Archiv


Schweizer Bergkreuz aus Nazi-Gold

Kann die Schweizer Regierung bestimmen, welche Bücher in den Vereinigten Staaten publiziert werden? Die Antwort auf diese alberne Frage lautet selbstverständlich Nein. Es ist ein so deutliches und unmissverständliches Nein, wie es nur in wenigen Bereichen des öffentlichen Lebens in Amerika vorkommt. Doch hier geht es um das "First Amendment", das heißt, das verfassungsmäßig garantierte Recht zur freien Meinungsäußerung, und das ist den Amerikanern heilig. Selbst rassistische Propaganda, die Verherrlichung des Naziregimes oder gar die Leugnung des Holocausts sind in den USA nicht strafbar, denn sie sind nicht anderes als Meinungsäußerungen. – First Amendment! Zwar ist den Amerikanern auch ihre Fahne heilig, aber wenn beispielsweise jemand zum Zeichen des Protests die Stars and Stripes verbrennt, dann ist auch das o.k. – First Amendment! Und um wie vieles stärker ist der Schutz, den das First Amendment einem Buchverlag namens "Public Affairs" bietet, der das Werk eines ehemaligen Staatssekretärs im Außenamt der Clinton-Administration veröffentlichen will. Man kann zwar hoffen, wenn einem dieses Werk nicht passt, dass es sang- und klanglos im Meer der Neuerscheinungen untergehe, dass es unbeachtet bleibe und ein kommerzieller Misserfolg werde, aber verhindern, dass es gedruckt und ausgeliefert werde, das kann man nicht.

    Und so besteht die erste Pointe der zu erzählenden Geschichte darin, dass ausgerechnet die Schweizer Regierung diese Grundtatsache der amerikanischen Demokratie offenbar nicht kennt – oder jedenfalls bis letzten Donnerstag nicht kannte. Denn erst am Donnerstag ließ der Außenminister der schweizerischen Eidgenossenschaft, Joseph Deiss, frustriert von dem Versuch ab, mit Hilfe seines Botschafters in Washington und einer Riege hochbezahlter Anwälte das amerikanische Buch "Imperfect Justice" des amerikanischen Autors Stuart Eizenstat vom amerikanischen Publikum fernzuhalten, weil auf dem Buchumschlag die Schweizer Fahne verunglimpft werde.

    In der Tat spielt das Cover mit dem eidgenössischen Nationalsymbol, dem weißen Kreuz auf rotem Grund. Goldbarren überlagern das Kreuz so, dass ein Hakenkreuz daraus wird, und das sei eine ungeheuerliche Beleidigung, findet nicht nur Bundesrat Deiss, sondern ein Großteil öffentlichen Meinung in der Schweiz, die sich seit nunmehr einer Woche in Presse, Funk und Fernsehen über diese Angelegenheit erregt. Selbst der Historiker Jean-François Bergier, der fünf Jahre lang mit einer ganzen Kommission nach Indizien für die durch diese Grafik ausgedrückte Behauptung suchte, nämlich dass sich die Schweiz mit Hitlers Regime gemein gemacht und an den Opfern dieses Regimes unredlich bereichert habe, Bergier nennt das Cover ebenfalls "geschmacklos und verletzend". Denn das Schweizerkreuz sei ein Symbol des ganzen Volks, während allenfalls bestimmte Banken – allen voran die Nationalbank – und einzelne Unternehmen an den Pranger gestellt gehörten.

    Solche Differenzierungen sind im Hinblick auf einen reißerischen Buchumschlag natürlich obsolet. Bereits Jean Zieglers vor vier Jahren erschienener Bestseller "Die Schweiz, das Gold und die Toten" trug eine Kombination aus Schweizerkreuz und Hakenkreuz auf dem Titel. Doch während sich die offizielle Schweiz mit ihrem berühmtesten Parlamentarier nicht mehr auseinandersetzt, hat sie mit Stuart Eizenstat gewissermaßen noch ein Hühnchen zu rupfen: Er war es schließlich gewesen, der ab 1995 als amerikanischer Unterstaatssekretär die Verhandlungen um die vom Jüdischen Weltkongress geforderten Entschädigungszahlungen der Schweizer Banken begleitet hatte. Als dabei die beachtliche Summe von 1,25 Milliarden Dollar herauskam, sprachen in der Schweiz sogar Regierungsmitglieder von Erpressung – und lösten damit neuen diplomatischen Wirbel aus.

    Von genau diesem taktischen Hickhack, von den Attitüden der Beteiligten und von den Versuchen, schreckliche Schicksale mit Geldbeträgen aufzurechnen, handelt Eizenstats Bericht. Er ist in einem sachlich-ruhigen Ton verfasst, ein Dokument der Zeitgeschichte, das unter anderem zeigt, wie die Schweizer Banker durch Sturheit und Ungeschicklichkeit die jüdisch-amerikanischen Verhandlungspartner regelmäßig düpierten. Wenn es für dieses unangemessene Auftreten der Alpen-Kassierer auf dem amerikanischen Parkett noch einer Illustration bedurft hätte, dann hat sie die Regierungsaktion in Sachen Buchveröffentlichung geliefert. Die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei hat schon gefordert, gegenüber Eizenstat eine Einreisesperre in die Schweiz zu verhängen, um ihn an der Teilnahme am Davoser World Economic Forum in kommenden Februar zu hindern. Diese Maßnahme wurde von der Regiering in Bern immerhin abgelehnt. Wenn Eizenstat wie geplant nach Davos kommt, trifft er dort vielleicht die neue Schweizer Außenministerin Micheline Calmy-Rey. Die darf dann die Suppe ihres Vorgängers auslöffeln und den Amerikaner um Verzeihung bitten für eine in der Geschichte der internationalen Beziehungen und der Publizistik präzedenzfalllose Narretei.

    Link: mehr ...

    527.html