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Schwedisches Kindheitsglück
Heiße Sommer, verschneite Winterwälder

Schwedische Autoren haben die Kinderliteratur der letzten Jahrzehnte stark geprägt. Allen voran Astrid Lindgren mit "Pippi Langstrumpf" und den "Kindern aus Bullerbü". Lindgren habe den Respekt für die Kinder fest verankert, meint die schwedische Kinderbuchautorin Rose Lagercrantz.

Rose Lagercrantz im Gespräch mit Ute Wegmann | 11.01.2014
    Schweden.
    Schweden steht für glückliche Kindheit. Und dann sind wir schnell bei der schwedischen Kinderliteratur, die ebenso wie der skandinavische Kinderfilm, herausragend ist. Und das seit Jahrzehnten. Unser Bild ist eindeutig geprägt von Astrid Lindgrens Bullerbü Kindern und Pippi Langstrumpf. Aber Astrid Lindgren ist nur eine aus der Gruppe der bedeutenden schwedischen Schriftstellerinnen und Schriftstellern. Ulf Nilsson und Ulf Stark, Frida Nilsson, Peter Pohl, Annika Thor, Gunnel Linde - um nur einige wenige zu nennen – sie alle erzählen von heiteren und beunruhigenden Kindheitenserlebnissen. Romane für Jugendliche von Mats Wahl und Mikael Engström sind sozial- und gesellschaftskritische Blicke auf eine Gesellschaft, die mit den gleichen Problemen kämpft wie viele Länder Europas, mit Fremdenhass und Arbeitslosigkeit, und den Folgen.
    Eine Autorin, die sich in den letzten Jahren mehr den Kindheitsgeschichten zugewendet hat, ist Rose Lagercrantz.
    Sie schreibt für die jüngeren Leser Romane und Erst-Lesebücher, die vom Alltag, von kleinen Sorgen, vor allem aber von großem Glück erzählen. Ihre Geschichten sind geprägt von großer Liebenswürdigkeit. Glück und kleines Unglück stehen nebeneinander, aber das Glück wird immer siegen.
    Ute Wegmann: Rose Lagercrantz, bietet die heile Welt gerade heute einen wichtigen Zufluchtsort?
    Rose Lagercrantz: Bücher bieten immer einen Zufluchtsort für Menschen, so war es, als ich klein war. Was heute ist, weiß ich nicht, aber ich merke es an den Kindern, denn ich bin viel in Schulen, also die Kinder, die zu den Büchern kommen, die lieben es. Aber es ist eine Arbeit, sie dorthin zu bringen, das müssen Eltern und Lehrer machen. Manche finden von alleine den Weg.
    Wegmann: Gibt es denn dieses Schweden, von dem ich eben erzählt habe, diese heile Welt, die wir aus den Büchern kennen, gibt es das wirklich oder ist das unser Blick auf Schweden?
    "Wenn ich sage, dass ich aus Schweden komme, fangen die Leute an zu schwärmen."
    Lagercrantz: Ich glaube, die Deutschen denken, dass alles in Schweden phantastisch ist. Wenn ich sage, dass ich aus Schweden komme, fangen die Leute an zu schwärmen.
    Ich meine die Erwachsenen. Das Selbstbild von den Schweden ist melancholisch, sehr viele sind deprimiert, sehr viele müssen diese HappyPills nehmen. Sie betrachten sich nicht als etwas ganz Wunderbares, sie müssten eigentlich in die Welt hinausgehen und schauen, dass was da los ist, denn es ist sehr gut in Schweden. Die Mütter können zum Beispiel nach der Geburt eines Kindes ein ganzes Jahr frei sein, bezahlt, wo gibt es das?
    Es wird noch sehr gut für Kinder gesorgt, aber vieles ist auch nicht mehr da. Zum Beispiel war es früher selbstverständlich, dass alle Kinder schwimmen lernen.
    Wenn man in den Schulen ist, dann erlebt man sehr viel Respekt für das Kind. Das kann man sagen. Die Verhältnisse sind heute ein bisschen anders als in meiner Kindheit, damals gab es sehr viele arme Kinder und das war normal. Heute gibt es genauso viele arme Kinder, aber es soll nicht normal sein.
