alle verhindern wollten. Jeden Tag kommt etwas neues raus. Heiner Geißler ist sich sicher, gegen Wolfgang Schäuble sei eine groß angelegte strategische Intrige im Gange. Wer integriert denn da?

    Rüttgers: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich weiss auch nicht, ob solche Begriffe jetzt in die innerparteiliche Diskussion gehören. Ich habe überhaupt keinen Grund, Wolfgang Schäuble nicht zu glauben - von dem, was er gesagt hat. Aber wenn man jetzt anfängt und redet über Intrigen oder ähnliches, dann bekommt die Sache so was Konspiratives. Das mag ich nicht. Faktum ist, dass es zwei unterschiedliche Aussagen über die 100.000 Mark des Waffenhändlers Schreiber gibt. Das muss geklärt werden, und das ist jetzt ein ganz wichtiger Punkt.

    Heinemann: Wie beurteilen Sie das Verhalten von Brigitte Baumeister, der ehemaligen Schatzmeisterin der Union?

    Rüttgers: Das will ich nicht werten und das kann ich nicht werten. Ich kenne sie auch, wie Wolfgang Schäuble, seit vielen Jahren. Bisher bin ich gut damit gefahren, zu sagen: Ich kommentiere so etwas - und vor allen Dingen rede ich erst dann über Konsequenzen, wenn alle Fakten auf dem Tisch liegen. Und ich erwarte, dass auch Brigitte Baumeister jetzt klar dazu sagt, was dann nun Sache ist und was sie meint, und nicht in diesen etwas schwammigen Formulierungen, wie das im SPIEGEL zu lesen ist.

    Heinemann: Aber es muss Ihnen doch zu denken geben: Schäuble sagt ‚Hüh', Schreiber sagt ‚Hot' - und Frau Baumeister ist offenbar nicht bereit, den Parteichef gegenüber dem Waffenhändler zu entlasten.

    Rüttgers: Ja, das kann eben nicht sein. Nochmal: Ich glaube Wolfgang Schäuble, ich glaube, dass das richtig ist, was er sagt. Aber wenn dann von irgendwelchen Zeitungen ein anderer Eindruck erweckt wird, dann hat jeder in der Führung der CDU - und dazu gehört Brigitte Baumeister - die Pflicht, zu sagen, was er weiss, damit sofort alles auf den Tisch kommt.

    Heinemann: Ist Wolfgang Schäuble noch glaubwürdig?

    Rüttgers: Ja.

    Heinemann: Inwiefern?

    Rüttgers: Ja, schauen Sie: Auch da ist die Lage für ich so, dass ich nicht nur zunächst mal davon ausgehe, dass das, was diejenigen, die sich um Aufklärung bemühen und ihr Wissen auf den Tisch legen, dass sie das nach bestem Wissen und Gewissen machen - also die Wahrheit sagen, weil, wenn man das anders wäre, würde die Sache niemals aufgeklärt und dann würde sie giftig. Ohne Wahrheit werden wir keinen Neuanfang bekommen.

    Heinemann: Wolfgang Schäuble fordert seit bald vier Monaten rückhaltlose Aufklärung. Beinhaltet das nicht auch, dass man auch dem eigenen Terminkalender rückhaltlos zu Leibe rücken muss?

    Rüttgers: Das kann man natürlich nur dann machen, wenn an auch Anhaltspunkte hat. Ich glaube schon - das muss man sagen -, dass das Krisenmanagement in der CDU nicht das beste ist.

    Heinemann: Thüringens Ministerpräsident Bernhard Vogel wird inzwischen schon als ‚Interims-Parteichef' gehandelt.

    Rüttgers: Ich weiss nicht, was diese Debatte soll. Es gibt anscheinend immer noch Leute in der CDU, die den Ernst der Lage nicht verstanden haben. Als ich vor einigen Wochen davor gewarnt habe, einen Machtkampf anzufangen oder über Personal zu spekulieren, da bin ich von dem einen oder anderen kritisiert worden. Ich bleibe bei meiner Haltung: Erst die Fakten auf den Tisch, dann muss man über strukturelle Konsequenzen diskutieren.

    Heinemann: Herr Rüttgers, wieviele Treffen mit Karl-Heinz Schreiber kann sich Wolfgang Schäuble noch leisten?

    Rüttgers: Das ist eine Frage, da kann ich überhaupt nichts zu sagen. Das hat er im Kalender überprüft, der Termin war eingetragen und ob es tatsächlich zu einem Treffen kam, daran kann er sich nicht erinnern. Also gehe ich davon aus, dass es keine weiteren gibt.

    Heinemann: Wie erklären Sie den Menschen in Nordrhein-Westfalen, dass sie im Mai CDU wählen sollen?

