"Das wird ein zweiter Rubinstein!" - so soll der Klavierlehrer von Joseph Marx einmal ausgerufen haben. Doch weniger als Pianist, als vielmehr als Komponist machte Joseph Marx seinen Weg. Vielen galt der 1882 Geborene als der bedeutendste Lyriker in der österreichischen Musik des 20. Jahrhunderts - ein Antipode zur Zweiten Wiener Schule um Arnold Schönberg und ein Verfechter der Tonalität, weltweit geschätzt und hoch geehrt.
Doch noch zu Lebzeiten sank der Stern des Komponisten. Warum weder der Name Joseph Marx, noch sein Werk heutzutage bekannt sind, darum soll es in den kommenden 20 Minuten gehen - anhand einer Neueinspielung des BBC Symphony Orchestra.
Track 8: Selige Nacht
Christine Brewer war das mit "Selige Nacht", einem Lied, komponiert von einem Doktor der Philosophie: Joseph Marx hatte bereits 1908 als 26-Jähriger promoviert. Etwa in dieser Zeit, zwischen 1901 und 1909, schrieb Marx auch das erste Drittel seiner fast 150 Lieder: schwelgerische, oft von mythischem Gedankengut durchtränkte Gesänge in traditioneller Harmonik, die schnell populär wurden.
In gleich zwei Dissertationen befasste Marx sich auch wissenschaftlich mit dem Wesen der Tonalität. Basierend auf etwa 8000 Einzelversuchen mit unterschiedlich musikalisch-gebildeten Probanden ging es ihm um die Erforschung psychologischer Wahrnehmungsphänomene beim Hören von verschiedenen Melodien, Intervallen und Akkorden. Marx kommt darin zu dem Schluss, dass Menschen dazu neigen, bei komplexeren Akkorden Töne hinzu zu hören.
Sie suchen nach etwas Vertrautem und sind bestrebt, das Gehörte in einen tonalen, harmonischen Kontext zu übertragen, selbst wenn der real gar nicht hörbar ist. Gelingt dies nicht und dominiert das Atonale - oder extrem simpel ausgedrückt: überwiegt das Schrägtönende -, das sich auch in der Vorstellung der Probanden klanglich nicht mehr auflösen lässt, so entsteht beim Hören solcher Klänge ein gewisser Widerstand, so folgerte Marx.
Seine wissenschaftlichen und kompositorischen Bekenntnisse zur Tonalität, der Joseph Marx ein Leben lang treu geblieben ist, hielten ihn aber dennoch nicht davon ab, auch atonalen Werken Respekt zu zollen. Er lobte sie, wenn er interessante Klangwirkungen an ihnen wahrnahm. Und beinahe hätte es in Wien auch eine Chance auf friedliche Koexistenz von Tonalität und Zwölftonmusik gegeben. Denn Marx hatte mit Erfolg die Gründung einer "Hochschule für Musik" in Wien betrieben. Und als deren erster Rektor bot er dem befreundeten Arnold Schönberg 1922 eine Stelle als Professor für Komposition an. Schönberg aber lehnte ab. Und so blieb es dabei: Marx galt immer mehr als die konservative Vaterfigur der Tonalität, Schönberg als der Verfechter der atonalen Moderne.
Track 9: Sommerlied
Burschikos wie Mahler, schwelgerisch wie Schreker, harmonisch variantenreich wie Strauss: Diese Mischung ist gleichzeitig das Markenzeichen der Musik von Joseph Marx. Und er spart in seinen Liedern - wie zum Beispielweise dem "Sommerlied" - auch nicht mit technischen Herausforderungen an seine Interpreten: Doch Christine Brewer meistert die teilweise heftigen Sprünge in der Melodie mühelos. Ihr runder, voller Sopran passt gut zu dieser opulenten Musik, die Jirí Belohlávek das BBC Symphony Orchestra auffächern lässt. Lediglich mit der Textverständlichkeit hapert es gelegentlich bei der Amerikanerin.