    Trotzdem man hat eine philosophische Anschauung was Kinder betrifft. Die ist einfach da, niemand redet darüber. Astrid Lindgren hat es durchgesetzt, dass die Kinder potentielle Helden sind, oder vielleicht sogar potentielle Propheten, was wissen wir. Das ist noch immer so. Sie hat den Respekt für die Kinder fest verankert. Und dann wurde dieser Respekt durch die Kinderliteratur in alle Richtungen verbreitet. Meine Eltern waren Flüchtlinge, bei uns wurde nicht Schwedisch gesprochen. Mein Vater hat mit mir Deutsch gesprochen, aber ich habe Schwedisch geantwortet, weil ich wie alle anderen in der Straße sein wollte. Dieses Verhalten ist sehr Schwedisch. Man muss wie die anderen sein, wie die Ameisen.
    Pippi Langstrumpf durfte als Einzige anders sein
    Die Einzige, die anders sein durfte, war Pippi Langstrumpf. Pippi Langstrumpf war meine Kindheit. Was wäre ich ohne sie. Wenn ich je stark bin, nicht so oft, aber dann dank Pippi Langstrumpf. Mutter hat mir immer wieder vorgelesen, sie hat sich heiser gelesen. Und sie sagte später, ich hätte ein halbes Jahr mit den Füßen auf dem Kopfkissen geschlafen wie Pippi. Es gab noch ein paar solcher Kinderbücher. Deshalb glaube, ich, dass ich eine gute Kindheit hatte. Eigentlich war sie ganz finster, aber die Bücher waren ein Fenster in die Welt, ein Weg heraus, ein Weg zu anderen. Das waren die Kinderbücher. Und das, glaube ich, brauchen die Kinder heute auch noch. Da kann man sagen, es gibt so viel anderes, aber nichts hat die Wirkung eines Buches. Denn wenn du ein Buch liest, besonders als Kind, dann ist es hundert Prozent Identifizierung, wenn es klappt, wenn es ein gutes Buch ist, dann ist es wirklich sehr bedeutend. Warum ist es so? Ich weiß es nicht! Weil die Wörter zaubern. Vielleicht zaubert die Musik auch so, aber die Wörter machen etwas mit dir.
    Wegmann: Nun haben Sie gerade gesagt, Pippi Langstrumpf war für Sie sehr wichtig. Wenn man heute in eine Schule geht, antworten 90 % der Grundschulkinder auf die Frage nach der bekanntesten Autorin immer noch Astrid Lindgren. Astrid Lindgren hat den gleichen Stellenwert wie zu der Zeit, als wir jung waren. Wie erklären Sie sich diesen Ruhm?
    Lagercrantz: Ich glaube wirklich , weil sie so einen Respekt vor Kindern hatte. Manchmal denke ich, sie ist nicht älter als neun Jahre geworden. Sie war nicht gern erwachsen. Als Erwachsene war sie sehr melancholisch, und sie hat sich auch nicht viel aus Männern gemacht. Es war die glänzende Kindheit, die sie geschätzt hat und die sie gesucht und gefunden hat. Sie hat dem Thema Kindheit in der Gesellschaft eine andere Aufmerksamkeit gegeben und es ist verbreitet worden durch die Kinderbuchautoren. Sicher Marcel Proust und bestimmt auch die Römer haben über Kinder geschrieben, aber die Kindheit als Thema, das war etwas Neues. Bestimmt kam es mit HEIDI auf und mit ein paar englischen Schriftstellern, aber Astrid hat es sauber gemacht. Es konnte ein armes Kind, ein nicht sehr begabtes Kind, es hat nichts gemacht, es musste kein Held sein. Es war egal, es musste nur ein Kind sein. Das reichte. Ein Kind war es immer wert, dass man davon erzählte.
    Wegmann: War es schwer als Kinderbuchautorin in Schweden zu sein, in der Tradition Astrid Lindgrens zu stehen?
    Den Status der Kinderliteratur erhöht
    Lagercrantz: Nein, ich denke, wir alle haben ihr zu danken. Sie hat den Status der Kinderliteratur erhöht. Es gab so viele gute Autoren in den 60er und 70er und 80er Jahren, man nennt es die Goldene Periode in Schweden. Wir haben uns so gut gefühlt, und wir wurden von allen gelobt, und wenn wir zwei Wörter schrieben, wurde es schon in der Zeitung abgedruckt. Heute schreibt keiner mehr, jedenfalls nicht sehr viel. Es ist ein bisschen da, was trendy ist, und das ist nicht mehr dieselbe Sache. Das hat mit Kommerz zu tun.
    Wegmann: Was ist das Wichtigste, was man bedenken muss, um ein gutes Kinderbuch zu schreiben?
