Schon die Familienverhältnisse Brentanos könnten einer Erzählung Thomas Manns entstammen. Der Vater, italienischer Abstammung, hatte ein mächtiges Handelshaus aufgebaut, die Mutter (übrigens die zweite von insgesamt drei Ehefrauen) war die Tochter der Dichterin Sophie von La Roche, eine zarte zierliche Person, um die einst auch Goethe geworben hatte und die schon mit siebenunddreißig Jahren stirbt. Clemens ist zu diesem Zeitpunkt erst fünfzehn Jahre alt und wird den frühen Verlust der Mutter nie überwinden. Zusammen mit der sieben Jahre jüngeren Schwester Bettine spielt er überhaupt unter den Geschwistern der vielköpfigen Familie den Außenseiter, fällt früh durch Skandale auf und verweigert sich dem vorgesehenen Berufsweg im väterlichen Kontor.
Hartwig Schultz erinnert daran, dass das idyllische Bild des Romantikers, der mit Achim von Arnim einen enthusiastischen Freundschaftskult zelebriert und die rührigen Volkslieder Des Knaben Wunderhorn sammelt, ein trügerisches ist. So wie der Tonfall der Freundschaftsbriefe oft abrupt von süß-romantischen Passagen in einen ruppig-zotigen Studentenjargon umschlägt, ist es überhaupt die seelische Zerissenheit, die Brentano zum Ahnen der Moderne werden lässt. Durch sein väterliches Erbe finanziell unabhängig, treibt es ihn rastlos umher, immer auf Reisen findet er nirgends eine Heimat:
"Die heutige ungangssprachliche Verwendung der Bezeichnung "romantisch" verstellt uns den Weg zum Verständnis des damals in Jena aufbrechenden Lebensgefühls, weil sie suggeriert, dass die "romantischen" Autoren einen Zustand von Harmonie und Glück erreichen, dass es ihnen gelingt, aus der Realität in eine Traumparadies zu fliehen. Brentanos Wendung zum Dichten, zur Gestaltung seines Lebens als Kunstwerk, ist jedoch eher eine Art verzweifelter Flucht vor sich selbst und vor der bürgerlichen Welt und ihren Scheinlösungen. Er fühlt sich "zertrümmert", durch seine Erziehung in "unmütterlicher Zucht" geschädigt, und glaubt nun unter dem Einfluss der frühromantischen Denker seine innere Unruhe und seine seelischen Schäden als Zeichen der Zeit deuten und schließlich durch Dichten heilen zu können."
Brentano verkörpert schon treffend das Dichter-Bohémien-Ideal, das als Gegenmodell zum Philister gedacht ist und gerade im Deutschland des frühen 19. Jahrhunderts, das heißt der preußischen Freiheitskriege gegen Napoleon, der Reaktion und des Nationalismus sowie der konservativen Religiösität kaum Anklang findet. Brentano ist kein politischer Kämpfer, nur auf dem Flügelross des Poeten weiß er - wie in der mit Görres verfassten Satire über den wundersamen Uhrmacher BOGS - gegen die Philister und für die Künstler zu Felde zu ziehen.
Trotz der inneren Zerrissenheit und psychischen Labilität hat Brentano ein Werk von erstaunlicher Fülle und Breite geschaffen, das nachgerade exemplarisch für romantische Dichtung ist. Die Kunst der Verschmelzung optischer und akustischer Eindrücke zu synästhetischen Bildern blüht in seiner Lyrik, darunter das berühmte Loreley-Gedicht mit seinen dunklen mystischen Tönen. Auch in der Theatersatire voller Situationskomik und burlesker Rollenvertauschung erweist er sich als Meister, und bei der gemeinsam mit Arnim veranstalteten Sammlung des Volksliedgutes in Des Knaben Wunderhorn stellt er einen kongenialen Umgang mit den Quellen unter Beweis, der den Herausgebern sogar die Anerkennung des Meisters aus Weimar, nämlich Goethes selbst einbringt. Das Textmaterial wird zugleich restauriert und romantisiert, um so das Überlieferte einer "sentimentalischen Modernisierung" zu unterziehen und zu populärem Lesestoff werden zu lassen: "Kunstvolkslieder" sollen sie werden, ähnlich wie die Märchen, denen Brentanos - anders als die Brüder Grimm - nicht eine Naivität wiedererstatten, sondern behutsam eine künstliche Patina aufzulegen will.
