
"Wir sind im Wallis. Das Wallis ist ein 170 Kilometer langes Tal. Rechts und links geht's hoch, auf der Nordseite bis 4000 Meter auf der Südseite bis 4500 Meter. Wir sind unten auf 600 Meter und laufen jetzt einen Hang hoch, die Reben hoch. Wir sind hier am südgerichteten Hang, etwas Häuschen noch die wir jetzt verlassen, die Siedlung verlassen und dann sind wir mitten in den Reben."
Erzählt Peter Walzmann auf dem Weg durch die Weinberge. Der Wein, erklärt er, habe hier eine Jahrtausende alte Tradition.
"Links sehen wir jetzt einen kleinen Berg in den Berner Alpen das ist schon französischer Teil. Und der heißt Mont Bonvin, also der Berg heißt guter Wein. Wallis hatte schon vor den Römern Wein, das wurde erst vor fünf, sechs Jahren entdeckt."
Im Moor fand man Pollen von Reben aus Zeiten, noch bevor die Römer bis zu den Alpen gekommen waren. Und schon damals müssen die, die hier Wein anpflanzten, viel davon verstanden haben. Denn der hier besonders kalkhaltige Boden, erklärt unser Weinexperte, lasse den Rotwein besonders gut gedeihen.
"Und der Blauburgunder hat gerne Kalk, hat es gerne heiß. Wenn jetzt kein Wind wäre, wäre es hier um die 40 Grad und noch mehr. Und zusätzlich haben wir hier die besten Kelterer. Und so ist jedes zweite Jahr, der beste Schweizer Blauburgunder kommt hier aus Salkesch. Das ist das Geheimnis des Salkescher Weins."
Genau hier verläuft die Sprachgrenze. Schon der nächste Ort dahinter ist französisch. Wir aber machen uns von hier aus auf in Richtung Leuk, ins deutschsprachige Wallis. Und auch, wenn wir jetzt durch Weinberge wandern, soweit das Auge reicht, geht es bei unserer Tour, die hier beginnt, um etwas anderes. Wir sind auf der Via Cook unterwegs, auf den Spuren von Thomas Cook, den die meisten von uns nur noch als Reiseunternehmen kennen.
Wir, das sind zwei Bergführer und fünf Wanderer, die sich auf die Spuren einer legendären Reise machen. 1863, vor genau 150 Jahren, hatte jener Thomas Cook, ein englischer Reiseunternehmer, die erste Pauschalreise für englische Touristen organisiert. Auch damals waren es sieben Reisende, drei Männer und vier Frauen. Als Einzelreisende waren Engländer natürlich auch schon viel früher in die Schweiz gekommen, meint Peter Walzmann.
"Die englischen Studenten, die da die römische Geschichte und so gelernt haben, haben die Grand Tour gemacht. Grand Tour war immer das Ziel Rom und irgendwie musste man, um nach Rom zu kommen, um die Alpen herum oder über die Alpen rüber. Und so wurden die Alpen allmählich bekannt bei den Engländern, für die tollkühnen Engländer."
Solche Reisen aber konnten sich nur die Allerwenigsten leisten. Bis Thomas Cook auf die Idee kam, Pauschalreisen anzubieten. Transport, Unterkunft, Verpflegung alles von ihm organisiert auf den jetzt überall entstehenden Bahnstrecken. Als dann Anfang der 1860er-Jahre die Bahnlinie Paris-Genf eröffnet wurde, konnte es sich jetzt auch die englische Mittelschicht leisten, bis in die Schweiz zu reisen. Am 26. Juni 1863 brach Thomas Cook von London mit 130 Reisenden auf. Über Paris ging es nach Genf, wo jedoch für die allermeisten Schluss war. Für die eigentliche wirklich abenteuerliche Reise quer durch die Schweiz mit Kutschen, zu Fuß über Gletscher, weiter mit Schiffen oder kleineren Bahnstrecken, hatten sich nur sieben Wagemutige gefunden. Allen voran Jemima Morrell, erklärt mir der Engländer Diccon Bewes, der gerade ein Buch über diese historische Reise geschrieben hat, und den ich in Bern in einem Café treffe.
"Sie war eine ganz normale Frau. 31 Jahre alt. Obere Mittelschicht. Ihr Vater war ein Bankmanager und ihr Bruder auch, aber sie war unverheiratet und ein Artist. Sie hat Bilder gemalt. Und mit ihrem Bruder und zwei Cousinen und ein paar Freunden ist sie in die Schweiz gegangen."
Eben dieser Jemima Morrell verdanken wir es jetzt, in ihren Fußstapfen reisen zu können. Sie hatte nämlich damals auf ihrer dreiwöchigen Reise ausführliche Notizen gemacht, die nur durch Zufall nach dem Zweiten Weltkrieg auf einem Dachboden in London gefunden wurden und 1963 zum 100. Jahrestag der Reise als Buch erschienen.