In der Österreichischen Nationalbibliothek lagert der Nachlass von Joseph Marx. Dazu zählt auch ein Konvolut aus etwa 15.000 Briefen von etwa 3500 unterschiedlichen Absendern. Diese enorme Anzahl verdeutlicht, wie populär Marx gewesen sein muss. Die Briefe belegen aber auch, dass die Vorwürfe gegen ihn, er sei ein NS-Funktionär gewesen, nicht den Tatsachen entsprechen. Zwar ist Marx nicht emigriert und hat auch Vorträge zur Musik im NS-Staat und zur "Rettung der untergehenden Musikkultur" gehalten. Gleichzeitig aber half Joseph Marx vielen jüdischen Künstlerfamilien mit seinem politischen Einfluss, der Deportation durch die Nazis zu entkommen. Überliefert sind Dankesbriefe vor allem von seinen Schülern. 1956 besuchte ihn sogar Herbert Zipper, einer seiner Studenten, KZ-Überlebender und Komponist des Dachau-Liedes. Wie groß die Reputation von Joseph Marx war, zeigt sich daran, dass er Anfang der 50er-Jahre sogar als Kandidat für das Amt des österreichischen Bundespräsidenten gehandelt wurde.
Nach seinem Tod 1964 geriet der Name Joseph Marx jedoch immer mehr ins Abseits. Er galt nun als erzkonservativer Traditionalist, und seine Musik wurde kaum noch gespielt. En vogue war nun Avantgarde-Musik, die den Tonalitätsbegriff ablehnte. Fatal zudem: Die Namensähnlichkeit zu Karl Marx, einem österreichischen Komponisten, der Lieder für die Hitlerjugend komponiert hatte.
So geriet Joseph Marx immer mehr in Vergessenheit und ist heute nur noch Insidern ein Begriff. Bezeichnend in diesem Zusammenhang, dass es ausgerechnet ein englisches CD-Label und ein englisches Orchester waren, die nun eine Joseph-Marx-Platte herausgebracht haben, auf der sich übrigens fast ausschließlich Ersteinspielungen befinden, wie zum Beispiel die "Berghymne", die erst 2005 im Nachlass als Particell entdeckt wurden.
Track 18: Berghymne
Vor ihrer Ersteinspielung beim Label Chandos sei die "Berghymne" von Joseph Marx noch nie aufgeführt worden, so steht es im ausführlichen Booklet-Text zur Joseph-Marx-CD zu lesen. Marx hatte sie als "Skizze für Chor und Orchester" bezeichnet und ihr ein üppiges Orchestervorspiel vorangestellt. Wann er dieses nur gut zwei Minuten dauernde Stück geschrieben und warum er es nicht selbst orchestriert hat, das liegt im Dunkeln.
Von weit größeren Ausmaßen ist das erste Chorwerk von Joseph Marx, komponiert 1911 als sein erstes Orchesterwerk überhaupt - die Kantate "Herbstchor an Pan". In ihr spiegelt sich seine Vorliebe für griechische Mythologie und antike Lebensart. Romantisch-impressionistische Klangfarben schillern darin, vorgetragen von einem Riesenapparat: einem gemischten Chor, einem Knabenchor, mehreren Solisten und einem riesig besetzten Orchester; sogar eine Orgel ist dabei - und das alles komponiert noch vor Werken wie etwa Franz Schrekers Oper "Der ferne Klang", die erst 1912 zur Uraufführung kam, oder den "Gezeichneten" von 1918.
Track 3,4: Herbstchor an Pan
"Der Herbstchor an Pan", ein großbesetztes Chorwerk des österreichischen Komponisten Joseph Marx, dessen Einspielung wir der BBC zu verdanken haben, denn diese CD entstand als Koproduktion von BBC3 mit dem englischen Label Chandos. Mit beherztem Schlag, aber ohne übertriebenes Pathos führt Jirí Belohlávek hier den hervorragenden Trinity Boys Choir und den BBC Symphony Chorus durch die Partitur, lässt das BBC Symphony Orchestra opulente Klangmassen wälzen; bändigt den großen Klangapparat aber stellenweise auch, als wäre es ein Kammerorchester.
So entsteht eine riesige Palette an Klangfarben und Stimmungen - und damit eine gelungene CD voller interessanter Ersteinspielungen. Und das in einer Zeit, in der Tonalität oder Atonalität kein Qualitätskriterium mehr sein sollte - meint Falk Häfner.
