Michael Köhler: Es passiert ja nicht oft, dass Spitzenpolitiker und noch zumal Parteichefs über Kultur reden. SPD-Chef Sigmar Gabriel tat es heute im Deutschlandfunk und wies auf ein Finanzierungsproblem hin:
O-Ton Sigmar Gabriel: "Wir brauchen dringend mindestens zehn Milliarden Euro pro Jahr Bundesgeld mehr für Bildung, für Kindertagesstätten, für Ganztagsschulen, für Sozialpädagogen. Das müssen wir einsparen im Haushalt. Drittens, unsere Städten und Gemeinden verkommen in Deutschland, die Theater, die Kultureinrichtungen, die sozialen Einrichtungen werden geschlossen, die Schulen und die Kindergärten werden nicht saniert, weil die Städte pleite sind. Da müssen wir dringend helfen, auch das muss über Subventionsabbau bezahlt werden."
Köhler: Sagt der SPD-Chef. Städte, Gemeinden, Kommunen, Theater und Kultur verkommen. Da benennt einer ein Problem, mit der Gemeindefinanzreform beispielsweise. Wir haben 80 Opern in Deutschland, das ist großartig. Je nachdem, wie man rechnet, ist das so viel wie der übrige Rest der Welt zusammen. Die Kleinstaaterei des 18. Jahrhunderts hat uns eben in Schwetzingen und auch in Naumburg Bühnen beschert und nicht nur in Hamburg, München, Berlin, Dresden und Köln. Um die steht es aber gar nicht so gut, um die Bühnen, jedenfalls im Graben. Aber nicht nur da, sagt Gerald Mertens, Geschäftsführer des Deutschen Orchesterverbands, das ist der Berufsverband der Orchestermusiker in Deutschland. Marode Theater gefährden Spielbetrieb und Personalbestand, sagt er. Ich habe ihn gefragt, warum?
Gerald Mertens: Wir haben schon immer sanierungsbedürftige Theater in Deutschland gehabt, aber im Moment häufen sich die Alarmmeldungen. In Schleswig ist das Stadttheater seit drei Wochen geschlossen, weil Einsturzgefahr besteht. In Rostock hat der TÜV das Theater Anfang des Jahres stillgelegt, insbesondere wegen mangelnder Brandschutzvorkehrungen. In Augsburg wurde jetzt gerade ein Sanierungsbedarf von 90 Millionen Euro festgestellt. Und das Ganze hat eine neue Qualität bekommen, weil jetzt in Rostock der Oberbürgermeister gesagt hat, das Theater ist marode, das wissen wir, wir wissen das auch schon seit 20 Jahren, aber jetzt müssen wir auch noch Personal abbauen, weil ihr nehmt weniger ein, das Haus ist geschlossen, deswegen haben wir einen höheren Zuschussbedarf, und das, bitte schön, baut doch jetzt mal über Personal ab. Da haben wir gesagt, das geht jetzt doch deutlich zu weit und da kann man den schwarzen Peter am Ende dann nicht den Künstlerinnen und Künstlern zuschieben, sondern die Stadt muss vor der eigenen Haustür kehren und vernünftige Bauunterhaltung betreiben.
Köhler: Es gibt ja so paradoxe Sachen wie gerade im Bonner Haushaltsbeschluss für 2011/12 vorgesehen: Ab 2013 sollen dreieinhalb Millionen eingespart werden beim künstlerischen Personal der Oper, gleichzeitig wird aber eine Million für Sanierung bereitgestellt, um Folgekosten zu vermeiden. Kommen Sie mit Ihren Warnungen nicht ein bisschen spät? In Nordrhein-Westfalen schrammeln wir überall an den Nothaushalten entlang, wir haben überall klamme Kommunen, eine Gemeindefinanzreform ist auch nicht in Sicht?
Mertens: Der Deutsche Bühnenverein hat 2006 eine Meldung rausgegeben, da war nämlich gerade Heidelberg gesperrt worden. Jetzt, nach fünf Jahren befindet sich Heidelberg in einer großen Renovierungsaktion. Also, ich denke, dass regelmäßige Alarmrufe durchaus angezeigt sind, um bei den Kommunen, die die Sanierung ihrer Häuser und die regelmäßige Unterhaltung einfach schleifen lassen, auch so etwas wie ein Aufwachen zu erzeugen.
Köhler: Welche kommunalen oder kulturpolitischen Empfehlungen geben Sie? Denn die Landesverfassungen haben ja kaum Druckmittelcharakter. Da gibt es dann so Artikel 18, nordrhein-westfälische Verfassung, Kunst und Wissenschaft sind zu fördern, bleiben letztlich aber kommunale Aufgabe, und die haben nicht genug Geld dafür, weil sie das Geld für die Sozialleistungen ausgeben müssen. In anderen Bundesländern ist das ja durchaus anders, wenn ich nach Württemberg oder Bayern gucke?
