"Also das Thema, ganz einfach oder vielleicht ganz naiv oder was weiß ich, aber dann doch immer wieder: wie leben? Also: wie kann man leben?"
So einfach vermag die 29jährige Dramatikerin Tine Rahel Völcker den Vorwurf der alten Theaterhasen zu konntern, Texte von Jungdramatikern kreisten nur um einen von Pubertät, Freundschaft, erster Liebe sowie einengenden Familienbeziehungen bestimmten Erfahrungsraum. Das stimmt zwar teilweise, aber es stimmt auch wieder nicht. Yvonne Büdenhölzer, Leiterin des Stückemarktes des Berliner Theatertreffens, bei dem Jahr für Jahr hunderte von Stücken eingereicht werden:
" Es gibt wirklich so einen Drang nach Geschichten und auch ein bisschen nach Realität, also es wird auch viel recherchiert. Zum Beispiel auch die Felicia Zeller finde ich, mit dem "Kaspar Häuser Meer", das sind ja wirklich Figuren, die aus dem Leben kommen können. Klar sind es noch Kunstfiguren, sie sind zum Teil überhöht, aber es gibt schon so einen Wunsch nach Realität und Wirklichkeit und Wahrheit auch....."
Auffällt bei der Flut von neuen Stücken junger Dramatiker deren thematische und ästhetische Vielfalt und Unterschiedlichkeit. Dass viele der jungen Autoren allenfalls Mitte zwanzig sind, bedeutet allerdings nicht, dass ihre Themen und deren Behandlung "klein" bleiben. Die erst 22jährige Anne Rabe setzt sich in ihrem mit dem Frankfurter Kleist-Förderpreis ausgezeichneten Stück "Achtzehn Einhunderneun Lichtenhagen" mit den ausländerfeindlichen Krawallen im Rostocker Plattenbauviertel im Jahr 1992 auseinander und reflektiert zugleich, indem sie ihre Figuren einen Interviewfilm drehen lässt, biografische und familiäre Leerstellen der Nachwende. Tine Rahel Völcker hat mit "Frau Vivian bestellt eine Coca" und "Charlotte sagt: Fliegen" ihre eigene Art von Familienstücken geschrieben, hat sich dann in "Die Höhle vor der Stadt in einem Land mit Nazis und Bäumen" mit einem gesellschaftlich bewussten Aussteigertum auseinandergesetzt und schließlich ein Stück über den ehemaligen Berliner Bürgermeister Heinrich Albertz geschrieben, das gerade in Wilhelmshaven uraufgeführt wurde.
Auf der Kleinen Bühne des Volkstheaters München wird hoffnungsfroh gesungen, denn Amoz ist in Amerika angekommen. Der Freund von Lilly Link, der Hauptfigur in Philipp Löhles Stück, ist mit großen Hoffnungen und einer Erfindung nach Amerika gereist, und zurück blieben mit der Freundin auch die einstigen Ideale. Das Stück, dessen mitten im Wort abbrechender Titel "Lilly Link oder Schwere Zeiten für die Rev...."bereits den resignativen Zweifel an einer Utopie verdeutlicht, die im Nachnahmen der Titelfigur noch doppelt ausgedrückt scheint, ist der dritte Teil von Löhles "Trilogie der Träumer". Mit leichtem Witz erzählt Löhle, selbst Jahrgang 1978, von den scheiternden Versuchen junger Menschen seiner Generation, einen eigenen Weg ins und ihren individuellen Platz in einer perfekt defekten und fertig eingerichteten Gesellschaft zu finden:
In "Big Mitmache" scheitern die Ideale der Ökologiebewegung am Terrorismus, in "Genannt Gospodin" scheitert ein moderner Don Quichote an den Windmühlen des Kapitalismus, und in "Die Kaperer" scheitert ein ökologischer Utopist im Kampf gegen die Klimakatastrophe an der Dumpfheit seiner Mitmenschen.
"Was mir halt am meisten gefällt, ist irgendwie so ´ne Art, die Realität ins Absurde zu überdrehen oder so, und dadurch kriegt es dann halt immer irgendwie was. Wahrscheinlich auch was politisches, was ja auch gut ist, wenn es so was hat."