Eines der spannendsten Kapitel im Leben des exzentrischen Romantikers ist aber sicherlich seine Liebesvita, der Schauplatz zugleich, auf dem er seine Ambivalenzen voll auslebte. Legendär ist die beinahe inzestuöse Intimität mit der Lieblingsschwester Bettine, die für ihn Mignon verkörpert, die von allen Romantikern vergötterte Kindsbraut der Goethezeit. Sophie von Mereau dagegen, die reife Intellektuelle, die unter den jungen Romantikern Jenas ihre Liebhaber zu rekrutieren wusste, stellt den Gegenpol dar. Brentano sucht in der um sieben Jahre Älteren letztlich die mütterliche Frau, die Erfüllung seines Marienkults, dem er auch im ersten Roman Godwi oder Das steinerne Bild der Mutter schon in der Autor-Identifikation mit dem Namen der Mutter Gottes ein Denkmal setzt.
Brentanos Liebesempfinden ist aber nicht nur von literatur- und kulturgeschichtlichen Klischees beherrscht, sondern ist auch von einer narzistischen Unreife. Schultz zeigt gerade am Beispiel des mit Sophie Mereau getriebenen Doppelspiels von Anziehung und Abstoßung, von leidenschaftlicher Werbung und Frauenverachtung, wie sich im individuellen Konflikt zugleich das generelle Dilemma der neu erfundenen "romantischen Liebe" abzeichnet:
"Brentanos Problem ist es, dass er diese absolute "romantische" Liebe, von der beide zunächst restlos erfüllt sind, nicht in eine moderate Form liebevollen Zusammenlebens überführen kann, dass er die extremen Gefühlsschwankungen, die ihn zu maßlosen Forderungen und Beschuldigungen verleiten, die teils bürgerlich, teils romantisch-illusionär klingen, nicht kontrollieren kann."
Es geht dieser Epoche überhaupt um eine Neudefinition des Geschlechterverhältnisses, dessen erotische Komponente sich allein in einer durch Liebe codierten Zweierbeziehung erfüllen soll. Die damit bewirkte Überforderung erreicht das Gegenteil, nämlich die Unmöglichkeit der Erfüllung einer solchen Absolutheit der Gefühle. Brentano hat als Meister der Ambivalenzen aus dieser Unmöglichkeit gerade die Kraft seiner Leidenschaft gezogen. Auch die Beziehung zu Sophie Mereau, die seinem Werben schließlich nachgibt, schlägt sogleich ins Gegenteil, ja in Grausamkeiten um. Die in Heidelberg geführte Ehe ist so kurz wie unglücklich: Von drei Kindern wird keins älter als ein paar Wochen, bei der dritten Geburt stirbt die Mutter gar selbst und für Brentano bricht trotz aller Gefühlsschwankungen eine Welt zusammen, wiederholt sich doch der traumatisch frühe Verlust der Mutter.
Andererseits wäre neben dem "genie enfant" der Romantik kein Platz für andere Kinder gewesen. Seine erotischen Intentionen sind, wie Schultz konstatiert, nichts anderes als Projektion:
"Die Ehe hat ihn im Grunde nicht verändert, er ist das ewige "unmündige Kind" geblieben und steigert sich nun wieder in die Fantasien jener euphorischen Liebe hinein, die ihm in der Realität des Zusammenlebens verstellt war. [...] Brentano war nie bereit und kaum dazu fähig, die Individualität seiner Geliebten wahrzunehmen und zu akzeptieren, er projiziert nach wie vor seine Traumbilder auf sein Gegenüber. Nie sollte er in seinem Leben über diese Form egoistisch-narzißtischer Liebe hinauskommen ..."
