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Schweiz: Streit um Englisch-Unterricht

Gleich vier Sprachen werden in der Schweiz gesprochen, Deutsch, Französisch und Italienisch sind offizielle Amtssprachen. Weil jeder Schweizer mindestens eine weitere Amtssprache beherrschen soll, ist die Verständigung zwischen den Landesteilen gesichert. In einigen deutschsprachigen Kantonen wird allerdings Englisch inzwischen zunehmend als erste Fremdsprache unterrichtet. Dagegen regt sich nun Widerstand. Von Andrea Krüger.

    Französischunterricht im Schulhaus Wolfsmatt in Dietikon, einer kleinen Gemeinde im Westen von Zürich. Die Fünftklässler lernen die Uhrzeit. Neben der Tafel hängt eine Karte mit den Zeitzonen der Erde. 18 Schüler an vier großen Tischen grübeln. Wie spät ist es wohl in Montreal, wenn es in Paris acht Uhr ist?

    Für die Kinder ist es das erste Schuljahr Französisch. Englisch hingegen lernen sie schon seit drei Jahren. Bei der Frage, welche Sprache sie lieber mögen, müssen Lina, Jeffrey und Franziska nicht lange überlegen.

    "Mir gefällt Englisch besser. Ich find, das ist die Weltsprache und die muss man auch können." "Englisch. Ich finde es wichtiger, und ich finde es einfacher zum Sprechen." "Beide Sprachen sind wichtig. Denn Englisch ist die Weltsprache und Französisch ist die Landessprache der Schweiz. Aber Englisch kann man überall sprechen. Auch hier in der Schweiz. Und deshalb möchte ich lieber Englisch lernen."

    Thomas Lutz hat die Anworten seiner Schüler so vorhergesagt. Heute, meint der Lehrer, würden die meisten Kinder einfach mit Englisch groß - eher als mit einer anderen Landessprache.

    "Die möchten gerne Englisch lernen. Das ist die Sprache, wo jeder weiß, das ist die Weltsprache. Die nützt mir auch viel mehr in den Ferien und weiß nicht, im Handling mit Computern - dann brauch ich Englisch und nicht Französisch. "

    Nicht nur die Kinder, auch viele Erwachsene in der Deutschschweiz räumen ein, dass ihnen Englisch leichter von der Zunge geht als Französisch. Thomas Lutz selbst bedauert es, dass viele sich inzwischen auch im eigenen Land lieber in der fremden Sprache verständigen.

    "Das machen heute die meisten Deutschschweizer: Die gehen nach Genf, treffen irgendwelche Berufskollegen, Ärzte zum Beispiel, und dann wird Englisch gesprochen, weil der Deutschschweizer zu wenig gut Französisch kann - das finde ich eigentlich ein bisschen schade. "

    Die deutschsprachigen Kantone haben sich indes aus ganz pragmatischen Gründen für Englisch als erste Fremdsprache entschieden. Das einfachere Englisch, so die Hoffnung, soll bei den Schülern anschließend mehr Begeisterung für den schwierigeren Französischunterricht auslösen. Außerdem wünschen sich viele Eltern, dass ihre Kinder zuerst Englisch lernen. Nun gibt es allerdings Gegenwind. Vor kurzem hat der Nationalrat, die erste Kammer des Parlaments, entschieden, dass die Schulen zwingend eine der Landessprachen zuerst unterrichten müssen. Für die Änderung stimmten vor allem die Linke und die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei. Für Abgeordnete wie Hans Fehr von der SVP geht es ums Prinzip.

    "Es ist eine Frage des nationalen Zusammenhaltes in der Schweiz - ganz, ganz wichtig mit vier Sprachen. Dass man eine Muttersprache spricht, in meinem Fall Deutsch, und dass man dann sagt: So, die erste Fremdsprache, die der Volksschüler lernt, das soll auf jeden Fall eine andere Landessprache sein. "

    Für Stirnrunzeln sorgt das Gesetz nun in den Kantonen, die gerade erst mit Englisch als erster Fremdsprache begonnen haben. In Zürich zum Beispiel. Martin Wendelspiess, der Leiter des zuständigen Schulamtes, kritisiert die Entscheidung des Nationalrates.

    "Aus staatspolitischer Sicht verstehe ich alle diese Argumente. Auf der anderen Seite erlebe ich einfach in demokratischen Strukturen, dass die Bevölkerung nicht nur staatsrechtlich, sondern ganz pragmatisch denkt: Welche Fremdsprache hat den höchsten Stellenwert, mit welcher Fremdsprache sind wir tagtäglich konfrontiert? Und sobald man dort mit Überlegen einsetzt, landet man halt sehr schnell bei Englisch."

    Bei der Frage, ob es für den Zusammenhalt des Landes nicht wichtiger sei, erst Französisch zu lernen, muss Wendelspiess lachen. Mit der Reihenfolge der Fremdsprachen habe das bestimmt nichts zu tun.

    "Es gibt übrigens auch die bösen Stimmen, die sagen, wenn alle Englisch hätten, dann würden sie sich wenigstens verstehen untereinander."

    Ob das Sprachengesetz tatsächlich so verabschiedet wird, hängt nun von der zweiten Kammer des Parlaments ab - und dort haben die Kantone das Sagen. Eine Entscheidung wird frühestens im Herbst erwartet.

    Bis dahin soll in Dietikon alles beim alten bleiben - also Englisch zuerst. Den Schülern dürfte das gefallen - auch wenn ihnen Französisch nicht erspart bleibt.