Das alte Medium Theater erfährt seit Jahren große Beachtung von einer Generation, die mit den neuen Medien aufgewachsen ist. Junge Leute schreiben heute zwar eher Theaterstücke als Gedichte, aber sie kennen das Theater und dessen Gesetzlichkeiten kaum.
Das sprachliche Rüstzeug holen sich viele mittlerweile an den Universitäten von Gießen, Leipzig oder Berlin im Studiengang "Szenisches Schreiben":
Da kein bestimmter Stil gelehrt wird, findet man bei den Jungdramatikern neben Stücken mit Rollenzuweisungen auch viele andere, die weder Dialoge noch Szenen mit klar gebauten Handlungen kennen. Oft gibt es statt unterschiedlicher Handlungsebenen nur verschiedene Sprachebenen, - die monologisch, gegeneinander gesetzt oder ineinander verschnitten vorgetragen werden können.
Der 35jährige Claudius Lünstedt, dessen "Krieger in Gelee" gerade am Schauspielhaus Wien uraufgeführt wurde, hat sein Stück aus drei jeweils halbstündigen Monologen zusammengesetzt. Angeregt durch den 6.Gesang aus Lautréamonts "Die Gesänge des Maldoror" beschreibt, oder besser, reflektiert Lünstedt hier im Rückblick die Haltungen von drei Figuren. Zuerst erzählt der junge Mervin von seiner Unwilligkeit, sich beim Rennen nach Konsum zu beteiligen. Als er einen Brief bekommt, der ihm den Ausbruch aus der Enge seiner Lebenswelt verspricht, geht er zum vorgeschlagenen Treffen mit dem unbekannten Absender. Im Hirn des Briefeschreibers Martin aber geistern kleine "Krieger" herum, die ihm zuflüstern, es existiere kein Unterschied zwischen Gut und Böse. Deshalb entführt Martin Mervin, um ihn zu töten.
Lünstedts Figuren sprechen eine interpunktionslose Kunstsprache, die mit ihren unvollständigen Sätzen auch grammatikalisch eine aus den Fugen geratene Welt beschreibt. Sie tritt auf der Beschreibungs-Stelle und wirkt zugleich beschleunigend.
Familienstücke und psychologischen Realismus gibt es bei der 38jährigen Felicia Zeller nicht. Sie untersucht Formen von Kommunikation und sucht den Sprechakt zwischen Bewegung und Erstarrung festzuhalten. In ihren Stücken bietet sie Zustandsbeschreibungen statt Handlungen. Ihr Stück "Kaspar Häuser Meer", das Kindesmisshandlung und Probleme von Sozialarbeit zum Thema hat, zeigt nicht das Leid der Kinder oder das Handeln der Täter. Denn dann wäre man nur unheimlich folgenlos betroffen und emotional aufgerührt und angeregt gewesen. Zeller zeigt ein gesellschaftliches Klima, indem sie drei Sozialarbeiterinnen bei ihrem täglichen Sprech- und Denkakten vorführt.
"Bei mir geht es um Haltungen, welche Haltungen können Leute in welchen Situationen noch halten, welche müssen sie annehmen, um quasi zu überleben. Überlebensstrategien vielleicht, und es geht auch meistens um Situationen, wo nicht viel Bewegung mehr stattfindet, nicht viel gehandelt wird oder eher die Leute das Gefühl haben, also meine Protagonisten, sie können gar nicht handeln, und deshalb so ne Art Lähmung haben bei enormem Sprechausfluss, bei großem Innendruck...., "
Zellers Stück bietet Sprachmusik über und aus unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit. Erbarmungsloser geht Ewald Palmetshofer mit seinen Figuren und seinem Publikum um. Der 30jährige schreibt Befindlichkeitsdramen wie "wohnen, unter glas", in denen die Figuren ihr monologisches Sprechen in Dauerschleifen inszenieren und dabei jeder Handlung und jeder dramatischen Entwicklung entbehren,. Oder er lässt in "hamlet ist tot. keine schwerkraft".
Vereinzelte vergeblich nach Gemeinschaft suchen. Während der 25jährige Dirk Laucke für ein Authentizitätstheater steht, indem er sich nur Themen zuwendet, die in seiner gesellschaftlichen Wirklichkeit spielen, vermag die 38jährige Katharina Gericke das Chaos unserer Realität nur vor dem Hintergrund historischer Ereignisse oder Figuren auszustellen.