Joseph Marx "Orchestral Songs and Choral Works”
Christine Brewer, Sopran
Trinity Boys Choir
Apollo Voices
BBC Symphony Chorus & Orchestra
Leitung: Jirí Belohlávek
Bestell-Nr. CHAN105050 / LC 07038; Chandos
Doch noch zu Lebzeiten sank der Stern des Komponisten. Warum weder der Name Joseph Marx, noch sein Werk heutzutage bekannt sind, darum soll es in den kommenden 20 Minuten gehen - anhand einer Neueinspielung des BBC Symphony Orchestra.
Track 8: Selige Nacht
Christine Brewer war das mit "Selige Nacht", einem Lied, komponiert von einem Doktor der Philosophie: Joseph Marx hatte bereits 1908 als 26-Jähriger promoviert. Etwa in dieser Zeit, zwischen 1901 und 1909, schrieb Marx auch das erste Drittel seiner fast 150 Lieder: schwelgerische, oft von mythischem Gedankengut durchtränkte Gesänge in traditioneller Harmonik, die schnell populär wurden.
In gleich zwei Dissertationen befasste Marx sich auch wissenschaftlich mit dem Wesen der Tonalität. Basierend auf etwa 8000 Einzelversuchen mit unterschiedlich musikalisch-gebildeten Probanden ging es ihm um die Erforschung psychologischer Wahrnehmungsphänomene beim Hören von verschiedenen Melodien, Intervallen und Akkorden. Marx kommt darin zu dem Schluss, dass Menschen dazu neigen, bei komplexeren Akkorden Töne hinzu zu hören.
Sie suchen nach etwas Vertrautem und sind bestrebt, das Gehörte in einen tonalen, harmonischen Kontext zu übertragen, selbst wenn der real gar nicht hörbar ist. Gelingt dies nicht und dominiert das Atonale - oder extrem simpel ausgedrückt: überwiegt das Schrägtönende -, das sich auch in der Vorstellung der Probanden klanglich nicht mehr auflösen lässt, so entsteht beim Hören solcher Klänge ein gewisser Widerstand, so folgerte Marx.
Seine wissenschaftlichen und kompositorischen Bekenntnisse zur Tonalität, der Joseph Marx ein Leben lang treu geblieben ist, hielten ihn aber dennoch nicht davon ab, auch atonalen Werken Respekt zu zollen. Er lobte sie, wenn er interessante Klangwirkungen an ihnen wahrnahm. Und beinahe hätte es in Wien auch eine Chance auf friedliche Koexistenz von Tonalität und Zwölftonmusik gegeben. Denn Marx hatte mit Erfolg die Gründung einer "Hochschule für Musik" in Wien betrieben. Und als deren erster Rektor bot er dem befreundeten Arnold Schönberg 1922 eine Stelle als Professor für Komposition an. Schönberg aber lehnte ab. Und so blieb es dabei: Marx galt immer mehr als die konservative Vaterfigur der Tonalität, Schönberg als der Verfechter der atonalen Moderne.
Track 9: Sommerlied
Burschikos wie Mahler, schwelgerisch wie Schreker, harmonisch variantenreich wie Strauss: Diese Mischung ist gleichzeitig das Markenzeichen der Musik von Joseph Marx. Und er spart in seinen Liedern - wie zum Beispielweise dem "Sommerlied" - auch nicht mit technischen Herausforderungen an seine Interpreten: Doch Christine Brewer meistert die teilweise heftigen Sprünge in der Melodie mühelos. Ihr runder, voller Sopran passt gut zu dieser opulenten Musik, die Jirí Belohlávek das BBC Symphony Orchestra auffächern lässt. Lediglich mit der Textverständlichkeit hapert es gelegentlich bei der Amerikanerin.
