Samstag, 20. April 2024

Archiv

Schweriner Theater und die AfD
"Wir fürchten uns vor dieser Gesellschaft"

Der Generaldirektor des Staatstheaters in Schwerin, Lars Tietje, zeigt sich nach dem Wahlerfolg der AfD in Mecklenburg-Vorpommern besorgt. Zwar fürchte er nicht, dass die AfD Einfluss auf seine Arbeit nehmen könnte, er sorge sich aber um die Bürgerinnen und Bürger des Landes, sagte er im DLF. Der Gesellschaft fehle es aktuell an Optimismus.

Lars Tietje im Gespräch mit Stefan Koldehoff. | 05.09.2016
    Das Mecklenburgische Staatstheater in Schwerin
    Nach dem Wahlerfolg der AfD in Mecklenburg-Vorpommern will Lars Tietje mit seinen Ensemble den Menschen zeigen, dass es sich lohnt, in einer offenen Gesellschaft zu leben. (Deutschlandradio / Dammann)
    Stefan Koldehoff: Das bürgerliche, nicht mehr höfische Theater hat sich aus dem Gedanken von Aufklärung, Vernunft und Emanzipation heraus entwickelt. Entsprechend fragen viele Produktionen auf deutschen Bühnen nach den Grundlagen der offenen Gesellschaft, weisen auf Missstände hin, ermuntern den selbstbewussten Bürger, seine Bedürfnisse offen zu formulieren und im Rahmen der demokratischen Regeln auch einzufordern.
    Nun hat das gestrige Landtagswahlergebnis allerdings gezeigt, dass dort in Mecklenburg-Vorpommern nicht mehr nur noch an den Rändern, sondern in der Mitte der Gesellschaft Positionen vertreten werden, die von rechtspopulistisch bis offen rassistisch reichen.
    Lars Tietje, Sie sind seit August Generalintendant des Mecklenburgischen Staatstheaters in Schwerin. Wie macht man denn für solch ein Publikum Theater?
    Lars Tietje: Das ist eine gute Frage. Wir stellen uns natürlich im Ensemble wirklich die Frage, gerade Schauspielerinnen und Schauspieler sind schon auf mich zugekommen, wie wir uns dazu stellen. Denn wir sind schon ein wenig besorgt um die Gesellschaft, dass wirklich etwa ja jeder vierte Wähler am Sonntag sein Kreuz bei einer rechtspopulistischen oder rechtsradikalen Partei gemacht hat in Mecklenburg-Vorpommern. Und das bedeutet ja etwas für die Gesellschaft.
    Und wir stellen uns einfach die Frage: Was können wir als Theater dafür tun, um den Menschen da die Augen zu öffnen und das vielleicht wieder ein wenig zu korrigieren.
    Koldehoff: Wie lautet die Antwort? Man kann ja nicht ein dreiviertel Jahr lang en suite Nathan den Weisen von Lessing spielen.
    Tietje: Nein. Ich glaube, das wäre auch das falsche Rezept. Die Antwort haben wir alle noch nicht. Ich glaube, die Antwort lautet, wirklich eine stete, gute, verlässliche Arbeit am Theater zu machen, die viele gesellschaftliche Phänomene einfach aufgreift und thematisiert und die Menschen zum Nachdenken bringt.
    Koldehoff: Wenn Ihre Ensemble-Mitglieder Sie schon fragen, wie reagieren wir darauf, heißt das, es gibt bestimmte Befürchtungen, dass Dinge nicht mehr gehen, dass man den Spielplan einschränken muss, dass man irgendwelche Rücksichten jetzt nehmen könnte?
    Tietje: Die Befürchtung haben wir nicht. Aber wir fürchten uns einfach vor dieser Gesellschaft. Wir wollen einfach etwas tun, damit es in der Gesellschaft dann doch wieder ein Umdenken gibt und vielleicht wieder auch etwas mehr Optimismus bei den Menschen gibt, dass es sich lohnt, eine offene Gesellschaft zu haben in diesem Land.
    Koldehoff: Sie sind ja nun erst seit relativ kurzer Zeit in Schwerin. Die Phänomene, über die wir jetzt sprechen, die politischen Orientierungen gibt es nicht erst seit August, seit Sie dort offiziell angefangen haben. Haben Sie denn aus der Vergangenheit was gehört, ob es dort so was wie Einflussnahme oder bestimmte Forderungen gegeben haben könnte, spielt doch mehr deutsche Autoren, spielt doch mal was im Dialekt, wendet euch doch mal mehr populären Themen zu?
