Steven hat einen Traum. Er will Autolackierer werden, Flammen, Tattoos, Embleme sprühen, sich damit vielleicht sogar selbstständig machen. Das hat er vor. Seine Entwürfe zeichnet er mit dem Finger auf die Tischplatte vor ihm: Eine richtige Ausbildung wird er dafür machen, mit dem nötigen Hauptschulabschluss vorab. Dafür geht der 17-Jährige in die Jugendwerkstatt in Köln-Klettenberg. Hoch motiviert: er will was lernen.
"Als Kfz-Lackierer muss man nicht nur lackieren, sondern auch Beulen und alles ausbeulen und schleifen und alles, und hier zum Beispiel haben wir gerade mit Spachtelmasse und Härter die Beulen ausgebeult und müssen jetzt glatt schleifen, damit man lackieren kann, damit keine Risse oder Narben entstehen, muss man das Ding sauber schleifen können."
"Da hängt man schon mal zwei bis drei Stunden dran. Muss man Durchhaltevermögen haben","
ergänzt Kay, so wie Steven besucht der die Jugendwerkstatt.
Praktisches Arbeiten kombiniert mit Stützunterricht in den Hauptfächern, das erwartet Jugendliche, die in der Schule gestrandet sind, hier. Die Jugendwerkstatt setzt auf Zeit, die viele dieser Jugendlichen noch für ihre persönliche Entwicklung brauchen. Ihnen wird eine Trainingsstrecke angeboten, in der Noten erstmal außen vorbleiben. Es geht um ihre bislang nicht gefragten Talente, um neue Motivation zum Lernen, die erst wieder entstehen muss.
2007 hatten acht Prozent der Schulabgängerinnen und Abgänger keinen Abschluss. Ein Anschluss auf dem Ausbildungsmarkt ist damit praktisch ausgeschlossen. 45 Jugendwerkstätten gibt es in Nordrhein-Westfalen. Die Zahl bundesweit liegt bei einigen hundert.
Stundenlang an einer Arbeit dranbleiben, beim Autolackieren fällt Kay nicht schwer, was in der Schule nie gelungen ist. In dem einen Jahr in der Jugendwerkstatt hat er Riesenfortschritte gemacht:
""Ja, am Anfang wusste ich nicht genau, was ich hier machen soll und jetzt kann ich ihm auch schon zeigen, beim Schleifen, was man da machen muss. zum Beispiel auch Lackieren, da bin ich auch einer der Fortgeschrittensten hier, da zeige ich halt anderen, wie das halt geht."
Die Jugendwerkstatt Klettenberg liegt auf dem Gelände einer ehemaligen Kfz-Werkstatt. 500 Jungen und Mädchen werden vom Jugendwerk betreut. Es gibt berufsvorbereitende Maßnahmen, Ausbildungen oder Projekte für Schulmüde - die Palette ist breit, denn die Probleme sind vielschichtig. Drei von vier Teilnehmern kommen ohne Hauptschulabschluss und das ist nur ein Teil der Schwierigkeiten, sagt Marc Haine, Geschäftsführer der Jugendwerkstatt:
"Jeder bringt ein ganzes Paket persönlicher Probleme mit. Das heißt, liegt eine Überschuldung vor, ist die Wohnungssituation gesichert, gibt es gesundheitliche Einschränkungen, gibt es eine Drogenproblematik, die bisher nicht so richtig thematisiert worden ist. In der Regel aber sind es soziale Probleme, die die Jugendlichen mitbringen."
In die Jugendwerkstatt kommen in der Regel Abgänger der Klasse 9, denen der Schulabschluss aufgrund schlechter Noten fehlt. Andere haben aber auch nur die achte Klasse abgeschlossen, aber die zehn Jahre Schulpflicht schon erfüllt. Für sie ist die Schule nicht mehr zuständig. Doch nur sehr selten sind es echte Lernschwächen, die dazu führen, dass Jugendliche im Bildungssystem hängen bleiben. In der Regel sind es soziale Nachteile, die für die Jugendlichen zum Stolperstein an der so genannten "ersten Schwelle", dem Hauptschulabschluss werden.
"Wenn man sich vorstellt, wie so eine häusliche Situation aussehen kann, dann kann man sich vorstellen, dass man als Kind oder Jugendlicher überhaupt nicht mehr in der Lage ist, sich zu konzentrieren oder eine systematische Arbeitshaltung an den Tag zu legen, mit der man dann die Schule auch gut bewältigen kann. Weil man den Raum nicht hat, weil man die Unterstützung nicht hat, weil einfach die Auseinandersetzungen zu Hause so präsent sind, dass man sich auf nichts anderes konzentrieren kann und eher Zerstreuung sucht, als dass man sich vors Buch setzt und Vokabeln lernt oder so was."
Eine derart verfahrene Schulkarriere hat auch Steven hinter sich. Nach der 8. Klasse gab es noch ein Förderangebot für ihn - doch beim zweiten Sitzenbleiben nahmen die Probleme unaufhaltsam zu, und mit ihnen der Stress mit den Lehrern: Jugendliche in Schulschwierigkeiten sind auch für die Pädagogen eine tägliche Herausforderung. Am Ende standen 200 Fehlstunden auf Stevens Halbjahreszeugnis. Das war damals. Und heute:
"Was ich gut finde, ist, dass hier Harmonie herrscht und so was, unsere Betreuer, die bauen hier eine Beziehung zu uns auf, zum Beispiel wie heute, haben wir Mittagessen und so, machen wir immer alles zusammen, unterhalten uns viel, damit wir den anderen möglichst gut kennen lernen, dann kann man am besten mit seinem Kollegen arbeiten, wenn man eine Beziehung aufbaut, kommt man besser mit dem klar."
16 Jugendliche sind in der Gruppe. Sie werden von zwei Meistern und einer Sozialpädagogin betreut. Es geht vordringlich um die Stärkung sozialer Kompetenzen, um Kontakt, Vertrauen und um Gemeinschaft. Die Lücken in Mathematik, Deutsch oder in der Allgemeinbildung stehen eher im Hintergrund. Studien bestätigen unter anderem, dass durch praktische Arbeit unter pädagogischer Anleitung die besonders benachteiligten Jugendlichen aufholen. Ihre Bereitschaft wächst, doch noch den fehlenden Hauptschulabschluss nachzuholen, wenn sie damit ein berufliches Ziel erreichen können, sagt Marc Haine. Die praktische Arbeit sei der Türöffner:
"Das heißt, wenn die bei uns hier reinkommen, dann sehen die die Werkstatt, wie sich das anhört und riecht, das kommt schon ganz anders rüber als Lernort, der kommt viel versteckter daher. Wenn ich merke, ich kann mit meinen Händen was bewegen, und dann ist es vielleicht ganz sinnvoll, wenn ich das vorher auch ausrechnen kann, was ich da hinterher fertig haben will - das hinzukriegen, diesen Transfer hinzukriegen um die Motivation zu wecken, ich möchte gern in diese berufliche Richtung gehen. Und wenn junge Menschen dieses Ziel haben, dann sind sie natürlich eher bereit ein vorgestelltes Ziel erstmal zu erfüllen und zu sagen: ich mach noch mal den Schulabschluss nach."
Vier von fünf Jugendlichen aus der Werkstatt halten durch - so auch Kai, der inzwischen am Ende seines Werkstattjahres, längst auch mit Deutsch, Mathe, Politik oder Biologie zurecht kommt:
"Und dann kriegen wir halt auch wie in der Schule ein Zwischenzeugnis und haben wir hier auch ein Halbjahresgespräch, da kriegen wir auch Zwischennoten."
die in seinem Fall recht gut sein werden. Kay wird Autolackierer werden - er hat die Kurve gekriegt und eine Ausbildung in Aussicht. Das Jahr in der Jugendwerkstatt endet für etwa 75 Prozent der Jugendlichen mit einer Perspektive für den Anschluss, das sei die Zielvorgabe, sagt Marc Haine.
"Nicht so nebulös, ja ich hab vor dies oder jenes zu machen, sondern verbindlich eine Anmeldung an einer schulischen Maßnahme erfolgt ist, der Ausbildungsvertrag unterschrieben ist, die ersten Gespräche bei der Bundesagentur für eine Berufsvorbereitungsmaßnahme vorliegen oder, oder, oder."
Dabei ist die Jugendwerkstatt oft erst der Anfang einer Reihe von Ausbildungsumwegen: berufsvorbereitende Maßnahmen oder das Werkstattjahr sind Beispiele dafür.
Acht Prozent der Schulabgänger sind bundesweit auf solche Angebote, auf Rückendeckung und Sozialarbeit angewiesen, um dem Arbeitsmarkt überhaupt näher zu kommen.
Für Steven, der eben erst in der Jugendwerkstatt angefangen hat, ist dieser Arbeitsmarkt allerdings vorerst noch ein Fernziel. Dennoch: Sein Plan steht fest: Er will das Jahr nutzen. Die höchste Hürde auf seinem Weg, dürfte er mit dieser Entscheidung bereits genommen haben:
"Bevor ich hierhin gekommen bin, sag ich von mir selber, ich war auch kein guter Mensch, ich hab auch Vorstrafen, ich hab Leute abgezogen und alles, und seit ich hier bin, hab ich so was gar nicht mehr im Kopf. Und letzte Mal, wo ich vor Gericht war, hat der Richter auch gesagt: Junge, das ist deine letzte Chance, nutz die diesmal. Und das tue ich, ist meine letzte Chance!"
Mädchen holen auf
Eine zweite Chance für Jugendliche ohne Abschluss mit Betreuung und praktischer Arbeit - dieses Modell der Jugendwerkstatt nutzt auch das Kölner Handwerkerinnenhaus für zwei Angebote an Mädchen in Schulschwierigkeiten. Fast unbemerkt nämlich haben die Mädchen nachgezogen: Schulverweigerung ist längst kein reines Jungenproblem mehr. Für Mädchen gilt, ebenso wie für die Jungen: Es wäre am besten, wenn ihr Ausstieg aus dem Bildungssystem möglichst früh bemerkt würde. Solange noch Kontakt zur Schule besteht, lässt sich innerhalb des Systems die weitere Bildung organisieren. Doch die Verweigerung findet nicht immer laut und konfliktreich statt. Kinder, die sich langsam aber stetig "abmelden", fallen oft lange nicht auf. Gerade Mädchen entziehen sich dem System gern durch die Hintertür. So hat es auch Angela gemacht:
"Ich war ganz still immer, auch im Unterricht, hab nie was gesagt. Also ich bin nie regelmäßig zur Schule gegangen, hab immer ein bis zweimal in der Woche gefehlt, und irgendwann bin ich gar nicht mehr gegangen, hab' mich auch überhaupt nicht mehr gemeldet."
Bis das auffiel vergingen Monate: Die Klasse 8 war da schon nicht mehr zu schaffen, Wiederholen sinnlos, doch die Schulpflicht bestand weiter.
Mit dem Mädchenprojekt Zukunft geht das Handwerkerinnenhaus in solche Bildungslücken. Für Mädchen, die bereits die Schule hinter sich gelassen haben, gibt es die Jugendwerkstatt - und damit auch die Chance den Schulabschluss doch noch zu packen. Im Projekt "Pfiffigunde" werden Mädchen betreut, die noch in der Schule zu halten sind, aber bereits erkennbar Schwierigkeiten haben.
Jeweils acht Mädchen in fünf Gruppen besuchen dazu einmal pro Woche die Tischlerei im Handwerkerinnenhauses. Sie bauen ein Zickzackregal, einen Beistelltisch oder einen Schminkspiegel - das baut Selbstbewusstsein auf und zeigt ihnen ganz neue Stärken.
Die meisten der Mädchen kommen aus Haupt- oder Förderschulen.
Nicht, dass es Aussteiger an anderen Schulformen nicht gäbe, doch problematische Schüler werden dort auf Dauer "nach hinten durchgereicht". Dabei fehlt ihnen nicht nur das Versetzungszeugnis, sagt Christiane Lehmann, Tischlerin und Sozialpädagogin im Handwerkerinnenhaus Köln
"Unsere Erfahrung ist, dass die Jugendlichen sich nicht wahrgenommen fühlen, häufig auch im Elternhaus. Häufig auch vernachlässigt werden, also auch ohne Frühstück ohne gute Nahrung in die Schule geschickt werden, als Person nicht wahrgenommen werden und das versuchen wir in unseren Kursen auch zu verändern ihnen zu zeigen, du kannst was, du bist was, du kannst was werden, wenn du dich gut reinhängst."
