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''Schweizer Taschenmesser'' für Chemiker

Chemie. - Dendrimere sind kugelförmige Riesenmoleküle, die seit den neunziger Jahren eingehend erforscht werden, denn sie bieten die Chance für eine neue Chemie, die so vielseitig ist wie ein Schweizer Taschenmesser. Dendrimere können andere Substanzen transportieren, sie können zu kleinen Leuchtkörpern modifiziert werden oder auch als Klebstoff fungieren. Kein Wunder also, dass Chemiker von den fügsamen Moleküldienern begeistert sind. Besonders intensiv beschäftigt sich das Kekule-Institut für Organische und Biochemie der Universität Bonn mit Dendrimeren.

    Ihren Namen verdanken Dendrimere den griechischen Wörtern für Baum und Teil, dendros und meros. So bestehen die Riesenmolekülen aus langen und unzählig verästelten Zweigen, die selbst immer neue molekulare Ärmchen tragen. So entsteht gleichsam eine gebogene Fläche, die sich – sofern groß genug – zu einer Kugel schließt. Doch die Konstruktion besitzt einen weiteren Vorteil: an den zahllosen Enden der Verzweigungen lassen sich chemische Gruppen andocken, über die der tragenden "Decke" bestimmte Eigenschaften verliehen werden. So können Chemiker beispielsweise gezielt Gruppen verankern, die mit Wassermolekülen interagieren und dadurch Dendrimeren quasi das Schwimmen beibringen. Werden dagegen modifizierte Antikörper, die bei Bestrahlung mit ultraviolettem Licht fluoreszieren, als "Nutzlast" montiert, können Dendrimere an Krebszellen mit passenden Antigenen koppeln und sie durch ihr Leuchten sichtbar machen. Auf diese Weise, so konstatiert Professor Fritz Vögtle vom Kekule-Institut für Organische und Biochemie der Universität Bonn und einer der Pioniere der Dendrimerchemie, könnten die vielseitigen Lastesel der Chemie nahezu beliebige Infektionskrankheiten aufzeigen: "Wenn sie einen Antikörper zu Krankheiten wie BSE, Grippe bis hin zu SARS besitzen, dann können Sie ihn an fluoreszente Dedrimere heften und so das Antigen – die Keime – nachweisen. Selbst die Konzentration eines Antigens kann darüber exakt vermessen werden." So können Dendrimer-Detektive auch wichtige Hinweise liefern, ob und in welchem Umfang eine Therapie eingeleitet werden muss.

    Gar Science Fiction-Ideen scheinen mit den großen Kugelmolekülen in greifbare Nähe gerückt, darunter etwa die Fernsteuerung von Molekülen. "In Dendrimere kann man Gruppen einbauen, so genannte Azobenzol-Einheiten, die auf ein ultraviolettes Lichtsignal hin ihre Form ändern. Das ist zwar noch Zukunftsmusik, aber bereits heute arbeiten Projekte an Molekülen, die auf diese Weise dirigiert werden können", berichtet Vögtle. Damit könnten möglicherweise eines Tages sogar molekulare Nano-Roboter produziert werden, die an bestimmte Orte gelenkt werden, um dort etwa Wirkstoffe freizusetzen. "Heute ist die Synthese noch nicht so weit, aber es ist denkbar, dass mit unterschiedlichen Wellenlängen des Lichtsignals auch verschiedene Funktionen eines solchen Roboters ausgelöst werden, etwa Bewegungen in verschiedene Richtungen." Nützlich wären solche, auf kristallinen Oberflächen fixierten Nanobots, die sich zu ganzen Ketten formieren und so wiederum neue Funktionseinheiten oder wie auf einem Chip "chemische Leiterbahnen" bilden und auf diese Weise ein ganzes Chemielabor auf geringster Fläche ermöglichen.

    Besonders verblüffend ist dabei, dass die komplexen Dendrimere selbst relativ einfach herzustellen sind: sie werden – wenn auch nach raffinierten Rezepten – nasschemisch "zusammengekocht". Doch bis die findigen Laborköche so ganze molekulare Golems erschaffen können, wird noch viel Zeit vergehen. Näher liegt da schon der Dendrimer-Käfig, der andere Verbindungen aufnehmen und auf ein Signal hin freisetzen kann. In Kombination mit Antikörpern wären so steuerbare Medikamente möglich, die nur dort ihre Wirkung entfalten, wo sie das auch sollen. Bereits heute existieren Dendrimere, die das Element Gadolinium einschließen und so seine Verweildauer in Blutgefäßen verlängern. Dadurch entsteht ein hervorragendes Kontrastmittel für kernspintomographische Untersuchungen.

    [Quelle: Mathias Schulenburg]