Von Salkesch laufen wir durch die Weinberge entlang der Rhone, die hier noch heute ungebändigt durch das Tal fließt. Von hier aus kann man das kleine Städtchen Leuk schon erkennen, das über Jahrhunderte von den Händlern lebte, die hier über die Alpenpässe kamen.
"Also Leuk war eine Zwischenstation im Transport. Die Waren kamen über die Gemmi, über den Gemmipass, per Maulesel und wurden hier umgeladen. Hier unten an der Rhone gleich über die Brücke der Ort heißt Susten. Und Susten ist ein Umschlagplatz für Waren, Güter und auch Pferdewechsel."
Der Reichtum, der hier im Mittelalter herrschte, ist an vielen der Häuser noch erkennbar. Heute aber scheint es fast ausgestorben. Ein vergessenes Kleinod abseits touristischer Pfade.
Am nächsten Morgen geht es in aller Frühe den Berg hinauf. Vorbei an der ältesten Bewohnerin des Ortes.
"Hier stehen wir jetzt vor der alten Dame von Leuk. Die Maße 90, 90, 90, über 200-jährig aber dennoch voll im Schuss."
Wir stehen vor einem Haus, dessen Fassade von einer riesigen, alten Weinrebe umrankt wird. Aufgrund der Untersuchung eines Professors gilt sie mittlerweile als die älteste Rebe der Schweiz. Es ist der Vinum Nerum, der alte Landrote, der hier wächst. Eine uralte Sorte, die vor einigen Jahren fast ausgestorben war, aber jetzt von den Walliser Weinbauern wieder gezüchtet wird.
Nun aber verabschieden wir uns vom Tal und den Weinbergen. Von Leuk geht es die Danaschlucht hinauf Richtung Leukerbad. Wir laufen auf der Trasse einer ehemaligen Zahnradbahn, erklärt mir Pia Kugler, unsere zweite Bergführerin.
"1915 wurde die erste Fahrt gemacht und die Trasse, auf der wir laufen jetzt, auf der alten Trasse, von der sieht man nicht mehr viel. Man hat die Schienen, nachdem die Bahn 1967 aufgegeben wurde, hat man die Schienen weggenommen und man sieht einfach noch einzelne Teilstücke davon, aber eher wenig."
Auch Jemima Morrell und ihre Gefährten kamen damals genau hier entlang. Pia Kugler liest uns mit Blick auf die Berge aus den Erinnerungen der Engländerin vor.
"Sie schreibt: Unterhalb von Leuk zweigen wir ab und steigen in die Dala ein. Eine der schönsten Schluchten der Schweiz. Die Straße, eine weitere Spitzenleistung schweizerischer Ingenieurskunst, steigt über 15 Kilometer nach Leukerbad hoch, das auf 1400 Metern über Meer liegt. Die Straße ist eine Abfolge von Kehren mit Felswänden auf der einen und Abgründen auf der anderen Seite. Sie ist von unvergleichlicher Schönheit. Ein weiträumiges Panorama von einer übernatürlichen Schönheit. Also, sie flippt fast aus."
Auch wir haben einen fantastischen Blick auf die Bergwelt. Im Gegensatz zu den Engländern vor 150 Jahren sind wir jedoch nicht mit der Kutsche, sondern zu Fuß unterwegs. Nach einigen Stunden stehen wir am Fuß einer steilen Felswand, darin integriert alte Holzleitern, die hier schon seit Jahrhunderten als Kletterhilfe am Berg befestigt sind, erklärt Pia Kugler.
"Vor uns liegen acht Leitern. Man überwindet eine Höhenmeterdistanz von 100 Metern und die Leitern sind aus Holz, Massivholz, Holzsprossen. Also, man kann da Vertrauen haben, dass man wirklich auf stabilen Leitern da hochklettert."
Im Gegensatz zu den Engländern vor 150 Jahren sind wir natürlich mit moderner Wanderkleidung viel besser für die Klettertour ausgestattet. Einer nach dem anderen geht es hinauf. Langsam, Schritt für Schritt, fast senkrecht. Auf diesen Leitern, über Jahrhunderte die einzige Verbindung der Dörfler in Albinen nach Leukerbad. Oben angekommen, gibt es für alle erst mal einen Schnaps.
"Das ist Apprikotin, eine Walliser Spezialität. Schnaps gemacht aus Aprikose. Und als Belohnung für diese wirklich sensationelle Kletterleistung über die Leitern, die ihr da hingelegt habt, gibt's jetzt eben einen Apprikotin."
Gestärkt geht es weiter nach Albinen, ein Alpendorf, in das erst 1956 eine Straße gebaut wurde, erklärt uns Pia Kugler.
"Dadurch ist diese Bausubstanz so original erhalten geblieben, weil die haben nicht schnell runter nach Leuk einkaufen gehen können und Beton kaufen können. Deshalb ist es so einzigartig. Wirklich ein Dorfbild. In der Art gibt es, glaube ich, in der Schweiz kein zweites."