In der Tischlerwerkstatt steht Angela an der Werkbank, bohrt Löcher für Holzdübel, bringt Holzleim ein und setzt drei Zwingen an. Voller Stolz zeigt sie, was sie in den letzten Monaten geleistet hat:
"Ich habe hier eine Menge schon gemacht, hab Tische gemacht, und Spiegel, Mosaikspiegel, Ich hab mir ein Schmuckkästchen gemacht, dieses Pink-schwarze da. Das hat vier Schubladen, die sind schwarz und der Schrank selber, der ist pink und der ist auf jeden Fall sehr groß, man kann da sehr viel reintun. Ich hab da nicht so lange für gebraucht, ja. Ich mache das ja auch schon etwas länger hier. Ich bin ja wie gesagt, zum dritten Mal hier. Viel Übung hab ich schon. Ja, eigentlich kann ich sehr viel."
Am Anfang war sie misstrauisch, so wie alle, die herkommen. Zwei mal hat sie die Maßnahme abgebrochen. Die Pünktlichkeit, die Gruppe, die Eigenverantwortung, das alles war damals für sie noch viel zu viel. Jetzt ist sie 17 und bereit ihre dritte Chance für den Abschluss der achten Klasse zu nutzen. Werkstatt und Schulunterricht - beides geht.
"Das konnte ich anfangs gar nicht. War ich ein bisschen überfordert, wenn ich irgendwas nicht hinbekommen habe, hatte ich nicht lange die Ruhe dafür. Jetzt hab ich die Ruhe und wenn irgendwas nicht funktioniert, mach ich es halt noch mal. Ich hab sogar schon mal ein Teil dreimal neu gemacht, weil ich das nicht so hinbekommen habe, wie ich das wollte. Und beim dritten Mal hat es dann funktioniert.
Also das handwerkliche Arbeiten ist natürlich, man hat innerhalb von relativ kurzer Zeit ein Supererfolgserlebnis. Was die erstmal lernen ist nicht aufzugeben. Wenn mal falsch angezeichnet ist, falsch gebohrt ist und das Werkstück passt am Ende nicht zusammen, kann an die Ursache gut nachforschen und sehen, hier ist was schief gelaufen und noch mal von vorne anfangen. Und man kann sagen: "Komm wir fangen einfach noch mal von vorne an ganz in Ruhe. Noch mal richtig anzeichnen, rechnen, berechnen."
So werden nach und nach Konzentration und Ausdauer geschult - beides braucht man um später in der Schule wieder anschließen zu können. Dazu kommen pro Woche 15 Stunden Unterricht in Deutsch und Mathematik, auch Projektarbeit in Geschichte und Erdkunde
Einen hohen Reiz aber haben die Werkstücke. Sich eine Lampe, einen Tisch oder ein Schatzkästchen bauen, etwas das man in die Hand nehmen, vorzeigen und behalten kann, das spricht die Mädchen an. Niemand weiß, wann genau der Schalter im Kopf umgelegt wird, und wann aus totaler Verweigerung wieder zaghaftes Interesse am Lernen wächst. Sabine Dahl ist die Sozialarbeiterin im Handwerkerinnenhaus:
"Natürlich ist nicht alles nur toll, es kommt vor, dass Mädchen fehlen, und gerade da ist es wichtig, dass wir kooperieren mit der jeweiligen Lehrerin und das rückmelden und nachhorchen, was ist da gewesen. Also dass das Mädchen auch mitkriegt, es ist nicht egal, ob sie kommt oder nicht. Und das funktioniert. Was wir auch häufig erleben, dass Lehrkräfte dann ganz erstaunt sind, wie sich Mädchen hier in der Kleingruppe verändert. Die haben ja oft auch in der Schule so ein Stigma, so ein Stempel auf der Stirn: Das ist die Störerin, die Aggressive."
Diesen Schutzraum brauchte auch Angela, die mit Leim und Zwingen heute nicht den vollen Erfolg hatte. Egal, sagt sie. Muss ich noch mal ran. Vor gut sieben Monaten noch hatte Schule bei der 17-jährigen keine Chance mehr.
"Die Lehrer damals, die waren für den Unterricht zuständig, du musstest da halt lernen und weiterkommen, aber so psychisch und so was, haben die einem nicht weitergeholfen. Wenn du Probleme hattest, musstest du damit selber klar kommen und hier ist das: Die merken das schon, wenn man einen schlechten Tag hat. Die kommen auf einen zu und fragen, was los ist. Und deswegen ist das auch ganz leicht hier. Man hat nicht mehr diesen Druck, man macht das freiwillig und will das schaffen. Man möchte gute Noten haben und die hab ich auch und die möchte ich auch im zweiten Halbjahr haben. Und ich bin auf einem guten Weg, das zu bekommen."
Und auch das Elternhaus lernt mit: Zu Hause zeigt Angela ihre Werkstücke - ihre Mutter freut sich und ist stolz auf die Tochter, die schon ein konkretes Berufsziel entwickelt hat. Erzieherin will sie werden.
Pech gehabt. Hintergründe
Lernen und den Schulabschluss nachholen, einige Jugendliche haben das Glück und finden gleich nach der Schulentlassung eine Anschlussmaßnahme, die ihnen die zweite Chance eröffnet.
In der Jugendwerkstatt werden die praktischen Talente angesprochen, wird Motivation aufgebaut, die dann auch für das schulische Lernen ausreichen kann. Doch die Chancen auf solche Maßnahmen sind bundesweit äußerst ungleich verteilt. Steven, Kai und Angela haben Glück gehabt: Ihre Schulprobleme hatten sie mitten in Köln: Hier gibt es Jugendwerkstätten und andere Anschlussmaßnahmen. Darauf könne man sich andernorts nicht verlassen, sagt Bernd Pastoors, Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der örtlichen und regionalen Bildungsträger.
"Leider kommt es auch drauf an, wo man wohnt, wie da eine entsprechende Struktur aufgestellt ist. wir am Niederrhein sind relativ gut aufgestellt, dass schon in der Schule versucht wird, Übergänge abzusichern. Es gibt allerdings auch andere Regionen, mit fällt die Eifel ein, wo es kaum was gibt, auf dem platten Land, keine Angebote gibt, und dann kann es schon mal häufiger vorkommen, dass Jugendliche abtauchen und nicht erreicht werden können im ersten Aufschlag."
Ein weiterer Vorteil für die drei Jugendlichen aus Köln: Es gab Verbindungen zwischen der Schule und dem Hilfesystem, das sie jetzt aufgenommen hat. Auch darauf kommt es an. Eigentlich müsste sich jemand drum kümmern, wenn ein Jugendlicher nichts mehr leistet, nicht mehr zu Schule kommt oder auffällig, aggressiv oder störend wird.
"Ja, denkt man. Aber tatsächlich ist es so, dass viele Jugendliche auch schleichend aus der Schule rausgehen, nicht mehr regelmäßig die Schule besuchen. Es gibt ja deshalb in NRW eine ganze Reihe von Projekten, die eigentlich schulmüde Jugendliche erreichen wollen und vermeiden wollen, dass Jugendliche dauerhaft nicht mehr zur Schule gehen, weil sie dann ganz bestimmt nicht erreichbar sind. Also leider ist es nicht so, dass alle Jugendliche, die auffällig sind, sofort einem anderen System zugeführt werden. So funktioniert das leider noch nicht."
Und auch ganz andere ganz praktische Dinge, funktionieren oft nicht: Wer nicht in Köln, sondern zum Beispiel im ländlichen Raum, weiter westlich im Rhein-Erft-Kreis, im Oderbruch oder auf der schwäbischen Alb geboren ist, hat so schnell keine Maßnahme oder keine in erreichbarer Nähe.
Die Hilfeplanung für die Jugendlichen dem Zufall überlassen?
"Ja, muss man einfach so sagen. Es ist tatsächlich so, dass das Hilfsangebot in Teilen davon abhängig ist, wie wichtig ist das? Darüber entscheiden die Kommune vor Ort oder das Land über einzelne Maßnahmen und Programme. Insofern ist es schon ein bisschen zufällig, wo ich geboren bin oder wo ich wohne, habe ich eigentlich das Angebot oder habe ich es nicht."
Das gilt für den Übergang zwischen Schule und Beruf. Und es gilt auch für den Ausbildungsmarkt selbst. Schon mit einem durchschnittlichen Hauptschulabschluss konnten Jugendliche in Deutschland in den letzten Jahren hier kaum noch mitbieten: 15 Prozent der 20-29jährigen sind deshalb ohne Berufsabschluss geblieben - aktuell sind das 1,5 Millionen junge Erwachsene ohne Ausbildung. Schuld daran sind nicht die Jugendlichen selbst, sagt Dr. Elisabeth Krekel beim Bundesinstitut für berufliche Bildung (kurz BIBB) zuständig für Ausbildungsmarktforschung.
"Es gibt auch Marktvoraussetzungen und es gibt Regionen, wo es viel schwieriger ist, einen Ausbildungsplatz zu bekommen und es gibt Regionen, wo es nicht so schwierig ist. Und wenn wir dann noch die wirtschaftliche Situation dazu nehmen und Berufsausbildung, wir sprechen von Ausbildung im sog. dualen System hängen natürlich sehr von der wirtschaftlichen Situation ab. Betriebe bieten dann Ausbildungsplätze an, wenn sie ihren Fachkräftebedarf damit decken wollen und wenn sie ihre Auftragslage damit decken wollen. Wenn wir im letzten Jahr sehen: da gab es Kurzarbeit, gab es Wirtschaftskrise, dann wirkt sich das auch auf den Ausbildungsstellenmarkt aus. Und wir sind dann leicht dabei, diese doch eher strukturellen Probleme zu individualisieren und auf die individuellen Voraussetzungen der Jugendlichen abzuwälzen."
Dies ist die Kernaussage der Studie "Jugendliche ohne Berufsabschluss", die das BIBB 2009 im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung erstellt hat. Eine Zahlenanalyse mit Handlungsempfehlungen.
566.000 neue Ausbildungsverträge gab es im letzten Jahr, rund 15.000 blieben unbesetzt. Das Ausbildungsplatzangebot der Betriebe ist damit erschöpft. Auf weitere 90.000 Jugendliche aber schätzt das Bundesinstitut für berufliche Bildung die Zahl der Jugendlichen, die im System "hängen" geblieben und wieder nicht zum Zuge gekommen sind:
"Und die besondere Gefahr besteht darin, dass die Jugendlichen, die weiter nach Ausbildung suchen, aber nicht zum Zuge kommen, dass die auch aus dem Bildungssystem verschwinden. Und wir eigentlich dafür sorgen müssen, dass Chancen verbessert werden. Also zum Beispiel durch Schulabschlüsse, dass wir aber irgendwann dafür sorgen müssen, dass alle Jugendlichen eine vollqualifizierende Berufsausbildung bekommen.
Wenn die Wirtschaftskrise groß ist, ist halt die Frage durch welche Maßnahmen man ein mangelndes Angebot, was man den Betrieben nicht anlasten kann, ausgleichen kann. Und da würden wir sagen, dass hierzu auch die öffentlichen Mittel zur Verfügung gestellt werden sollten."
Wenn es in den Betrieben nicht geht, dann eben gleichwertig und außerbetrieblich. So wie es die Niederlande vormachen. Dort ist man sich einig: Was die Wirtschaft nicht leistet, muss der Staat tun. Bernd Pastoors vom THB Kleve:
"Die Holländer haben eine Ausbildungsgarantie. Das heißt, jeder niederländische Jugendliche bekommt einen Ausbildungsplatz. wenn nicht betrieblich, dann außerbetrieblich im Rahmen regionalen "Onderweiscentren", der Ausbildungszentren, eine Mischung aus Berufsschule und Bildungsträger, die die Holländer haben. die sehr genau auf die Jugendliche abgestimmte Ausbildungen anbieten können."
Die Bildungsanbieter dort bekommen Zuschläge für jeden Auszubildenden und je schwieriger dessen Voraussetzungen sind, desto höher die Prämie, sagt Pastoors. Er nutzt die Angebote auf der niederländischen Seite für die Jugendliche aus Kleve gern. Denn eine Ausbildungsgarantie fehlt in Deutschland ebenso, wie ein garantierter Zugang zu Unterstützungsmaßnahmen für Jugendliche an der ersten Schwelle zwischen Schule und Beruf.