    Tietje: Nein, das hat es hier meines Wissens überhaupt nicht gegeben, und damit rechne ich auch nicht.
    Koldehoff: Gibt es denn so etwas aus Ihrer Sicht wie ein kulturpolitisches Konzept der AfD, mit der Sie sich jetzt auch - sie bleiben zwar nur in der Opposition, aber doch in einer recht starken Opposition - werden auseinandersetzen müssen?
    Tietje: Es gibt ja so Äußerungen, auch in den Wahlprogrammen der AfD gab es auch Äußerungen zur Kulturpolitik. Die kann man ein bisschen überspitzen, aber die nehme ich jetzt erst mal nicht ernst. Ein wirkliches kulturpolitisches Konzept ist mir hier zumindest nicht bekannt.
    Koldehoff: Was wird denn gespielt werden? Womit geht es denn los in Schwerin?
    Tietje: Wir eröffnen im Schauspiel erst einmal - die Schweriner Sparten kommen unterschiedlich aus dem Urlaub zurück. Das Schauspiel ist die erste Sparte, die eröffnet, und wir haben einen Eröffnungsreigen am Wochenende 23., 24., 25. 9. Wir Spielen "Faust" von Goethe, von Kleist den "Zerbrochenen Krug" und von Bulgakow "Hundeherz".
    "Ich glaube, wir werden ein zufriedenes Publikum haben"
    Koldehoff: Da steckt ja schon einiges auch an Ideengeschichte dahinter. - Richten Sie sich ein auf spezielle Reaktionen? Rechnen Sie mit mehr Zuschauern, die möglicherweise den Saal verlassen?
    Tietje: Damit rechne ich gar nicht. Ich glaube, die Schweriner und das Schweriner Theaterpublikum freuen sich sehr auf diese Eröffnung, sind sehr neugierig auf uns, weil sich vielleicht auch ästhetisch einiges ein bisschen anders ausrichten wird. Aber ich glaube, wir werden ein zufriedenes Publikum haben.
    Koldehoff: Sie haben vorhin gesagt, dass Sie gerne darüber nachdenken, mit dem Ensemble, mit allen Mitarbeitern Ihrer Häuser zusammen, wie man die offene Gesellschaft erhalten kann. Was hören Sie aus anderen kulturellen Institutionen? Gibt es da so etwas wie einen Common Sense, eine Solidarität? Arbeitet man da zusammen, beispielsweise auch mit den Museen, mit anderen Bildungseinrichtungen?
    Tietje: Wir arbeiten da mit Sicherheit alle in dieselbe Richtung. Da bin ich mir ganz sicher. Ich habe jetzt hier noch nicht mit allen Einrichtungen Kontakte aufbauen können; das ist aber einer meiner Pläne jetzt in den nächsten Wochen, dass wir uns mit allen treffen, die in diesen Bereichen tätig sind. Und ich bin sicher, dass wir da ganz ähnlicher Meinung sind.
    "Hauptzielrichtung der Politik der AfD wird in ganz andere Bereiche gehen"
    Koldehoff: Wenn wir noch mal zur Gefahr der Schere im Kopf zurückkommen, Herr Tietje. Das Parlament, in dem jetzt auch die AfD vertreten ist mit relativ vielen Abgeordneten, hat ja nun auch über Ihren Etat zu entscheiden, über die Frage, wie stark die Theater, die Opernhäuser, das Ballett noch finanziert werden. Kann das bestimmte inhaltliche Entscheidungen beeinflussen?
    Tietje: Das ist sicherlich theoretisch möglich, aber das erwarte ich eigentlich in den nächsten Jahren nicht. Denn ich glaube, die Hauptzielrichtung der Politik der AfD wird in ganz andere Bereiche gehen und nicht in die Theaterpolitik hinein.
    Koldehoff: Also besorgte Gelassenheit? Kann man es so bezeichnen?
    Tietje: Ich bin besorgt, was mich als Bürger dieses Landes angeht, oder was das Land angeht, aber ich bin im Moment nicht besorgt, was meine Arbeit am Theater angeht.
    !!Koldehoff ... sagt Lars Tietje - vielen Dank! -, Generalintendant des Mecklenburgischen Staatstheaters in Schwerin.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.