Mertens: In andern Bundesländern ist es durchaus anders, aber wie gesagt, Augsburg liegt in Bayern, also es kommt wirklich auf die Kommunen an. Ein gutes Beispiel ist die Vogtlandhalle in Greiz/Reichenbach, das ist Thüringen, Sachsen, das Länderdreieck dann zur Tschechei rüber. Dort ist gerade Anfang März eine neue Mehrzweckhalle für 22 Millionen Euro Baukosten eröffnet worden und wird von den örtlichen Orchestern und auch Theater- und andern Veranstaltern sehr lebendig genutzt. Also, es hängt nicht nur am Geld, sondern es hängt in der Regel am politischen Willen. Hier in entsprechende Infrastrukturen zu finanzieren, ist für eine Kommune, wenn sie die Gegenfinanzierung aufbringen kann, dann unter dem Strich eigentlich ein gutes Geschäft. In der Tat, wir haben Nothaushalte, wir haben eine schwierige Situation, aber deswegen das Kind mit dem Bade auszuschütten und die ganze Infrastruktur verkommen zu lassen, kann auch keine Lösung sein.
Köhler: Mehrfach ist jetzt in unserem Gespräch schon das Wort Mehrzweckhalle gefallen. Könnte es denn sein, wenn ich Sie richtig deute, dass wir so dem schleichenden Versuch eines Kulturabbaus beiwohnen, dass Mehrspartenhäuser verringert, verkleinert werden, wegfusioniert werden sollen und dass vielleicht die nächste Meldung des Deutschen Orchesterverbands heißen müsste, wir gucken einem Kulturabbau, einem massiven, in Deutschland ins Auge?
Mertens: Dass wir in der Vergangenheit massiven Kulturabbau hatten, ist ja unstreitig. 1992, also zwei Jahre nach der Wiedervereinigung, hatten wir in Deutschland noch 168 Orchester, heute reden wir noch über 133. Die Frage ist eben nur, inwieweit jetzt auch diese Infrastrukturprobleme, sprich, marode Theater, marode Spielstätten, dieses Problem verstärken, dass damit dann das weitere Argument geliefert wird, jetzt ist die Spielstätte marode, jetzt können wir das Personal nicht mehr beschäftigen und deswegen bauen wir ab. Also, das ist eine neue Qualität und ich denke, es ist in jeder einzelnen Kommune letztlich zu prüfen, wie viel Theater und wie viel Infrastruktur wollen wir hier für die Bürgerinnen und Bürger vorhalten? Alles Prioritätsfragen, die eine Kommune halt vor Ort klären muss, und wir setzen uns naturgemäß für den Bereich der Kultur ein.
Köhler: Sagt Gerald Mertens, Geschäftsführer des Deutschen Orchesterverbands.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
O-Ton Sigmar Gabriel: "Wir brauchen dringend mindestens zehn Milliarden Euro pro Jahr Bundesgeld mehr für Bildung, für Kindertagesstätten, für Ganztagsschulen, für Sozialpädagogen. Das müssen wir einsparen im Haushalt. Drittens, unsere Städten und Gemeinden verkommen in Deutschland, die Theater, die Kultureinrichtungen, die sozialen Einrichtungen werden geschlossen, die Schulen und die Kindergärten werden nicht saniert, weil die Städte pleite sind. Da müssen wir dringend helfen, auch das muss über Subventionsabbau bezahlt werden."
Köhler: Sagt der SPD-Chef. Städte, Gemeinden, Kommunen, Theater und Kultur verkommen. Da benennt einer ein Problem, mit der Gemeindefinanzreform beispielsweise. Wir haben 80 Opern in Deutschland, das ist großartig. Je nachdem, wie man rechnet, ist das so viel wie der übrige Rest der Welt zusammen. Die Kleinstaaterei des 18. Jahrhunderts hat uns eben in Schwetzingen und auch in Naumburg Bühnen beschert und nicht nur in Hamburg, München, Berlin, Dresden und Köln. Um die steht es aber gar nicht so gut, um die Bühnen, jedenfalls im Graben. Aber nicht nur da, sagt Gerald Mertens, Geschäftsführer des Deutschen Orchesterverbands, das ist der Berufsverband der Orchestermusiker in Deutschland. Marode Theater gefährden Spielbetrieb und Personalbestand, sagt er. Ich habe ihn gefragt, warum?
Gerald Mertens: Wir haben schon immer sanierungsbedürftige Theater in Deutschland gehabt, aber im Moment häufen sich die Alarmmeldungen. In Schleswig ist das Stadttheater seit drei Wochen geschlossen, weil Einsturzgefahr besteht. In Rostock hat der TÜV das Theater Anfang des Jahres stillgelegt, insbesondere wegen mangelnder Brandschutzvorkehrungen. In Augsburg wurde jetzt gerade ein Sanierungsbedarf von 90 Millionen Euro festgestellt. Und das Ganze hat eine neue Qualität bekommen, weil jetzt in Rostock der Oberbürgermeister gesagt hat, das Theater ist marode, das wissen wir, wir wissen das auch schon seit 20 Jahren, aber jetzt müssen wir auch noch Personal abbauen, weil ihr nehmt weniger ein, das Haus ist geschlossen, deswegen haben wir einen höheren Zuschussbedarf, und das, bitte schön, baut doch jetzt mal über Personal ab. Da haben wir gesagt, das geht jetzt doch deutlich zu weit und da kann man den schwarzen Peter am Ende dann nicht den Künstlerinnen und Künstlern zuschieben, sondern die Stadt muss vor der eigenen Haustür kehren und vernünftige Bauunterhaltung betreiben.
