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Schwerer Stand für deutsche Literatur in den USA

Der Helen-und-Kurt-Wolff-Übersetzerpreis, der für herausragende literarische Übersetzungen aus dem Deutschen ins Englische vergeben wird, geht in diesem Jahr an Michael Henry Heim für die Neuübersetzung von Manns "Tod in Venedig". Dass es keine Übersetzung deutscher Gegenwartsliteratur geworden ist, schmerzt den Literaturkritiker Denis Scheck. Die Tatsache, dass jedes Jahr nur etwas 40 Bücher ins Englische übersetzt würden, zeige das grundsätzlich geringe Interesse an deutscher Literatur.

Der Literaturkritiker Denis Scheck im Gespräch |
    Lückert: Das Verlegerehepaar Helen und Kurt Wolff hat sich in besonderer Weise um die Förderung europäischer Literatur in Amerika verdient gemacht. Ihren Namen trägt der Übersetzerpreis für herausragende literarische Übersetzung aus dem Deutschen ins Englische, der in diesem Jahr zum zehnten Mal vergeben wurde. Der Preis wird von der Bundesregierung finanziert und in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Inter Nationes und dem Literarischen Kolloquium Berlin in Chicago verliehen. Nun möchte man doch noch etwas Genaueres wissen, die Frage ging an den Literaturkritiker Denis Scheck. Wer waren Helen und Kurt Wolff?

    Scheck: Das sind im Grunde Legenden der Verlagsbranche, die beiden, Helen und Kurt Wolff. Vielleicht kennen einige deutsche Leser noch den Kurt Wolff Verlag, der im Grunde die wichtigsten deutschen Autoren der Zehner und Zwanziger Jahre versammelt hat. Kurt Wolff war bereits als 21-Jähriger 1908 bei der Gründung des Ernst Rowohlt Verlags dabei, machte sich dann selbstständig und hat Franz Kafka verlegt, um einmal einen ganz großen Namen zu nennen im Deutschland der Weimarer Republik. Musste dann Deutschland verlassen, über viele Stationen kam er mit seiner Ehefrau Helen in die USA, machte sich dort wieder selbstständig als Verleger und gründete dann später Pentium Books. Der Kurt Wolff gab mal eine sehr schöne Devise für Verleger aus, die da hieß: "Man verlegt entweder Bücher von denen man meint, die Leute sollen sie lesen oder Bücher von denen man meint, die Leute wollen sie lesen". Er und seine großartige Frau, von der es auch einen wunderbaren Briefwechsel mit Günter Grass gibt, Helen und Kurt Wolff waren definitiv Verleger der zweiten Sorte, die Bücher verlegen wollten, die die Leute lesen sollen.

    Lückert: Sie waren ja selbst Mitglied der Jury. Wer ist der diesjährige Preisträger, ist es ein dotierter Preis?

    Scheck: Oh ja, er ist dotiert und zwar gar nicht schlecht mit 10.000 Dollar. Der diesjährige Preisträger ist Michael Henry Heim, den kennen Insider der amerikanischen Literaturszene schon als Übersetzer von Tschechow. Der hat auch einen Lehrstuhl für slawische Sprachen in Kalifornien und er wird ausgezeichnet für seine Übersetzung von Thomas Manns "Tod in Venedig". Eine Neuübersetzung natürlich, eine gute Auszeichnung, glaube ich. Wenn mich, das will ich schon auch zugeben, natürlich etwas schmerzt, dass man wieder den Übersetzer eines Klassikers ausgezeichnet hat und nicht den Übersetzer von lebendiger, moderner deutscher Gegenwartsliteratur.

    Lückert: Woran liegt das denn? Wie sind die deutschen Bücher, wie positionieren sie sich auf dem amerikanischen Buchmarkt?

    Scheck: Ich wünschte, ich könnte Ihnen da frohe Botschaft aus den USA bringen, aber leider, leider ist es immer die gleiche Misere. Das Interesse an dem gegenwärtigen Deutschland in den USA sinkt ins Bodenlose. Die Immigrantengeneration stirbt nun wirklich aus, das heißt es gibt in den großen Verlagshäusern in New York, soweit ich weiß, nicht einen einzigen Lektor, der Deutsch lesen kann, entsprechend gering sind die Chancen für deutsche Gegenwartsliteratur. Es sind nur noch eine Hand voll Bücher, die zur Debatte standen in diesem Jahr. Gerade einmal vierzig Titel, die überhaupt pro Jahr aus dem Deutschen ins amerikanische Englisch, ins britische Englisch übersetzt werden. Da ist sehr, sehr wenig Gegenwart dabei, da ist sehr viel Hitler dabei, da ist sehr viel Holocaust dabei. Das sind die beiden großen Themen, Zweiter Weltkrieg, Hitler und Holocaust, auf die Deutschland eben in der amerikanischen Wahrnehmung reduziert wird.

    Lückert: Aber woran liegt das thematisch? Schreiben die Deutschen zu viel über Kreislaufbeschwerden und Befindlichkeiten?

    Scheck: Das war ja immer der Vorwurf, dass das immer diese Nabelschau ist. Das kann man aber der deutschen Gegenwartsliteratur seit spätestens der letzten zehn Jahre gar nicht mehr vorwerfen. Es gibt da in der amerikanischen Wahrnehmung, in der amerikanischen Rezeption einen Kreisschluss, einen Zirkelschluss sozusagen, man interessiert sich durchaus für das Fremde, man interessiert sich durchaus für das, was in der Welt vorgeht, aber nur mit implizierten Happy End, nämlich, die Amerikaner übersetzen generell sehr wenig. Sie erwarten, dass die Autoren am Ende sozusagen ihrer biographischen Geschichte doch bitte schön nach Amerika kommen, dass die Söhne, die Töchter kommen, die Enkel da sind und die Geschichten aus dem pazifischen Raum aus dem europäischen Raum Englisch geschrieben werden.

    Lückert: Wie bewerten Sie denn sozusagen die Geschichte dieses Helen und Kurt Wolff Übersetzerpreises in seinem zehnten Jahr. Ist das eine Erfolgsgeschichte? Oder wird man immer mehr Schwierigkeiten haben, überhaupt Übersetzer zu finden, die zu prämieren sich lohnt?

    Scheck: Das ist in meinen Augen einer der ganz seltenen Fälle, wo Auslandskulturarbeit wirklich sinnvoll ist. Hier muss man in der Wahrnehmung der Macht, die nun mal politisch, ökonomisch, militärisch das Sagen hat auf diesem Planeten unbedingt etwas tun, um wahrgenommen zu werden, sondern hier müsste man noch sehr viel mehr tun, sehr viel mehr Geld fließen lassen, um überhaupt eine Wahrnehmung zu erreichen. Das ist, glaube ich, eine sehr gute Initiative, eine legendäre Gestalt wie John Woods beispielsweise, dem wir eben neben Thomas Mann auch Arno Schmidt im Englischen verdanken. Breon Mitchell, das sind alles Figuren, die im Laufe ihres Lebens, oft sind es auch Akademiker, sehr viel für die deutsche Literatur getan haben. Das muss unbedingt unterstützt werden, das ist eine sehr, sehr sinnvolle Initiative.

    Lückert: Der Literaturkritiker Denis Scheck über den Helen-und-Kurt-Wolff-Übersetzerpreis.