Dies zeigt sich nirgends deutlicher als in der Beziehung zu Auguste Bußmann, einer veritablen amour fou, in die sich Brentano nur knapp neun Monate nach dem Tod Sophies stürzt. Wie in einem allerdings schlechten Roman entführt Brentano das erst kurz zuvor kennen gelernte 16-jährige Mädchen bei Nacht und Nebel und schließt überstürzt mit ihr die Ehe. Skandalös ist dabei nicht nur, dass es sich bei Auguste um ein Mitglied der Familie Bethmann, also einer der reichsten Bankiers Frankfurts, handelt, sondern die Tatsache, dass sich das Zusammenleben der Jungvermählten schon bald in ein Schlachtfeld von Liebe und Hass wandelt:
"Heutige Psychologen wissen um die Gefahren derart "romantischer" Liebesbeziehungen. Sie glauben, dass Faszination und Liebesrausch den Blick auf die Eigenarten des Partners verstellen können und die hohen Erwartungen an diese "totale" Liebe fast zwangsläufig zu Überforderungen und schmerzhaften Enttäuschungen führen. Bei Clemens und Auguste kommt es bereits in Kassel, keine vier Wochen nach dem Kennenlernen in Frankfurt, zu einem emotionalen Absturz."
In der romantischen Liebe ist immer einer zuviel, nämlich der andere. Für Brentano ist diese Einsicht klar, es geht nur noch darum, sich des unliebsamen Frauenzimmers zu entledigen. Er scheut auch vor Prügel nicht zurück, um das "hysterische Weib" wieder zur Räson zu bringen: Denn die arme Figur des jungen Mädchens verkörpert für ihn nachgerade den ganzen Ambivalenzkonflikt zwischen Mann und Weib seit dem Sündenfall von Adam und Eva. Brentano sieht in ihr einmal den Engel aller Hoffnungen und dann wieder den leibhaftigen Teufel, wobei beide Seiten: die Heilige und die Hure oder Hexe, sich nicht voneinander trennen lassen.
Die unglückliche, 1812 endlich geschiedene Ehe wird aber vielfach im Werk verarbeitet, sei es in Schmähgedichten auf die "liederlichen Weiber" oder in Gestalt des leichten Mädchens Perdita aus dem Romanfragment Der Schiffbrüchige Galeerensklave vom todten Meer. Daneben widmet sich Brentano wieder verstärkt den düster-schwülen Liebesgeschichten seiner Romanzen von Rosenkranz und bezieht mit seiner Beschwörung der Nachseiten des Daseins auch in der zwischen den Romantik und der Klassik Goethes aufgebrochenen Kluft Position:
"Die Erschließung eines Bereichs von Traum und Rausch, von unbekannten unbewussten, fantastischen Bereichen der menschlichen Seele gehört von Anfang an zum Programm der Romantiker. [...] Goethe sieht die Gefahr, dass die Kunst Form und Konzentration verliert, wenn sie sich diesem Bereich des Chaos, der unbändigen Fantasien widmet, ohne diese Phänomene klar und deutlich einzuordnen in eine von Sinn und Vernunft geprägte Welt."
Brentano verweigert sich allen Normierungen und radikalisiert das romantische Streben nach dem ästhetischen Ideal der Arabeske, das heißt der Aufhebung der Differenz zwischen Buchstabe und Bild zum hieroglyphischen, vielfach verschlungenen Formprinzip einer organisch-wuchernden Wortkunst. Er begriff sich generell als Sprachkünstler und als bildender Künstler und suchte in diesem Sinne immer wieder den Kontakt zu den romantischen Malern seiner Zeit. Mit Philipp Otto Runge begann er einen intensiven Briefwechsel, Caspar David Friedrich war für ihn der Maler der romantischen Sehnsucht. Berühmt sind die Betrachtungen zu Friedrichs Bild Mönch am Meer, die Kleist 1810 in seinen "Berliner Abendblättern" publizierte. Vor allem aber mit Karl Friedrich Schinkel verband ihn eine tiefe Freundschaft, die sich in der gelungenen Zusammenarbeit zwischen dem Dichter und dem Maler als Illustrator der Märchen ausdrückte:
"Schinkel bildete ab, was Brentano schilderte: "In der Mitte saß die böse Mohrin Rußika; auf dem Schoß hatte sie das mit roten Windeln zugedeckte Prinzche, auf dem Arm die goldspinnende Puppe, zur Linken saß der schöne Papagei auf einer Stange, zu ihren Füßen in einem silbernen Hühnerkorb aber die Goldglucke mit den zwölf Küchlein ... und damit die Gesellschaft recht vollkommen sei, hatte sich ein Klapperstorch, ein Gockelhahn und ein Pfau oben auf den Baldachin gesetzt; auch viele Vögel, Katzen, Kaninchen und Hündchen fanden sich ein." Kaum zu glauben, dass sich alle diese Details auf einem Bild im Format einer Postkarte versammeln lassen. Schinkel versteht sein Handwerk; das Aquarell gibt die phantastische Märchenszene Brentanos im Einzelnen sehr genau wieder."