    Rüttgers: Ja, da habe ich Gott sei Dank eine etwas bessere Situation. Diese Affäre in Berlin schlägt nicht nach Nordrhein-Westfalen durch; das hat verschiedene Gründe, unter anderem natürlich die SPD-Affäre um WestLB und die Flüge. Das ist natürlich auch eine Situation, vor der man fassungslos steht, wenn man hört, was im Untersuchungsausschuss von irgendwelchen Leuten erzählt wird. Davon profitieren wir ein Stück weit in Nordrhein-Westfalen als CDU. Aber was mir noch wichtiger ist: Wir haben im vergangenen Jahr eine Erneuerung durchgeführt, sowohl personell wie programmatisch - ‚Die neue CDU im Westen'. Und das ist natürlich eine gute Grundlage für die Wahlauseinandersetzung.

    Heinemann: Wird Helmut Kohl im nordrhein-westfälischen CDU-Wahlkampf auftreten?

    Rüttgers: Ja, das ist eine Frage, die mich jetzt immer begleitet. Wir haben überhaupt noch keine Planung für die Wahlkampftermine. Ich gehe davon aus, dass alle, die in der CDU Verantwortung tragen, die ein Amt haben, auch ein Stück weit für die aktuelle Diskussion zur Verfügung stehen und hier im Wahlkampf auftreten werden. Wir werden auf jeden Fall keinen ausladen.

    Heinemann: Also auch nicht Helmut Kohl?

    Rüttgers: Auch nicht Helmut Kohl.

    Heinemann: Der wird kommen?

    Rüttgers: Das kann ich Ihnen noch nicht sagen, die Termine stehen ja noch gar nicht fest.

    Heinemann: Wie passt denn das zu de Erneuerungsimage, von dem Sie eben gesprochen haben?

    Rüttgers: Das hat nichts mit Erneuerung zu tun, sondern hat damit zu tun, dass man seiner eigenen Geschichte nicht entfliehen kann, und vor allen Dingen, dass man auch nicht - wenn es eine solche Situation gibt, die die Menschen und ja auch die CDU-Mitglieder erschüttert - so tun kann, als ob die gar nicht stattgefunden hätte - und sie dann aus dem Wahlkampf ausblenden. Ich werde auch im Wahlkampf in dieser Sache diskutieren.

    Heinemann: Herr Rüttgers, der Bundestagsabgeordnete Peter Altmeyer hat angesichts der Spendenaffäre eine Verschiebung des für Anfang April geplanten CDU-Bundesparteitages gefordert. Ist der Termin im Frühling noch sinnvoll?

    Rüttgers: Also das sind immer so formalistische Antworten. Ich weiss nicht, was wir davon profitieren würden, wenn wir jetzt den Parteitag verschieben würden. Wir haben ja gesagt - und das ist auch das, was ich brauche für die Wahlauseinandersetzung: Wir müssen alle Fakten auf den Tisch legen, wir müssen den Schaden wieder gutmachen. Und dann müssen wir über Konsequenzen diskutieren. Wo soll das denn bitte geschehen, wenn nicht auf einem Parteitag. Und dass die Fakten auf dem Tisch lägen - das kann man ja wahrlich nicht behaupten.

    Heinemann: Nun hat Ihr Parteifreund Horst Eilmann zu einem Aufstand der Basis und der Jungpolitiker gegen die Verantwortlichen aufgerufen. Sollte die CDU jetzt eine Generation überspringen und junge, unbelastete Leute aufbauen? Das Beispiel Schäuble zeigt doch, dass man sich auch mit besten Willen nicht aus dem System Kohl befreien kann,

    Rüttgers: Das - finde ich - kann man nun wirklich dem Wolfgang Schäuble nicht vorwerfen, dass er nicht versucht, nicht nur die Fakten auf den Tisch zu legen, sondern auch einen Neuanfang zu organisieren. Ich bin ganz sicher, dass wir auf dem Parteitag in Essen auch im personellen Bereich Veränderungen bekommen werden.

    Heinemann: Wo?

    Rüttgers: Nun, im ganzen Vorstand, der steht nämlich zur Wahl an.

    Heinemann: Wer sollte raus - und wer rein?

    Rüttgers: Zu dem werde ich mich nicht äußern, denn diese Personalspekulationen will ich nicht führen.

    Heinemann: Herr Rüttgers, von Andreotti stammt der Satz: ‚Die Macht nutzt vor allem den ab, der sie nicht hat'. Könnte so der nächste Jahresbericht der CDU überschrieben werden?

    Rüttgers: Ach Gott, das sind immer solche Sentenzen, die irgendeiner irgendwann gesagt hat und die Journalisten schön finden. Wir haben ja in Deutschland nicht die Situation wie in Italien. Auch die CDU trägt Verantwortung, nämlich im Bundesrat und in den Ländern. Und schauen Sie: Wir werden auch in diesem Jahr noch Wahlen gewinnen und dann wieder Verantwortung übernehmen.

    Heinemann: Der nordrhein-westfälische CDU-Vorsitzende und stellvertretende Fraktionsvorsitzende Jürgen Rüttgers in den Informationen am Morgen im Deutschlandfunk. Herr Rüttgers, vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Rüttgers: Auf Wiederhören.

    Link: DeutschlandRadio Magazin