Kein Durchblick durch die Hilfen
Über praktische Arbeit wieder Lernbereitschaft herstellen, das ist das Modell der Jugendwerkstatt. Doch die Vermittlung zwischen den Angeboten und den Jugendlichen läuft nicht von allein. Im Gegenteil: Lehrerinnen, Schulsozialarbeiter oder auch Eltern und Schüler selbst brauchen einiges an Durchblick und Organisation um eine der hilfreichen Maßnahmen zu finden. Selbst Fachleute bezeichnen die Hilfelandschaft mittlerweile schlicht als Dschungel:
"Hier ist das Beratungsnetzwerk Dortmund, Kompetenzagentur Wemhöner... Guten Tag."
Wer in Dortmund die 50.100.60 wählt, spart sich sehr viel Arbeit und Lauferei. Fünf große Träger mit ihren diversen Angeboten rund um das Thema Berufsstart lassen sich über die gemeinsame Hotline als Beratungsnetzwerk vermitteln. Fünf bis zehn Anrufer nutzen täglich diesen Wegweiser, 1000 sind es im Jahr.
"Es sind Eltern, Schüler, Lehrer, Schulsozialarbeiter, die mit Problemen, die sie mit ihren Schülern, oder die Schüler mit der Schule oder die Eltern mit ihren Kindern in diesem Rahmen haben, und früher hatten sie Probleme gehabt, hinsichtlich der Beratungslandschaft ein genau passendes Angebot zu finden."
Eltern, die merken, dass ihr Sohn aus der Schule ausgestiegen ist, nicht mehr hingeht und zu schwänzen anfängt, könnten sich ohne die Systemlotsen des Beratungsnetzwerks wohl kaum in der unübersichtlichen Landschaft der Träger und Maßnahmen orientieren und ein Projekt finden, dass ihr Kind zeitnah aufnimmt. Die zentrale Beratungshotline von Jugendamt und den freien Trägern sorgt hier seit drei Jahren für kurze Wege. Klaus Wemhöner:
"Also wenn hier jetzt angerufen wird, dann haben wir die Möglichkeit passgenau ein Beratungsangebot zu unterbreiten und die entsprechende Beratungsstelle über die Problematik desjenigen zu unterrichten, die dann Kontakt zu dem Ratsuchenden aufnimmt."
Eine transparente Trägerlandschaft wie in Dortmund, ist bundesweit die Ausnahme. Es fehlen Wegweiser. Das so genannte Übergangs- oder "Ü"-System ist kompliziert. Rund 500.000 Jugendliche befinden sich im gesamten Bundesgebiet aktuell im System des Übergangs. Der normale Weg: Schule, Abschluss und Lehrstelle - ist für sie blockiert, sagt Günter Buck von der Bundesarbeitsgemeinschaft evangelische Jugendsozialarbeit in Stuttgart: Hier setzen Jugendwerkstätten und ähnliche Maßnahmen an:
"Die erste Schwelle wird dann so immer als Schlagwort benannt, wenn es darum geht, was macht denn jemand, der keinen Schulabschluss hat. Das ist die erste Schwelle, wie kommt jemand in die Ausbildung in eine berufliche Qualifizierung. Die zweite Schwelle wird dann immer benannt, wie schafft es denn jemand, wenn er keine Ausbildung hat in die Arbeitswelt zu kommen. An diesen beiden Schwellen gibt es eine Unmenge, eine Unzahl von Projekten, Initiativen, Förderangeboten, Maßnahmen und das macht auch den Begriff des Dschungels aus."
Zu der nicht bezifferten Vielzahl an Maßnahmen der Jugendsozialarbeit kommt die Vielfalt der möglichen Träger solcher Angebote, ergänzt um die Anzahl der möglichen Budgetgeber - so sieht der aktuelle Flickenteppich der Jugendsozialarbeit aus. Da gibt es beispielsweise Modellprogramme des Bundes:
"Genannt zum Beispiel zweite Chance, Kompetenzagentur. Dann ein wesentlicher Finanzgeber ist natürlich die Bundesagentur für Arbeit mit den Arbeitsagenturen vor Ort, die viele Maßnahmen finanzieren im Übergang Schule Beruf, zum Beispiel die außerbetriebliche Berufsausbildungen, die so genannten ausbildungsbegleitende Hilfe, die Berufseinstiegsbegleitung, berufsvorbereitende Hilfemaßnahmen, wo es drum geht, Jugendliche so fit zu machen, dass sie auch reguläre Ausbildung antreten und auch schaffen können."
Zu den Finanzgebern aus dem Bund kommen die aus den Ländern und Landesministerien, aus Länderstiftungen und kommunalen Fördertöpfen und schließlich auch noch Mittel aus dem europäischen Sozialfonds, ohne die viele Maßnahmen in Deutschland nicht stattfinden könnten. Sie werden meist co-finanziert aus Landeshaushalten oder kommunalen Mitteln. Effektive Hilfeplanung ist auch für Profis eine tägliche Herausforderung, sagt Lutz Henßen Geschäftsführer der Jugendwerkstatt Hannover:
"Es ist ein unendlicher Nerv. Am meisten nervt dabei: Wir kriegen zum Beispiel eine Maßnahme bewilligt für zwölf Monate, wo die TN sechs Monate Zuweisung erhalten. Nach zwölf Monaten muss ich dann dafür einen Sachbericht schreiben. Ich muss einen Verwendungsnachweis schreiben für zwei Kostenträger. Gleichzeitig muss ich eine neue Maßnahme beantragen für ein neues Konzept, das muss ich schreiben. Und wir wissen dann häufig erst zwei Tage vor dem Maßnahmen-Ende, ob es in drei Tagen mit der neuen Maßnahme weiterläuft."
Sozialarbeiter als Maßnahmenmanager, das ist in der Jugendsozialarbeit Alltag. Dass die Vielfalt auch Vorteile haben kann, ist unbestritten: Es wäre möglich ortsnah und regional genau abzustimmen, was die Jugendlichen brauchen - entsprechend dem regionalen Arbeitsmarkt. Doch die Projektlandschaft ist längst zum Dschungel geworden - es fehlen die Lotsen. Dabei kennen die Kommunen den Bedarf recht genau: die Zahl der Schulabbrecher und Abgänger mit schwachen Zeugnissen liegt stabil bei etwa acht Prozent. Angebots- und Bedarfsplanung ist in der Jugendsozialarbeit möglich, sagt Bernd Pastoors von der Bundesarbeitsgemeinschaft der örtlichen und regionalen Träger:
"Eigentlich wäre es sinnvoll zu sagen: man müsste eine Steuerungseinheit haben, aus meiner Sicht kann das nur die Kommune sein, die sagt: So, wir haben hier verschiedene Akteure und wir versuchen das für unsere Bedürfnisse zu bündeln und zu organisieren. Das wäre aus meiner Sicht eigentlich der nächste Schritt dass man sagt: Kommune, du bekommst den Hut auf. Du musst einen Teil deiner Ressourcen darein tun und versuchen die verschiedenartigen Angebote zu koordinieren, zu steuern und Doppelungen zu vermeiden."
Ein Teil der geforderten Ressourcen stünde den Kommunen in Form des Jugendhilferechts zur Verfügung. Der Paragraf 13 ist die Grundlage: Er sieht sozialpädagogische Maßnahmen für die Förderung und berufliche Integration von benachteiligten Jugendlichen vor. Er ist Grundlage auch für die Finanzierung von Jugendwerkstätten und ähnliche Angebote am Ende der Schulzeit. Der Erfolg von Maßnahmen wäre hier sicherlich das stärkste Argument. Doch ganz einfach ist es in diesem Arbeitsfeld nicht, Erfolg zu messen. Klar ist nur: Jeder fünfte Jugendliche führt die Maßnahme nicht zu Ende. Manch einer allerdings auch, weil sich eine bessere Alternative gefunden hat. Für alle anderen liegen die Anschlussperspektiven, ob Schulbesuch, Ausbildungsplatz oder weitere Maßnahmen bei 60 bis 80 Prozent. Genauere Zahlen sind hier fast nicht zu bekommen, auch weil die Träger und Angebotslandschaft so groß ist und Vergleiche kaum möglich sind. Womit man wieder am Anfang des Problems angekommen wäre.
Learning by Doing: Das (dänische) Prinzip Produktionsschule
Fehlende Schulabschlüsse und Schwierigkeiten beim Berufsstart - das Problem haben nicht nur deutsche Jugendliche. Aus Dänemark haben Träger in Niedersachsen, Hamburg und den östlichen Bundesländern vor zwölf Jahren das Modell Produktionsschule übernommen. Und so dem Wettbewerb um die besten Konzepte eine neue Variante hinzugefügt. Etwa 60 Produktionsschulen gibt es mittlerweile in Deutschland. Sie verwirklichen das Prinzip Jugendwerkstatt in einer etwas marktnäheren Form.
Acht Bildschirmarbeitsplätze, wie es sie in jedem normalen Büro gibt, sind im Büroservice der Produktionsschule in Hannover eingerichtet. Sachspenden, beispielsweise Bücher, werden hier übers Internet weiterverkauft. Das bietet zahlreiche Lernanlässe und ist Konzept: erklärt Lutz Henßen, der Leiter und Mitgründer der Produktionsschule Hannover Limmer.
"Dazu muss erst eine Recherche gemacht werden, wie wertvoll ist dieses Buch, ein Preis festgelegt werden, ins Netz gestellt werden. Irgendwann wird es dann ersteigert, dann muss eine Rechnung geschrieben werden, dann muss es versandt werden. Wir haben so einen kleinen Versandhandel."
Zwei der Mitarbeiter im Büroservice sind Basti und Patrick, 18 und 20 Jahre alt. Der eine noch Schüler, erfüllt hier seine Schulpflicht, der Ältere bekommt Geld für die Arbeit aus einer Maßnahme, die den "ein Euro-Jobs". vergleichbar ist. Learning by doing, Arbeiten und sich weiterentwickeln, das ist die Idee, mit der die beiden wieder berufliche Perspektiven finden sollen.
"Wir machen hier halt Büroarbeiten, schreiben Rechnungen, verwalten Kindergarten zum Beispiel lernen Bewerbungen zu schreiben, diverse Excel Aufgaben. Ich hab heut eine Recherche gemacht. Dann hab ich einen Brief fertig geschrieben für jemand. Also hier ist ja so 200 Meter weiter so eine Kneipe, die heißt Frosch, die hat jetzt in den nächsten drei Monaten so Events. Und wir stellen dafür die Flyer her."
Produktionsschulen unterscheiden sich von Jugendwerkstätten in einem Punkt: Hier wird (fast) wie in einem normalen Arbeitsverhältnis gearbeitet, das heißt, Dienstleistungen und Produkte werden gegen Geld auf dem allgemeinen Markt angeboten. Das gilt für die Büroarbeiten und auch für den zweiten Lernort: der Schule: Die eigene Trockenbaufirma.
Sie entkernt Kindergärten, und baut sie neu auf, legt Spielplätze an oder repariert Bänke. Gemeinnützige Vereine oder Kirchengemeinden sind Auftraggeber der Firma. Die Jugendlichen werden so in einem - allerdings betreuten - Umfeld wieder in die Pflicht genommen.
"Das ist damit man jeden Morgen aufsteht, damit man im Arbeitsfluss bleibt, Also wenn man im Sommer Juni/Juli, je nachdem wann der Abschluss gemacht ist und keine Ausbildung hat und dann nur zu Hause rum sitzt, das bringt ja nichts. Dann geht man lieber, bewegt sich, lernt neue Leute kennen und Erfahrungen, ja, da wird man vorbereitet auf eine Ausbildung. Da wird man auf Vorstellungsgespräch vorbereitet, man schreibt Bewerbungen, Lebensläufe zusammen. Auf jeden Fall habe ich mich angestrengt."
Welche Aufgaben, welche Unterstützung brauchen Jugendliche, denen sich kaum Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt bieten, damit sie trotzdem dran bleiben und sich weiterentwickeln? Diese Fragen stellte sich Thomas Johansen, heute Vorsitzender des Bundesverbandes der Produktionsschulen. 20 Jahre lang hatte er sich zuvor an einer Berufsschule in Hamburg für ein besseres Übergangssystem zwischen Schule und Beruf eingesetzt:
"Und das war eine sehr ernüchternde und frustrierende Erfahrung zu erleben, dass Jugendliche gezwungenermaßen, weil sie noch schulpflichtig sind, eine Schule besuchen müssen, die sie nicht mehr besuchen wollen. Also mit unglaublichen Aversionen in die Schule kommen und auch dort auf Lehrer treffen, die unglaublich frustriert sind, also die Erfolglosigkeit der eigenen Arbeit ständig vor Augen... wo sich beide Gruppen gegenseitig blockieren. Und das führt dazu, dass man sich Gedanken darüber macht, wie will ich denn eigentlich beruflich weitermachen und wie kann man erfolgreich sein?"