    Lagercrantz: Uh, das man nicht nach links und rechts schielt und dem eigenen Kind in sich treu bleibt. Nun rede ich von Büchern für Sechs- bis Neunjährige, wo man die Kinderthemen behandeln sollte und was da geschieht. Und wenn es ganz echt ist, dann ist es edel.
    Wegmann: Rose Lagercrantz gehen wir noch einmal einen Schritt zurück.
    1947 in Stockholm geboren, als Tochter eines deutschen Vaters und einer transsylvanischen Mutter. Sie haben für den Rundfunk, das Fernsehen und das Kindertheater gearbeitet. Seit 1973 sind ca. 50 Bücher entstanden. Sie wurden für Ihr Gesamtwerk mit der Nils-Holgersson-Plakette und im Jahr 1979 bereits mit dem Astrid-Lindgren-Preis ausgezeichnet. Im Jahr 1999 erhielten Sie den wichtigsten schwedischen Literaturpreis, den August-Preis, für das Buch "Das Mädchen, das nicht küssen wollte", ins Deutsche übersetzt, aber leider vergriffen. Eine Geschichte, die den 2. Weltkrieg thematisiert, in Prag spielt. Von einem Mädchen erzählt, dass sich seine Küsse für den einzig Richtigen aufbewahren will. Und den trifft sie, George, ein Jude, geflohen vor den Nazis, ein Mann mit Mut und Gerechtigkeitssinn. Auch Ihr Vater floh vor den Nazis.Was verbindet Sie mit Deutschland?
    "Hübsches Deutsch auf der Bühne oder im Film macht mich glücklich"
    Lagercrantz: Hm, die Sprache. Leider kann ich sie nicht schön sprechen, aber wenn ich hübsches Deutsch höre, wie auf der Bühne oder in einem guten Film, das macht mich ganz ganz glücklich. Wenn ich Berliner Deutsch höre, macht mich das auch glücklich, denn mein Vater war aus Berlin. 1901 geboren, er war sehr alt, als er mich bekam. Fast 50 Jahre, er ist der George in dem Buch. Meine Eltern wollten von der Vergangenheit nicht viel erzählen, als er alt wurde aber, so 80 Jahre, da sagte er: Du schreibst über jeden – damals schrieb ich über meinen kleinen Sohhn, der hieß Metteborg in den Büchern, ein komischer Name, - schreib über mich, hat er plötzlich gesagt. Dann musst du mir was erzählen, habe ich geantwortet. Und dann hat er für mich 27 Kassetten eingelesen. Ich hatte kaum Geduld, sie durchzuhören, denn es war so viel Politik. Ich wollte darüber schreiben, wie er eigentlich überlebt hat. Das fand ich interessant und das interessiert mich noch sehr sehr sehr viel mehr: Wie überlebt man etwas, das man nicht überleben kann? Wie hält man das durch, was man nicht durchhalten kann? Und das kommt in jungen Jahren vor und im Kleinen. Wenn man seine beste Freundin der Welt verliert, wie macht man das, um durchzu- kommen? Das Buch "Das Mädchen, das nicht küssen wollte", komischer Titel, das war das Mädchen, das ihn gerettet hat.
    Wegmann: Sie haben vorhin gesagt, Sie hatten keine so glückliche Kindheit?
    Lagercrantz: Von außen gesehen, sah es nicht so lustig aus. Ich war sehr viel alleine mit meiner Mutter in einer kleinen Wohnung, sie hatte keine Familie dort. Sie hat mir nie gezeigt , dass sie traurig war, ich war sehr verwöhnt, und mein Vater kam manchmal mit einer Puppe, eigentlich war es nicht so schlimm, aber über uns lag etwas Schreckliches. Ich ahnte es, und ich wollte es nicht hören und man hat mich auch nicht damit belastet. Aber die Bücher haben meine Welt geöffnet. Meine Eltern waren nicht in der jüdischen Tradition, sie waren sehr säkularisiert, so hatte ich etwas, an das ich glauben konnte: Die Kinder in den Büchern. Ich bin auch so ein Kind. Also die Bücher haben wirklich geholfen.
