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Schwerpunktthema: Wozu Museen?

In Zeiten multimedialer Überflutung muss das Museum Antworten finden, wie es auch in Zukunft für Besucher attraktiv bleibt. Obschon inzwischen Schulklassen die einstigen Musenorte erobern, bleiben sie doch meist der Freizeitgestaltung des überwiegend älteren Bildungsbürgertums vorbehalten.

Von Barbara Weber |
    "Karl August Lingner war ein Entrepreneur, ein Geschäftsmann, des späten Kaiserreiches. Er hat eine Menge Geld verdient durch die Erfindung aber vor allem noch mehr die Vermarktung des Mundwassers Odol, das war sein Produkt. Das hat er in den Markt gehauen mit großen Werbekampagnen, Werbeschlachten muss man fast schon sagen."

    "Er hat mit seinem Vermögen einen sehr aufwendigen Lebensstil geführt, hat aber auch mäzenatisch gewirkt und wissenschaftsfördernd, und seine größte Tat war sicherlich die Organisation der internationalen Hygieneausstellung 1911."

    "In der Folge dieser Ausstellung hat Karl August Lingner die Idee gehabt, aus dieser temporären Ausstellung eine feste Einrichtung zu machen, und das war dann die Geburtsstunde des Deutschen Hygienemuseums im Jahr 1912. Das Museum hatte nach seiner Gründung keinen festen Ort, keine Räumlichkeiten und hat vor allem mit großen Wanderausstellungen auf sich aufmerksam gemacht. Der eigentliche Bau des Museums erfolgte dann erst Ende der 20er-Jahre: 1930 wurde das weiße, helle, strahlende Museumsgebäude am Lingnerplatz eröffnet, ein Bau der Moderne, der Klassischen Moderne, wie überhaupt das Museum ein Kind der Moderne war."

    Das Museum galt während der Weimarer Republik als Laboratorium für die Begegnung von Kunst, Architektur und Wissenschaft - so sein Direktor, Professor Klaus Vogel.

    Das ist ein neuer, moderner Ansatz, fast revolutionär - denn ursprünglich, so Dr. Petra Bahr, Kulturbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirchen in Deutschland, verfolgten Museumsgründer ganz andere Ideen:

    "Das Museum war – das griechische Wort deutet es ja schon an – der Tempel für die Musen, der Ort, wo die Künste und die Wissenschaften ausgestellt wurden aber durchaus nicht in dem Sinne, wie wir das heute in der Moderne verstehen. Die ersten Wunderkammern waren so eine Art Gottesbeweis, den man begehen konnte. Da wurden dann alle Seltsamkeiten auf dieser Erde gesammelt, mit so einem vornaturwissenschaftlichen Geist, damit die Menschen staunten und sahen, wie Gottes Schöpfung so aussieht."

    Museen dienten der Zurschaustellung von Macht, sowohl von sakraler als auch später von höfischer Macht. Das ist auch einer der Gründe, warum es in Deutschland viele Museen gibt, in ihnen spiegelt sich die Konkurrenzlust vieler kleiner Fürstentümer.

    "Im 19. Jahrhundert gibt es so eine quasi religiöse Aufladung, die man sogar in der Tempelarchitektur sieht, zum Beispiel auf der Museumsinsel in Berlin, wo ja eine Art griechischer Parallelreligion entsteht, die diesem selbstbewusst gewordenen Bürgertum, die Schätze dieser Welt vor Augen führt. Das wurde so etwas wie ein nationaler Mythos. Dort konnte man sich seiner eigenen Kollektivität vergegenwärtigen und in der Frage, woher man kommt auch immer stolz sehen, wer man geworden war. Und im 20., vor allem im späten 20. Jahrhundert kommt es zu so etwas, was ich Profanisierung des Museums nennen würde."

    So wäre im 19. Jahrhundert kein Kaiser, kein König oder Fürst auf die Idee gekommen, ein Hygiene-Museum zu gründen.

    Es experimentierte mit neuen Ausstellungsmedien wie Plakat, Film und Diaprojektion oder dem Gläsernen Menschen, einer Skulptur, die die inneren Organe zeigt und die in der eigenen Werkstatt gefertigt wurde.

    Doch diese Modernität währte nur bis 1933, als das Museum sich in den Dienst der NS-Propaganda stellte. Die Verquickung von Museum und Nationalsozialismus lässt sich auch anhand einiger Mieter ersehen, die zeitweilig ein Büro auf dem Museumsgelände unterhielten: Neben dem "Rassenpolitischen Amt bei der Gauleitung Sachsen der NSDAP" waren zum Beispiel auch der "Reichsausschuss für Volksgesundheitsdienst" vertreten. Welche Gesundheitsvorstellungen unter der NS-Diktatur herrschten, zeigt ein Propagandafilm von 1937:

    "Alles Lebensschwache geht in der Natur unfehlbar zugrunde. Wir Menschen haben gegen dieses Gesetz der natürlichen Auslese in den letzten Jahrzehnten furchtbar gesündigt. Wir haben unwertes Leben nicht nur erhalten. Wir haben ihm auch Vermehrung gewährt. Die Nachkommen dieser Kranken sahen so aus."
    "Das Hygienemuseum hat zwei sehr unterschiedliche, auch dramatische Phasen der deutschen Geschichte, einerseits die Geschichte des Nationalsozialismus, andererseits die Geschichte auch der DDR erlebt und überlebt","

    sagt Thomas Macho, Vorsitzender des Kuratoriums des Museums und Professor für Kulturgeschichte an der Humboldt Universität zu Berlin.