In der Österreichischen Nationalbibliothek lagert der Nachlass von Joseph Marx. Dazu zählt auch ein Konvolut aus etwa 15.000 Briefen von etwa 3500 unterschiedlichen Absendern. Diese enorme Anzahl verdeutlicht, wie populär Marx gewesen sein muss. Die Briefe belegen aber auch, dass die Vorwürfe gegen ihn, er sei ein NS-Funktionär gewesen, nicht den Tatsachen entsprechen. Zwar ist Marx nicht emigriert und hat auch Vorträge zur Musik im NS-Staat und zur "Rettung der untergehenden Musikkultur" gehalten. Gleichzeitig aber half Joseph Marx vielen jüdischen Künstlerfamilien mit seinem politischen Einfluss, der Deportation durch die Nazis zu entkommen. Überliefert sind Dankesbriefe vor allem von seinen Schülern. 1956 besuchte ihn sogar Herbert Zipper, einer seiner Studenten, KZ-Überlebender und Komponist des Dachau-Liedes. Wie groß die Reputation von Joseph Marx war, zeigt sich daran, dass er Anfang der 50er-Jahre sogar als Kandidat für das Amt des österreichischen Bundespräsidenten gehandelt wurde.
Nach seinem Tod 1964 geriet der Name Joseph Marx jedoch immer mehr ins Abseits. Er galt nun als erzkonservativer Traditionalist, und seine Musik wurde kaum noch gespielt. En vogue war nun Avantgarde-Musik, die den Tonalitätsbegriff ablehnte. Fatal zudem: Die Namensähnlichkeit zu Karl Marx, einem österreichischen Komponisten, der Lieder für die Hitlerjugend komponiert hatte.
So geriet Joseph Marx immer mehr in Vergessenheit und ist heute nur noch Insidern ein Begriff. Bezeichnend in diesem Zusammenhang, dass es ausgerechnet ein englisches CD-Label und ein englisches Orchester waren, die nun eine Joseph-Marx-Platte herausgebracht haben, auf der sich übrigens fast ausschließlich Ersteinspielungen befinden, wie zum Beispiel die "Berghymne", die erst 2005 im Nachlass als Particell entdeckt wurden.
Track 18: Berghymne
Vor ihrer Ersteinspielung beim Label Chandos sei die "Berghymne" von Joseph Marx noch nie aufgeführt worden, so steht es im ausführlichen Booklet-Text zur Joseph-Marx-CD zu lesen. Marx hatte sie als "Skizze für Chor und Orchester" bezeichnet und ihr ein üppiges Orchestervorspiel vorangestellt. Wann er dieses nur gut zwei Minuten dauernde Stück geschrieben und warum er es nicht selbst orchestriert hat, das liegt im Dunkeln.
Von weit größeren Ausmaßen ist das erste Chorwerk von Joseph Marx, komponiert 1911 als sein erstes Orchesterwerk überhaupt - die Kantate "Herbstchor an Pan". In ihr spiegelt sich seine Vorliebe für griechische Mythologie und antike Lebensart. Romantisch-impressionistische Klangfarben schillern darin, vorgetragen von einem Riesenapparat: einem gemischten Chor, einem Knabenchor, mehreren Solisten und einem riesig besetzten Orchester; sogar eine Orgel ist dabei - und das alles komponiert noch vor Werken wie etwa Franz Schrekers Oper "Der ferne Klang", die erst 1912 zur Uraufführung kam, oder den "Gezeichneten" von 1918.
Track 3,4: Herbstchor an Pan
"Der Herbstchor an Pan", ein großbesetztes Chorwerk des österreichischen Komponisten Joseph Marx, dessen Einspielung wir der BBC zu verdanken haben, denn diese CD entstand als Koproduktion von BBC3 mit dem englischen Label Chandos. Mit beherztem Schlag, aber ohne übertriebenes Pathos führt Jirí Belohlávek hier den hervorragenden Trinity Boys Choir und den BBC Symphony Chorus durch die Partitur, lässt das BBC Symphony Orchestra opulente Klangmassen wälzen; bändigt den großen Klangapparat aber stellenweise auch, als wäre es ein Kammerorchester.
So entsteht eine riesige Palette an Klangfarben und Stimmungen - und damit eine gelungene CD voller interessanter Ersteinspielungen. Und das in einer Zeit, in der Tonalität oder Atonalität kein Qualitätskriterium mehr sein sollte - meint Falk Häfner.
Joseph Marx "Orchestral Songs and Choral Works”
Christine Brewer, Sopran
Trinity Boys Choir
Apollo Voices
BBC Symphony Chorus & Orchestra
Leitung: Jirí Belohlávek
Bestell-Nr. CHAN105050 / LC 07038; Chandos