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Schweden und der Ernstfall (5/5)
Training für geballte Gegenwehr

Lange galt für Schweden: Keine Mehrheit für den NATO-Beitritt. Doch der Wind hat sich gedreht. Schweden hat die Wehrpflicht wieder eingeführt, das Verteidigungsbudget erhöht und übt mit den skandinavischen Nachbarn und NATO-Einheiten den Verteidigungsfall.

Von Gunnar Köhne | 13.07.2018
    Soldaten der schwedischen Armee in braun-grünen Tarnanzügen, Maschinengewehre vor den Bäuchen und unter den Helmen geschwärzte Gesichter
    Schwedische Soldaten bei einer Übung - angesichts der Weltlage sind sie bei ihren Landsleuten wieder besser angesehen, glaubt die Armeeführung (Deutschlandradio/ Gunnar Köhne)
    Es gibt Köttbullar. Und es geht auch so locker zu wie in der Cafeteria eines namhaften Möbelhauses. Dabei sind die gut drei Dutzend gut gelaunten Gäste eigentlich zusammen gekommen, um den Ernstfall zu üben. Aber jetzt haben sie erst einmal Mittagspause und sitzen in Flecktarnuniformen vor Aluschalen mit den braunen Klößchen.
    Imagegewinn für Soldaten
    Die Soldatinnen und Soldaten nehmen am diesjährigen Manöver "Frühlingsfeuer" im südwestschwedischen Skövde teil. 2.500 Mann aus zwölf Kampfverbänden aus Mittel- und Südschweden sind beteiligt, es ist eine der größten Militärübungen des Landes. Die Kantine ist im Nebengelass eines gerade frisch getünchten, weißen Herrenhauses aus dem 19. Jahrhundert untergebracht. Im Haupthaus befindet sich das provisorische Hauptquartier.
    Der kommandierende Oberst heißt Nicklas Blomquist, ein 50-Jähriger mit Bubengesicht. Er sitzt ebenfalls mit hochgeschlagenen Ärmeln an einem der langen Tische und stochert in seinen Köttbullar. Auf den militärischen Gruß seiner unteren Dienstgrade scheint er keinen Wert zu legen. Viel wichtiger als solche alten Zöpfe sei doch, dass er und seine Kameraden angesichts der Weltlage bei seinen Landsleuten wieder besser angesehen seien, sagt Blomquist, als er sich nach dem Kaffee auf eine Parkbank vor das Herrenhaus setzt:
    "Wir haben wieder einen Platz im Herzen der Schweden. Das macht mich als Berufssoldaten und Bürger gleichermaßen froh. Denn die Armee sollte ein Teil der Gesellschaft sein. Und die Bürger müssen den Willen haben, ihre Demokratie zu verteidigen. Sonst kann das Militär auch wenig ausrichten."
    Ein Jeep der Militärpolizei rollt vorbei. Die Mittagspause ist vorüber, es geht wieder ins Gefecht. Ob er hier eigentlich noch zeitgemäße Kriegsszenarien exerzieren lässt, fragt sich Blomquist nicht:
    "Ich bin als Offizier beauftragt worden, konventionelle Kriegsführung zu üben. Und ich persönlich bevorzuge es auch, einen Feind auf diese Weise zu bekämpfen: Panzer gegen Panzer. Hier beschäftigen wir uns nicht mit den mehr modernen Kriegsführungen wie einem Cyberwar."
    Planspiele im Tarnanzug
    Ab und an sind Blomquists Panzer in der Ferne zu hören. Entlang der Straßen sind Feldjäger postiert, um die Autofahrer rechtzeitig vor kreuzenden Militärkonvois zu warnen. Die Presseoffizierin steuert ihren PKW-Kombi einen Feldweg entlang. Sie will die Journalisten gefahrlos so nah wie möglich an die Übungs-"Front" bringen.
    Verlassene Viehweiden und Buchen- und Birkenwälder säumen den Weg. Hier und da ein verlassenes rotes Holzhaus, dessen Bewohner für die Einrichtung des 2.000 Hektar großen militärischen Übungsgebiets weichen mussten. An einer Weggabelung hält sie plötzlich und zeigt auf ein schattiges, dicht bewachsenes Waldstück. Unvermittelt treten zwei Gestalten aus dem Dunkel: Soldaten in braun-grünen Tarnanzügen, Maschinengewehre vor den Bäuchen und unter den Helmen geschwärzte Gesichter, die zur Begrüßung freundlich lächeln. Leutnant Stefan Petersson hat ein paar Minuten Zeit zu erklären, warum er sich mit seinem Rekruten hier versteckt hält:
    "In unseren Planspielen hat der Feind den Flughafen von Norrköping angegriffen. Erst aus der Luft, dann haben Fallschirmspringer das Areal besetzt. Unsere Aufgabe ist es, unser Bataillon möglichst rasch dorthin zu verlegen und einen Gegenangriff zu starten, um den gerade gelandeten Feind zu vernichten. Wir haben es hier allerdings mit einem Feind zu tun, mit dem wir es aufnehmen können. In unserem Szenario liegt nicht gerade die ganze Welt im Krieg miteinander."
    "Durch NATO-Beitritt würde sich nicht viel ändern"
    Rekrut Carl Wiede greift mit seiner linken Hand nach dem Gewehrlauf, erzählt etwas von "Abwechslung" und "wenig Schlaf" und lächelt verlegen. Der IT-Spezialist ist Teilzeit-Soldat, eine weitere schwedische verteidigungspolitische Besonderheit:
    "Man nimmt an ein paar Übungen im Jahr teil, mal für ein paar Tage, mal für Wochen. Ich mache das, um mich persönlich weiterzuentwickeln. Und, nun ja - auch aus Patriotismus."
    Vor dem Manöverhauptquartier werden zwei NATO-Beobachter aus Albanien und Bulgarien freundlich verabschiedet. Man ist unter Freunden. Über den russischen Beobachter, den man zur Vertrauensbildung in der Woche davor betreuen musste, habe man sich dagegen ständig gefragt, was den eigentlich an dieser Übung interessiere. Oberst Blomquist zuckt leicht mit den Schultern: Sein Platz und der seiner 2.000 Mann sei an der Seite des westlichen Verteidigungsbündnisses.
    "Es ist ganz entscheidend geworden, dass wir die Möglichkeit haben mit anderen Ländern zusammen zu trainieren. Die NATO-Systeme sind mit unseren entweder längst kompatibel oder können bei Bedarf schnell angepasst werden. Für mich als schwedischen Offizier würde sich durch einen NATO-Beitritt gar nicht viel ändern."