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Schwarzer Freytag

Nach dem Rücktritt des Hamburger CDU-Chefs und Finanzsenators Michael Freytag steckt die CDU in einer schwierigen Situation. Die Christdemokraten stürzen in den Umfragen auf 31 Prozent. Die Krise der HSH Nordbank, das Haushaltsdefizit und die Schulreform machen der Regierungspartei zu schaffen.

Von Verena Herb |
    "Ich bin dann durchs Feuer gegangen, ein Leben im permanenten Ausnahmezustand"

    Michael Freytag wirft hin: sein ruhendes Bürgerschaftsmandat, sein Amt als CDU-Landeschef und seinen Posten als Finanzsenator der Freien und Hansestadt Hamburg.

    "Meine Damen und Herren, meine Zeit als Politiker geht nun zu Ende. Ich scheide aus meinen Ämtern mit Wehmut, für die erfüllten Jahre, mit Dankbarkeit für das Erreichte, mit der Bitte um Nachsicht für meine Fehler."

    Und die waren zahlreich - nach Meinung der Opposition. Die wirft ihm vor allem beim Krisenmanagement der HSH Nordbank totales Versagen vor und, dass er nicht die Wahrheit gesagt habe - Dora Heyenn, Fraktionsvorsitzende der Linken in der Hamburger Bürgerschaft:

    "Er hat kurz vor der Bürgerschaftswahl und kurz nach der Bürgerschaftswahl, obwohl offenkundig andere Daten vorlagen, immer wieder gesagt: Die Bank ist im Kern gesund. Die hat ein prima Geschäftsmodell. Die ist erfolgreich. Und genau das Gegenteil hat sich kurze Zeit später rausgestellt."

    Freytags Rücktritt am Montagabend kam für viele Parteimitglieder überraschend, nicht jedoch für die Parteispitze. Sie wussten, dass Freytag dem Druck nicht länger standhalten will.

    "Es musste unter größtem Druck das richtige Krisenmanagement bewältigt werden, mit hochkomplexen Rettungspaketen, während ich zugleich mit zum Teil brutaler Kritik an den Pranger genagelt wurde."

    Das richtige Krisenmanagement muss nun auch die CDU-Führung leisten: Die Partei steckt in einer schwierigen Situation, und Freytags Rücktritt ist dabei nur eine logische Konsequenz.

    Neben der HSH Nordbank kommen weitere brisante Themen hinzu: die Kosten bei der Elbphilharmonie steigen ins Unermessliche, das immense Haushaltsdefizit und nicht zuletzt die Auseinandersetzung um die Schulreform. Die Christdemokraten stürzen in den Umfragen auf 31 Prozent und liegen jetzt gleichauf mit dem sozialdemokratischen Rivalen:

    "Ich glaube, nur eins ist wichtig: Wir können verschiedene Überzeugungen haben, und Sie stehen für Ihre Überzeugung, und ich stehe für meine Überzeugung. Nur eins nehmen Sie mir ab: Ich werde mich in meiner Überzeugung von Meinungsumfragen nicht leiten lassen. Ich mache Politik aus Überzeugung, und nicht aus Umfragen, was ich Ihnen genauso zubillige."

    Der erste Bürgermeister der Hansestadt, Ole von Beust, wirkt angespannt und doch energisch. Zwar würde er gerne, kann aber nicht, die Einbußen von zehn Prozent gegenüber dem Bürgerschaftswahlergebnis ignorieren, denn sie zeigen sehr deutlich, wohin der Trend geht: nach unten. Das macht die Partei nervös.

    Frank Schira ist der Mann, von dem viel abhängt. Als Fraktionsvorsitzender und jetzt neuer Parteivorsitzender in Personalunion wird er die politische Sanierung stemmen müssen. Die CDU bekommt Probleme mit ihrer Identität: Sie ist traditionell konservativ, auf der anderen Seite experimentierfreudig. Was die Koalition mit den Grünen durchaus gezeigt hat. Das große Projekt der Schulreform stellt sie nun vor eine Zerreißprobe. Frank Schira will sich bemühen:

    "Mit denen, die kritisch der Schulreform gegenüberstehen, immer wieder zu sprechen und den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen."

    Doch wird das alleine helfen, das Miteinandersprechen? Ingeborg Knipper ist seit Jahren CDU-Mitglied, war lange Jahre Leiterin des Amtes für Bildung in der Schulbehörde. Sie ist eine vehemente Gegnerin der sechsjährigen Primarschule und meint, die Schulreform.

    "... war und ist der schulpolitische GAU. Und das kann der politische GAU für die CDU werden. Die CDU braucht SPD und Linke, um ihre Schulreform zu retten. Das ist einfach nur peinlich."

    "Das würde ich nicht erkennen. Denn im Parlament, Frau Knipper war ja auch lange Jahre Bürgerschaftsabgeordnete, ringt man um einen Weg. Und wenn die Sozialdemokraten sich jetzt zum Beispiel entschlossen haben beizutreten, und natürlich auch Dinge mit durchgesetzt haben, finde ich das nicht peinlich, sondern finde ich, ist das parlamentarisches Wesen. Und das ist dann auch in Ordnung."

    Erwidert Parteichef Frank Schira. Doch ihm ist klar: Die Lage der Hamburger Christdemokraten ist äußerst paradox, wie auch der Hamburger Politikwissenschaftler Michael Greven analysiert:

    "Ich glaube, das Grundproblem liegt darin, dass sie einerseits versucht, in der Koalition mit den Grünen eine moderne Großstadtpartei zu sein, und auf der anderen Seite einen nicht unbeträchtlicher Teil ihrer Wählerschaft doch recht konservativ ist."

    Soll heißen: Auf der einen Seite muss sie gemäß der Koalitionsvereinbarung auf die Einführung der Primarschule hinwirken - und auf der anderen Seite damit eine Politik vertreten, die ein Teil ihrer Klientel ablehnt.

    In einer solch vertrackten Situation hoffen so manche Christdemokraten, dass ihnen das Entscheiden abgenommen wird. In Hamburg soll es einen Volksentscheid zum Thema Schule geben. Hat dieser Volksentscheid, der die Einführung der Primarschule verhindern will, Erfolg, dann wäre die Union das oberste Streitthema los, ohne die Koalition aufkündigen zu müssen. Geht der Volksentscheid anders aus, gewinnt die Koalition also in dieser Auseinandersetzung, so werden die unterlegenen Gegner des Projekts möglicherweise ihrem Zorn bei der Bürgerschaftswahl 2012 Luft machen und nicht mehr CDU wählen. Was kann der Partei da helfen? Politikwissenschaftler Michael Greven meint, es könnte die Beliebtheit sein, die der Bürgermeister genießt.

    "Entweder sagt von Beust klar, er wird noch mal antreten. Dann ist das für die CDU sicherlich ein wichtiger Erfolgsfaktor. Oder aber die CDU muss in kurzer Frist eine Nachfolge aufbauen, doch das hat sie bisher sträflich versäumt."

    Wie es für die CDU weitergeht, hängt also maßgeblich vom Ergebnis des Volksentscheids im Sommer ab. Erst dann wird es eine Antwort auf die Frage geben: Quo vadis, CDU?