Die Suche nach Alternativen führte Johansen, jetzt Leiter der Produktionsschule in Hamburg Altona, Mitte der 90er-Jahre nach Dänemark. Dort gibt es 100 sogenannte Produktionsschulen, die staatlich anerkannt, gesetzlich geregelt und abgesichert sind. Gleich die erste Begegnung mit dem dänischen Bildungsmodell begeisterte Johansen:
"Die Atmosphäre: eine entspannte, aber doch durch klare Strukturen geprägte Atmosphäre, die etwas uns Neues geboten hat, nämlich bestimmte Rituale: also ein gemeinsames Mittagessen, nach dem Essen innerhalb von fünf Minuten ein Thema zu besprechen, gemeinsam zu singen! Mit einer Selbstverständlichkeit, die uns verblüfft hat. Es war unglaublich beeindruckend, wie dort miteinander gelernt und gearbeitet wird."
Gesungen wird in deutschen Produktionsschulen zwar nicht, aber andere Rituale wurden direkt aus Dänemark importiert. Küche und Kantine sind nun auch das Herzstück jeder Produktionsschule in Deutschland, Mitarbeiter und Schüler essen gemeinsam. Auf angenehme Räume und offene Türen legt man viel Wert.
Übernommen wurde vor allem auch das pädagogische Konzept: Nicht mit Tricks und Trockenübungen sollen Schüler wieder ans Arbeiten gewöhnt werden, sondern anhand echter Aufträge, die echte Verantwortung erfordern. So wird auch die Kantine in der Produktionsschule in Hannover zum Lernort für Jugendliche. Lutz Henßen stellt sie vor:
"Wir haben jetzt hier unsern Gastraum und den Produktionsbereich der Gastronomie, ist ein öffentliches Bistro, kann also jeder jederzeit reinkommen. Günstiges Mittagessen für 3,30."
Das nutzen jetzt um die Mittagszeit Beschäftigte aus den umliegenden Betrieben. Im Service ist heute Rene Ali.
"Heute ist Wokgemüse mit Nudeln und Hühnerbrustfilet. Dann gibt es noch Sauerkrautstrudel haben wir gemacht und noch eine Linsensuppe, die haben wir vorbereitet und gemacht.
Hier ist die Essenausgabe, man kann sich die Speisen aussuchen, rausnehmen, Getränke, Speisen, Heißgetränke und dann muss natürlich kassiert werden."
An der Kasse wünscht mit strahlendem Lächeln Klara "einen guten Appetit". Nach einem schwachen Start, nach Schulproblemen und Abbrüchen will sie hier ihr Leben wieder in den Griff bekommen. Mit Stolz trägt sie die schwarz-weiß karierten Hosen, die im Gastronomiebetrieben üblich sind: ein Beleg dafür, dass sie zu den Auszubildenden gehört. Die Kantine in der Produktionsschule ist ihr Betrieb:
"Jetzt ist es richtig voll. Wir bieten halt jeden Tag n Mittagessen an und dann geht's auch richtig rund, da wir noch eine Modeschule im Haus haben und verschiedene andere Firmen, dass wir immer zu Stoßzeiten um zwölf geht's richtig rund. Alle haben Hunger und wir müssen kochen wie die Weltmeister."
Klaras Schwung ist ansteckend. Sie ist die perfekte Mentorin für Mandy, eine 16-jährige Schülerin, die eben erst in der Produktionsschule angefangen hat. Keine vier Monate ist es her, dass sie der Hauptschule in Hannover den Rücken gekehrt hat, weil gar nichts mehr ging. Jetzt sieht sie, wie die Anderen voran gekommen sind:
"Hier sind Leute, mit denen versteh ich mich super, kein Stress, alles okay und da hat man auch viel mehr Lust zur Schule zu gehen, als wie wenn man nur Stress auf der Schule hat und schlechte Noten schreibt und hier schafft man was.
Ja, ja, also bei mir war's ja auch so. Ich hab keinen Abschluss bekommen, weil ich dachte mir wäre es nicht wichtig gewesen, einen Abschluss zu machen. Jetzt sieht man mit 21, dass es dann doch irgendwann Zeit wird, hab ich mich hier beworben, hab mich dann auch hier bewähren müssen: bin ich pünktlich, bin ich wirklich bereit für so was, kann ich den Beruf oder kann ich den nicht und dann, nach dem Praktikum, habe ich mich entschieden, hier die Ausbildung zu machen und seitdem bin ich hier."
Erfolg baut auf. Bestechend einfach ist der Grundgedanke, der die Produktionsschule trägt. Bislang aber setzen erst wenige Länder auf das neue Modell. In Hamburg allerdings hat man im Haushalt gezielt Geld für die Produktionsschulen bereit gestellt. Und in Ostdeutschland engagiert sich der Bund für das Konzept Lernen und Arbeiten: Dort erhofft man sich, dass Jugendliche nach erfolgreichem Wiedereinstieg ins Bildungssystem im Land gehalten werden.
Happy End? Endlich in Ausbildung
Es gibt einige Wege und Maßnahmen, mit denen es nach einer verfahrenen Schullaufbahn weiter gehen kann. Den Abschluss schaffen und später den Anschluss ans Berufsleben - ist ein Happy End drin für Jugendliche, die in der Schule gestrandet sind? Ein Beispiel dafür ist Divina, eine 20-Jährige, die am Niederrhein nach einigen Umwegen in eine kooperative Ausbildung eingemündet ist. Kooperativ bedeutet: Unterstützung durch die Jugendwerkstatt bei einer Ausbildung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt:
"Ich arbeite in einem Jeansgeschäft, also bin noch ganz am Anfang der Ausbildung, wir lernen noch viel: Was ich sehr schön finde, ist mit den Kunden umgehen, wenn man denen behilflich sein kann und so was und auch das kassieren macht eigentlich sehr viel Spaß. Wenn man dann einmal den Trick n bisschen raus hat, macht das auch tierisch Spaß wie unser Kolleginnen mit den Kunden umgehen."
Schwarze Haare, pinke Strähnchen, kreativ und unkonventionell gekleidet, voller Tatendrang, das ist Divina - "endlich angekommen im Job", wie sie selbst sagt: Ihre Chefin hilft ihr sehr:
"Meine Chefin kann sehr gut erklären. macht sie wirklich super. Also sehr ruhig sehr gelassen, so dass man auch wirklich versteht, was gemeint ist. Viele erklären ja so holterdiepolter und man weiß hinterher nicht, was gesagt wurde. Weil oft heißt es ja, die Auszubildenden sind so blöd und so was, aber mal gefragt, wer erklärt dir denn so was, wird dir das gut erklärt, aber wenn es einem nicht gut erklärt wird, dann ist es kein Wunder, dass die Auszubildenden nichts verstehen."
Divina hat außerdem noch einen Telefonjoker im Hintergrund. Einen Coach, der für alle denkbaren Fragen oder Probleme während der Ausbildung zur Verfügung steht. Sie nutzt das gern, denn obwohl ihr Hauptschulabschluss ganz passabel war: ohne Unterstützung wäre es schwer, weiß die angehende Verkäuferin mit Blick auf ihren bisherigen Bildungsweg.
"Also kein geraden, würde ich sagen. Einen langen und zum Teil auch sehr schwierigen, aber es hat sich auf jeden Fall gelohnt, das alles zu machen. Weil von der Schule aus direkt hätte ich nie eine Ausbildung bekommen. Ich war nie sehr gut in der Schule, von daher ist es auch sehr schwierig hier eine Ausbildung zu finden. In andern Städten sieht das wieder anders aus. Aber hier: Wenn man da eine vier auf dem Zeugnis hat oder noch schlechter, dann ist es schon wahnsinnig schwer."
Jetzt aber ist der Berufsabschluss greifbar nahe. Nur noch anderthalb Jahre. Ein Happyend, das möglich ist, sagt Bernd Pastoors, vom TBH Kleve. Divina macht eine so genannten "kooperativen Ausbildung". Sie lernt in einem ganz normalen Betrieb und wird gestützt durch einen Coach. Pastoors und sein Team sind das Scharnier zwischen Jugendwerkstatt und Ausbildungsbetrieb:
"Ja, die hat eine ganze Menge gelernt. Das ist für mich auch so ein Beispiel dafür, dass so jemand, wenn er eine Chance bekommt, nicht eine, ein paar mehr, dann irgendwann in den Stand kommt zu sagen: so, die nehme ich jetzt, die Chance. Und dann macht das einfach irrsinnig Spaß zu gucken, wie sich das entwickelt."
Zu den paar Chancen gehörte: eine erste Maßnahme der Berufsorientierung, die abgebrochen wurde. Dann das Jahr in der Jugendwerkstatt. Jetzt die Ausbildung mit Rückendeckung. Ein Blick zurück:
"Früher war ich total schüchtern. Und das gibt einem natürlich dann auch wahnsinnig Selbstvertrauen, wenn man zu Hause immer Stress hat und man findet jemand, der einem zuhört. Und auch in der Jugendwerkstatt: Wenn irgendwas war, man hat mir zugehört. Und das war für mich persönlich auch ganz wichtig. Dass man da mit offenen Armen empfangen wird und wenn was ist, dass einem zugehört wird.
Aber ganz, ganz oft ist so, dass ihnen Selbstwertgefühl fehlt, Selbstbewusstsein fehlt. Das ist das eigentliche Merkmal. Wenn lange Zeit in den Jahren von Schule, von Zuhause gespiegelt bekommen, eigentlich haste nix drauf. Und das schluckt man dann irgendwann und dann ist es so. Und eine zentrale Aufgabe von uns muss sein, den Jugendlichen wieder Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein zu vermitteln "Ich kann doch was". Und eine ganze Menge können auch."
Trotz eines schwierigen deutschen Arbeits- und Ausbildungsmarktes - auf dem das Ungleichgewicht allerdings zu kippen beginnt. So belegen es die aktuellen Zahlenanalysen des Bundesinstituts für Berufsbildung. Gab es vor Jahren noch einen massiven Mangel an betrieblichen Ausbildungen, so mehren sich jetzt Klagen von Betrieben, die ihre Plätze nicht besetzen können. Die Jugendlichen werden also tendenziell wieder gebraucht - auch die ohne Schulabschluss. Für Elisabeth Krekel vom BIBB heißt das:
"Dass wir auch stärker diejenigen mit schlechteren individuellen Voraussetzungen auch in eine Berufsausbildung übernehmen müssen. Das heißt, wir müssen unsere Ansprüche an die Bildungsvoraussetzungen verändern, wenn wir auch die betrieblichen Angebote nutzen wollen. Heißt, dass nicht mehr nur Abiturienten oder Realschüler, sondern auch Hauptschüler die Chance auf einen Ausbildungsplatz erhalten."
Vom demografischen Wandel könnten somit Jugendliche wie Divina, Steven oder Angela profitieren, die bislang einfach zur stillen Reserve gezählt und in ihrem Potenzial übersehen wurden.
Stellvertretend für viele steht Divina, die in der Jugendwerkstatt über praktischen Arbeitserfolg wieder die Bereitschaft zum Lernen gefunden hat. Auch sie brauchte Rückendeckung und Zeit für die persönliche Entwicklung. Dabei ist auch auf die hohe Motivation der Jugendlichen Verlass: Sie wollen den Abschluss und die Ausbildung, das sagen die Studien des Bundesinstituts für Berufsbildung:
"Weil es ist ein ganz wichtiges Merkmal von Teilhabe an Gesellschaft, hab ich n Ausbildungsplatz, hab ich keinen, ob ich den mit 18 oder 20 kriege ist nicht so ganz erheblich. Aber ich muss die Chance haben, dass sich einen habe. Ist glaub ich ganz zentral. Es gibt auch keine Alternative zu so einem Ansatz. Es sei denn, ich verabschiede mich von einem Teil eines jeden Geburtenjahrgangs und nehme billigend in Kauf, dass wir den nicht erreichen. Gut."
"Viele Jugendliche wollen was leisten, auch nicht alle, warum nicht, weiß ich nicht, ob die auch Schwierigkeiten zu Hause hatten oder sonst was, aber manche sind schon schwierig. Und da ist es gut, dass es so was wie die Jugendwerkstätten gibt, die die auffangen. Und viele, die da waren haben danach auch was aus sich gemacht. Manche brauchen wirklich die Gelegenheit, dass sie mal ein Lob bekommen. Dass sie irgendjemand lobt. Wenn das dann mal irgendwann mal der Fall ist, dann arbeiten die auch weiter, dann sehen die es bringt mir was und dann verhalten die sich auch völlig anders. Und dann zeigt es sich doch, dass die Jugendwerkstatt etwas bringt, weil wenn sie ihre Meinung so ändert, denk ich mir schon, dass es auch an der Jugendwerkstatt lag und an der Behandlung da."
