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Schweden
Per Postboot zu den Inseln von Östergötland

Auf einigen Inseln der schwedischen Schärenwelt verzehnfacht sich die Zahl der Inselbewohner in der Sommerzeit. Viele verbindet einzig das Postboot mit der Außenwelt, das drei Mal wöchentlich vorbeikommt. Eine Rundreise zu den Inseln.

Von Anna Marie Goretzki | 02.08.2015
    Ein Motorboot durchfährt bei aufkommendem Nebel die Schäreninseln vor der schwedischen Ostküste.
    Ein Motorboot durchfährt bei aufkommendem Nebel die Schäreninseln vor der schwedischen Ostküste. (picture alliance / dpa / Maximilian Schönherr)
    Wenn er kommt, dann von dort, meint die Verkäuferin im kleinen Hafenladen von Fyrudden und weist dabei unbestimmt auf die Schäreninseln weit draußen. Fyrudden ist ein kleiner Hafenort im schwedischen Östergötland. Der, auf den vier Touristen und ein gelbes Postauto auf dem Kai warten, ist Tommy Ljung, der Postbote. Er bringt mit seinem Postboot den Bewohnern der Schäreninseln drei Mal wöchentlich Briefe, Pakete und Verpflegung.
    Wenig später fliegt ein graues Boot heran, das am Kai geschickt direkt vor dem Postauto anlegt. Tommy wirft die Kabinentür auf, begrüßt seinen Kollegen zu Lande.
    Die beiden Männer laden fünf Kisten bis an den Rand gefüllt mit Briefen und Prospekten an Bord, diverse Pakete, darunter ein besonders großes mit Absender aus Chemnitz. Für die Post geht es nun auf dem Wasserweg weiter.
    "Ich mache diesen Job nun seit 50 Jahren. Der damalige Postbote wurde krank. Er hat mir vier Mal gezeigt, wie es geht. Und dann war er plötzlich so krank und ich musste einspringen. Er kam leider nie mehr zurück und seitdem bin ich der Postbote."
    Tommy Ljung, graue dichte Haare, kariertes Hemd, Jeans, dazu schmale elegante Lederschuhe, lebt selbst mit seiner Familie ganzjährig auf einer der Inseln, die zu seiner Route gehören. Die fünfjährige Enkeltochter hat den Fahrersitz eingenommen, sie begleitet ihren Opa heute auf dem ersten Abschnitt.
    Tommy Ljung steht also vor dem GPS-Plotter, der ihm die eigene Position anzeigt und die der anderen Schiffe im Umkreis. Das graue Stahlboot biegt in die kleine Bucht der Insel Kättilö ab, ein Steg erscheint, fünf Briefkästen daran. Hinter einem Hügel lassen sich die rot-weißen Giebel der dazu gehörigen Häuschen erahnen. Enkelin und Großvater verteilen die erste Post für heute:
    "Hier, und diese beiden. Einen Brief tust du dort hinein. Nein, nicht hier! Dort! Oh, jetzt hast du alles in einen Kasten getan. Das war nicht so gut. Das kommt hier hinein und das dort in den nächsten Kasten."
    Tommy schiebt das Gas rein. Und schon geht es zur nächsten Insel. Am Bootssteg von Harstena warten nicht nur leere Briefkästen, sondern auch Margareta Ruth und Ingvar Kalberg, bereit ihre Insel zu zeigen. Jetzt im Sommer leben rund 150 Menschen auf Harstena, im Winter sind es nur elf. Das sind die, erzählen Margareta und Ingvar auf dem Weg ins Dorf, die so wie sie hier ihre Wurzeln haben. Ein schmaler Schotterpfad führt gesäumt von Birken und Büschen über einen Hügel, rote und gelbe Häuschen erscheinen:
    "Die Häuser sind hier um die offene Wiese auf kleinen Felsen gebaut worden, um das wenige Gras zu schützen, das es hier auf der Insel gibt. Uns Kindern war es nicht erlaubt, das Gras zu betreten. Nein, das war streng verboten. Um es zu schützen. Die Kühe brauchten es im Winter."
