René Magritte ist im heutigen Kunstbetrieb nur als eine Art Hintergrundfigur präsent: Man kennt seine Arbeiten, ohne sich genauer mit ihnen zu beschäftigen. Das liegt daran, dass seine surrealen Bildfindungen sich scheinbar leicht erschließen. Jeder von uns hat als Gymnasiast seine ins Wanken geratene Welt bei Magritte wiedergefunden, zum Beispiel in diesen nur scheinbar idyllischen Sommerhimmeln über nachtdunklen Straßen mit spiegelnden Pfützen, dem "Reich der Lichter". Dieses Lebensgefühl fand man dann ebenso bei den geschmolzenen Uhren und Stelzentieren des Salvador Dalí oder in den molekülhaften Wesen des Yves Tanguy. Der Surrealismus ist eine Art Einstiegsdroge in die Kunstgeschichte, und wenn man sich darin etwas weiter fortbewegt hat, kommen einem die genannten Autoren dann etwas einfach vor.
Das ist natürlich ungerecht. Denn Magritte hat fast allen nachfolgenden Künstlergenerationen, wenn sie nicht gerade (manchmal unter Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz) auf dem Weg der Bewusstseinserweiterung waren, ziemlich Wichtiges mit auf den Weg gegeben: "Ceci n’est pas une pipe" heißt ja nicht nur, dass diese Pfeife vielleicht etwas ganz anderes sein könnte, sondern vor allem, dass dies das BILD einer Pfeife ist – und in dieser Abbildfunktion vom Gegenstand selbst zu unterscheiden sei. Und während man den Unterschied von Signifiant und Signifié bei Saussure noch mal nachlesen konnte, war René Magritte schon wieder tief abgetaucht in den Traum und das Unbewusste (obwohl er jede Beeinflussung durch die Psychoanalyse stets bestritten hat), und man konnte in seinen eigenen Angstträumen oft Bilder finden, die der Welt des René Magritte sehr ähnlich waren. Kein Wunder, seine produktivste Phase fällt zusammen mit der Entstehung von Kafkas Romanen.
In Basel, in der Fondation Beyeler, kann man nun noch einmal ausgiebig hineinschauen in diesen Kosmos der abbröckelnden Puppenkörper, der Pferdegesichter mit Frauenfrisuren, der Vermenschlichung von Schach- oder Spielfiguren, der Leichenzüge aus Schattenrissen. Und man ist überrascht und getroffen von der Tatsache, dass es nur wenig Entwicklungen gibt in diesem Werk. Formal - ja, aber nicht im Sinne des völligen Umsturzes wie bei Picasso. Nein, Magritte malte immer altmeisterlich, altjüngferlich, möchte man fast sagen. Und das ist auch nötig - denn der Ausgangspunkt dieses Werkes ist der Schrecken. 1912, als Magritte 14 Jahre alt war, beging seine Mutter Selbstmord: sie stürzte sich im Nachthemd in einen Fluss und wurde erst Wochen später gefunden. Das Erlebnis schimmert in vielen Bildern Magrittes durch, im Irrgarten seiner Gefühle. Noch im Spätwerk, als manchmal Anflüge von Humor aufkommen und der Maler uns klarmacht, dass man Frauen wie erotische Gebrauchsgegenstände im Kleiderschrank aufhängen kann, ist es ein Totenhemd, das die Stelle der Geliebten einnimmt.
Aus diesem Albtraum hat René Magritte sich in eine belgische Kleinbürger-Existenz hineingeflüchtet, unauffällig, bieder, stets korrekt gekleidet, mit Ehefrau und Staffelei im Wohnzimmer. Es liegt nahe, dieses zwanghafte Bemühen um Normalität nur für ein Korsett zu halten, für Camouflage, und zu glauben, dass darunter dunkle Begierden schlummern - mindestens wie in einem Chabrol-Film. Allein, wir wissen wenig darüber, wir haben nur die Bilder, die angeblich der "Schlüssel der Träume" sind.
Die von dem dänischen Kurator Steingrimm Laursen gestaltete und für Basel nochmals veränderte Ausstellung führt uns nah heran an Herzkranzgefäße und aufgeknöpfte Füße, an die grauen Herren mit Melone, schwebende Steine und andere Flugobjekte und vor allem an das Gedächtnis, das eine Frau ist, "La Mémoire", mit diesem Blutfleck im Augenwinkel. Erstaunt stellen wir fest, wie etabliert diese Magrittschen Bildwelten in unserem eigenen Kopf sind, aber auch in Comics und Filmen, als Bild im Bild. Versteinerungen und biomorphe Neuschöpfungen, Science-Fiction-artig aufgeklappte Bäume, den Raum sprengende Gegenstände.