In Berlin schließt sich Brentano auch der "Christlich-deutschen Tischgesellschaft" an, die Arnim 1811 ins Leben gerufen hatte und der namhafte Künstler, Gelehrte und Politiker angehörte. Schultz widmet der Geschichte der nationalen Strömungen in der preußischen Hauptstadt ein ganzes Kapitel, in dem er vor allem den antijüdischen und frauenfeindlichen Tendenzen nachspürt. Auch Brentano sind solche Denkfiguren nicht fremd, er hält sich jedoch von allem politischen Engagement fern. Dies verhindert schon seine "schwarze Phantasie", die Schultz als durchgängiges Motiv von Leben und Werk Brentanos betont. Die traurig-düsteren Bilder beherrschen sowohl die Märchenwelt als auch die Alltagswelt des Dichters, was immer wieder Anlass bietet, an die treffende Charakterisierung Eichendorffs zu erinnern:
"Der Grundton war eigentlich eine tiefe, fast weiche Sentimentalität, die er aber gründlich verachtete, eine eingeborene Genialität, die er selbst keineswegs respektierte und auch von andern nicht respektiert wissen wollte. Und dieser unversöhnliche Kampf mit dem eigenen Dämon war die eigentliche Geschichte seines Lebens und Dichtens, und erzeugte in ihm jenen unbändigen Witz, der jede verborgene Narrheit der Welt instinktartig aufspürte und niemals unterlassen konnte, jedem Toren, der sich weise dünkte, die ihm gebührende Schellenkappe aufzustülpen, und sich somit überall ingrimmige Feinde zu erwecken."
Feinde schafft sich Brentano auch auf Seiten der Nicht-Philister wie Heinrich Heine durch seine letzte Lebenswendung, die ihn nach tiefem Zweifel an seiner Existenz als Dichter gleichsam in den Abgrund der göttlichen Barmherzigkeit von katholischen Gnaden taumeln ließen. Die Arbeits- und Wohn-Gemeinschaft mit Arnim hat schon durch dessen überraschende und heimlich angebahnte Eheschließung mit Bettine ein Ende gefunden. Brentano verlässt Berlin bald darauf und kehrt, nach Zwischenstationen in Böhmen, in Prag und Wien, nur zurück, um sich den neupietistischen Tendenzen emphatisch anzuschließen. Eine neu erwachende Liebe zu der 18jährigen Luise Hensel steht allen subtilen erotischen Untertönen zum Trotz ganz im Zeichen dieser religiösen Erweckung: der alternde Dichter versucht die junge, jedoch gerade wegen ihrer altjüngferlichen Prüderie als anziehend empfundene Protestantin zur Konversion zu überreden.
