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Schwedische Band Katatonia
Lange Reise von Laut zu Leise

Am Anfang war wildes Growlen, fast 25 Jahre nach Bandgründung stehen Katatonia nun für melodischen Rock mit fast schon zartem, in sich gekehrten Gesang. Die vorläufig letzte Evolutionsstufe dieser Entwicklung bildet das zehnte Katatonia-Album "The Fall of Hearts", das 2016 erschienen ist.

Von Fabian Elsäßer | 27.11.2016
    Fünf Musiker stehen bzw. sitzen vor einer Mauer.
    Spielt noch hart, aber der Sänger "growlt" nicht mehr: die schwedische Band Katatonia (Ester Segarra)
    Wir reisen heute in Grenzgebiete. Musikalische Grenzgebiete. Sogar in eine akustische Todeszone. Doch wir werden sie in sicherer Höhe überfliegen.
    "There is no room for Death Metal in Katatonia these days. But we are still big Death Metal Fans and we will always be."
    So klangen Katatonia im Jahr 1996. So klangen sie nur zwei Jahre später. Und so klingen sie heute. Unter anderem.
    "Eine ganz neue Art zu denken"
    "Man konnte mit diesem Growl-Gesang einfach keine Melodien erzeugen. Als wir festgestellt haben, dass auch die Gesangsmelodien das Schiff über den Ozean bringen könnten, hat sich eine ganz neue Art zu denken für uns eröffnet." (Anders Nyström)
    Im Frühjahr 2016 erschien "The Fall of hearts" - das bereits zehnte Album der schwedischen Band Katatonia. Wie alle zuvor hat es sich ganz ordentlich bis ziemlich gut verkauft. Wie immer reichte es für Top Ten-Plätze im metal-begeisterten Finnland, und mit Rang 11 gar für die bisher höchste Platzierung in Deutschland. Und wie immer war die Band auf der dazugehörigen Tour in Clubs und Hallen für um die 700 bis 1500 Zuschauer unterwegs. Das reicht zum Leben, es zeigt aber auch: die fünf Schweden spielen in der Nische, bzw. in einer der vielen, vielen Nischen, die unter dem großzügigen Oberbegriff "Hard & Heavy" Platz finden. Wie so oft, wenn die große Masse etwas ignoriert, lohnt es sich, genauer hinzuhören.
    Was das genau ist - schwer zu sagen. Reiner Metal jedenfalls schon lange nicht mehr, was sich auf früheren Alben ja schon andeutete. Es gibt diesmal reichlich Stellen, die genau genommen überhaupt kein Metal mehr sind. Das klingt dann im Titel "Sanction" so, als würde Fusion-Jazzrocker Al di Meola mit David Gilmour von Pink Floyd gemeinsam über einer orientalisch inspirierten Melodie meditieren, deren Takt der Einfachheit halber zwischen sieben Achtel und vier-Viertel wechselt. Und dann schieben sie irgendwann den Keith Emerson-Gedächtnis-Moog-Synthesizer ins Studio.
    Schwierige Stilfrage
    "Es gibt immer Unterschiede zwischen den Alben, aber so drastisch finde ich die gar nicht. Es immer noch ein bestimmter Stil, den wir da verfolgen. Es ist eine Art "Dark Rock", irgendwie am Metal orientiert, der sich bei bestimmten Subgenres bedient, und diese Einzelteile bringen wir dann in unsere Band. Was immer das dann für ein Genre wird, weiß ich nicht. Wir versuchen es immer noch herauszufinden. Ich bin sehr glücklich mit dem Sound, den wir heute haben. Ich persönlich habe mich nicht so sehr mit den Unterschieden zwischen den Alben beschäftigt. Das müssen dann meistens die Kritiker entscheiden. Es ist sehr hart, das selbst zu beschreiben, weil man überwiegend seinen Instinkten folgt."
