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Schwedens Erfahrungen mit osteuropäischen Arbeitnehmern

In Deutschland dürfen nach jahrelanger Übergangszeit ab 1. Mai Arbeitnehmer aus osteuropäischen EU-Ländern legal arbeiten. Schweden, Bulgarien und Rumänien haben ihre Arbeitsmärkte dagegen schon 2004 geöffnet.

Von Agnes Bührig | 27.04.2011
    Ein helles Büro im Schwedischen Institut für Europapolitische Studien in der Innenstadt von Stockholm. Volkswirt Jonas Eriksson sitzt vor seinem Computer und erläutert eine Kurve zur Arbeitsmigration: Vor dem Jahr 2004, bevor sich die Europäische Union nach Osten vergrößerte, kamen um die 2000 Personen pro Jahr aus den EU-Mitgliedsstaaten zum Arbeiten nach Schweden. Mit der Osterweitung - und der neu eingeführten Arbeitnehmerfreizügigkeit - stiegen die Zahlen in 2006 auf etwa 8000 Menschen pro Jahr an, sagt Jonas Eriksson:

    "Wie viele Menschen in ein Land ziehen, hängt zuerst einmal von der wirtschaftlichen Lage ab. Man verlässt sein eigenes Land in der Regel, um es irgendwo besser zu haben. Auch die eigenen Netzwerke spielen eine Rolle: Wenn bereits Landsleute im Zielland sind, motiviert das andere, ihnen nachzufolgen. Das macht die Etablierung einfacher. Auch die Sprache spielt eine Rolle."

    Schwedisch zu lernen kommt für einen Polen eher infrage als für einen Slowaken. Die geografische Nähe der Ostsee-Anrainer-Staaten sowie historische Verbindungen sind Gründe, warum vor allem Polen und Bürger aus den baltischen Staaten die seit 2004 bestehende Arbeitnehmerfreizügigkeit nutzen.
    Auch in Schweden wurde vor ihrer Einführung heiß diskutiert, ob Beschränkungen für die osteuropäischen Arbeitnehmer notwendig sind. Kritiker fürchteten, die neuen EU-Bürger könnten die Sozialsysteme Schwedens missbrauchen. Doch der sogenannte Sozialtourismus, von dem damals die Rede war, findet nicht statt, so Jonas Eriksson:
    "Kein Mensch geht in ein fremdes Land, um Sozialhilfe zu beziehen. Und dann muss man sich auch einmal angucken, wer umzieht. Die meisten mobilen Arbeitnehmer sind junge Menschen ohne Kinder, die eine Zeit lang im Ausland leben, um Erfahrungen zu sammeln. Das ist im besten Falle für beide Länder gut: Das Zielland kann offene Stellen besetzen, das Ursprungsland bekommt einen Arbeitnehmer zurück, der sich weiterentwickelt hat."

    Auch beim Gewerkschafts-Dachverband LO sieht man die Entwicklung auf dem schwedischen Arbeitsmarkt positiv. Probleme mit Lohndumping gibt es aber trotzdem. Grund ist jedoch nicht die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Die Schwierigkeiten haben mit der Freizügigkeit von Dienstleistungen in der EU zu tun. Diese ermöglicht es Zeitarbeitsfirmen, niedrig entlohnte ausländische Arbeitskräfte anzustellen, sagt Thord Pettersson, Spezialist für Arbeitsmigration bei LO:

    "Vor weniger als einem Jahr haben wir eine Studie über die Situation der Arbeitnehmer von Zeitarbeitsfirmen gemacht. Wir stießen auf Konstruktionen wie jene eines irländischen Unternehmens mit polnischen Arbeitern, das in Schweden tätig war. 46 von ihnen waren unter ein und derselben Adresse in Irland gemeldet, um nicht die deutlich höheren schwedischen Sozialversicherungsabgaben zahlen zu müssen. Auf diese Weise konnten die Iren die schwedischen Preise um 20 Prozent unterbieten. Der Firma ging es darum, die verschiedenen Sozialversicherungs- und Steuersysteme in der EU gegeneinander auszuspielen."

    Dies sei jedoch ein nationales Problem, weil es vor allen Dingen ein Problem der Kontrolle ist. Das hätte auch mit Übergangsregeln nicht gelöst werden können, sagt Pettersson. Um die Arbeiter über ihre Rechte aufzuklären, hat LO eine Broschüre in mehreren Sprachen herausgegeben. Trotz der bestehenden Probleme, meint der Gewerkschafter, wachse der Arbeitsmarkt in Europa jedoch weiter zusammen:

    "Die EU-Osterweiterung 2004 hat Schweden beeinflusst, das kann ich jeden Tag am Sprachengemisch in der U-Bahn ablesen. Und in meinem Haus mit 16 Mietparteien wohnen allein drei polnische Familien, da kommt man sich näher. Die Idee, die osteuropäischen Staaten zu integrieren und den sozialen und wirtschaftlichen Ausgleich in Europa zu schaffen, ist allerdings nicht geglückt. Einige haben zwar heute bessere Lebensbedingungen, für andere haben sie sich aber verschlechtert. Ziel war es, alle auf ein höheres Niveau zu ziehen."

    Ab dem 1. Mai gilt die Arbeitnehmerfreizügigkeit für noch mehr Länder