    Die beiden haben einiges an Archivarbeit geleistet, um die Geschichte ihres Eilands, die bis in das Jahr 1543 zurückreicht, zu bewahren. Ein kleines Museum erinnert an die Seehundjagd, von der die Bewohner der Insel bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts hauptsächlich lebten:
    "Mein Vater schrieb in sein Tagebuch, dass sie 1939 sehr viele Seehunde gefangen hatten. Sie verkauften das Fett an eine Fabrik auf dem Festland für heute umgerechnet rund 16.000 Euro. Das war eine ordentliche Summe. Denn man war hier eigentlich an ein Leben ohne Geld gewöhnt. Die Leute haben einfach gefangen und gejagt, was sie zum Leben brauchten."
    Was heute auf der Insel zum Leben gebraucht wird, bringt das Postboot mit. Oder die Schärenbewohner fahren mit dem eigenen Boot zum Festland. Das müssen auch die drei Kinder der Insel tun, denn die Schule befindet sich nicht mehr wie noch zu Ingvars und Margaretas Schulzeit auf Harstena:
    "Unsere Schule war sehr besonders – wegen des Mangels an Kindern. Man konnte nur in jedem zweiten Jahr eingeschult werden. Im Klassenzimmer: ein Lehrer, drei Klassen. Ein Jahr waren es also die Klassen eins, drei und fünf und im nächsten zwei, vier und sechs. Also musste der Lehrer drei Klassen gleichzeitig unterrichten."
    Tommy Ljung will weiter, auch die anderen Inseln müssen heute noch ihre Post bekommen. Zuerst fährt Tommy im Schritttempo am Inselcafé vorbei, auf dessen schwebender Terrasse Sommerfrischler sitzen, dann zeigt er die Kraft der zwei 250 PS-Motoren. Eine schmale Durchfahrt zwischen zwei Felsen tut sich auf. Das Boot legt sich in eine steile Rechtskurve, ohne auch nur einen Knoten Geschwindigkeit zu reduzieren. Am nächsten Steg lüftet sich das Geheimnis um den Inhalt des Pakets aus Chemnitz. Eine schmale Frau mit langem Haar steht am Ufer und schaut dem Postboot entgegen:
    "Ich bin Dirigentin und das hier ist eine Partitur für ein großes Projekt in Deutschland: die europäische Sommerphilharmonie. Und ich hab's schon erwartet."
    Seit fünf Generationen ist es Tradition der Familie von Kajsa Boström, die Ferien in den Schären zu verbringen. Eine Urlauberin aus Deutschland, die heute bei Tommy mit an Bord ist, erkundigt sich bei der Schwedin nach Unterkünften in dieser Wasserwelt:
    "Es gibt ja auch kleine Häuser, die man so für eine Nacht oder zwei mieten kann hier in der Gegend, aber sonst dieses schwedische Allemannsrätten, dass jeder das Recht hat, ein Zelt irgendwo aufzustellen und sogar seinen eigenen Fisch zu angeln, das soll man schon nutzen, denke ich mal."
    Die Inseln sind erreichbar – Tommy kommt ja drei Mal in der Woche vorbei. Auch bei schlechtem Wetter fährt er die Post aus:
    "Wir suchen im Lee der Inseln Windschutz, wenn das Wetter wirklich schlecht ist. Wind ist nur ein Problem, wenn er mit mehr als 90 Stundenkilometer weht, dann fahre ich nicht. Wenn das Wetter schlecht ist, kann ich natürlich nicht genauso schnell fahren. Dann dauert alles länger."
    Die Kisten von Tommy sind leer. Der Postbote findet den Weg durch das Insellabyrinth nach Fyrudden, setzt seine Mitfahrer auf der Kaimauer ab und fährt selbst zurück auf seine Insel.