"Als Kfz-Lackierer muss man nicht nur lackieren, sondern auch Beulen und alles ausbeulen und schleifen und alles, und hier zum Beispiel haben wir gerade mit Spachtelmasse und Härter die Beulen ausgebeult und müssen jetzt glatt schleifen, damit man lackieren kann, damit keine Risse oder Narben entstehen, muss man das Ding sauber schleifen können."
"Da hängt man schon mal zwei bis drei Stunden dran. Muss man Durchhaltevermögen haben","
ergänzt Kay, so wie Steven besucht der die Jugendwerkstatt.
Praktisches Arbeiten kombiniert mit Stützunterricht in den Hauptfächern, das erwartet Jugendliche, die in der Schule gestrandet sind, hier. Die Jugendwerkstatt setzt auf Zeit, die viele dieser Jugendlichen noch für ihre persönliche Entwicklung brauchen. Ihnen wird eine Trainingsstrecke angeboten, in der Noten erstmal außen vorbleiben. Es geht um ihre bislang nicht gefragten Talente, um neue Motivation zum Lernen, die erst wieder entstehen muss.
2007 hatten acht Prozent der Schulabgängerinnen und Abgänger keinen Abschluss. Ein Anschluss auf dem Ausbildungsmarkt ist damit praktisch ausgeschlossen. 45 Jugendwerkstätten gibt es in Nordrhein-Westfalen. Die Zahl bundesweit liegt bei einigen hundert.
Stundenlang an einer Arbeit dranbleiben, beim Autolackieren fällt Kay nicht schwer, was in der Schule nie gelungen ist. In dem einen Jahr in der Jugendwerkstatt hat er Riesenfortschritte gemacht:
""Ja, am Anfang wusste ich nicht genau, was ich hier machen soll und jetzt kann ich ihm auch schon zeigen, beim Schleifen, was man da machen muss. zum Beispiel auch Lackieren, da bin ich auch einer der Fortgeschrittensten hier, da zeige ich halt anderen, wie das halt geht."
Die Jugendwerkstatt Klettenberg liegt auf dem Gelände einer ehemaligen Kfz-Werkstatt. 500 Jungen und Mädchen werden vom Jugendwerk betreut. Es gibt berufsvorbereitende Maßnahmen, Ausbildungen oder Projekte für Schulmüde - die Palette ist breit, denn die Probleme sind vielschichtig. Drei von vier Teilnehmern kommen ohne Hauptschulabschluss und das ist nur ein Teil der Schwierigkeiten, sagt Marc Haine, Geschäftsführer der Jugendwerkstatt:
"Jeder bringt ein ganzes Paket persönlicher Probleme mit. Das heißt, liegt eine Überschuldung vor, ist die Wohnungssituation gesichert, gibt es gesundheitliche Einschränkungen, gibt es eine Drogenproblematik, die bisher nicht so richtig thematisiert worden ist. In der Regel aber sind es soziale Probleme, die die Jugendlichen mitbringen."
In die Jugendwerkstatt kommen in der Regel Abgänger der Klasse 9, denen der Schulabschluss aufgrund schlechter Noten fehlt. Andere haben aber auch nur die achte Klasse abgeschlossen, aber die zehn Jahre Schulpflicht schon erfüllt. Für sie ist die Schule nicht mehr zuständig. Doch nur sehr selten sind es echte Lernschwächen, die dazu führen, dass Jugendliche im Bildungssystem hängen bleiben. In der Regel sind es soziale Nachteile, die für die Jugendlichen zum Stolperstein an der so genannten "ersten Schwelle", dem Hauptschulabschluss werden.
"Wenn man sich vorstellt, wie so eine häusliche Situation aussehen kann, dann kann man sich vorstellen, dass man als Kind oder Jugendlicher überhaupt nicht mehr in der Lage ist, sich zu konzentrieren oder eine systematische Arbeitshaltung an den Tag zu legen, mit der man dann die Schule auch gut bewältigen kann. Weil man den Raum nicht hat, weil man die Unterstützung nicht hat, weil einfach die Auseinandersetzungen zu Hause so präsent sind, dass man sich auf nichts anderes konzentrieren kann und eher Zerstreuung sucht, als dass man sich vors Buch setzt und Vokabeln lernt oder so was."
Eine derart verfahrene Schulkarriere hat auch Steven hinter sich. Nach der 8. Klasse gab es noch ein Förderangebot für ihn - doch beim zweiten Sitzenbleiben nahmen die Probleme unaufhaltsam zu, und mit ihnen der Stress mit den Lehrern: Jugendliche in Schulschwierigkeiten sind auch für die Pädagogen eine tägliche Herausforderung. Am Ende standen 200 Fehlstunden auf Stevens Halbjahreszeugnis. Das war damals. Und heute:
"Was ich gut finde, ist, dass hier Harmonie herrscht und so was, unsere Betreuer, die bauen hier eine Beziehung zu uns auf, zum Beispiel wie heute, haben wir Mittagessen und so, machen wir immer alles zusammen, unterhalten uns viel, damit wir den anderen möglichst gut kennen lernen, dann kann man am besten mit seinem Kollegen arbeiten, wenn man eine Beziehung aufbaut, kommt man besser mit dem klar."
16 Jugendliche sind in der Gruppe. Sie werden von zwei Meistern und einer Sozialpädagogin betreut. Es geht vordringlich um die Stärkung sozialer Kompetenzen, um Kontakt, Vertrauen und um Gemeinschaft. Die Lücken in Mathematik, Deutsch oder in der Allgemeinbildung stehen eher im Hintergrund. Studien bestätigen unter anderem, dass durch praktische Arbeit unter pädagogischer Anleitung die besonders benachteiligten Jugendlichen aufholen. Ihre Bereitschaft wächst, doch noch den fehlenden Hauptschulabschluss nachzuholen, wenn sie damit ein berufliches Ziel erreichen können, sagt Marc Haine. Die praktische Arbeit sei der Türöffner:
"Das heißt, wenn die bei uns hier reinkommen, dann sehen die die Werkstatt, wie sich das anhört und riecht, das kommt schon ganz anders rüber als Lernort, der kommt viel versteckter daher. Wenn ich merke, ich kann mit meinen Händen was bewegen, und dann ist es vielleicht ganz sinnvoll, wenn ich das vorher auch ausrechnen kann, was ich da hinterher fertig haben will - das hinzukriegen, diesen Transfer hinzukriegen um die Motivation zu wecken, ich möchte gern in diese berufliche Richtung gehen. Und wenn junge Menschen dieses Ziel haben, dann sind sie natürlich eher bereit ein vorgestelltes Ziel erstmal zu erfüllen und zu sagen: ich mach noch mal den Schulabschluss nach."
Vier von fünf Jugendlichen aus der Werkstatt halten durch - so auch Kai, der inzwischen am Ende seines Werkstattjahres, längst auch mit Deutsch, Mathe, Politik oder Biologie zurecht kommt:
"Und dann kriegen wir halt auch wie in der Schule ein Zwischenzeugnis und haben wir hier auch ein Halbjahresgespräch, da kriegen wir auch Zwischennoten."
die in seinem Fall recht gut sein werden. Kay wird Autolackierer werden - er hat die Kurve gekriegt und eine Ausbildung in Aussicht. Das Jahr in der Jugendwerkstatt endet für etwa 75 Prozent der Jugendlichen mit einer Perspektive für den Anschluss, das sei die Zielvorgabe, sagt Marc Haine.
"Nicht so nebulös, ja ich hab vor dies oder jenes zu machen, sondern verbindlich eine Anmeldung an einer schulischen Maßnahme erfolgt ist, der Ausbildungsvertrag unterschrieben ist, die ersten Gespräche bei der Bundesagentur für eine Berufsvorbereitungsmaßnahme vorliegen oder, oder, oder."
Dabei ist die Jugendwerkstatt oft erst der Anfang einer Reihe von Ausbildungsumwegen: berufsvorbereitende Maßnahmen oder das Werkstattjahr sind Beispiele dafür.
Acht Prozent der Schulabgänger sind bundesweit auf solche Angebote, auf Rückendeckung und Sozialarbeit angewiesen, um dem Arbeitsmarkt überhaupt näher zu kommen.
Für Steven, der eben erst in der Jugendwerkstatt angefangen hat, ist dieser Arbeitsmarkt allerdings vorerst noch ein Fernziel. Dennoch: Sein Plan steht fest: Er will das Jahr nutzen. Die höchste Hürde auf seinem Weg, dürfte er mit dieser Entscheidung bereits genommen haben:
"Bevor ich hierhin gekommen bin, sag ich von mir selber, ich war auch kein guter Mensch, ich hab auch Vorstrafen, ich hab Leute abgezogen und alles, und seit ich hier bin, hab ich so was gar nicht mehr im Kopf. Und letzte Mal, wo ich vor Gericht war, hat der Richter auch gesagt: Junge, das ist deine letzte Chance, nutz die diesmal. Und das tue ich, ist meine letzte Chance!"
Mädchen holen auf
Eine zweite Chance für Jugendliche ohne Abschluss mit Betreuung und praktischer Arbeit - dieses Modell der Jugendwerkstatt nutzt auch das Kölner Handwerkerinnenhaus für zwei Angebote an Mädchen in Schulschwierigkeiten. Fast unbemerkt nämlich haben die Mädchen nachgezogen: Schulverweigerung ist längst kein reines Jungenproblem mehr. Für Mädchen gilt, ebenso wie für die Jungen: Es wäre am besten, wenn ihr Ausstieg aus dem Bildungssystem möglichst früh bemerkt würde. Solange noch Kontakt zur Schule besteht, lässt sich innerhalb des Systems die weitere Bildung organisieren. Doch die Verweigerung findet nicht immer laut und konfliktreich statt. Kinder, die sich langsam aber stetig "abmelden", fallen oft lange nicht auf. Gerade Mädchen entziehen sich dem System gern durch die Hintertür. So hat es auch Angela gemacht:
"Ich war ganz still immer, auch im Unterricht, hab nie was gesagt. Also ich bin nie regelmäßig zur Schule gegangen, hab immer ein bis zweimal in der Woche gefehlt, und irgendwann bin ich gar nicht mehr gegangen, hab' mich auch überhaupt nicht mehr gemeldet."
Bis das auffiel vergingen Monate: Die Klasse 8 war da schon nicht mehr zu schaffen, Wiederholen sinnlos, doch die Schulpflicht bestand weiter.
Mit dem Mädchenprojekt Zukunft geht das Handwerkerinnenhaus in solche Bildungslücken. Für Mädchen, die bereits die Schule hinter sich gelassen haben, gibt es die Jugendwerkstatt - und damit auch die Chance den Schulabschluss doch noch zu packen. Im Projekt "Pfiffigunde" werden Mädchen betreut, die noch in der Schule zu halten sind, aber bereits erkennbar Schwierigkeiten haben.
Jeweils acht Mädchen in fünf Gruppen besuchen dazu einmal pro Woche die Tischlerei im Handwerkerinnenhauses. Sie bauen ein Zickzackregal, einen Beistelltisch oder einen Schminkspiegel - das baut Selbstbewusstsein auf und zeigt ihnen ganz neue Stärken.
Die meisten der Mädchen kommen aus Haupt- oder Förderschulen.
Nicht, dass es Aussteiger an anderen Schulformen nicht gäbe, doch problematische Schüler werden dort auf Dauer "nach hinten durchgereicht". Dabei fehlt ihnen nicht nur das Versetzungszeugnis, sagt Christiane Lehmann, Tischlerin und Sozialpädagogin im Handwerkerinnenhaus Köln
"Unsere Erfahrung ist, dass die Jugendlichen sich nicht wahrgenommen fühlen, häufig auch im Elternhaus. Häufig auch vernachlässigt werden, also auch ohne Frühstück ohne gute Nahrung in die Schule geschickt werden, als Person nicht wahrgenommen werden und das versuchen wir in unseren Kursen auch zu verändern ihnen zu zeigen, du kannst was, du bist was, du kannst was werden, wenn du dich gut reinhängst."