    Unbestrittene Doppelspitze
    Sagt Gitarrist Anders Nyström. Zusammen mit Sänger Jonas Renkse ist er die unbestrittene Doppelspitze von Katatonia, seit der Gründung um 1991 herum. Aber mit dieser Selbstbeschreibung können wir doch gut leben: Dark Rock. Nehmen wir. Das passt auch zu den Texten, in denen Renkse kunstvoll um Tod, Vergänglichkeit, Einsamkeit, kurz gesagt: die unerfreulicheren Aspekte der menschlichen Existenz kreist. Der Sänger und Texter beschreibt diese Themen selber als "dunkel" und "emotional". Wie bei den meisten Katatonia-Alben haben Renkse und Nyström auch diesmal die Produktion selbst in die Hand genommen. Es ist schon erstaunlich, wie transparent das alles klingt. Und es überrascht, wie abwechslungsreich die Songs sich entwickeln - sechs bis sieben Minuten sind dabei keine ungewöhnliche Länge. Der Auftakt "Takeover" gibt die Richtung vor. Auf den elegischen Anfang, folgt die Etablierung der Gitarren, folgt schließlich ein erster Tempo-Ausbruch. Bis zum Ende hin wieder feierliche Langsamkeit Einzug hält.
    "Es ist ein guter Opener, sehr dynamisch, die Riffs erzeugen einen mächtigen Fluss und der Song wechselt von einer verträumten Eröffnung zu einem sehr harten Sound - eine Art Blaupause für das ganze Album. Das ist auch der Grund, warum wir es als Opener haben wollten."
    Zurückhaltend arrangierte Wucht
    Erklärt Sänger und Texter Jonas Renkse. "The Fall of hearts" führt den Kurs der vorigen konsequent weiter. Es ist Musik, die zwar Druck erzeugt, die mit wummernden Bässen und heruntergestimmten Gitarrenakkorden in den Magen fährt. Aber sie wirkt zurückhaltender arrangiert als bei "echten" Metalbands. Auch wenn die Gitarren vor sich hin knurren, auch wenn das Schlagzeug donnert, stehen sie immer hinter dem fast schon zarten Gesang von Jonas Renkse. Der 41-Jährige ist ein etwas pummeliger, nachdenklicher, beinahe schüchterner Typ mit krausen schwarzen Locken. Eine Konzertbesucherin in der Live-Music-Hall in Köln wird später sagen: Der steht immer so verloren auf der Bühne, so hilflos. Irgendwie süß. Und so klingt sein Gesang auch: nie aggressiv, sondern hingebungsvoll, nach innen gerichtet. Sehr weit weg von Metal-Legenden wie Iron Maidens Bruce Dickinson oder Rob Halford von Judas Priest - eine Gegenthese zum breitbeinigen Frontmann-Gestus früherer Jahrzehnte also. Nirgendwo wird das auf "The Fall of hearts" deutlicher als beim Song "Decima".
    Ein Mann steht in einem Tonstudio vor einem Mikrofon.
    Katatonia-Sänger Jonas Renkse im Studio. (Therés Stephansdotter Björk)
    "Der Song ist irgendwie anders. Eine Art Ballade, aber trotzdem mit Schlagzeug. Es passt gut aufs Album, weil es alles ein bisschen verlangsamt. Ein kurzer, einfacher, aber wie ich finde sehr schöner Song. Da sind einige meiner Lieblingszeilen auf dem ganzen Album drauf. Es beschäftigt sich mit dem Tod, glaube ich? Aber auf abstrakte Weise, wie ich das ja immer tue."
    "Wir hören uns die alten Sachen nicht zum Spaß an!"
    Noch einmal zum Vergleich: der Mann, der da so dahinschmelzend traurig von seinem bevorstehenden Ableben singt, keifte 20 gut Jahre vorher noch so ins Mikrofon. Der Song "In silence enshrined" von 1993 ist ein Beispiel für die überaus übellaunig klingende Frühphase von Katatonia. Mit der beschäftigen sich Nyström und Renkse heute nur noch selten und eher unfreiwillig.
