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Schwere Zeiten für zeitgenössische Kunst

Die freie Theaterszene in Rumänien bereitet sich auf harte Zeiten vor. Der Leiter des staatlichen Kulturinstituts wurde kurzerhand abberufen und durch einen als nationalistisch geltenden Schriftsteller ersetzt - und der hat der zeitgenössischen Kunst den Kampf angesagt.

Von Mirko Schwanitz |
    Die Zuschauer sitzen auf der Bühne. Zwischen ihnen ein Tisch und drei Stühle. Die junge rumänische Dramatikerin Giannina Cărbunaru ist in ihrem Heimatland bekannt für ihre dokumentarische Bühnenstücke, in die sie das Publikum direkt einbezieht.

    In ihrem Stück mit dem eigenwilligen wie nichtsagendem Titel "X mm von Y km" rekonstruiert sie – mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Sturz von Diktator Ceausescu – ein Verhör aus der Securitate-Akte des Schriftstellers Doran Tudoran.

    "Wir haben diese Akte gewählt, weil sie uns in eine Vergangenheit führt, die wir jungen Leute nicht kennen. Wie waren damals fünf oder sechs Jahre alt, als der Schriftsteller Dorin Tudoran in einem Verhör für etwas kämpfte, was es damals nicht gab: Normalität. Doch sagen die Akten auch die Wahrheit über unsere Vergangenheit? Sie enthalten so viele Lügen und Fehler. Sie verzerren die Vergangenheit. Mit diesem Stück gehe ich der Frage nach, welche Grenzen das rumänische Geheimdienstarchiv hat."

    Gianina Cărbunariu geht es in ihrem Stück aber nicht allein um den Umgang mit der Geschichte. Es geht ihr vor allem darum, die Kontinuität von Manipulationsmechanismen herauszuarbeiten, die bis in die Gegenwart fortwirken und heute die politische Landschaft ihres Landes bestimmen.

    "1989 gingen alle auf die Straße und verlangten, dass diese Akten geöffnet werden sollen. Sie forderten auch, dass keiner der dem Ceausescu-Regime treu diente, wieder eine öffentliche Position bekommt. Was aber erleben wir heute? Die Akten sind noch immer größtenteils geschlossen und die ehemaligen Securitate-Spitzel sind heute gute Kapitalisten."

    Viele der einstigen Securitate-Mitarbeiter bewerben sich inzwischen mit einem nicht zu überbietenden Zynismus auch um politische Ämter.

    Die extreme Spaltung des Landes in zwei unversöhnliche Lager - in Anhänger von Premier Victor Ponta auf der einen und Präsident Basescu auf der anderen Seite, scheint auch die freie Theaterszene mitten ins Herz zu treffen. Der Grund: Mit dem Rumänischen Kulturinstitut wurde eine der wichtigsten kulturellen Förderinstitutionen des Landes zu einem Schauplatz bizarrer politischen Grabenkämpfe. So gelang es einem ehemaligen Securitate-Spitzel, heutigen Medienmagnaten und Parlamentsabgeordneten, die Abberufung des bisherigen, international anerkannten Leiters des Instituts durchzusetzen und einen unbedeutenden, aber als Nationalisten bekannten Schriftsteller auf den Direktorenposten zu hieven. Farid Faruz, Leiter des Bukarester Zentrums für Tanztheater.

    "Das Rumänische Kulturinstitut soll jetzt dessen nationalistischen Vision folgen. In einer Rede hat der neue Direkter Andrej Marga bereits befohlen, wen die rumänische Kultur in Zukunft zu ehren hat. Zum Beispiel den Erfinder des Heizkörpers, der seiner Meinung nach ein Rumäne aus Transsylvanien sein soll. Solcher Nonsens hat uns Kulturschaffende wirklich schockiert. Es hat uns aber auch klar gemacht, dass der zeitgenössischen Kunst in Rumänien schwierige Zeiten bevorstehen."

    Die für ihre provokanten Stücke bekannte Performerin Alexandra Pirici hat die neue Politik als erste direkt erfahren: Ihr wurde das Stipendium für einen bereits zugesagten Künstleraufenthalt in Paris kurzerhand gestrichen. Wie viele Theatermacher glaubt auch sie, das politische Ziel dieser Maßnahmen zu kennen - die Auslöschung der freien, weil für die Regierung nicht kontrollierbaren, Theater-Szene.

    "Wir haben im Sommer mehrmals protestiert. Wir haben eine Petition gegen diesen Wechsel mit Tausenden Unterschriften eingereicht. Niemand hat im Senat darauf reagiert. Wir wurden einfach ignoriert. Nun müssen wir nach Lösungen suchen, um unabhängig von staatlicher Förderung arbeiten zu können und aufhören, besessen davon zu sein, uns als Opfer des Systems zu sehen."

    Und so sieht Alexandra Pirici in der gegenwärtigen Situation auch eine Chance – auf noch mehr Unabhängigkeit und noch mehr Radikalität in der Auseinandersetzung. Wie viele junge rumänische Theatermacher hofft sie dabei nun auf Unterstützung aus dem Ausland.