In der Tischlerwerkstatt steht Angela an der Werkbank, bohrt Löcher für Holzdübel, bringt Holzleim ein und setzt drei Zwingen an. Voller Stolz zeigt sie, was sie in den letzten Monaten geleistet hat:
"Ich habe hier eine Menge schon gemacht, hab Tische gemacht, und Spiegel, Mosaikspiegel, Ich hab mir ein Schmuckkästchen gemacht, dieses Pink-schwarze da. Das hat vier Schubladen, die sind schwarz und der Schrank selber, der ist pink und der ist auf jeden Fall sehr groß, man kann da sehr viel reintun. Ich hab da nicht so lange für gebraucht, ja. Ich mache das ja auch schon etwas länger hier. Ich bin ja wie gesagt, zum dritten Mal hier. Viel Übung hab ich schon. Ja, eigentlich kann ich sehr viel."
Am Anfang war sie misstrauisch, so wie alle, die herkommen. Zwei mal hat sie die Maßnahme abgebrochen. Die Pünktlichkeit, die Gruppe, die Eigenverantwortung, das alles war damals für sie noch viel zu viel. Jetzt ist sie 17 und bereit ihre dritte Chance für den Abschluss der achten Klasse zu nutzen. Werkstatt und Schulunterricht - beides geht.
"Das konnte ich anfangs gar nicht. War ich ein bisschen überfordert, wenn ich irgendwas nicht hinbekommen habe, hatte ich nicht lange die Ruhe dafür. Jetzt hab ich die Ruhe und wenn irgendwas nicht funktioniert, mach ich es halt noch mal. Ich hab sogar schon mal ein Teil dreimal neu gemacht, weil ich das nicht so hinbekommen habe, wie ich das wollte. Und beim dritten Mal hat es dann funktioniert.
Also das handwerkliche Arbeiten ist natürlich, man hat innerhalb von relativ kurzer Zeit ein Supererfolgserlebnis. Was die erstmal lernen ist nicht aufzugeben. Wenn mal falsch angezeichnet ist, falsch gebohrt ist und das Werkstück passt am Ende nicht zusammen, kann an die Ursache gut nachforschen und sehen, hier ist was schief gelaufen und noch mal von vorne anfangen. Und man kann sagen: "Komm wir fangen einfach noch mal von vorne an ganz in Ruhe. Noch mal richtig anzeichnen, rechnen, berechnen."
So werden nach und nach Konzentration und Ausdauer geschult - beides braucht man um später in der Schule wieder anschließen zu können. Dazu kommen pro Woche 15 Stunden Unterricht in Deutsch und Mathematik, auch Projektarbeit in Geschichte und Erdkunde
Einen hohen Reiz aber haben die Werkstücke. Sich eine Lampe, einen Tisch oder ein Schatzkästchen bauen, etwas das man in die Hand nehmen, vorzeigen und behalten kann, das spricht die Mädchen an. Niemand weiß, wann genau der Schalter im Kopf umgelegt wird, und wann aus totaler Verweigerung wieder zaghaftes Interesse am Lernen wächst. Sabine Dahl ist die Sozialarbeiterin im Handwerkerinnenhaus:
"Natürlich ist nicht alles nur toll, es kommt vor, dass Mädchen fehlen, und gerade da ist es wichtig, dass wir kooperieren mit der jeweiligen Lehrerin und das rückmelden und nachhorchen, was ist da gewesen. Also dass das Mädchen auch mitkriegt, es ist nicht egal, ob sie kommt oder nicht. Und das funktioniert. Was wir auch häufig erleben, dass Lehrkräfte dann ganz erstaunt sind, wie sich Mädchen hier in der Kleingruppe verändert. Die haben ja oft auch in der Schule so ein Stigma, so ein Stempel auf der Stirn: Das ist die Störerin, die Aggressive."
Diesen Schutzraum brauchte auch Angela, die mit Leim und Zwingen heute nicht den vollen Erfolg hatte. Egal, sagt sie. Muss ich noch mal ran. Vor gut sieben Monaten noch hatte Schule bei der 17-jährigen keine Chance mehr.
"Die Lehrer damals, die waren für den Unterricht zuständig, du musstest da halt lernen und weiterkommen, aber so psychisch und so was, haben die einem nicht weitergeholfen. Wenn du Probleme hattest, musstest du damit selber klar kommen und hier ist das: Die merken das schon, wenn man einen schlechten Tag hat. Die kommen auf einen zu und fragen, was los ist. Und deswegen ist das auch ganz leicht hier. Man hat nicht mehr diesen Druck, man macht das freiwillig und will das schaffen. Man möchte gute Noten haben und die hab ich auch und die möchte ich auch im zweiten Halbjahr haben. Und ich bin auf einem guten Weg, das zu bekommen."
Und auch das Elternhaus lernt mit: Zu Hause zeigt Angela ihre Werkstücke - ihre Mutter freut sich und ist stolz auf die Tochter, die schon ein konkretes Berufsziel entwickelt hat. Erzieherin will sie werden.
Pech gehabt. Hintergründe
Lernen und den Schulabschluss nachholen, einige Jugendliche haben das Glück und finden gleich nach der Schulentlassung eine Anschlussmaßnahme, die ihnen die zweite Chance eröffnet.
In der Jugendwerkstatt werden die praktischen Talente angesprochen, wird Motivation aufgebaut, die dann auch für das schulische Lernen ausreichen kann. Doch die Chancen auf solche Maßnahmen sind bundesweit äußerst ungleich verteilt. Steven, Kai und Angela haben Glück gehabt: Ihre Schulprobleme hatten sie mitten in Köln: Hier gibt es Jugendwerkstätten und andere Anschlussmaßnahmen. Darauf könne man sich andernorts nicht verlassen, sagt Bernd Pastoors, Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der örtlichen und regionalen Bildungsträger.
"Leider kommt es auch drauf an, wo man wohnt, wie da eine entsprechende Struktur aufgestellt ist. wir am Niederrhein sind relativ gut aufgestellt, dass schon in der Schule versucht wird, Übergänge abzusichern. Es gibt allerdings auch andere Regionen, mit fällt die Eifel ein, wo es kaum was gibt, auf dem platten Land, keine Angebote gibt, und dann kann es schon mal häufiger vorkommen, dass Jugendliche abtauchen und nicht erreicht werden können im ersten Aufschlag."
Ein weiterer Vorteil für die drei Jugendlichen aus Köln: Es gab Verbindungen zwischen der Schule und dem Hilfesystem, das sie jetzt aufgenommen hat. Auch darauf kommt es an. Eigentlich müsste sich jemand drum kümmern, wenn ein Jugendlicher nichts mehr leistet, nicht mehr zu Schule kommt oder auffällig, aggressiv oder störend wird.
"Ja, denkt man. Aber tatsächlich ist es so, dass viele Jugendliche auch schleichend aus der Schule rausgehen, nicht mehr regelmäßig die Schule besuchen. Es gibt ja deshalb in NRW eine ganze Reihe von Projekten, die eigentlich schulmüde Jugendliche erreichen wollen und vermeiden wollen, dass Jugendliche dauerhaft nicht mehr zur Schule gehen, weil sie dann ganz bestimmt nicht erreichbar sind. Also leider ist es nicht so, dass alle Jugendliche, die auffällig sind, sofort einem anderen System zugeführt werden. So funktioniert das leider noch nicht."
Und auch ganz andere ganz praktische Dinge, funktionieren oft nicht: Wer nicht in Köln, sondern zum Beispiel im ländlichen Raum, weiter westlich im Rhein-Erft-Kreis, im Oderbruch oder auf der schwäbischen Alb geboren ist, hat so schnell keine Maßnahme oder keine in erreichbarer Nähe.
Die Hilfeplanung für die Jugendlichen dem Zufall überlassen?
"Ja, muss man einfach so sagen. Es ist tatsächlich so, dass das Hilfsangebot in Teilen davon abhängig ist, wie wichtig ist das? Darüber entscheiden die Kommune vor Ort oder das Land über einzelne Maßnahmen und Programme. Insofern ist es schon ein bisschen zufällig, wo ich geboren bin oder wo ich wohne, habe ich eigentlich das Angebot oder habe ich es nicht."
Das gilt für den Übergang zwischen Schule und Beruf. Und es gilt auch für den Ausbildungsmarkt selbst. Schon mit einem durchschnittlichen Hauptschulabschluss konnten Jugendliche in Deutschland in den letzten Jahren hier kaum noch mitbieten: 15 Prozent der 20-29jährigen sind deshalb ohne Berufsabschluss geblieben - aktuell sind das 1,5 Millionen junge Erwachsene ohne Ausbildung. Schuld daran sind nicht die Jugendlichen selbst, sagt Dr. Elisabeth Krekel beim Bundesinstitut für berufliche Bildung (kurz BIBB) zuständig für Ausbildungsmarktforschung.
"Es gibt auch Marktvoraussetzungen und es gibt Regionen, wo es viel schwieriger ist, einen Ausbildungsplatz zu bekommen und es gibt Regionen, wo es nicht so schwierig ist. Und wenn wir dann noch die wirtschaftliche Situation dazu nehmen und Berufsausbildung, wir sprechen von Ausbildung im sog. dualen System hängen natürlich sehr von der wirtschaftlichen Situation ab. Betriebe bieten dann Ausbildungsplätze an, wenn sie ihren Fachkräftebedarf damit decken wollen und wenn sie ihre Auftragslage damit decken wollen. Wenn wir im letzten Jahr sehen: da gab es Kurzarbeit, gab es Wirtschaftskrise, dann wirkt sich das auch auf den Ausbildungsstellenmarkt aus. Und wir sind dann leicht dabei, diese doch eher strukturellen Probleme zu individualisieren und auf die individuellen Voraussetzungen der Jugendlichen abzuwälzen."
Dies ist die Kernaussage der Studie "Jugendliche ohne Berufsabschluss", die das BIBB 2009 im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung erstellt hat. Eine Zahlenanalyse mit Handlungsempfehlungen.
566.000 neue Ausbildungsverträge gab es im letzten Jahr, rund 15.000 blieben unbesetzt. Das Ausbildungsplatzangebot der Betriebe ist damit erschöpft. Auf weitere 90.000 Jugendliche aber schätzt das Bundesinstitut für berufliche Bildung die Zahl der Jugendlichen, die im System "hängen" geblieben und wieder nicht zum Zuge gekommen sind:
"Und die besondere Gefahr besteht darin, dass die Jugendlichen, die weiter nach Ausbildung suchen, aber nicht zum Zuge kommen, dass die auch aus dem Bildungssystem verschwinden. Und wir eigentlich dafür sorgen müssen, dass Chancen verbessert werden. Also zum Beispiel durch Schulabschlüsse, dass wir aber irgendwann dafür sorgen müssen, dass alle Jugendlichen eine vollqualifizierende Berufsausbildung bekommen.
Wenn die Wirtschaftskrise groß ist, ist halt die Frage durch welche Maßnahmen man ein mangelndes Angebot, was man den Betrieben nicht anlasten kann, ausgleichen kann. Und da würden wir sagen, dass hierzu auch die öffentlichen Mittel zur Verfügung gestellt werden sollten."
Wenn es in den Betrieben nicht geht, dann eben gleichwertig und außerbetrieblich. So wie es die Niederlande vormachen. Dort ist man sich einig: Was die Wirtschaft nicht leistet, muss der Staat tun. Bernd Pastoors vom THB Kleve:
"Die Holländer haben eine Ausbildungsgarantie. Das heißt, jeder niederländische Jugendliche bekommt einen Ausbildungsplatz. wenn nicht betrieblich, dann außerbetrieblich im Rahmen regionalen "Onderweiscentren", der Ausbildungszentren, eine Mischung aus Berufsschule und Bildungsträger, die die Holländer haben. die sehr genau auf die Jugendliche abgestimmte Ausbildungen anbieten können."
Die Bildungsanbieter dort bekommen Zuschläge für jeden Auszubildenden und je schwieriger dessen Voraussetzungen sind, desto höher die Prämie, sagt Pastoors. Er nutzt die Angebote auf der niederländischen Seite für die Jugendliche aus Kleve gern. Denn eine Ausbildungsgarantie fehlt in Deutschland ebenso, wie ein garantierter Zugang zu Unterstützungsmaßnahmen für Jugendliche an der ersten Schwelle zwischen Schule und Beruf.
Kein Durchblick durch die Hilfen
Über praktische Arbeit wieder Lernbereitschaft herstellen, das ist das Modell der Jugendwerkstatt. Doch die Vermittlung zwischen den Angeboten und den Jugendlichen läuft nicht von allein. Im Gegenteil: Lehrerinnen, Schulsozialarbeiter oder auch Eltern und Schüler selbst brauchen einiges an Durchblick und Organisation um eine der hilfreichen Maßnahmen zu finden. Selbst Fachleute bezeichnen die Hilfelandschaft mittlerweile schlicht als Dschungel:
"Hier ist das Beratungsnetzwerk Dortmund, Kompetenzagentur Wemhöner... Guten Tag."