    "Ich höre mir das nicht aus persönlichen Gründen oder zum Spaß an. Wenn ich sie höre, dann vielleicht, weil ich eine Neuauflage genehmigen muss oder eine Testpressung für eine Vinylausgabe. Oder wenn wir eine alte Nummer für eine Probe aussuchen, weil wir sie vielleicht nochmal live spielen werden. Aber wir haben gerade einen alten Song, den wir ein bisschen aufmotzen, zum Beispiel mit Keyboards, aber es ist trotzdem noch ziemlich originalgetreu – das hat schon Spaß gemacht."
    "Ich höre mir diese Alben überhaupt nicht an. Es sei denn, wir gehen in der Zeit zurück und spielen ein oder zwei Songs davon. Wenn ich sie dann dochmal höre, höre ich genau das was, was wir damals waren. Ich bin schon stolz auf die Vision, und den Hunger, als wir jung waren. Es ist weit entfernt davon, perfekt zu sein, aber das waren sehr wichtige Schritte."
    "Man merkt natürlich sofort, dass der Song sehr naiv ist und nichts damit zu tun hat, was wir heute tun, aber das ist in Ordnung. Es ist, was es ist, ein Teil Deiner Geschichte."
    "Growlen" geht auf die Stimme
    Typischer Death Metal war auch das nicht, denn die Tempi waren meist moderat und die Gitarrenparts zeugten schon vom Willen, Melodien zu gestalten. Nur der Stimmeinsatz von Frontmann Jonas Renkse eben nicht. Diese Art zu - naja, nennen wir es trotzdem mal "singen", aber im Fachjargon heißt es "growlen", griff Renkses Stimme irgendwann so sehr an, dass er es mit klarem Gesang probierte. Ein großer Schritt, aber aus Sicht von Katatonia-Vize-Geschäftsführer und Gitarrenarbeiter Anders Nyström einer, der zwingend notwendig war.
    "Das musste glaube ich irgendwann passieren. Wir haben das schon mal ausprobiert, obwohl er immer noch diese "Growls" gemacht hat. Weil wir gespürt haben, dass der Stil der frühen 90er zwar großen Spaß gemacht hat, aber auch sehr begrenzend war. Die Melodien kamen immer von den Gitarren. Man konnte mit diesem Growl-Gesang einfach keine Melodien erzeugen. Als wir festgestellt haben, dass auch die Gesangsmelodien das Schiff über den Ozean bringen könnten, hat sich eine ganze Art zu denken für uns eröffnet. Dadurch haben wir weitaus bessere Songs geschrieben und Platz geschaffen für bessere Ideen in den Songs."
    Erstmals zu hören im Jahr 1998, zunächst auf einer EP und dann in voller Länge auf dem Album "Discouraged Ones", von dem der Titel "Deadhouse" stammt.
    Die eigene Stimme finden
    Noch bis vor drei Jahren gehörte der Song "Deadhouse" fest zum Live-Programm von Katatonia. Und vielleicht schafft er es eines Tages wieder einmal dorthin, denn Katatonia bemühen sich in ihren Setlists, so viele Aspekte der mehr als 20-jährigen Bandgeschichte abzubilden wie möglich. Etwas, das längst nicht alle Rockbands tun, auch wenn sie auf ein kenntnisreiches Publikum setzen können. Das Jahr 1998, in dem das eben gehörte "Deadhouse" entstanden ist, war ein Richtungsjahr für Katatonia. Jonas Renkse wechselte nicht nur vom verzerrten zum klaren Gesang, sondern auch vom Schlagzeug-Hocker in die Frontmann-Position. Beides fiel im anfangs schwer, vor allem der neue Gesangsstil.
