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Schweizer Hotelspiele im Winter 1948

Im Vergleich zu heute waren Olympische Spiele vor 65 Jahren erheblich kleiner. Gerade einmal 700 Athleten aus 28 Nationen gingen in St. Moritz im Jahre 1948 an den Start. Im Oberengadin wurde in insgesamt 24 Wettbewerben um Medaillen gekämpft. Zum Vergleich: 2010 in Vancouver gab es 86 Entscheidungen.

Von Gerd Michalek | 03.02.2013
    Heutzutage sehen Milliarden Zuschauer Olympische Spiele im Fernsehen. Vor Ort erleben Millionen Sportbegeisterte die Entscheidungen. Im Januar 1948 war das völlig anders: Das nur 2000 Einwohner große Sankt Moritz hatte - 20 Jahre nach seinem Olympia-Debüt von 1928 - seinen überschaubaren Wettkampcharakter behalten. Sporthistoriker Karl Lennartz:

    "Zuschauer waren die Schweizer, die es sich leisten konnten, in den Hotels zu leben, deshalb wurden die Spiele von 1928 als Hotelspiele bezeichnet, das müßte man auch über die von 1948 sagen."

    Insgesamt kamen 1948 nur etwa 15.000 Zuschauer in das Schweizer Hochtal. Das lag auch an der schwierigen wirtschaftlichen Lage in Europa kurz nach dem zweiten Weltkrieg. Der Organisationsaufwand bei den Engadiner Sportstätten hielt sich in Grenzen: Das Eislaufen fand auf dem Moritzsee statt. Für die Skispringer wurde die alte Schanze von 1928 ein wenig renoviert. Bob und Skeleton wurden auf den vorhandenen Naturbahnen gefahren. Vor allem das Equipment der Athleten war himmelweit von heutiger Technik entfernt. Berichtet im Rückblick der ehemalige Skirennläufer Karl Molitor

    "Man hat keine Sicherheitsbindung gehabt, keine Helme, nur eine Mütze und eine altmodische Brille."

    Nur zwei Rennläufer waren schneller als der Schweizer Karl Molitor, der schließlich Bronze im Abfahrtslauf holte. Das Rennen führte über eine holprige 3300 Meter lange Piste.

    "Da waren überhaupt keine Netze, wie man heute hat gegen die Stürze. Es gab überhaupt keine Sicherheitsvorkehrungen, vielleicht war mal eine Matratze an einem Baum angebunden. Aber das war auch alles."

    Schon damals galt die Abfahrt als alpine Königsdisziplin. Die Spitzengeschwindigkeit lag bei immerhin etwa 80 Kilometern pro Stunde. Sicherheitsbindungen gab es jedoch nicht.

    "Zu unserer Zeit hat man sich entweder die Ski gebrochen oder das Bein gebrochen oder wenn man Glück hat, ist man durchgekommen, aber der Ski ist niemals vom Fuß weggekommen."

    Wer heil unten ankam, wurde bejubelt. Ski-Rennen waren Ehre-Sache, Geld gab es dafür nicht. Athleten wie Molitor bekamen vom Schweizer Verband die Zeit der Winterspiele 10 Franken Tagegeld, was für eine gute warme Mahlzeit reichte. Die meisten der gut 700 Teilnehmer waren reine Amateure, die mit zwei- bis dreimal Training pro Woche dennoch zur internationalen Elite zählten. Einige wenige konnten ihre Olympia-Erfolge finanziell nutzen, bestätigt Karl Lennartz:

    "Der eine ist Dick Button, der Eiskunstläufer, der gewinnt die Goldmedaille, der ist der erste, der Dreifachsprünge schafft und auch 1952 siegt. Und der bis heute bei allen Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen auftaucht als Promotor."

    An Medaillen gemessen wurde Norwegen einmal mehr erfolgreichste Nation bei Winterspielen. Deutschland durfte drei Jahre nach dem Zusammenbruch des Nazi-Regimes noch nicht wieder an internationalen Wettbewerben teilnehmen.
    Wie die meisten späteren Winterspiele erlebte auch St. Moritz einen Skandal: Sporthistoriker Lennartz über den so genannten Eishockeystreit.

    "Es waren zwei Mannschaften angereist, der Eishockey-Weltverband hatte einen anderen Eishockey-Verband anerkannt in den USA, der nicht anerkannt wurde vom NOK der USA. Tagelang hat das IOC darüber beraten. Fast wäre die gesamte USA-Mannschaft abgereist, dann hat man versucht beide Mannschaften spielen zu lassen, weil die Wettbewerbe schon angefangen hatten. Ein Riesendurcheinander also. Am Schluss bewertet man keine der amerikanischen Mannschaften. "

    Die Schweiz wurde dadurch im Eishockey zum lachenden Dritten und holte die Bronze-Medaille. Im Olympia-Programm von 1948 standen ein paar kuriose Disziplinen - so der Demonstrations-wettbewerb Militär-Patroullien-Lauf: Ein Offizier musste gemeinsam mit vier Soldaten durch den Schnee laufen, er kommandierte, die Soldaten schossen auf Scheiben. Ähnlich merkwürdig ist ein Mehrkampf, so Karl Lennartz, der nur einmal olympisch war.

    "Es gibt eine Besonderheit, den Winterfünfkampf - bestehend aus Langlauf, Schießen, Abfahrtslauf, Fechten und Reiten. Das hat sich aber nicht durchgesetzt."

    Die ersten Nachkriegswinterspiele beeindruckten die Athleten vor allem wegen ihrer familiären Atmosphäre. Die Sportler besuchten sich oft gegenseitig bei den Wettbewerben, erinnert sich der inzwischen 92jährige Karl Molitor:

    "Das ganze Spiel Olympia war im selben Ort – (wir) sind zu einigen Hockeyspielen gegangen und haben gequatscht und geschrieen. Die waren aber auch bei uns, bei der Abfahrt. Der Zusammenhalt war viel größer."