Das poetische Werben um die doppeldeutig als "neue Braut" bezeichnete Geliebte ist so von vornherein zum Scheitern verurteilt, Brentano gewinnt aber in ihr als "Braut Christi" eine Bundesgenossin auf seinen neuen Wallfahrten zur Offenbarung einer höheren heilsgeschichtlichen Wahrheit. Diese findet ihre Erfüllung in der Begegnung mit der stigmatisierten Nonne Anna Katharina Emmerick in Dülmen, die zu einer radikalen Wende im Leben des hybriden Poeten führt: 1819 lässt er seine Bibliothek versteigern, um fortan sein Dasein als "Schreiber" am Bett der in Trance und Exstase von den Heiligengeschichten im Leben Marias und Jesu Halluzinierenden zu fristen:
"Mit größtem Ernst und rigoroser Konsequenz widmet er sich seiner neuen, selbstdefinierten Aufgabe als "Schreiber". Als Protokollant des Wunderbaren darf der Dichter nach seiner Auffassung wirken, denn auf diese Weise kann er helfen, die Kunde von den Zeichen Gottes zu verbreiten. [...] Dabei stammen die Schilderungen nachweislich von einem "Schreiber", der insgeheim Dichter bleibt. Folgt man den Formulierungen des Titels - Nach den Betrachtungen der gottseligen Anna Katharina Emmerich -, so wird der Anspruch, dass die visionären Bilder präzise - nach Art eines eines Protokolls - wiedergegebenen werden, auch gar nicht erhoben." (387/396) Hartwig Schultz legt bei seiner Rekonstruktion dieser sicherlich prekärsten Lebensphase seinen Akzent auf die Demaskierung der Instrumentalisierungen, die Brentano den Mitteilungen der einfachen, Münsterländer Platt sprechenden Frau angedeihen lässt. Anhand von Karten und Quellentexten montiert er das Gehörte zu authentischen Heiligengeschichten, um mit dieser Transskriptionsarbeit seine Sinnkrise als vagabundierender Schriftsteller zu überwinden. Der Tod des Offenbarungsmediums stürzt ihn allerdings in eine neue Krise, aus der ihn nur, mit Heine gesprochen, die fortgesetzte "Rolle als Autor der katholischen Propaganda" rettet. Schultz glaubt aber selbst an diese Selbstfindung nicht recht und optiert eher für die alte Spielernatur:
"Jedenfalls bleibt er Künstler, der sich vorübergehend mit solcher Intensität in eine Rolle versetzen kann, dass er selbst darin völlig aufgeht und bei den Lesern oder Zuhörern eine enorme Wirkung auslöst, dann aber doch - wie ein Schauspieler - von der Wirkung seines Auftritts selbst überrascht werden und auch in wenigen Augenblicken wieder aus der Rolle heraustreten kann."
Spätere Zeugnisse einer konservativen Kulturkritik - zum Beispiel am frühkapitalistischen Paris - werden daher eher als kokette Anleihen beim barocken Vanitas-Jargon beschrieben. Auch Brentanos Annäherungen an die Künstlergeneration der Nazarener ist nur oberflächlich von konservativen Kategorien bestimmt; am konfessionellen Kulturkampf der Bohème Münchens, wohin Brentano sich am Lebensabend geflüchtet hat, nimmt er nicht mehr teil. Allenfalls gibt es da noch von der letzten Liebe zur Schweizer Malerin Emilie Linder zu berichten, die aber wieder vergeblich ist und nur Anlaß bietet für eine dennoch erstaunlich vitale Altersliebeslyrik. Am Ende steht der Herztod aus lauter "Angst vor dem eigenen Dämon", wie Schultz abschließend noch einmal mit Eichendorff formuliert. Es sind die Spannungen und Krisen der Modernität, an denen Brentano zugrundegeht, die er allerdings auch kraft seiner Künstler-Außenseiterrolle durchleben und darstellen kann:
"Die in der Studentenzeit unter dem Eindruck der ersten großen Krise gefällte Entscheidung, sich den Gesetzen der kommerziellen Frankfurter Bürgerwelt zu entziehen und eine Erfüllung in der Kunst zu suchen, führt dazu, dass sein Werk zum Spiegel dieser neuen Zeit wird, die im 19. Jahrhundert beginnt und bis heute das Denken und Fühlen der Menschen bestimmt. Brentano ist der Künstler, der die Krisen der Moderne in seinem Leben durchleidet und in seinem Werk exemplarisch darstellt."
Hartwig Schultz geht dennoch moderat mit all den spektakulären Ereignisse im Leben des Clemens Brentano um. Das Exzentrische und selbst Pathologische der Dichterpsyche wird immer wieder tiefenhermeneutisch ins Menschliche, Allzumenschliche übersetzt. Schultz begründet zugleich die Fülle der Zitate aus Briefen von und an Brentano nicht nur durch seine privilegierte Stellung als Herausgeber der krischen Gesamtausgabe, also sozusagen an der Quelle der Quelle, sondern durch sein Interesse, die Stimmen der Zeit selbst sprechen zu lassen. Herausgekommen ist dabei ein Buch, das sicherlich nicht mit dem Ehrgeiz der Entdeckung neuer literaturgeschichtlicher Einsichten geschrieben worden ist, das aber auf beste unterhaltsame Art ein lebendiges Porträt dieses so zerrissenen Dichters der deutschen Hochromantik zeichnet.