    "Ich musst diese Stimme auf jeden Fall erstmal finden. Ich war überhaupt nicht zuversichtlich, aber Anders hat mich dann ermutigt "clean" zu singen. Ich fand es sehr seltsam, meine eigene Singstimme zu entwickeln. Wir waren noch jung, echte "Metalheads" und auf einmal habe ich mit dieser sanften und sehr gefühlsgeladenen Stimme gesungen. Es hat eine Zeit gebraucht, bis ich mich daran gewöhnt habe, das hören zu können. Wenn man die Texte schreibt, fällt das Singen leichter, weil es die eigenen Texte sind und man möchte, dass sie gut vermittelt werden. Das war ein guter Weg für mich, die Nervosität beim Singen zu überwinden."
    Hits im weiteren Sinne des Wortes
    Ein Meilenstein dieser Weiterentwicklung ist das Album "The great cold distance" von 2006. Die Singleauskopplung "My Twin" wurde zu einem Publikumsfavoriten. Bis heute ist "My Twin" der meistgespielte Live-Song von Katatonia. Allerdings könnte der Song Konkurrenz vom 2016er-Album "The Fall of Hearts" bekommen. Nämlich "Serein". Gitarrist Anders Nyström erklärt, warum.
    "Das ist französisch. Wir wissen selber nicht, wie man es richtig ausspricht. Seräähn wahrscheinlich. Das scheint wirklich unser neuer "Hit" zu werden, wobei das ein schwieriges Wort ist, denn wir sprechen in unserer Band nie von "Hits", aber es ist einer für unser Publikum, wenn man so möchte. Ein Song, den ich auch sehr gerne live spiele. Er hat einen guten Schwung, schöne Melodien, und es ist sicherlich ein Song, den ich Leuten vorspielen würde, wenn sie mich nach einem Stück von uns fragen. Der würde, glaube ich, jedem gefallen. Wenn Du den nicht magst, weiß ich nicht, was für eine Art Mensch Du bist."
    "Serein" ist nur einer von vielen beeindruckenden Songs auf dem Album "Fall of hearts" der schwedischen Post-Metal-Band Katatonia. Dass dieses Werkstück noch einmal etwas raffinierter klingt als die vorigen zwei, hat sicher auch mit gravierenden Veränderungen in der Band zu tun. Im vergangenen Jahr mussten Katatonia sowohl die Position des Schlagzeugers als auch die des zweiten Gitarristen neu besetzen.
    Am Drumset sitzt jetzt Daniel Moilanen, genannt "Mojo". Weil man ihn schon von gemeinsamen Touren kannte, musste er nicht einmal vorspieln. Der neue Gitarrist Roger Öjersson hingegen schon. Wobei der in mehrerlei Hinsicht eine kleine Überraschung war, denn Katatonia hatten immerhin per Internet weltweit nach einem Mitstreiter gesucht.
    Ein Schlagzeuger testet eine Snaredrum
    Neuer Schlagzeuger bei Katatonia: Daniel "Mojo" Moilanen. (Therés Stephansdotter Björk)
    "Wie sich herausstellte, versteckte sich dieser Typ direkt um die Ecke, in unserer Nachbarschaft. Wir kannten ihn von seiner Arbeit mit der Band "Tiamat". Er kam dazu, als wir das Album gerade aufnahmen. Und da wir ihn mochten und für ihn eine Zukunft gesehen haben, haben wir ihn noch dazu geholt und ein paar Lead-Passagen einspielen lassen, damit er dem Album noch ein bisschen seinen Stempel aufdrücken konnte, sich als Teil davon fühlen."
    Und das bedeutet: Soli und Licks in Lichtgeschwindigkeit spielen. Wie im Song "Passer".
    "Anders fällt es sehr leicht, dass Roger jetzt in der Band ist. Ich glaube, er sagt ihm sogar, dass er mehr angeben soll und alles Mögliche machen kann. Anders konzentriert sich eher auf das Gerüst, auf das Songschreiben und die Rhythmusteile. Roger ist eher so ein virtuoser Gitarrist, was wir vorher nicht hatten. Mit seinen Fähigkeiten können wir ein bisschen mehr von solchen Sachen einbringen, und das macht Spaß."
