Donnerstag, 28. März 2024

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Schwedens gewaltsamer Weg in die Neutralität

Begleitet von sechs Offizieren marschiert Generalmajor Carl Adlercreutz ins Stockholmer Schloss. Die Soldaten öffnen die Tür zum Gemach des Königs, Gustav IV. Adolf. Ein Chronist berichtet:

Von Christian Berndt | 17.09.2009
    "So wie sie in des Königs Zimmer traten, erklärte Adlercreutz ihm, er müsse ihn im Namen der Nation arretieren. Der König zog den Degen, aber er ward ihm bald entwunden. Nun ergriff er in äußerstem Zorne ein paar Leuchter, mit denen er nach den Verschworenen warf. Er eilte die Treppe hinunter in den Schlosshof. Unten ergriff ihn einer seiner Bedienten, ein Mensch von ungeheurer Stärke. Er trug ihn die Treppe wieder hinauf."

    Der Staatsstreich ist in weniger als einer Stunde erledigt. Im Volk rührt sich keine Hand für den König. Man macht ihn für die drohende Niederlage im Krieg gegen Russland verantwortlich – zu Recht. Als absolutistischer Herrscher ist Gustav Adolf ein erbitterter Feind der Französischen Revolution. In völliger Verkennung der eigenen Stärke hat er drei Jahre zuvor Frankreich den Krieg erklärt. 1808 nutzt Russland die Gelegenheit, ins schwedische Finnland einzumarschieren. Der Chronist schreibt.

    "Aus missverstandener Ruhmsucht wollte er in den Welthändeln eine Rolle spielen, die so wenig den Interessen seines Reiches entsprachen als den Kräften. Alle waren darin einverstanden, die einzige Möglichkeit, das Reich zu erhalten, wäre gewesen, sich Frankreich anzuschließen, jeden Anlass zum Bruch mit Russland zu vermeiden. Als der König abtrat, war nicht allein Finnland verloren, die ganze Existenz Schwedens schwebte in größter Gefahr."

    Der Krieg gegen Russland verläuft katastrophal. Gustav Adolfs Versuch, wie zur Zeit des 30-jährigen Krieges - als Schweden Führungsmacht der protestantischen Staaten war – Großmachtpolitik zu betreiben, ist gescheitert. Dazu der Skandinavist Bernd Henningsen:

    "1718 starb Karl XII. von Schweden, der letzte Herrscher des schwedischen Großreiches. Schweden war bis zu dem Datum eine Großmacht auf dem europäischen Theater. Und die Hoffnung, diese Rolle wiederzugewinnen, ist in Schweden eigentlich nie aufgegeben worden durch das ganze 18. Jahrhundert hindurch."

    Als Gustav Adolf 1792 den Thron besteigt, will auch er diese Politik weiterführen - vergeblich. Schon zu Beginn des Krieges gegen Russland entstehen Putschpläne. Die Unzufriedenheit mit dem König hat noch tiefere Gründe. Seit Beginn des 18. Jahrhunderts war die Macht des – vom Adel dominierten - Parlamentes zunehmend gewachsen. Als Reaktion hatte 1772 der Vater Gustav Adolfs, Gustav III., erfolgreich gegen den Reichstag geputscht und sich zum absolutistischen Herrscher gemacht. 1792 wurde er durch eine Adelsverschwörung ermordet. Sein Sohn führt die Alleinherrschaft fort. Aber im Adel gärt es weiter, schließlich bietet der desaströse Krieg gegen Russland die Gelegenheit, erneut einen unliebsamen König loszuwerden. Nach der Absetzung Gustav Adolfs im März 1809 wird der Krieg zunächst weitergeführt - als russische Truppen ins schwedische Kernland einmarschieren, müssen die Schweden um Frieden bitten.
    Am 17. September 1809 wird in Frederikshamn ein demütigender Friedensvertrag geschlossen. Schweden muss Finnland abtreten – ein Drittel seines Reiches. Historiker sprechen von einem schwedischen Versailles. Doch das Volk feiert, man ist froh, dass es nicht noch schlimmer gekommen ist. Im ganzen Land finden Dankmessen statt. Und tatsächlich bietet der Friedensvertrag eine Chance für den Wiederaufstieg.

    "1809 ist definitiv der Abschied der schwedischen Großmachtrolle in Europa. Hier wurde dann auch den Schweden selber klar, dass Schweden eine regionale Macht ist und für die Zukunft sein wird, und es beginnt die Zeit der schwedischen Neutralität."

    Jetzt werden die Weichen für das moderne Schweden gestellt. Innenpolitisch wird eine Verfassung beschlossen, die Vorbildcharakter für ganz Europa hat und bis 1975 in Kraft bleibt. Außenpolitisch wird die Politik der Neutralität festgelegt. Sie wird zwar nie konsequent durchgehalten und ist bis heute in Schweden umstritten – während des Zweiten Weltkriegs etwa wird deutschen Truppen der Durchmarsch durch das Land gestattet. Aber im Prinzip gilt die Neutralität – EU-Mitgliedschaft hin oder her - bis heute.