Samstag, 20. April 2024

Archiv


Schwermetall im Stadtgemüse

Die Städter entdecken den Bauern in sich: Urban Farming, der Anbau von Gemüse mitten in der Stadt, liegt im Trend. Beim Verzehr des selbst Angebauten ist aber Vorsicht geboten. Je nach Standort kann es erhöhte Schadstoffwerte in der Stadternte geben, so das Ergebnis einer Studie der TU Berlin.

Von Daniela Siebert | 25.07.2012
    "Frischer Wind" heißt die Schrebergartenkolonie, die in Charlottenburg direkt neben der Berliner Stadtautobahn liegt. Die Laubenpieper haben fast alle irgendwelche Gemüse und Kräuter im Garten. So wie Monika Buttgereit:

    "Grüne Bohnen, Tomaten, jegliche Kräuter von Petersilie über Schnittlauch, Thymian, Salbei, Oregano, Zucchini - ja alles!"

    Und ein paar Meter weiter Michael Rattey:

    "Wir haben eine reiche Auswahl: Möhren, Bohnen, Paprika, Kräuter haben wir nicht, außer Petersilie: Petersilie und Schnittlauch!"

    Natürlich wird das alles auch selbst verspeist, bei den Ratteys und bei den Buttgereits.

    Heute gab es Gemüsesuppe, da kommt Petersilie rein, ist doch ganz logisch, aus dem eigenen Garten.

    Im Prinzip tun diese Schrebergärtner sich und der Umwelt damit auch etwas Gutes, sagt Ina Säumel, Ökologin an der Technischen Universität Berlin.

    "Wir sind sehr erfreut über diese steigende Interesse am Gärtnern in der Stadt. Das ist eine ganz wichtige Maßnahme, um den ökologischen Fußabdruck in der Stadt zu verkleinern, lokal zu produzieren, keine Wege, keinen Verkehr zu produzieren. Es ist ein guter Beitrag für die Biodiversität in der Stadt. Auch als integrative Maßnahme für alle sozialen Schichten ist das ein ganz wichtiges Element in der Stadt."

    Mit einer 2009 erhobenen und kürzlich publizierten Studie hat Säumel die Freude am städtischen Eigenanbau aber auch etwas gedämpft. Denn bei ihrer Untersuchung von problematischen Schwermetallbelastungen durch Straßenverkehr fand sie in ihren Proben von 28 verschiedenen Standorten in der Berliner Innenstadt vor allem problematische Bleiwerte.

    "50 Prozent sind über den EU-Grenzwerten, relativ breit gestreut, das eher standortabhängig. Straßennähe ist dann das Entscheidende."

    Auch die Kadmium-Werte waren oft bedenklich hoch, etwa in Petersilie. Untersucht hat die TU-Studie Tomaten, grüne Bohnen, Kartoffeln, Karotten, Kohlrabi, Weißkohl, Brunnenkresse, Petersilie, Mangold, Basilikum, Minze und Thymian. Die Schadstoffe fanden sich sowohl auf den Blättern, in den Wurzeln als auch in den Früchten.

    "Wir konnten Unterschiede zwischen einzelnen Gemüsen feststellen, allerdings nicht diese leichte Regel, die in der Literatur rumgeistert: Blattgemüse akkumuliert viel und Fruchtgemüse wenig. Das konnten wir so einheitlich nicht durchziehen. Wir haben beispielsweise sehr hohe Konzentrationen in Mangold gefunden, auch in der Minze, aber nur wenig im Basilikum, wenig im Kohlrabi. Also man kann es nicht so einheitlich sagen."

    Kollegen in England hätten zudem herausgefunden, ergänzt sie, dass die Schadstoffbelastung auch von der jeweiligen Sorte einer Pflanze abhängt. Sicher ist sich die Wissenschaftlerin, dass die unverbaute Nähe zu viel befahrenen Straßen ein entscheidender Faktor ist. Für Hobbygärtner leitet Ina Säumel aus ihren Erkenntnissen einige Tipps ab: Möglichst weit weg von der Straße pflanzen, vom Wind abschirmen durch Gebäude, Hecken oder Folien. Besonders bei Wurzelgemüse ist auch der Einsatz von Mulch sinnvoll, um eine Kontamination des Bodens zu verhindern:

    "Man kann den Boden mit Mulch abdecken, sodass da das praktisch aus der Luft nicht abgelagert wird, den Mulch dann entsorgen auf dem Zierbeet - nicht auf dem Kompost beispielsweise."

    Auch die Dosierung von Kompost bzw. Humus will gut überlegt sein, um Schwermetalle aus den Pflanzen raus zu halten. Ina Säumel empfiehlt nicht mehr als drei Prozent Humus in der Pflanzerde und einen pH-Wert von 6,5 bis 7,2 pH. Und noch einen Dämpfer halten die Forscher für Hobbygärtner bereit: In ihrer Untersuchung haben die TU-Ökologen deren Gemüse und Kräuter auch mit Supermarktprodukten verglichen. Mit einer ernüchternden Bilanz in Sachen Schwermetall:

    "Da haben die Standard-Discounter besser abgeschnitten, bei ganz vielen Produkten, und es war keine Bio-Discounter, sondern also: Das, was wir in den Standard-Discountern kaufen, war oftmals besser!"

    Den Schrebergärtnern in der Kolonie "Frischer Wind" sind diese Erkenntnisse aus der akademischen Welt nicht nur nicht bekannt, sie sind ihnen auch egal. Sowohl Monika Buttgereit als auch Michael Rattey preisen den Geschmack ihrer eigenen Früchte. Die Schwermetalle von der benachbarten Autobahn schrecken sie nicht.

    Die eine begegnet ihnen mit Optimismus, der andere mit Fatalismus:

    "Wir haben hier eine Kolonie, die sind 104, 98, 88 - wir werden alle alt! Man muss nicht so pimperlich sein."

    "Weil dieses Metall oder Blei, oder was aus den Autos, da kommt natürlich sich hier absetzt, deswegen nehme ich schon an, dass da was drin ist, aber ich weiß natürlich auch nicht, was in dem Supermarktgemüse drin ist. Ich weiß sowieso nicht ob Gemüse heutzutage noch gesund ist."