    Lärm der frühen 90er-Jahre
    Virtuosität ist bei Katatonia allerdings kein Mittel zum Zweck, im Gegensatz zu Dream Theater, die ja so etwas wie der Urmeter des Progressive Metal sind. Niemand von den fünf Schweden hat am Berklee College of Music studiert. Diese überschaubare, aber trotzdem Erfolgsgeschichte ist letzten Endes die Geschichte einer Freundschaft zwischen zwei langhaarigen Sonderlingen, die heute Anfang 40 sind und musikalisch also Ende der 80er, Anfang der 90er sozialisiert wurden. Anders Nyström erinnert sich:
    "Wir haben uns vor langer, langer Zeit kennengelernt, als wir noch Teenager waren. Als wir Blödsinn gemacht haben, wie das Jugendliche halt so machen. Wenn man einen bestimmten Musikgeschmack hat, fällt man schnell auf. Damals war das alles klar getrennt. Man hat entweder mit den Hip-Hop – oder mit den Metal-Fans rumgehangen. Wir haben schnell gemerkt, dass wir beide Metal mögen. Es schafft eine Verbindung, wenn man in seiner
    Prägungsphase die Liebe für dieselben Bands teilt. Die hört nie auf, auch heute nicht. Ab da hat sich eine neue Welt geöffnet. Wenn man erstmal in der Untergrund-Szene war, konnte man so viel entdecken: Extreme Metal, Trash Metal, Death Metal, all die Untergenres wie Doom Metal und Black Metal. Ich glaube, wir sind in einer sehr sehr guten Zeit aufgewachsen….Das war so 88 bis 90. Wir waren hingebungsvolle Fans. Es ging nur ums Kassettentauschen, Flyer und Fanzines verteilen und zu Konzerten gehen. Mehr wollten wir gar nicht. Aber irgendwann denkt man sich: da fehlt was. Ich möchte auch in einer Band spielen! Ich möchte das tun, was ich bei den anderen sehe. Das hat einen dann motiviert."
    Ein Mann mit blonden langen Haaren und Bart sitzt mit E-Gitarre auf dem Schoß vor Verstärkern in einem Studio.
    Gitarrist bei Katatonia: Anders Nyström. (Therés Stephansdotter Björk)
    Das sei schon ein eine Art Außenseiter-Existenz gewesen damals, ergänzt Sänger Jonas Renkse:
    "Man sah vielleicht ein oder zwei Metal-Typen oder Mädchen pro Schulklasse. Aber die meisten standen auf Disco oder Hip Hop. Aber wenn man sich als Außenseiter fühlt, wird das Interesse für das, woran man glaubt, noch stärker. Man fängt bei Slayer und Metallica an und kommt dann zu dem extremeren Stoff. Das macht einen auch stolz: das ist die Musik, die ich liebe. Und jetzt schau uns an: hier sitzen wir jetzt 25 Jahre später und wir hören immer noch dieselbe Musik von damals. Wir legen sie auf, bevor wir auf die Bühne gehen. Maiden, Metallica, alter Death Metal wie Obituary und Morbid Angel – Slowly you rot – Musik, bei der man spürt, dass man an einem guten Ort ist."
    Leiche in Anders Nyströms Keller
    Während Renkse ein etwas rundlicher Typ mit dunklen Haaren und scheuem Blick ist, erfüllt Nyström mit seiner blonden Mähne, dem Bart und vor allem ---den zahlreichen Tätowierungen schon eher das Klischeebild eines skandinavischen Metal-Musikers. Wobei: sollte dieser auf den Unterarm tätowierte Schriftzug tatsächlich ein Zitat der MTV-Hardrocklieblingsband Whitesnake sein: "In the still of the night"? Nein, oder?
    "Doch! Das ist meine ewige Lieblingsband."
