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Schwerpunktthema: Mash-up - neue Technik oder neue Kulturtechnik?

Mit dem Einzug von digitalen Medien und Internet wurde es möglich, alles mit allem und allen zu verknüpfen. Neu bearbeitet werden Musik, Film und Text. Mashup heißt diese Technik, mit der sich jetzt eine Tagung in Leipzig beschäftigt hat.

Von Christian Forberg | 14.06.2012
    Man lege Musiktitel A auf die erste Tonspur, B auf die Zweite, C auf die Dritte und so weiter bis Z auf die Sechsundzwanzigste. Man füge x-weitere elektronische Sounds, Musikfetzen, Geräusche ein, wenn’s denn so gebraucht wird. Man zerpflücke sie, setze sie auf den Tonspuren in die gewünschte Position, lege alles als Datei an – fertig ist das Mashup.

    Was einfach und dennoch perfekt klingt, dauert seine Zeit, ist technisch aber eine Leichtigkeit geworden gegenüber John Cage zum Beispiel, der vor 60 Jahren noch eine Zeichnung ähnlich einer Partitur anfertigte. Auf ihr stehen keine Noten, sondern die Anordnung von Tonbandschnipseln, die dann auf einer 8-Spur-Maschine abgespielt wurden. Thomas Wilke, Medienwissenschaftler an der Uni Halle, zeigte das Schema, als er in das Thema Mashup einführte. Das Mashup allein als Phänomen der technischen Entwicklung vom Analogen zum Digitalen zu betrachten, weist er somit ab:

    "Ich denke, dass es schon immer eine Auseinandersetzung mit Inhalten gegeben hat, und sich dabei aber immer im Anschluss befand – im Anschluss an Traditionen, an bestehende Kulturtechniken und diese fortentwickelnd zu Neuem vorgestoßen sind, bis sich irgendwann das Innovationspotential erschöpft hat und man dann wieder - mit einem Blick zurück - Altes aufgegriffen hat und neu kontextualisiert."
    Unter anderem auch mit der radikalen Absicht, eine Schockwirkung zu erzielen.

    "Dieses Moment des ästhetischen Schocks, der durch die Montage entsteht, ist darauf angelegt, eine Auseinandersetzung assoziativ oder kontrovers zu beflügeln. Wenn man sich dann dran gewöhnt hat, wenn das zur Normalität wird, dann entbehrt es natürlich dieses Potenzials."

    Die Wirkung der Montage oder Collage - man denke nur an die Dadaisten – neutralisiere sich und sei nun von eher kulturhistorischem Interesse, schrieb Theodor Adorno. Die Werke stehen nunmehr selbst bereit, wieder oder neu entdeckt und verwendet zu werden, und zwar in ebenso ungewöhnlicher Weise. In diesem Sinne meint die Hallenser Medienwissenschaftlerin Steffi Schültzke:

    "Ein Mashup ist die Verbindung von verschiedenen Dingen, von denen man meint, dass sie nicht zusammengehören, die man zusammenbringt, um dann etwas Neues rauszufinden oder Neues entstehen zu lassen. Die Studierenden arbeiten intuitiv mit Material, was sie im Netz finden, mit Musik, die sie im Netz finden, mit selbst gedrehtem Material."

    Was zusammengefügt ein Mashup, eine "audiovisuelle Reflexion" ergibt, wie es Steffi Schültzke bezeichnet. Für die Universitätsdozentin ist das eine Methode, theoretische Aussagen zu vertiefen.

    "Dadurch, dass die Studierenden aus einer Generation kommen, die mit jeglichem audiovisuellen, digitalen Material unglaublich gut umgehen können, das wie Jongleure in der Hand halten und damit was Neues machen – das gehört für sie zum Alltag dazu – ist die Frage, inwieweit man das in die Lehre einbeziehen kann und sie in ihrer eigenen Lebenswelt greift, um analytisch zu Erkenntnissen zu kommen, themenanalytisch. "

    So zum Beispiel mit dem französischen Dokumentarfilm "Das Blut der Tiere" von Georges Franju. Er zeigt die Arbeit auf einem Pariser Schlachthof Mitte des vorigen Jahrhunderts, das qualvolle Zucken der Tiere, das verlegene bis triumphierende Lachen der Arbeiter. Siegfried Kracauer hat ihn in seiner "Theorie des Films" gebraucht, um dem Massenmord an den Juden ein Sinnbild zu geben.