Wer in Dortmund die 50.100.60 wählt, spart sich sehr viel Arbeit und Lauferei. Fünf große Träger mit ihren diversen Angeboten rund um das Thema Berufsstart lassen sich über die gemeinsame Hotline als Beratungsnetzwerk vermitteln. Fünf bis zehn Anrufer nutzen täglich diesen Wegweiser, 1000 sind es im Jahr.
"Es sind Eltern, Schüler, Lehrer, Schulsozialarbeiter, die mit Problemen, die sie mit ihren Schülern, oder die Schüler mit der Schule oder die Eltern mit ihren Kindern in diesem Rahmen haben, und früher hatten sie Probleme gehabt, hinsichtlich der Beratungslandschaft ein genau passendes Angebot zu finden."
Eltern, die merken, dass ihr Sohn aus der Schule ausgestiegen ist, nicht mehr hingeht und zu schwänzen anfängt, könnten sich ohne die Systemlotsen des Beratungsnetzwerks wohl kaum in der unübersichtlichen Landschaft der Träger und Maßnahmen orientieren und ein Projekt finden, dass ihr Kind zeitnah aufnimmt. Die zentrale Beratungshotline von Jugendamt und den freien Trägern sorgt hier seit drei Jahren für kurze Wege. Klaus Wemhöner:
"Also wenn hier jetzt angerufen wird, dann haben wir die Möglichkeit passgenau ein Beratungsangebot zu unterbreiten und die entsprechende Beratungsstelle über die Problematik desjenigen zu unterrichten, die dann Kontakt zu dem Ratsuchenden aufnimmt."
Eine transparente Trägerlandschaft wie in Dortmund, ist bundesweit die Ausnahme. Es fehlen Wegweiser. Das so genannte Übergangs- oder "Ü"-System ist kompliziert. Rund 500.000 Jugendliche befinden sich im gesamten Bundesgebiet aktuell im System des Übergangs. Der normale Weg: Schule, Abschluss und Lehrstelle - ist für sie blockiert, sagt Günter Buck von der Bundesarbeitsgemeinschaft evangelische Jugendsozialarbeit in Stuttgart: Hier setzen Jugendwerkstätten und ähnliche Maßnahmen an:
"Die erste Schwelle wird dann so immer als Schlagwort benannt, wenn es darum geht, was macht denn jemand, der keinen Schulabschluss hat. Das ist die erste Schwelle, wie kommt jemand in die Ausbildung in eine berufliche Qualifizierung. Die zweite Schwelle wird dann immer benannt, wie schafft es denn jemand, wenn er keine Ausbildung hat in die Arbeitswelt zu kommen. An diesen beiden Schwellen gibt es eine Unmenge, eine Unzahl von Projekten, Initiativen, Förderangeboten, Maßnahmen und das macht auch den Begriff des Dschungels aus."
Zu der nicht bezifferten Vielzahl an Maßnahmen der Jugendsozialarbeit kommt die Vielfalt der möglichen Träger solcher Angebote, ergänzt um die Anzahl der möglichen Budgetgeber - so sieht der aktuelle Flickenteppich der Jugendsozialarbeit aus. Da gibt es beispielsweise Modellprogramme des Bundes:
"Genannt zum Beispiel zweite Chance, Kompetenzagentur. Dann ein wesentlicher Finanzgeber ist natürlich die Bundesagentur für Arbeit mit den Arbeitsagenturen vor Ort, die viele Maßnahmen finanzieren im Übergang Schule Beruf, zum Beispiel die außerbetriebliche Berufsausbildungen, die so genannten ausbildungsbegleitende Hilfe, die Berufseinstiegsbegleitung, berufsvorbereitende Hilfemaßnahmen, wo es drum geht, Jugendliche so fit zu machen, dass sie auch reguläre Ausbildung antreten und auch schaffen können."
Zu den Finanzgebern aus dem Bund kommen die aus den Ländern und Landesministerien, aus Länderstiftungen und kommunalen Fördertöpfen und schließlich auch noch Mittel aus dem europäischen Sozialfonds, ohne die viele Maßnahmen in Deutschland nicht stattfinden könnten. Sie werden meist co-finanziert aus Landeshaushalten oder kommunalen Mitteln. Effektive Hilfeplanung ist auch für Profis eine tägliche Herausforderung, sagt Lutz Henßen Geschäftsführer der Jugendwerkstatt Hannover:
"Es ist ein unendlicher Nerv. Am meisten nervt dabei: Wir kriegen zum Beispiel eine Maßnahme bewilligt für zwölf Monate, wo die TN sechs Monate Zuweisung erhalten. Nach zwölf Monaten muss ich dann dafür einen Sachbericht schreiben. Ich muss einen Verwendungsnachweis schreiben für zwei Kostenträger. Gleichzeitig muss ich eine neue Maßnahme beantragen für ein neues Konzept, das muss ich schreiben. Und wir wissen dann häufig erst zwei Tage vor dem Maßnahmen-Ende, ob es in drei Tagen mit der neuen Maßnahme weiterläuft."
Sozialarbeiter als Maßnahmenmanager, das ist in der Jugendsozialarbeit Alltag. Dass die Vielfalt auch Vorteile haben kann, ist unbestritten: Es wäre möglich ortsnah und regional genau abzustimmen, was die Jugendlichen brauchen - entsprechend dem regionalen Arbeitsmarkt. Doch die Projektlandschaft ist längst zum Dschungel geworden - es fehlen die Lotsen. Dabei kennen die Kommunen den Bedarf recht genau: die Zahl der Schulabbrecher und Abgänger mit schwachen Zeugnissen liegt stabil bei etwa acht Prozent. Angebots- und Bedarfsplanung ist in der Jugendsozialarbeit möglich, sagt Bernd Pastoors von der Bundesarbeitsgemeinschaft der örtlichen und regionalen Träger:
"Eigentlich wäre es sinnvoll zu sagen: man müsste eine Steuerungseinheit haben, aus meiner Sicht kann das nur die Kommune sein, die sagt: So, wir haben hier verschiedene Akteure und wir versuchen das für unsere Bedürfnisse zu bündeln und zu organisieren. Das wäre aus meiner Sicht eigentlich der nächste Schritt dass man sagt: Kommune, du bekommst den Hut auf. Du musst einen Teil deiner Ressourcen darein tun und versuchen die verschiedenartigen Angebote zu koordinieren, zu steuern und Doppelungen zu vermeiden."
Ein Teil der geforderten Ressourcen stünde den Kommunen in Form des Jugendhilferechts zur Verfügung. Der Paragraf 13 ist die Grundlage: Er sieht sozialpädagogische Maßnahmen für die Förderung und berufliche Integration von benachteiligten Jugendlichen vor. Er ist Grundlage auch für die Finanzierung von Jugendwerkstätten und ähnliche Angebote am Ende der Schulzeit. Der Erfolg von Maßnahmen wäre hier sicherlich das stärkste Argument. Doch ganz einfach ist es in diesem Arbeitsfeld nicht, Erfolg zu messen. Klar ist nur: Jeder fünfte Jugendliche führt die Maßnahme nicht zu Ende. Manch einer allerdings auch, weil sich eine bessere Alternative gefunden hat. Für alle anderen liegen die Anschlussperspektiven, ob Schulbesuch, Ausbildungsplatz oder weitere Maßnahmen bei 60 bis 80 Prozent. Genauere Zahlen sind hier fast nicht zu bekommen, auch weil die Träger und Angebotslandschaft so groß ist und Vergleiche kaum möglich sind. Womit man wieder am Anfang des Problems angekommen wäre.
Learning by Doing: Das (dänische) Prinzip Produktionsschule
Fehlende Schulabschlüsse und Schwierigkeiten beim Berufsstart - das Problem haben nicht nur deutsche Jugendliche. Aus Dänemark haben Träger in Niedersachsen, Hamburg und den östlichen Bundesländern vor zwölf Jahren das Modell Produktionsschule übernommen. Und so dem Wettbewerb um die besten Konzepte eine neue Variante hinzugefügt. Etwa 60 Produktionsschulen gibt es mittlerweile in Deutschland. Sie verwirklichen das Prinzip Jugendwerkstatt in einer etwas marktnäheren Form.
Acht Bildschirmarbeitsplätze, wie es sie in jedem normalen Büro gibt, sind im Büroservice der Produktionsschule in Hannover eingerichtet. Sachspenden, beispielsweise Bücher, werden hier übers Internet weiterverkauft. Das bietet zahlreiche Lernanlässe und ist Konzept: erklärt Lutz Henßen, der Leiter und Mitgründer der Produktionsschule Hannover Limmer.
"Dazu muss erst eine Recherche gemacht werden, wie wertvoll ist dieses Buch, ein Preis festgelegt werden, ins Netz gestellt werden. Irgendwann wird es dann ersteigert, dann muss eine Rechnung geschrieben werden, dann muss es versandt werden. Wir haben so einen kleinen Versandhandel."
Zwei der Mitarbeiter im Büroservice sind Basti und Patrick, 18 und 20 Jahre alt. Der eine noch Schüler, erfüllt hier seine Schulpflicht, der Ältere bekommt Geld für die Arbeit aus einer Maßnahme, die den "ein Euro-Jobs". vergleichbar ist. Learning by doing, Arbeiten und sich weiterentwickeln, das ist die Idee, mit der die beiden wieder berufliche Perspektiven finden sollen.
"Wir machen hier halt Büroarbeiten, schreiben Rechnungen, verwalten Kindergarten zum Beispiel lernen Bewerbungen zu schreiben, diverse Excel Aufgaben. Ich hab heut eine Recherche gemacht. Dann hab ich einen Brief fertig geschrieben für jemand. Also hier ist ja so 200 Meter weiter so eine Kneipe, die heißt Frosch, die hat jetzt in den nächsten drei Monaten so Events. Und wir stellen dafür die Flyer her."
Produktionsschulen unterscheiden sich von Jugendwerkstätten in einem Punkt: Hier wird (fast) wie in einem normalen Arbeitsverhältnis gearbeitet, das heißt, Dienstleistungen und Produkte werden gegen Geld auf dem allgemeinen Markt angeboten. Das gilt für die Büroarbeiten und auch für den zweiten Lernort: der Schule: Die eigene Trockenbaufirma.
Sie entkernt Kindergärten, und baut sie neu auf, legt Spielplätze an oder repariert Bänke. Gemeinnützige Vereine oder Kirchengemeinden sind Auftraggeber der Firma. Die Jugendlichen werden so in einem - allerdings betreuten - Umfeld wieder in die Pflicht genommen.
"Das ist damit man jeden Morgen aufsteht, damit man im Arbeitsfluss bleibt, Also wenn man im Sommer Juni/Juli, je nachdem wann der Abschluss gemacht ist und keine Ausbildung hat und dann nur zu Hause rum sitzt, das bringt ja nichts. Dann geht man lieber, bewegt sich, lernt neue Leute kennen und Erfahrungen, ja, da wird man vorbereitet auf eine Ausbildung. Da wird man auf Vorstellungsgespräch vorbereitet, man schreibt Bewerbungen, Lebensläufe zusammen. Auf jeden Fall habe ich mich angestrengt."
Welche Aufgaben, welche Unterstützung brauchen Jugendliche, denen sich kaum Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt bieten, damit sie trotzdem dran bleiben und sich weiterentwickeln? Diese Fragen stellte sich Thomas Johansen, heute Vorsitzender des Bundesverbandes der Produktionsschulen. 20 Jahre lang hatte er sich zuvor an einer Berufsschule in Hamburg für ein besseres Übergangssystem zwischen Schule und Beruf eingesetzt:
"Und das war eine sehr ernüchternde und frustrierende Erfahrung zu erleben, dass Jugendliche gezwungenermaßen, weil sie noch schulpflichtig sind, eine Schule besuchen müssen, die sie nicht mehr besuchen wollen. Also mit unglaublichen Aversionen in die Schule kommen und auch dort auf Lehrer treffen, die unglaublich frustriert sind, also die Erfolglosigkeit der eigenen Arbeit ständig vor Augen... wo sich beide Gruppen gegenseitig blockieren. Und das führt dazu, dass man sich Gedanken darüber macht, wie will ich denn eigentlich beruflich weitermachen und wie kann man erfolgreich sein?"