Von hier aus geht es weiter bergauf nach Leukerbad, dem größten Thermalbadeort der Alpen. Schon die Römer kannten diese Quellen, die mit über 50 Grad aus der Erde sprudeln. Bereits im 15. Jahrhundert entstand hier ein regelrechter Kurtourismus. Man badet in Mineralquellen mit einem unglaublichen Blick auf die Berge. Besonders faszinierend das Dolbenhorn und dessen bald 1000 Meter fast senkrecht aufragende Wand. Wir übernachten hier genauso, wie damals Jemima Morrell und ihre Freunde. Und genauso, wie vor 150 Jahren, geht es auch bei uns am nächsten morgen früh, sehr früh los. Unser Ziel, der Gemmi Pass.
"Die Gemmi ist der bedeutendste Übergang des Berner Oberlandes ins Wallis und es gab nur drei Übergänge im Mittelalter ins Wallis, die genutzt wurden. Es gab die Gemmi, den Lötschenpass und die Grimsel. Und im 18. Jahrhundert, 1760, haben Tiroler Baumeister einen Weg eingesprengt in eine Felswand, kaum zu glauben heute. Wenn man unten hinaufsieht, gäbe es da kein Durchkommen."
Immer weiter schraubt sich der schmale Pfad in die Höhe, ohne dass man den Weg weiter oben erkennen kann. Jetzt kommt die Sonne über den Berg, es wird heiß und beschwerlich. Ich muss daran denken, was mir der Engländer Diccon Bewes erzählt hat. Einen Tag lang hatte er versucht, die Wanderung in historischer Kleidung nachzuempfinden.
"Es war wie 'Gone with the wind', mit diesem großen Kleid. Und die haben jeden Tag überall gewandert. Und ich konnte das machen mit Goretex und schönen Wanderschuhe. Und das war unglaublich anstrengend für mich in dieser Zeit mit modernen Kleidern. Ich habe mich nur einen Abend so bekleidet wie Charles Dickens. Und das war so heiß und so unbequem. Und die haben das jeden Tag gemacht. Und auch ohne Dusche, ohne Badewanne."
Trotz moderner Ausrüstung werden meine Schritte immer schwerfälliger und ich denke daran, wie hier über Jahrhunderte die Händler mit Eseln entlang zogen. Damals auf Pfaden, die noch schmaler, noch wagemutiger, noch bedrohlicher waren. Nach etwa viereinhalb Stunden haben wir es geschafft, stehen mitten auf dem Alpenhauptkamm.
Während wir nach kurzer Pause mit jetzt leichterem Schritt bergab Richtung Kandersteg und ins Berner Oberland wandern, begrüßen uns die hier überall weidenden Kühe mit einem Glockenkonzert.
Dann hören wir schon von Weitem die Kander, die dem Tal ihren Namen gab, erklärt mir Casimir Platzer.
"Also, das ganze Tal heißt ja das Kandertal und der Name Kander kommt vom lateinischen Namen Kandida, weiß, und früher war das eben die Weiße, die Schäumende oder eben der Weiße Fluss. Und Kandersteg, der Steg war eben die Brücke über die Kander hier in dem Dorf."
Casimir Platzer ist der Besitzer des Ritter, des ältesten Hotels hier am Ort, das 1789 gebaut wurde. Die Gruppe von Thomas Cook die 1863 hier vorbei kam, übernachtete im Bären, dem zweiten Hotel, das es damals schon gab.
Ein Stück weiter die Straße entlang stehen einige Leute vor einem anderen alten Haus. Es wird gegrillt und musiziert. Hans Peter Hari, ein freundlicher älterer Herr, der Besitzer des Hauses wie sich dann herausstellt, erklärt mir, was denn hier los sei.
"Diese Leute habe ich eingeladen, um zu feiern. Das sind ganz hervorragende Handwerker, die Zimmerleute. Ich feiere meine guten Handwerker und führe sie auch zusammen und sage, schaut diese Leute vom Nebental haben den Ofen gemacht. Und das ist der Zimmermann, der das Auge dafür hat und die Seele dazu."
Das hier, erklärt er, sei das älteste Haus in Kandersteg. 1556 im gotischen Stil gebaut. Fast 20 Generationen hätten hier schon gelebt, meint er stolz. Jetzt aber musste renoviert werden. Hans Siegenthaler, einer der Handwerker, brachte seine Musikgruppe, die "heiteren Stärne", mit.
"Das ist Musik aus der Schweiz. Normalerweise wird das mit der Bassgeige begleitet, aber wenn wir ein bisschen auffallen wollen, dann nehmen wir das Horn und pusten was drein."
Mit der Musik endet meine Wanderung. Vier Tage mit Überquerung der Alpen auf den Spuren der ersten Pauschalreise in der Schweiz. Mit jedem Tag stieg meine Hochachtung vor Jemima Morrell und ihren Freunden, die damals drei Wochen unterwegs waren, auf unbekannten Wegen, in altmodischer Kleidung und ohne all die Annehmlichkeiten, die den Reisenden heute erwarten.