Köhler: Es gibt ja so paradoxe Sachen wie gerade im Bonner Haushaltsbeschluss für 2011/12 vorgesehen: Ab 2013 sollen dreieinhalb Millionen eingespart werden beim künstlerischen Personal der Oper, gleichzeitig wird aber eine Million für Sanierung bereitgestellt, um Folgekosten zu vermeiden. Kommen Sie mit Ihren Warnungen nicht ein bisschen spät? In Nordrhein-Westfalen schrammeln wir überall an den Nothaushalten entlang, wir haben überall klamme Kommunen, eine Gemeindefinanzreform ist auch nicht in Sicht?
Mertens: Der Deutsche Bühnenverein hat 2006 eine Meldung rausgegeben, da war nämlich gerade Heidelberg gesperrt worden. Jetzt, nach fünf Jahren befindet sich Heidelberg in einer großen Renovierungsaktion. Also, ich denke, dass regelmäßige Alarmrufe durchaus angezeigt sind, um bei den Kommunen, die die Sanierung ihrer Häuser und die regelmäßige Unterhaltung einfach schleifen lassen, auch so etwas wie ein Aufwachen zu erzeugen.
Köhler: Welche kommunalen oder kulturpolitischen Empfehlungen geben Sie? Denn die Landesverfassungen haben ja kaum Druckmittelcharakter. Da gibt es dann so Artikel 18, nordrhein-westfälische Verfassung, Kunst und Wissenschaft sind zu fördern, bleiben letztlich aber kommunale Aufgabe, und die haben nicht genug Geld dafür, weil sie das Geld für die Sozialleistungen ausgeben müssen. In anderen Bundesländern ist das ja durchaus anders, wenn ich nach Württemberg oder Bayern gucke?
Mertens: In andern Bundesländern ist es durchaus anders, aber wie gesagt, Augsburg liegt in Bayern, also es kommt wirklich auf die Kommunen an. Ein gutes Beispiel ist die Vogtlandhalle in Greiz/Reichenbach, das ist Thüringen, Sachsen, das Länderdreieck dann zur Tschechei rüber. Dort ist gerade Anfang März eine neue Mehrzweckhalle für 22 Millionen Euro Baukosten eröffnet worden und wird von den örtlichen Orchestern und auch Theater- und andern Veranstaltern sehr lebendig genutzt. Also, es hängt nicht nur am Geld, sondern es hängt in der Regel am politischen Willen. Hier in entsprechende Infrastrukturen zu finanzieren, ist für eine Kommune, wenn sie die Gegenfinanzierung aufbringen kann, dann unter dem Strich eigentlich ein gutes Geschäft. In der Tat, wir haben Nothaushalte, wir haben eine schwierige Situation, aber deswegen das Kind mit dem Bade auszuschütten und die ganze Infrastruktur verkommen zu lassen, kann auch keine Lösung sein.
Köhler: Mehrfach ist jetzt in unserem Gespräch schon das Wort Mehrzweckhalle gefallen. Könnte es denn sein, wenn ich Sie richtig deute, dass wir so dem schleichenden Versuch eines Kulturabbaus beiwohnen, dass Mehrspartenhäuser verringert, verkleinert werden, wegfusioniert werden sollen und dass vielleicht die nächste Meldung des Deutschen Orchesterverbands heißen müsste, wir gucken einem Kulturabbau, einem massiven, in Deutschland ins Auge?
Mertens: Dass wir in der Vergangenheit massiven Kulturabbau hatten, ist ja unstreitig. 1992, also zwei Jahre nach der Wiedervereinigung, hatten wir in Deutschland noch 168 Orchester, heute reden wir noch über 133. Die Frage ist eben nur, inwieweit jetzt auch diese Infrastrukturprobleme, sprich, marode Theater, marode Spielstätten, dieses Problem verstärken, dass damit dann das weitere Argument geliefert wird, jetzt ist die Spielstätte marode, jetzt können wir das Personal nicht mehr beschäftigen und deswegen bauen wir ab. Also, das ist eine neue Qualität und ich denke, es ist in jeder einzelnen Kommune letztlich zu prüfen, wie viel Theater und wie viel Infrastruktur wollen wir hier für die Bürgerinnen und Bürger vorhalten? Alles Prioritätsfragen, die eine Kommune halt vor Ort klären muss, und wir setzen uns naturgemäß für den Bereich der Kultur ein.
Köhler: Sagt Gerald Mertens, Geschäftsführer des Deutschen Orchesterverbands.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.