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Schwerkraft
Wechselnde Werte für die Gravitationskonstante

Physik. - Die Gravitationskonstante zählt zu den fundamentalen Größen der Natur. Ins Spiel gebracht wurde sie schon vor mehr als 300 Jahren, als der legendäre Isaac Newton sein Gravitationsgesetz präsentierte. Seit einiger Zeit aber gibt die Konstante den Physikern Rätsel auf, denn es will einfach nicht gelingen, ihren genauen Wert zu messen. Die neuesten Bemühungen werden gerade auf einem Workshop in England diskutiert.

Von Frank Grotelüschen | 28.02.2014
    Es ist eine Institution in Sachen Schwerkraft, vielleicht die Institution: In einem ehemaligen Jagdschlösschen nahe Paris residiert das Internationale Büro für Maß und Gewicht, kurz BIPM. Unter anderem lagert in seinem Keller – sicher in einem Safe – das legendäre Urkilogramm. Und in einem seiner Labors hat vor einiger Zeit ein bemerkenswertes Experiment stattgefunden: Ein Team um den ehemaligen BIPM-Direktor Terry Quinn hat versucht, den Wert einer der Fundamentalkonstanten der Natur so genau wie möglich zu bestimmen – der Gravitationskonstanten. Diese gibt letztlich an, wie stark die Schwerkraft ist, die zwischen Massen wirkt. Anders als bei einer physikalischen Einheit wie dem Kilogramm wird der Wert der Gravitationskonstanten nicht vom Menschen festgelegt, sondern muss mühevoll nachgemessen werden.
    "Wir haben mit einer sogenannten Drehwaage gearbeitet. Sie besteht aus einer Hantel, die an einem Metallfaden über einem Drehtisch hängt. Auf diesem Drehtisch sind massive Metallzylinder montiert. Immer wenn wir den Tisch ein wenig drehten, wurde die Hantel ein bisschen durch die Schwerkraft der Metallzylinder angezogen und hat sich an dem Faden, an dem sie hängt, ein wenig verdreht. Es war nur eine winzige Bewegung. Aber es ist uns gelungen, diese Bewegung sehr genau zu messen."
    Der Aufwand war beträchtlich. Denn die Gravitationskonstante ist unter anderem deshalb so schwierig zu messen, weil die Experimente im Labor durch das Schwerefeld der Erde und das der Umgebung empfindlich gestört werden. Um dennoch die äußerst schwache Anziehung zwischen Metallzylindern und Hantel messen zu können, mussten die Forscher die Einflüsse der Luftreibung unterbinden – weshalb das Experiment in einem Vakuumtopf stattfand, sagt Quinns Mitstreiter Clive Speake, Physiker an der Universität Birmingham Und damit nicht genug:
    "Wir mussten die Temperatur im Labor möglichst stabil halten. Wir mussten genau wissen, wie die Masse in den Metallstücken verteilt war. Wir mussten die Positionen der Hantel und der Metallstücke extrem präzise messen. Wir mussten unseren Versuchsaufbau also bis ins letzte Detail verstehen."
    Ein Job für Physiker mit viel Geduld und einem gewissen Hang zur Pedanterie. Und so brauchte es zwei Jahrzehnte an Tüftelarbeit, bis die Forscher im letzten Herbst endlich ihr Endergebnis präsentieren konnten. Und das, sagt Terry Quinn, ist bemerkenswert.
    "Unser Wert für die Gravitationskonstante ist höher als die Werte aller früheren Experimente. Im Moment haben wir also die Situation, dass es mehrere unterschiedliche Werte für die Gravitationskonstante gibt."
    Doch welcher Wert ist der richtige? Der von Terry Quinn und seinen Leuten? Oder einer der Werte aus früheren Experimente, die zum Teil auf anderen Techniken basieren – etwa auf einem Pendel, dessen Frequenz durch die Anziehungskraft einer schweren Masse beeinflusst wird. Jedenfalls haben die widersprüchlichen Messwerte dazu geführt, dass die Gravitationskonstante heute diejenige physikalische Grundgröße ist, die am ungenausten bestimmt ist. Wüsste man sie genauer, ließe sich zum Beispiel die Masse der Erde präziser bestimmen. Und man könnte besser prüfen, ob die Gravitationskonstante wirklich konstant ist. Genau das nämlich wird von manchen Theoretikern bezweifelt. Grund genug für Terry Quinn und seine Kollegen, zu einer neuen Präzisionsoffensive zu blasen.
    Quinn: "Künftig sollten wir unsere Anstrengungen und Ressourcen bündeln. Ich jedenfalls würde es begrüßen, wenn man ein großes Experiment auf den Weg bringen würde, bei dem alle wichtigen Fachleute auf der Welt zusammenarbeiten und ihre Erfahrungen einbringen."
    Also ein Miteinander statt eines Nebeneinanders wie bisher. Doch wie das genau gehen soll, Dutzende von Individualisten zu einem Team zusammenzubekommen, das weiß Quinn noch nicht. Immerhin – er arbeitet dran:
    "Well, this is what we are working on."