    Auf den Film griff eine von Steffi Schültzkes Studentinnen zurück, um – mit Bezug auf andere Aussagen Kracauers - etwas Neues zu machen: Sie hat sich selbst in den Film als angewiderte Betrachterin des Mordens eingefügt, um nach der fiktiven Filmvorführung ins heutige Leben zurückzukehren, in einen Supermarkt zu gehen und aus dem Regal eine Plastikschale zu nehmen, mit abgepacktem, anonymen Fleisch.

    "Der Film konfrontiert mit dem, was heute ist. Da ist das Mashup ganz natürlich mit drin, da haben wir gar nicht über das Thema gesprochen. Es entsteht aber was Neues, wo ich finde, dass sich das Mashup einmal in dem ‚meshed up’, also mit ‚e’ geschrieben, von Theorie und Praxis findet, und das Mashup im Handwerk, in der Umsetzung."

    Hier allerdings auf einem nicht alltäglichen Niveau: Auf so weit Vergangenes zurückzugreifen ist eher die Ausnahme als die Regel. Normalerweise produzieren junge Leute die Mashups, die zur Kommunikation mit ihresgleichen gedacht sind. Sie brauchen also Werke der Massen-, der Popkultur zur Neuinterpretation. Zum Beispiel den Film "Krieg der Sterne". Über den Originalton werden selbst gefilmte Sequenzen gelegt; wobei die Filmstücke vom Kinderfasching über das Spiel mit Legofiguren bis hin zu simplen Zeichnungen reichen. Am Ende ist eh alles nur eine digitale Datei.

    Oder man verwendet Comicfiguren, selbst wenn der Zweck alles andere als lustig ist. Rainer Hillrichs von der Uni Bonn besprach Teile des sogenannten Bekennervideos der Zwickauer Terrorgruppe, in der die Comicfigur des rosaroten Panthers stellvertretend für die Neonazis mit den Anschlägen und Morden prahlt.

    "Wichtig in diesen Videos war die Aneignung von Popularkultur, die Aneignung einer subversiven Rhetorik, die Aneignung von Medientext; Medientexte sind ja im Video selbst verwendet worden – Beiträge aus Fernsehsendungen usw. Und dieser Mashup-Charakter des Videos ist, glaube ich, wesentlich für die Funktion des Videos. Da ist der Akt des Bekennens eben nur ein ganz kleiner Teil."

    Schließlich sei das Video erst vier Jahre nach der letzten Mordtat verschickt worden. Auch dem Schlagwort "Propagandavideo" will Rainer Hillrichs nur bedingt zustimmen: Klar, die Texte und Sprüche seien auch Propaganda. Jedoch sei das Video nie ins Netz gestellt, somit nie öffentlich zugänglich gemacht worden. Er plädiert dafür, die Videos als Teil heutiger Popkultur zu betrachten, ohne den mörderischen Hintergrund außer Acht zu lassen. Neonazis, aber auch Gruppen anderer Subkulturen greifen in ihrem Selbstverständnis, ihrer Selbstdarstellung häufig auf populäre Figuren zurück, seien es nun Paulchen Panther, Asterix und Obelix oder andere.

    Reinhold Viehoff, Professor für Medien- und Kommunikationswissenschaften an der Uni Halle, führt populäre Phänomene auf einen vom Philosophen Ernst Cassirer geprägten Begriff zurück, dem der "symbolischen Prägnanz". Aus ihm macht Reinhold Viehoff die "mediale Prägnanz":

    "Nämlich dass jedes Medium eine bestimmte Prägnanz oder Logik beinhaltet, die dann auch die Wahrnehmung, die Erkenntnis, die Wahrheit mitbestimmt. Es ist immer so, dass wir zwar die Medien gebrauchen, aber die Medien in ihrer spezifischen Formation als Buch oder als Fernsehen oder als Internet uns auch gebrauchen."