Fazit: die Vielfalt der Erzählweisen und Themen bei den jungen Dramatikern ist beeindruckend.
So einfach vermag die 29jährige Dramatikerin Tine Rahel Völcker den Vorwurf der alten Theaterhasen zu konntern, Texte von Jungdramatikern kreisten nur um einen von Pubertät, Freundschaft, erster Liebe sowie einengenden Familienbeziehungen bestimmten Erfahrungsraum. Das stimmt zwar teilweise, aber es stimmt auch wieder nicht. Yvonne Büdenhölzer, Leiterin des Stückemarktes des Berliner Theatertreffens, bei dem Jahr für Jahr hunderte von Stücken eingereicht werden:
" Es gibt wirklich so einen Drang nach Geschichten und auch ein bisschen nach Realität, also es wird auch viel recherchiert. Zum Beispiel auch die Felicia Zeller finde ich, mit dem "Kaspar Häuser Meer", das sind ja wirklich Figuren, die aus dem Leben kommen können. Klar sind es noch Kunstfiguren, sie sind zum Teil überhöht, aber es gibt schon so einen Wunsch nach Realität und Wirklichkeit und Wahrheit auch....."
Auffällt bei der Flut von neuen Stücken junger Dramatiker deren thematische und ästhetische Vielfalt und Unterschiedlichkeit. Dass viele der jungen Autoren allenfalls Mitte zwanzig sind, bedeutet allerdings nicht, dass ihre Themen und deren Behandlung "klein" bleiben. Die erst 22jährige Anne Rabe setzt sich in ihrem mit dem Frankfurter Kleist-Förderpreis ausgezeichneten Stück "Achtzehn Einhunderneun Lichtenhagen" mit den ausländerfeindlichen Krawallen im Rostocker Plattenbauviertel im Jahr 1992 auseinander und reflektiert zugleich, indem sie ihre Figuren einen Interviewfilm drehen lässt, biografische und familiäre Leerstellen der Nachwende. Tine Rahel Völcker hat mit "Frau Vivian bestellt eine Coca" und "Charlotte sagt: Fliegen" ihre eigene Art von Familienstücken geschrieben, hat sich dann in "Die Höhle vor der Stadt in einem Land mit Nazis und Bäumen" mit einem gesellschaftlich bewussten Aussteigertum auseinandergesetzt und schließlich ein Stück über den ehemaligen Berliner Bürgermeister Heinrich Albertz geschrieben, das gerade in Wilhelmshaven uraufgeführt wurde.
Auf der Kleinen Bühne des Volkstheaters München wird hoffnungsfroh gesungen, denn Amoz ist in Amerika angekommen. Der Freund von Lilly Link, der Hauptfigur in Philipp Löhles Stück, ist mit großen Hoffnungen und einer Erfindung nach Amerika gereist, und zurück blieben mit der Freundin auch die einstigen Ideale. Das Stück, dessen mitten im Wort abbrechender Titel "Lilly Link oder Schwere Zeiten für die Rev...."bereits den resignativen Zweifel an einer Utopie verdeutlicht, die im Nachnahmen der Titelfigur noch doppelt ausgedrückt scheint, ist der dritte Teil von Löhles "Trilogie der Träumer". Mit leichtem Witz erzählt Löhle, selbst Jahrgang 1978, von den scheiternden Versuchen junger Menschen seiner Generation, einen eigenen Weg ins und ihren individuellen Platz in einer perfekt defekten und fertig eingerichteten Gesellschaft zu finden:
In "Big Mitmache" scheitern die Ideale der Ökologiebewegung am Terrorismus, in "Genannt Gospodin" scheitert ein moderner Don Quichote an den Windmühlen des Kapitalismus, und in "Die Kaperer" scheitert ein ökologischer Utopist im Kampf gegen die Klimakatastrophe an der Dumpfheit seiner Mitmenschen.
"Was mir halt am meisten gefällt, ist irgendwie so ´ne Art, die Realität ins Absurde zu überdrehen oder so, und dadurch kriegt es dann halt immer irgendwie was. Wahrscheinlich auch was politisches, was ja auch gut ist, wenn es so was hat."
Das alte Medium Theater erfährt seit Jahren große Beachtung von einer Generation, die mit den neuen Medien aufgewachsen ist. Junge Leute schreiben heute zwar eher Theaterstücke als Gedichte, aber sie kennen das Theater und dessen Gesetzlichkeiten kaum.