Leider macht die in der Sammlung Beyeler gleich nebenan zu besichtigende Ausstellung über Picassos surreale Phase klar, dass dessen anarchische Experimentierwut sich zu Magrittes klinisch sauberen Angstträumen verhält wie der Berserker zum Bürovorsteher. Aber wir wollen nicht ungerecht sein: auch Magritte ist ein Klassiker, wenn auch nur ein kleinerer.
Das ist natürlich ungerecht. Denn Magritte hat fast allen nachfolgenden Künstlergenerationen, wenn sie nicht gerade (manchmal unter Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz) auf dem Weg der Bewusstseinserweiterung waren, ziemlich Wichtiges mit auf den Weg gegeben: "Ceci n’est pas une pipe" heißt ja nicht nur, dass diese Pfeife vielleicht etwas ganz anderes sein könnte, sondern vor allem, dass dies das BILD einer Pfeife ist – und in dieser Abbildfunktion vom Gegenstand selbst zu unterscheiden sei. Und während man den Unterschied von Signifiant und Signifié bei Saussure noch mal nachlesen konnte, war René Magritte schon wieder tief abgetaucht in den Traum und das Unbewusste (obwohl er jede Beeinflussung durch die Psychoanalyse stets bestritten hat), und man konnte in seinen eigenen Angstträumen oft Bilder finden, die der Welt des René Magritte sehr ähnlich waren. Kein Wunder, seine produktivste Phase fällt zusammen mit der Entstehung von Kafkas Romanen.
In Basel, in der Fondation Beyeler, kann man nun noch einmal ausgiebig hineinschauen in diesen Kosmos der abbröckelnden Puppenkörper, der Pferdegesichter mit Frauenfrisuren, der Vermenschlichung von Schach- oder Spielfiguren, der Leichenzüge aus Schattenrissen. Und man ist überrascht und getroffen von der Tatsache, dass es nur wenig Entwicklungen gibt in diesem Werk. Formal - ja, aber nicht im Sinne des völligen Umsturzes wie bei Picasso. Nein, Magritte malte immer altmeisterlich, altjüngferlich, möchte man fast sagen. Und das ist auch nötig - denn der Ausgangspunkt dieses Werkes ist der Schrecken. 1912, als Magritte 14 Jahre alt war, beging seine Mutter Selbstmord: sie stürzte sich im Nachthemd in einen Fluss und wurde erst Wochen später gefunden. Das Erlebnis schimmert in vielen Bildern Magrittes durch, im Irrgarten seiner Gefühle. Noch im Spätwerk, als manchmal Anflüge von Humor aufkommen und der Maler uns klarmacht, dass man Frauen wie erotische Gebrauchsgegenstände im Kleiderschrank aufhängen kann, ist es ein Totenhemd, das die Stelle der Geliebten einnimmt.
Aus diesem Albtraum hat René Magritte sich in eine belgische Kleinbürger-Existenz hineingeflüchtet, unauffällig, bieder, stets korrekt gekleidet, mit Ehefrau und Staffelei im Wohnzimmer. Es liegt nahe, dieses zwanghafte Bemühen um Normalität nur für ein Korsett zu halten, für Camouflage, und zu glauben, dass darunter dunkle Begierden schlummern - mindestens wie in einem Chabrol-Film. Allein, wir wissen wenig darüber, wir haben nur die Bilder, die angeblich der "Schlüssel der Träume" sind.
Die von dem dänischen Kurator Steingrimm Laursen gestaltete und für Basel nochmals veränderte Ausstellung führt uns nah heran an Herzkranzgefäße und aufgeknöpfte Füße, an die grauen Herren mit Melone, schwebende Steine und andere Flugobjekte und vor allem an das Gedächtnis, das eine Frau ist, "La Mémoire", mit diesem Blutfleck im Augenwinkel. Erstaunt stellen wir fest, wie etabliert diese Magrittschen Bildwelten in unserem eigenen Kopf sind, aber auch in Comics und Filmen, als Bild im Bild. Versteinerungen und biomorphe Neuschöpfungen, Science-Fiction-artig aufgeklappte Bäume, den Raum sprengende Gegenstände.
Leider macht die in der Sammlung Beyeler gleich nebenan zu besichtigende Ausstellung über Picassos surreale Phase klar, dass dessen anarchische Experimentierwut sich zu Magrittes klinisch sauberen Angstträumen verhält wie der Berserker zum Bürovorsteher. Aber wir wollen nicht ungerecht sein: auch Magritte ist ein Klassiker, wenn auch nur ein kleinerer.