Die Suche nach Alternativen führte Johansen, jetzt Leiter der Produktionsschule in Hamburg Altona, Mitte der 90er-Jahre nach Dänemark. Dort gibt es 100 sogenannte Produktionsschulen, die staatlich anerkannt, gesetzlich geregelt und abgesichert sind. Gleich die erste Begegnung mit dem dänischen Bildungsmodell begeisterte Johansen:
"Die Atmosphäre: eine entspannte, aber doch durch klare Strukturen geprägte Atmosphäre, die etwas uns Neues geboten hat, nämlich bestimmte Rituale: also ein gemeinsames Mittagessen, nach dem Essen innerhalb von fünf Minuten ein Thema zu besprechen, gemeinsam zu singen! Mit einer Selbstverständlichkeit, die uns verblüfft hat. Es war unglaublich beeindruckend, wie dort miteinander gelernt und gearbeitet wird."
Gesungen wird in deutschen Produktionsschulen zwar nicht, aber andere Rituale wurden direkt aus Dänemark importiert. Küche und Kantine sind nun auch das Herzstück jeder Produktionsschule in Deutschland, Mitarbeiter und Schüler essen gemeinsam. Auf angenehme Räume und offene Türen legt man viel Wert.
Übernommen wurde vor allem auch das pädagogische Konzept: Nicht mit Tricks und Trockenübungen sollen Schüler wieder ans Arbeiten gewöhnt werden, sondern anhand echter Aufträge, die echte Verantwortung erfordern. So wird auch die Kantine in der Produktionsschule in Hannover zum Lernort für Jugendliche. Lutz Henßen stellt sie vor:
"Wir haben jetzt hier unsern Gastraum und den Produktionsbereich der Gastronomie, ist ein öffentliches Bistro, kann also jeder jederzeit reinkommen. Günstiges Mittagessen für 3,30."
Das nutzen jetzt um die Mittagszeit Beschäftigte aus den umliegenden Betrieben. Im Service ist heute Rene Ali.
"Heute ist Wokgemüse mit Nudeln und Hühnerbrustfilet. Dann gibt es noch Sauerkrautstrudel haben wir gemacht und noch eine Linsensuppe, die haben wir vorbereitet und gemacht.
Hier ist die Essenausgabe, man kann sich die Speisen aussuchen, rausnehmen, Getränke, Speisen, Heißgetränke und dann muss natürlich kassiert werden."
An der Kasse wünscht mit strahlendem Lächeln Klara "einen guten Appetit". Nach einem schwachen Start, nach Schulproblemen und Abbrüchen will sie hier ihr Leben wieder in den Griff bekommen. Mit Stolz trägt sie die schwarz-weiß karierten Hosen, die im Gastronomiebetrieben üblich sind: ein Beleg dafür, dass sie zu den Auszubildenden gehört. Die Kantine in der Produktionsschule ist ihr Betrieb:
"Jetzt ist es richtig voll. Wir bieten halt jeden Tag n Mittagessen an und dann geht's auch richtig rund, da wir noch eine Modeschule im Haus haben und verschiedene andere Firmen, dass wir immer zu Stoßzeiten um zwölf geht's richtig rund. Alle haben Hunger und wir müssen kochen wie die Weltmeister."
Klaras Schwung ist ansteckend. Sie ist die perfekte Mentorin für Mandy, eine 16-jährige Schülerin, die eben erst in der Produktionsschule angefangen hat. Keine vier Monate ist es her, dass sie der Hauptschule in Hannover den Rücken gekehrt hat, weil gar nichts mehr ging. Jetzt sieht sie, wie die Anderen voran gekommen sind:
"Hier sind Leute, mit denen versteh ich mich super, kein Stress, alles okay und da hat man auch viel mehr Lust zur Schule zu gehen, als wie wenn man nur Stress auf der Schule hat und schlechte Noten schreibt und hier schafft man was.
Ja, ja, also bei mir war's ja auch so. Ich hab keinen Abschluss bekommen, weil ich dachte mir wäre es nicht wichtig gewesen, einen Abschluss zu machen. Jetzt sieht man mit 21, dass es dann doch irgendwann Zeit wird, hab ich mich hier beworben, hab mich dann auch hier bewähren müssen: bin ich pünktlich, bin ich wirklich bereit für so was, kann ich den Beruf oder kann ich den nicht und dann, nach dem Praktikum, habe ich mich entschieden, hier die Ausbildung zu machen und seitdem bin ich hier."
Erfolg baut auf. Bestechend einfach ist der Grundgedanke, der die Produktionsschule trägt. Bislang aber setzen erst wenige Länder auf das neue Modell. In Hamburg allerdings hat man im Haushalt gezielt Geld für die Produktionsschulen bereit gestellt. Und in Ostdeutschland engagiert sich der Bund für das Konzept Lernen und Arbeiten: Dort erhofft man sich, dass Jugendliche nach erfolgreichem Wiedereinstieg ins Bildungssystem im Land gehalten werden.
Happy End? Endlich in Ausbildung
Es gibt einige Wege und Maßnahmen, mit denen es nach einer verfahrenen Schullaufbahn weiter gehen kann. Den Abschluss schaffen und später den Anschluss ans Berufsleben - ist ein Happy End drin für Jugendliche, die in der Schule gestrandet sind? Ein Beispiel dafür ist Divina, eine 20-Jährige, die am Niederrhein nach einigen Umwegen in eine kooperative Ausbildung eingemündet ist. Kooperativ bedeutet: Unterstützung durch die Jugendwerkstatt bei einer Ausbildung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt:
"Ich arbeite in einem Jeansgeschäft, also bin noch ganz am Anfang der Ausbildung, wir lernen noch viel: Was ich sehr schön finde, ist mit den Kunden umgehen, wenn man denen behilflich sein kann und so was und auch das kassieren macht eigentlich sehr viel Spaß. Wenn man dann einmal den Trick n bisschen raus hat, macht das auch tierisch Spaß wie unser Kolleginnen mit den Kunden umgehen."
Schwarze Haare, pinke Strähnchen, kreativ und unkonventionell gekleidet, voller Tatendrang, das ist Divina - "endlich angekommen im Job", wie sie selbst sagt: Ihre Chefin hilft ihr sehr:
"Meine Chefin kann sehr gut erklären. macht sie wirklich super. Also sehr ruhig sehr gelassen, so dass man auch wirklich versteht, was gemeint ist. Viele erklären ja so holterdiepolter und man weiß hinterher nicht, was gesagt wurde. Weil oft heißt es ja, die Auszubildenden sind so blöd und so was, aber mal gefragt, wer erklärt dir denn so was, wird dir das gut erklärt, aber wenn es einem nicht gut erklärt wird, dann ist es kein Wunder, dass die Auszubildenden nichts verstehen."
Divina hat außerdem noch einen Telefonjoker im Hintergrund. Einen Coach, der für alle denkbaren Fragen oder Probleme während der Ausbildung zur Verfügung steht. Sie nutzt das gern, denn obwohl ihr Hauptschulabschluss ganz passabel war: ohne Unterstützung wäre es schwer, weiß die angehende Verkäuferin mit Blick auf ihren bisherigen Bildungsweg.
"Also kein geraden, würde ich sagen. Einen langen und zum Teil auch sehr schwierigen, aber es hat sich auf jeden Fall gelohnt, das alles zu machen. Weil von der Schule aus direkt hätte ich nie eine Ausbildung bekommen. Ich war nie sehr gut in der Schule, von daher ist es auch sehr schwierig hier eine Ausbildung zu finden. In andern Städten sieht das wieder anders aus. Aber hier: Wenn man da eine vier auf dem Zeugnis hat oder noch schlechter, dann ist es schon wahnsinnig schwer."
Jetzt aber ist der Berufsabschluss greifbar nahe. Nur noch anderthalb Jahre. Ein Happyend, das möglich ist, sagt Bernd Pastoors, vom TBH Kleve. Divina macht eine so genannten "kooperativen Ausbildung". Sie lernt in einem ganz normalen Betrieb und wird gestützt durch einen Coach. Pastoors und sein Team sind das Scharnier zwischen Jugendwerkstatt und Ausbildungsbetrieb:
"Ja, die hat eine ganze Menge gelernt. Das ist für mich auch so ein Beispiel dafür, dass so jemand, wenn er eine Chance bekommt, nicht eine, ein paar mehr, dann irgendwann in den Stand kommt zu sagen: so, die nehme ich jetzt, die Chance. Und dann macht das einfach irrsinnig Spaß zu gucken, wie sich das entwickelt."
Zu den paar Chancen gehörte: eine erste Maßnahme der Berufsorientierung, die abgebrochen wurde. Dann das Jahr in der Jugendwerkstatt. Jetzt die Ausbildung mit Rückendeckung. Ein Blick zurück:
"Früher war ich total schüchtern. Und das gibt einem natürlich dann auch wahnsinnig Selbstvertrauen, wenn man zu Hause immer Stress hat und man findet jemand, der einem zuhört. Und auch in der Jugendwerkstatt: Wenn irgendwas war, man hat mir zugehört. Und das war für mich persönlich auch ganz wichtig. Dass man da mit offenen Armen empfangen wird und wenn was ist, dass einem zugehört wird.
Aber ganz, ganz oft ist so, dass ihnen Selbstwertgefühl fehlt, Selbstbewusstsein fehlt. Das ist das eigentliche Merkmal. Wenn lange Zeit in den Jahren von Schule, von Zuhause gespiegelt bekommen, eigentlich haste nix drauf. Und das schluckt man dann irgendwann und dann ist es so. Und eine zentrale Aufgabe von uns muss sein, den Jugendlichen wieder Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein zu vermitteln "Ich kann doch was". Und eine ganze Menge können auch."
Trotz eines schwierigen deutschen Arbeits- und Ausbildungsmarktes - auf dem das Ungleichgewicht allerdings zu kippen beginnt. So belegen es die aktuellen Zahlenanalysen des Bundesinstituts für Berufsbildung. Gab es vor Jahren noch einen massiven Mangel an betrieblichen Ausbildungen, so mehren sich jetzt Klagen von Betrieben, die ihre Plätze nicht besetzen können. Die Jugendlichen werden also tendenziell wieder gebraucht - auch die ohne Schulabschluss. Für Elisabeth Krekel vom BIBB heißt das:
"Dass wir auch stärker diejenigen mit schlechteren individuellen Voraussetzungen auch in eine Berufsausbildung übernehmen müssen. Das heißt, wir müssen unsere Ansprüche an die Bildungsvoraussetzungen verändern, wenn wir auch die betrieblichen Angebote nutzen wollen. Heißt, dass nicht mehr nur Abiturienten oder Realschüler, sondern auch Hauptschüler die Chance auf einen Ausbildungsplatz erhalten."
Vom demografischen Wandel könnten somit Jugendliche wie Divina, Steven oder Angela profitieren, die bislang einfach zur stillen Reserve gezählt und in ihrem Potenzial übersehen wurden.
Stellvertretend für viele steht Divina, die in der Jugendwerkstatt über praktischen Arbeitserfolg wieder die Bereitschaft zum Lernen gefunden hat. Auch sie brauchte Rückendeckung und Zeit für die persönliche Entwicklung. Dabei ist auch auf die hohe Motivation der Jugendlichen Verlass: Sie wollen den Abschluss und die Ausbildung, das sagen die Studien des Bundesinstituts für Berufsbildung:
"Weil es ist ein ganz wichtiges Merkmal von Teilhabe an Gesellschaft, hab ich n Ausbildungsplatz, hab ich keinen, ob ich den mit 18 oder 20 kriege ist nicht so ganz erheblich. Aber ich muss die Chance haben, dass sich einen habe. Ist glaub ich ganz zentral. Es gibt auch keine Alternative zu so einem Ansatz. Es sei denn, ich verabschiede mich von einem Teil eines jeden Geburtenjahrgangs und nehme billigend in Kauf, dass wir den nicht erreichen. Gut."
"Viele Jugendliche wollen was leisten, auch nicht alle, warum nicht, weiß ich nicht, ob die auch Schwierigkeiten zu Hause hatten oder sonst was, aber manche sind schon schwierig. Und da ist es gut, dass es so was wie die Jugendwerkstätten gibt, die die auffangen. Und viele, die da waren haben danach auch was aus sich gemacht. Manche brauchen wirklich die Gelegenheit, dass sie mal ein Lob bekommen. Dass sie irgendjemand lobt. Wenn das dann mal irgendwann mal der Fall ist, dann arbeiten die auch weiter, dann sehen die es bringt mir was und dann verhalten die sich auch völlig anders. Und dann zeigt es sich doch, dass die Jugendwerkstatt etwas bringt, weil wenn sie ihre Meinung so ändert, denk ich mir schon, dass es auch an der Jugendwerkstatt lag und an der Behandlung da."