    Wir, das heißt vor allem die jüngeren Generationen, wachsen in eine Epoche des permanenten Mitmachens hinein. Fast jeder ab zehn Jahren weiß mit Internet oder E-Mail etwas anzufangen; jeder Zweite ab 16 Jahren ist kreativ tätig, sei es in der Foto- oder Filmbearbeitung oder beim Mixen von Musik bis hin zu "Abgemischtem" und miteinander Verknüpftem, zu Mashups eben. Konsument und Produzent verschmelzen zum "Prosumenten" oder in den Worten von Reinhold Viehoff und in Anlehnung an den amerikanischen Rechtswissenschaftler Lawrence Lessig:

    "Früher war die Read-Kultur – da konnte man nur die Sachen lesen. Heute sind wir in der Kultur, in der wir sowohl lesen als auch schreiben können – read and write. Weil wir alles, was zum Lesen angeboten ist, selbst wieder sozusagen benutzen können als Gegenstand unserer eigenen Verschriftlichung, indem wir es kopieren oder weiter benutzen und Ähnliches. Das ist sicher eine neue Möglichkeit. Aber die ist eigentlich nur neu als Massenerscheinung."

    Wobei Reinhold Viehoff weder ausschließt, dass nicht schon früher kopiert oder umgeschrieben wurde, noch dass es sich allein um das Medium Buch handelt. Inzwischen ist dank Neuer Medien, digitaler Technik und massenhafter Verbreitung eine Situation eingetreten, die uns mit Blick auf die ebenso massenhaften kreativen Spielereien eigentlich froh stimmen dürfte: Hatte nicht Schiller postuliert: "Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt."? Hatte nicht Johan Huizinga den "Homo ludens" beschrieben? Reinhold Viehoff ist skeptisch:

    "Es müsste mindestens genauso viel über Medienkompetenz der Nutzer gesprochen werden, mit solchen Dingen auch angemessen, nämlich nach ihren Bedürfnissen, und nicht nach den Bedürfnissen des Mediums, damit umzugehen. Im Moment habe ich den Eindruck, ganz viele Nutzer zum Beispiel von sozialen Netzwerken wie facebook gehen sozusagen wie auf eine Leimrute, gehen auf dieses Ding los und bleiben daran kleben. Die wissen gar nicht, wieso eigentlich bestimmte Mechanismen von ihnen produziert werden, dass sie sich dauernd gegenseitig fotografieren in bestimmten Posen, die sie von anderen übernommen haben und im Internet auch präsent sind, und die dann da rein stellen nach dem Muster von facebook, nicht nach ihren eigenen Bedürfnissen."

    Dieses Kopieren anderer, um im Trend und dabei zu sein und wahrgenommen zu werden, ist die eine, die soziale Seite. Die andere ist die rechtliche, die durch das Kopieren jener Teile entsteht, ohne die kein Mashup existieren kann. Das meist im Internet Vorgefundene ist dafür der Rohstoff, auf den man meist ohne Weiteres zugreifen kann – gäbe es nicht das Copyright.

    Die Fronten zwischen Verlegern, Vertreibern und Autoren im weitesten Sinne und andererseits Nutzern sind verhärtet. Schlüssig erklärt und von Kirby Fergusson perfekt in einem Mashup-Video gestaltet, ist die Position, wie sie inzwischen viele vertreten: Autoren sollen von ihren Kreationen leben können, aber ein restriktives Copyright, das Recht auf geistiges Alleineigentum gehöre nicht mehr in unsere Zeit. Weshalb der schon erwähnte Lawrence Lessig vor einem Jahrzehnt die Creative-Commons-Initiative gründete, die Gemeinschaft jener, die ihre Schöpfungen der Allgemeinheit als Lizenzen zur Verfügung stellen. Denn: "Everything is a remix" also "Alles ist neu abgemischt". So heißen Internetseiten wie auch das Mashup-Video, das sozusagen im Urgrund beginnt: bei der Zellteilung.

    Doch nicht nur in der Natur wird kopiert, transformiert und kombiniert, auch in der Kultur. Nur sind es hier Bewusstseinsinhalte wie Ideen, Verhalten, Fähigkeiten, die ebenso kopiert, transformiert und kombiniert werden. Und die dominierenden Ideen unserer Zeit sind Bewusstseinsinhalte, die sich am meisten ausgebreitet haben.