    Würde man nicht vermuten.
    "Nein. Das ist es ja! Es steckt immer mehr unter der Oberfläche als die Menschen vermuten. Ich sage immer, man muss offen bleiben. Weil es einen bereichert und man es zum eigenen Vorteil nutzen kann. Das ist halt meine ganz persönliche Leiche im Keller."
    Weiß David Coverdale das?
    "Ich habe ihn tatsächlich mal getroffen. Aber das hier habe ich mir erst später stechen lassen. Sonst hätte ich dafür gesorgt, dass er es sieht."
    Depressive Dimension
    Man hört diese Einflüsse allerdings nur am Rande. Renkse und Nyström scheint bei aller Metal-Begeisterung vor allem die balladeske Seite ihrer Vorbilder inspiriert zu haben. Das aktuelle Album "The fall of hearts" ist voller solcher Songbeispiele, zum Beispiel "Old hearts fall". Stetige Düsternis umfängt uns in der Musik von "Katatonia". Da darf man schon mal fragen: Wie unglücklich, wie depressiv fühlen sich die beiden Chefs der Band wirklich? Anders Nyström beantwortet diese Frage sehr entschieden.
    Vier Musiker stehen vor Gitarrenverstärkern und blicken grimmig,
    Die Musiker der Band Katatonia posieren auch im Studio stilsicher. (Therés Stephansdotter Björk)
    "Es ist doch so: Wenn man richtig depressiv wäre, würde man nicht mal aus dem Bett kommen, geschweige denn eine Gitarre anfassen. Da muss eine Balance bestehen. Wir mögen den depressiven Aspekt von Musik, weil das etwas in einem wachruft, was man nicht kontrollieren kann. Es spricht direkt das Herz an. Wir werden regelmäßig gefragt, warum das so ist: Aber ich weiß es nicht. Ich frage mich das selbst. Ich habe keine Ahnung, warum ich eine Farbe mehr mag als andere. Es ist einfach so, auch wie wir als Menschen sind. Aber wir legen es nicht darauf an, als ob wir auf einer Mission wäre. Es kommt einfach von innen. Aber man ist ja auch Mensch, man muss gesund bleiben - es geht darum, ebendiese Balance zu finden."
    "Ich bin sehr glücklich über die Position, die wir erreicht haben"
    Eine Balance, die für viele Tausend Fans über die Jahre hinweg offenbar haargenau erreicht worden ist. Und vielleicht haben Katatonia dieses Irrewerden an sich selbst - zugegeben ein sehr privilegiert-westliches Problem nie schöner inszeniert als im Titel "Residual" vom Album "The fall of hearts".
    "Ich finde, wir sind sehr weit gekommen. Ich bin sehr glücklich über die Position, die wir erreicht haben. Wir bekommen viel Bestätigung aus der ganzen Welt, wir können um die Welt reisen und unsere Songs spielen. Da ist nichts am Horizont, nach dem ich greifen möchte. Wir wissen schon, dass wir nicht wie Michael Jackson oder die nächsten Metallica werden. Das wird nicht passieren. Wir sind froh darüber, wo wir stehen."
    "Ich würde gerne ein paar Gegenden abhaken, in denen wir noch nicht waren. Japan zum Beispiel oder ein Teil des mittleren Ostens, auch Asien. Überall dahin zu kommen, wo wir noch nicht waren, das ist schon noch ein Ziel. Aber sonst? Wissen Sie, unsere Träume wurden schon vor langer, langer Zeit erfüllt. Wahrscheinlich, als wir das erste Album aufgenommen haben, einfach in der Lage zu sein, Musik zu veröffentlichen und als Künstler ernst genommen zu werden. Rauszugehen und seine Musik für Menschen zu spielen, die Deine Platten gekauft haben. Das ist der Traum an sich - und der geht immer noch weiter, 25 Jahre später!"
    Diese Sendung können Sie ab Ausstrahlung sieben Tage nachhören.