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Schweizer Tessin
Deutschsprachige Zeitung als Nischenangebot

Seit 1908 besteht die deutschsprachige "Tessiner Zeitung". Sie will eine Brücke zur überwiegend italoschweizer Bevölkerung bilden. Einmal die Woche erscheint sie und bietet stark regionale Berichterstattung.

Von Joachim Schmidthammer | 07.05.2016
    Im Jahr 1908, als die deutschsprachige "Tessiner Zeitung" zum ersten Mal erschien, lebten nur 6000 Deutschschweizer im italienisch sprechenden Südkanton – gerade mal drei Prozent der Bevölkerung des Tessins. Ein Kanton, der vor der Eröffnung der Gotthardbahn 1882 für die Deutschschweizer nur über teils unwegsame Alpenpässe erreichbar gewesen war. Heute ist das Tessin das von allen Himmelsrichtungen gut zugängliche Sonnenparadies der Schweiz, beliebt auch bei vielen Deutschen.
    Aber die "Tessiner Zeitung", kurz TZ, ist bis heute das einzige deutschsprachige Organ im Tessin und bemüht sich, eine Brücke zwischen Nord- und Südschweiz zu sein. Ist die "Tessiner Zeitung" - mehr als hundert Jahre nach ihrem Ersterscheinen – immer noch ein Fremdkörper in der italienischen Schweiz? Die Chefredakteurin Marianne Baltisberger:
    "Sie ist sicher ein Sonderfall, wie man so schön sagt in der Schweiz, und sie wird es auch immer bleiben. Weil die Deutschschweizer sind nicht überall, oder aber die Deutschsprachigen im Generellen, sind nicht überall gern gesehen hier im Tessin. Das kommt von früher her, dass die Landvogte hier das Tessin beherrschten, aus dem Norden. Und da versuchen wir uns doch immer auch, ein bisschen anzupassen, nicht mit dem Zeigefinger zu schreiben, sondern zu erklären, was die Probleme und Anliegen des Tessins sind."
    Die Landvögte der Eidgenossenschaft hatten das Tessin rund 400 Jahre beherrscht, bis das Tessin 1803 endlich vollwertiger Kanton der Eidgenossenschaft wurde. Wechselseitige Ressentiments gibt es aber bis heute. Und auch die "Tessiner Zeitung" blieb davon nicht verschont. Seit rund 50 Jahren aber wird die "Tessiner Zeitung" von einer Italoschweizer Familie geführt. Giò Rezzonico, Verleger der TZ in zweiter Generation, sieht seine Zeitung als Vermittler und Brücke zwischen beiden Gemeinschaften.
    "Sein Anliegen ist es, eine "Tessiner Zeitung" mit der Idee des Tessins, auch ein bisschen mit dem Charakter der Tessiner, aber in deutscher Sprache zu gestalten. Von dem her ist es Hobby und Broterwerb, aber sicher muss er dabei nicht drauflegen."
    Das einigermaßen komfortable wirtschaftliche Überleben der "Tessiner Zeitung" sichern rund 8.000 Abonnenten, überwiegend Deutschschweizer, die ihren Wohn- oder Ruhesitz in den Südkanton verlegt haben. Die weitere Auflage, rund 2.000, wird an Kiosken verkauft, ebenfalls zumeist an Urlauber aus dem deutschsprachigen Norden.
    "Nachher sind natürlich die Anzeigen sehr wichtig. Da ist auch der Tourismus, der spielt ein große Rolle, zum Beispiel Gastronomie, Hotellerie. Und dann Immobilien, das ist auch ein großer Teil bei den Anzeigen. Aber wie gesagt: Dadurch, dass wir viele Abonnenten haben, sind wir nicht so stark auf den Anzeigenmarkt angewiesen."
    Die "Tessiner Zeitung" hat fünf Redakteure, jeweils beschäftigt zu 80 Prozent. Redaktionssitz ist Locarno am Lago Maggiore. Außenstellen in den anderen Landesteilen, im Bellinzonese oder im Raum Lugano, gibt es nicht.
    "Es wäre sehr schön, wenn wir Geld hätten, um noch andere Zweigstellen zu haben. Wir sind bisschen angewiesen auf freie Mitarbeiter, die uns auch aus den anderen Regionen des Tessins immer wieder ein bisschen Insiderwissen mitteilen."
    Vor zehn Jahren hat die TZ formal und inhaltlich ein völlig neues Gesicht bekommen. Aus dem dreimal wöchentlich erscheinenden Organ wurde ein Wochenblatt, ausgeliefert an Abonnenten und Kioske jeden Freitag, zum Wochenende, mit stark regionalem Charakter, also überwiegend Berichten aus dem Tessin und umfangreichem Kalender von Veranstaltungen in der folgenden Woche aus dem ganzen Kanton.
    "Wir versuchen, alle Regionen gleich zu berücksichtigen. Besonders im Kulturteil ist das manchmal ein bisschen schwierig. Da ist Lugano, die Region, jetzt mit dem neuen Kulturzentrum LAC, auch sehr dominant. Aber das Tessin hat eine ungeheure Vielfalt. Und diese Vielfalt auch in die Zeitung zu bringen, ist eigentlich das Ziel hier von uns allen."
    Die Selbstbeschränkung auf Tessiner Themen war eine kluge Entscheidung. Warum soll ein Nischenblatt mit klar definierter Zielgruppe inhaltlich in Wettbewerb treten mit den redaktionsstarken Nachrichten- und Kommentarblättern aus den Zentren der Schweiz? Kundengerechter und ökonomisch vernünftiger ist die Pflege der Kooperation mit den Tourismusbüros des Kantons.
    "Da gibt es zum Beispiel ein Onlineangebot, "Ticino Weekend", wo immer das Interessanteste fürs kommende Wochenende im Tessin präsentiert wird. Das wird redaktionell von der Redaktion der Tessiner Zeitung betreut und finanziell von den Tourismusbüros mit unterstützt."