Das sprachliche Rüstzeug holen sich viele mittlerweile an den Universitäten von Gießen, Leipzig oder Berlin im Studiengang "Szenisches Schreiben":
Da kein bestimmter Stil gelehrt wird, findet man bei den Jungdramatikern neben Stücken mit Rollenzuweisungen auch viele andere, die weder Dialoge noch Szenen mit klar gebauten Handlungen kennen. Oft gibt es statt unterschiedlicher Handlungsebenen nur verschiedene Sprachebenen, - die monologisch, gegeneinander gesetzt oder ineinander verschnitten vorgetragen werden können.
Der 35jährige Claudius Lünstedt, dessen "Krieger in Gelee" gerade am Schauspielhaus Wien uraufgeführt wurde, hat sein Stück aus drei jeweils halbstündigen Monologen zusammengesetzt. Angeregt durch den 6.Gesang aus Lautréamonts "Die Gesänge des Maldoror" beschreibt, oder besser, reflektiert Lünstedt hier im Rückblick die Haltungen von drei Figuren. Zuerst erzählt der junge Mervin von seiner Unwilligkeit, sich beim Rennen nach Konsum zu beteiligen. Als er einen Brief bekommt, der ihm den Ausbruch aus der Enge seiner Lebenswelt verspricht, geht er zum vorgeschlagenen Treffen mit dem unbekannten Absender. Im Hirn des Briefeschreibers Martin aber geistern kleine "Krieger" herum, die ihm zuflüstern, es existiere kein Unterschied zwischen Gut und Böse. Deshalb entführt Martin Mervin, um ihn zu töten.
Lünstedts Figuren sprechen eine interpunktionslose Kunstsprache, die mit ihren unvollständigen Sätzen auch grammatikalisch eine aus den Fugen geratene Welt beschreibt. Sie tritt auf der Beschreibungs-Stelle und wirkt zugleich beschleunigend.
Familienstücke und psychologischen Realismus gibt es bei der 38jährigen Felicia Zeller nicht. Sie untersucht Formen von Kommunikation und sucht den Sprechakt zwischen Bewegung und Erstarrung festzuhalten. In ihren Stücken bietet sie Zustandsbeschreibungen statt Handlungen. Ihr Stück "Kaspar Häuser Meer", das Kindesmisshandlung und Probleme von Sozialarbeit zum Thema hat, zeigt nicht das Leid der Kinder oder das Handeln der Täter. Denn dann wäre man nur unheimlich folgenlos betroffen und emotional aufgerührt und angeregt gewesen. Zeller zeigt ein gesellschaftliches Klima, indem sie drei Sozialarbeiterinnen bei ihrem täglichen Sprech- und Denkakten vorführt.
"Bei mir geht es um Haltungen, welche Haltungen können Leute in welchen Situationen noch halten, welche müssen sie annehmen, um quasi zu überleben. Überlebensstrategien vielleicht, und es geht auch meistens um Situationen, wo nicht viel Bewegung mehr stattfindet, nicht viel gehandelt wird oder eher die Leute das Gefühl haben, also meine Protagonisten, sie können gar nicht handeln, und deshalb so ne Art Lähmung haben bei enormem Sprechausfluss, bei großem Innendruck...., "
Zellers Stück bietet Sprachmusik über und aus unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit. Erbarmungsloser geht Ewald Palmetshofer mit seinen Figuren und seinem Publikum um. Der 30jährige schreibt Befindlichkeitsdramen wie "wohnen, unter glas", in denen die Figuren ihr monologisches Sprechen in Dauerschleifen inszenieren und dabei jeder Handlung und jeder dramatischen Entwicklung entbehren,. Oder er lässt in "hamlet ist tot. keine schwerkraft".
Vereinzelte vergeblich nach Gemeinschaft suchen. Während der 25jährige Dirk Laucke für ein Authentizitätstheater steht, indem er sich nur Themen zuwendet, die in seiner gesellschaftlichen Wirklichkeit spielen, vermag die 38jährige Katharina Gericke das Chaos unserer Realität nur vor dem Hintergrund historischer Ereignisse oder Figuren auszustellen.
Fazit: die Vielfalt der Erzählweisen und Themen bei den jungen Dramatikern ist beeindruckend.