    In Kurzfassung: Wir sind, also kopieren wir, und das aus gutem Grund. Was daran hindert, müsse sinnvoll beseitigt werden, hofft Reinhold Viehoff, um eine Demokratisierung des Internets voranzubringen, um mittels kreativer Mashups antidemokratischen Gruppierungen wie den Neonazis Paroli zu bieten. Die Verteidigung des tradierten Copyrights betrachtet er als Rückzugsgefecht der kommerziell Interessierten:

    "Die wollen das natürlich nicht kampflos aufgeben. Es wird über kurz oder lang neue Möglichkeiten geben, im Internet Copyright darzustellen, zu schützen, modifizierbar zu machen, flexibel zu machen. Ich habe keine Lösung dafür, aber ich denke ganz sicher, dass historisch für die jetzige Form des Copyrights, wie sie seit 180 Jahren existiert, keine Überlebenschance besteht."

    Was auch aus einem anderen Grund wünschenswert wäre. Das Internet in seiner jetzigen, als 2.0-Version bezeichneten Form, befindet sich auf dem Weg zur Version 3.0: Das Internet wird selbst zum Mashup, wird "mashable". Es baut Programme und Verknüpfungen untereinander nahezu automatisch zusammen, vermischt sie. Die Google-Maps z. Bsp würden schon einen Vorgeschmack bieten, sagt Martin Gaedke: Will ich nicht nur den Stadtplan an sich sehen, kann ich Informationen über Restaurants oder Museen dazuschalten.

    Der Informatikprofessor an der TU Chemnitz beschäftigt sich mit selbstorganisierenden Rechnersystemen und deren Einbindung in die Mobiltelefonie. Ein Mashup bedeutet für ihn.

    "Den Zusammenschluss von Daten und Anwendungsfunktionalität von unterschiedlichen Quellen, von unterschiedlichen Anbietern – das zusammengezogen und als ein Ganzes dargestellt. Das ist ein Teil von dem, was wir gerade erforschen, wo wir versuchen, das Mashup nicht nur vom Benutzer her automatisch zusammen zu komponieren ähnlich wie bei Legobausteinen, sondern dass diese Legobausteine auch noch wissen, welche Funktionalität sie für den Benutzer anbieten können."
    Das gehe dann bereits in die Selbstorganisation und die künstliche Intelligenz über. Wird der Mensch, der Nutzer damit überflüssig? Martin Gaedke schüttelt den Kopf:

    "Der Mensch wird nicht ausgeschaltet. Wir wollen die Menschen in die Lage versetzen, sich den Computer so hin zu gestalten, wie sie es für ihre Arbeit brauchen und nicht, wie es heutzutage häufig ist, dass der Computer den Mensch verbiegt, damit er seine Aufgaben lösen kann. Das ist sicher nicht die neueste Erfindung im Bereich der ‚Computerei’ sozusagen – das versucht man ja schon seit vielen Jahren; nur im Kontext der Mashups, der Webtechnologie gelingt einem das jetzt möglicherweise deutlich einfacher."

    Was auch Gebhard Rusch, Professor und Medienforscher an der Uni Siegen, so sieht.

    "Das, was jetzt mit 'Prosuming’ angestoßen ist – also wo der Nutzer zum Produzenten wird – das ist so ein Track, auf den wir ganz stark setzen. Und das Ende dieses Prosuming ist noch nicht wirklich absehbar. Aber an dieser Stelle entsteht die qualitative Veränderung. Und das passiert zum Beispiel mit diesem Übergang von Mashups als witzigen, teils skurrilen Mischungen von Ton und Bildspuren hin zu der im Internet erstmals gegebenen Möglichkeit, das Internet in einem tiefer reichenden Sinne mitzugestalten."

    Was eines in noch weit größerem Umfang nötig mache als bisher, sagt Gebhard Rusch, sei – auch wenn es abgedroschen klinge - Medienkompetenz:

    "Durchschauen wir, nach welchen Routinen Youtube, Facebook und andere Portale, die jetzt eine Prominenz haben, Content selektieren, adressieren, verteilen usw.? Also – die Notwendigkeit, dass wir da mehr Transparenz haben, dass wir die Verhältnisse besser durchschauen, die wird immer größer und drängender. Ansonsten würden wir tatsächlich in eine Situation geraten, in der die Mediennutzer in noch viel größerem Umfang, als das jetzt der Fall ist, Gegenstand von ökonomischen Kalkülen werden."