    Wegmann: "Mein glückliches Leben" – Geschichten aus dem Leben Dunnes, die ihrer Freundin Ella Frida hinterhertrauert, die weggezogen ist – und die sich an Glücksmomente erinnert und sie zählt statt Schäfchen, um einzuschlafen. Diese Kinderbuch brachte Ihnen den Kath. Kinder- und Jugendbuchpreis und es kam auf die Nominierungsliste des DJLP im Jahr 2012. Jetzt ist der Folgeband erschienen – "Mein Herz hüpft und lacht". Konsequent aus Kindersicht, mit kurzen, klaren Sätzen und realitätsnahen Alltagssituationen. Leicht, unaufgeregt und dennoch sehr berührend. Ein Kinderbuch, das auch Erwachsene nicht kalt lassen wird. Wie entstand die Idee?
    "Von außen besehen keine glücklich Kindheit"
    Lagercrantz: Es war gerade meine Mutter gestorben, und ich war so betrübt. Wenn ich nicht schreibe, bin ich auch deprimiert. Ich musste etwas finden, etwas schreiben, damit ich wieder das Licht sehe. Ich hatte meine Mutter so nah an mir, das ganze Leben lang. So entstand der Titel "Mein glückliches Leben". Ich wollte über etwas Glückliches schreiben. Eva Eriksson, die Illustratorin sagte damals, dass sie Zeit habe und fragte, ob wir ein Buch machen sollen. Wir haben schon viele Bücher zusammen gemacht. Ich fange immer im Nichts an, ich hab keine Ideen, ich habe nur ein paar Wörter, die mich entzünden und dann geht es weiter. Die Dunne, die in den Metteborg-Büchern vorkommt, wer ist sie eigentlich, das wollte ich wissen.
    Wegmann: Rose Lagercrantz, nun haben Sie die Illustratorin Eva Eriksson erwähnt. Eva Eriksson, die wir alle spätestens seit den Bildern zu Ulf Nilssons Büchern verehren, "Die besten Beerdigungen der Welt" sei hier genannt, hat die Illustrationen gemacht. Sie sind befreundet? Wie erarbeiten Sie ein solches Buch zusammen?
    Lagercrantz: Wir haben uns getroffen, als wir sehr jung waren. Sie war über etwas traurig, ich war über etwas traurig. Wir saßen in einem Hotel, in Göteborg, wir haben geweint und uns getröstet und seitdem sind wir Freunde. Ich weiß, wie viel sie zu tun hat, dann sage ich: Vielleicht hast du in sieben Jahren Zeit. Ich setze sie nicht unter Druck, denn sie wird von anderen schon unter Druck gesetzt. So sagt sie mir selber, wenn sie will. Aber dann lege ich los. Ich schreibe mich von einem Bild zum anderen und ich schreibe die Bilder ins Manuskript hinein. Und sie will es so. Sie sagt, es ist wie eine Partitur und sie spielt die Musik. Das ist sehr ungewöhnlich.
    Denn einmal hab ich mit einem Dänen gearbeitet, der lebt schon nicht mehr, Ib Spang Olsen, da hab ich aus Gewohnheit die Bilder ausgeschrieben, wie ich sie sehe, und da hat er gesagt: Wenn du es so machst, kann ich nicht mit dir arbeiten. Und das verstehe ich natürlich. Aber Eva wollte es so. Soll ich wirklich so viele schreiben, frage ich sie. Und sie soll nur die malen, die ihr gefallen. Aber sie macht immer alle Bilder. In einem Buch sind 80 Bilder. In jedem Buch. Gerade macht sie die Bilder für den dritten Band. Ich wollte so eine Entwicklung. Warum sollen die Kinder das nicht haben, Dunne wird immer schärfer in ihren Konturen. Und dann sagte Eva und das hat mich so gefreut: Deine Bilder sind so einfach. Ich muss gar nicht so viel denken. Also zeichnet sie das mit ihren Gefühlen und sie macht es nicht mit Farben. Sie ist ja eigentlich eine Zeichnerin.
    Wegmann: Arbeitet sie mit Bleistift oder mit Kohle?
    Lagercrantz: Ja, erst mit Bleistift und dann, wenn d as ganze Buch fertig ist, füllt sie die Zeichnungen mit Tusche.
    Wegmann:Wir hören an dieser Stelle einen Auszug aus: "Mein Herz hüpft und lacht".
    Es liest die schwedische Schriftstellerin Rose Lagercrantz, zuerst ein kleines Stück in ihrer Sprache und dann auf Deutsch.
    Wegmann: Das war die schwedische Autorin Rose Lagercrantz mit einem Auszug aus dem Kinderbuch: "Mein Herz hüpft und lacht". Alle Angaben zu den Büchern können Sie auch im Internet nachlesen unter www.deutschlandradio.de/literatur.
