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Schweigen ist Gold

Sollten Versicherungen Zugriff auf die Ergebnisse von DNA-Tests haben? Die Frage scheint einfach zu beantworten. Nein. Versicherungen dürften nicht von Informationen über das Krankheitsrisiko ihrer Kunden profitieren. Doch so einfach, wie es sich darstellt, ist das Problem gar nicht. Es ist sogar fast unlösbar kompliziert. Das zumindest sagt der Wirtschaftswissenschaftler Oliver Schöffski von der Universität Erlangen. Grit Kienzlen hat ihn vergangenes Wochenende beim Medizin-Ethik-Kongress der Organisation Ärzte für soziale Verantwortung getroffen.

Grit Kienzlen |
    Zur Zeit gibt es noch wenig direkte Gentests, wenn man ein Humangenetisches Gutachten anfertigen lässt, dann ist das sehr aufwendig, sehr kostspielig, viele tausend Mark kostet das und von daher ist natürlich die Gefahr, dass sich breite Bevölkerungsmassen auf irgendetwas testen lassen zur Zeit noch relativ gering.

    Doch das wird sich ändern, sagt Oliver Schöffski, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Erlangen. Derzeit in der Entwicklung seien Teststreifen, die man in der Apotheke kaufen kann und zur Auswertung in ein Labor schicken muss. Ebenfalls angedacht sind Teststreifen, die ähnlich wie ein Schwangerschaftstest das genetische Risiko für diese oder jene Erkrankung anzeigen sollen.

    Der dritte Entwicklungsschritt und da wird wirklich fieberhaft dran gearbeitet, sind sogenannte Multiplex-Tests, Biochips, wo in einem Abwasch quasi gleich auf viele Dutzend oder im Extremfall sogar viel hundert verschiedene Anlageträgerschaften getestet werden kann und dort auch mit einer sehr großen Sicherheit. Alle bekannten Mutationen werden dann in einem Schritt abgefasst und das hat natürlich eine ganz andere Dimension.

    Was alle diese Tests gemeinsam haben: Sie machen Risiken kalkulierbar. Für die Versicherungswirtschaft, die darauf aufbaut, dass das Risiko der Versicherten unbekannt ist, kann das nicht ohne Folgen bleiben. Beispiel: Lebensversicherungen. Weiß das Unternehmen von der unheilbaren Krankheit eines Kunden, muss sie die Prämien erhöhen, weil klar ist, dass er kürzer einzahlen wird als in der Durchschnittskalkulation angenommen. Weiß sie nicht davon, ist es der Kunde, der profitiert:

    Man muss sich das folgendermaßen vorstellen: Ich lasse mich testen und bekomme ein sehr ungünstiges Ergebnis. Ich weiß, dass ich in 10, 15 Jahren sterben werde. Ich muss diese Information natürlich selbst erst mal verarbeiten, dass habe ich dann irgendwann geschafft und dann kommt man zweiter Gedanke: Was mache ich eigentlich mit meinen zukünftigen Hinterbliebenen, meiner Familie. Die muss ich absichern. Also laufe ich von Versicherungsunternehmen zu Versicherungsunternehmen und schließe in maximaler Anzahl Lebensversicherungsverträge ab, immer mit maximaler Höhe. Das geht natürlich nur so weit wie ich die Prämien finanzieren kann, aber ich versuche natürlich meine Hinterbliebenen abzusichern und das Versicherungsunternehmen macht mit diesen Verträgen natürlich 100-prozentigen Verlust.

    Das Problem geht sogar so weit, dass sich mit den Gentests Sekundärmärkte für Versicherungspolicen entwickeln könnten, ähnlich, wie sie im Zusammenhang mit der HIV-Infektion schon entstanden sind.

    Ich schließe einen Versicherungsvertrag ab und sage der Versicherung nicht, dass ich an einer bestimmten Krankheit leide und sehr frühzeitig sterben werde. Das Versicherungsunternehmen gibt mir also normale Konditionen. Ich selbst kann aber dritten nachweisen, dass meine Lebenserwartung sehr viel eingeschränkter ist, indem ich halt zeige, dass ich HIV positiv bin oder dass ich das Chorea Huntington Gen bei mir habe. Ich kann also dritten nachweisen, ich lebe nicht mehr 30 Jahre so wie im Versicherungsvertrag durchschnittlich angenommen, sondern ich lebe nur noch 5 Jahre. Und dieser Dritte, ein Investor, hat dann ein Interesse daran, mir meine Versicherungspolice abzukaufen, für mich sogar weiter die nächsten Jahre meine Prämien zu bezahlen, er bekommt in fünf Jahren die Versicherungssumme ausgezahlt, die vielleicht erst in 30 Jahren fällig geworden wäre und zahlt mir dafür einen erklecklichen Geldbetrag. Das heißt, wir machen quasi mit dem Profit Halbe-Halbe.

    Dieser Weg, sich die letzten Jahre zu versüßen, ist allerdings illegal. Gerade, weil er den Grundgedanken von Versicherungen unterminiert, müssen Versicherungsnehmer beim Vertragsabschluß alle Informationen über ihr Gesundheitsrisiko offen legen. Lügen sie dabei, ist der Vertrag ungültig. Lügen sie nicht, steigt die Prämie. Auch das ist schwer akzeptabel und bedarf neuer gesetzlicher Regeln. Wie die Aussehen könnten? Da zuckt auch Schöffski ratlos mit den Achseln. Fest stehe, dass es einen Kompromiss geben muss, der auf jeden Fall ein fauler sein werde:

    Ein Lösungskompromiss könnte so aussehen, dass man sagt: Bis zu einer bestimmten Versicherungssumme, die in etwa der Lebenssituation des Antragstellers entspricht, brauchen keine genetische Informationen offen gelegt zu werden und ab einer Summe darüber, wo es dann eher in Größenordnungen geht, wo das Kapitalanlagen sind, dann könnte man vielleicht die Auskunftspflicht der Versicherungsnehmer stärker veranlassen. Also so eine Grenze von 100 000 Mark: unter 100 000 Mark nicht aufdecken, darüber schon. Aber wie gesagt, es ist halt nur ein Kompromiss. Man kann Grenze nicht genau bestimmen und es gibt noch andere Vor- und Nachteile dabei.

    Sehr viel einfacher liegt der Fall, solange ein Versicherungsnehmer nicht weiß, welches Schicksal ihm blüht. Die Versicherung wird ihn nicht zu einem Gen-Test zwingen dürfen, glaubt Schöffski, weil es in Deutschland ein sogenanntes Recht auf Nichtwissen gibt.

    Wer aufgrund seiner Familiengeschichte vermuten muss, dass er Träger einer Erbkrankheit ist, tut deshalb gut daran, keine Klarheit zu schaffen, solange er seinen Versicherungsschutz nicht geregelt hat. Aus medizinischer Sicht kann das allerdings sehr unvernünftig sein.