    Rose Lagercrantz; das Kinderbuch handelt aber nicht einfach nur von den kleinen Sorgen, sondern mit großer Leichtigkeit wird nebenher der Tod der Mutter erzählt, ohne es großartig zu thematisieren. Das ist genial und erzählt so viel über Dunnes Angst vor dem Verlassenwerden.
    Lagercrantz: Jedesmal wenn ich in eine Klasse komme, gibt es ein Kind oder zwei, die keine Mütter mehr haben, und meistens sind sie an Krebs gestorben. Ja, vielleicht habe ich das geschrieben, weil damals meine Mutter starb. Und dann habe ich gedacht: Ja, dann ist sie jetzt mutterlos wie ich.
    Von sensiblen Beobachtungen geprägte Geschichten
    Wegmann: Ihre Geschichten sind geprägt von sensiblen Beobachtungen, die zeigen, dass manchmal tiefergehende Dinge der Grund für Traurigkeit sind als die vordergründigen, als der Sturz, das kleine Loch im Kopf, die Schramme auf dem Knie. Ihr neues Buch, im Frühjahr bei Moritz, heißt "Das Geburtstagskind". Auch hier eine Geschichte über die Alltagssorgen eines sechsjährigen Mädchens, das sehnsüchtig seinen Geburtstag erwartet, aber in der Woche bis zur Feier noch eine ganze Menge erlebt. Dinni zeigt, wie schwer und wie leicht es manchmal ist, ehrlich zu sein und zu den eigenen Fehlern zu stehen. Mir ist aufgefallen, bei dem Buch noch mehr als bei allen anderen, dass die Erwachsenen so unaufgeregt sind. So entspannt, so geduldig?
    Lagercrantz: Ich denke, Sie sind meistens so. Die Schweden sind cool mit ihren Kindern. Ich habe das Buch einen Roman für Vierjährige genannt. Die müssen doch auch Romane haben. Dieses Kind ist mein erstes Enkelkind. Das ist ein Mädchen, die kleine Dinni, die ihre Mutter über alles liebt. Und so ist es in Wirklichkeit. Also man sagt, die Kinder haben in Schweden meistens eine lange Leine.
    Wegmann: Sie haben einmal gesagt: Ein Schriftsteller sollte sein wie eine Nachtigall: Gut singen, aber sich nicht zeigen. Das klingt nach Bescheidenheit. Was unterscheidet den Kinderbuchautor von anderen Nachtigallen?
    Lagercranz: Eigentlich nicht!
    Wegmann: Und kann man sich diese Haltung heutzutage im Zeitalter der Medien, die nach Aufmerksamkeit und Social Web schreien, noch leisten?
    Lagercrantz: Also, ich kann nicht anders leben. Sogar wenn man mir applaudiert, werde ich ganz rot. Denn ich hab dann schon Fehler in dem gedruckten Buch gefunden, wo ein Wort besser sein konnte. Ich denke, dass ein Text nie gut genug sein kann und ich hab Angst meine alten Texte zu lesen, weil, ich denke, die halten vielleicht nicht stand. Aber Leute sind so komisch, sie denken, Sie wären so gut. Aber Kinderbücher und Erwachsenenbücher, wenn man sie vergleicht ... darf ich eine kleine Episode erzählen: Ich war in New York und hatte dort 14 Tage gesessen und geschrieben, in einem Zimmer , wo ich ganz alleine war. DA klopfte es an der Tür und ein Rohrleger kam wegen der Heizung. Ich habe weitergeschrieben und er hat sich mit der Heizung beschäftigt. Und als er fertig war, kam er auf mich zu, ein Riese war das, mit vielen hundert Zöpfen und sehr ernst: "What do you write?", fragte er mich. Und ich hab gesagt, so etwas Schreckliches habe ich gesagt: "Bloß ein Kinderbuch. Only childrenbooks. "Ich hatte Angst, dass er denken könnte ich wäre unwichtig. Und dann hat er mich angeschaut und hat die Stimme erhoben und hat gebrüllt: „Only childrenbooks? There are no more important books then childrenbooks, because they make us to those we are.“ Und das musste ich hören, ich , die ein lebendiges Beispiel dafür war. In meiner Kindheit und als Erwachsene. Die Kinderbücher haben mich geprägt, mich gemacht. Ich hab Glück gehabt, ich musste nicht mit den Ellbogen etwas machen. Vielleicht heute müsste ich es, dann würde ich es nicht können.
    Wegmann: Herzlichen Dank, Rose Lagercrantz, für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.