    Nach der NS-Diktatur und dem Wiederaufbau des im Krieg weitgehend zerstörten Gebäudes unterstand das Museum seit 1949 direkt dem Ministerium für Gesundheitswesen der DDR. Auf der Agenda standen jetzt Themen wie "Hygiene auf dem Lande", verlegt wurden Broschüren wie "Die Frau". Eine Aufgabe des Museums bestand auch darin, "gegenüber tendenziöser Propaganda" vorzugehen wie "Lügen über Arzneimittelnot".
    Das Deutsche Hygiene-Museum betrieb Gesundheitsaufklärung, ließ sich aber auch vom Staat instrumentalisieren.

    Für viele ehemalige DDR-Bürger unvergessen sind die Trickfilme mit Kundi, eine Art Gesundheitspropaganda für Kinder:

    ""Und heute, seit Anfang der 90er-Jahre, ist das Hygienemuseum ein spannender, auch architektonisch neu gestalteter Ort, an dem kulturgeschichtliche Ausstellungen und Themenstellungen verschiedener Art in Verbindung mit einer großen anthropologischen Dauerausstellung über den Menschen, betrachtet werden können."

    100 Jahre Hygiene-Museum - seine Geschichte ist weitgehend erforscht und aufgearbeitet, aber nicht nur die Ausstellungsmacher fragen sich, welche Perspektiven das Museum der Zukunft entwickeln könnte. So wird auf der Tagung auch darüber diskutiert, wo Museen heute stehen. Welche Aufgaben haben sie und wie gehen sie damit um? Woran wollen, woran sollen Museen erinnern?

    Zunächst sicher auch an die eigene Geschichte, die im Fall des Hygiene-Museums eng mit dem Dritten Reich verbunden ist. Direktor Klaus Vogel:

    "Unser Weg ist, dass wir uns in Besonderheit mit der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigen, in der das Museum all das, was es eigentlich ausmachte, ins Gegenteil verkehrte, wo die ganzen modernen, fortschrittlichen Methoden der Vermittlung, die in den 20er-Jahren entwickelt wurden, eingesetzt wurden, um dann ein Menschenbild zu vermitteln, das zum Furchtbarsten überhaupt gehörte und von dem wir uns heute aktiv absetzen wollen, aktiv in Forschungsprojekten, aktiv aber auch in Sonderausstellungen, die uns da einen Anknüpfungspunkt bieten, sei es wenn es eine Ausstellung zur Geschichte der Gentechnik ist oder aber bei einer großen Ausstellung, die wir die Ehre hatten, aus dem Holocaust Museum in Washington übernehmen zu können, "Tödliche Medizin", der Sprung von der heilenden, kurativen Kraft der Medizin zur vernichtenden Kraft, das war Thema dieser Ausstellung. Damit war sie auch Teil unserer eigenen Geschichte. Es war im Übrigen, was wir so nicht erwartet haben, ein großer, großer Erfolg bei unserem Publikum."

    Erfolge beim Publikum lassen sich, insbesondere bei historischen Museen, nicht immer im Voraus berechnen. Jeder Besucher einer Ausstellung hat unterschiedliche Erwartungen und Wahrnehmungen. Museen haben die Aufgabe, diesen unterschiedlichen Erwartungen gerecht zu werden, meint Professor Alexander Koch, Präsident des Deutschen Historischen Museums in Berlin, denn einerseits gibt es Besucher historischer Museen, die…

    "… das erste Mal mit einem Thema, einer These, einem Objekt konfrontiert werden aber auch solche, die für sich in Anspruch nehmen, dabei gewesen zu sein, Zeitzeuge zu sein, denken Sie nur an Darstellungen, die sich der deutsch-deutschen Vergangenheit widmen, da hat ein 25jähriger, der gerade gegen Ende der DDR geboren wurde, eine andere Wahrnehmung als jemand, der heute zu den Mittfünfzigern gehört. Und das sind natürlich individuelle Wahrnehmungen."

    Auf der anderen Seite – so Alexander Koch – stehe das Individuum immer im Wechselspiel mit der Gruppe, die sich an bestimmte Epochen und Ereignisse erinnert.

    "Insofern wird es immer diese Bandbreite vom individuellen zum kollektiven Gedächtnis geben. Welches Gedächtnis, welche Erinnerung haben wir an den Nationalsozialismus, an die DDR, an die Zeit der deutsch-deutschen Teilung' Das ist natürlich etwas, was auch mit Blick durch die Brille des Geschichtswissenschaftlers Änderungen unterworfen ist."

    Nicht die Tatsache an sich sei das Problem, sondern inwiefern sich Wissenschaftler dessen bewusst sind und darüber hinaus…

    "… wir auch den Besuchern deutlich machen, wenn wir uns mit zeithistorischen, gerade mit zeithistorischen Themen, aber auch mit weiter zurückliegenden Epochen auseinandersetzen, dass es immer darum geht, in diesem Wechselspiel zwischen Individuum und Gemeinschaft, den großen Bogen zu schlagen. Es geht um Sichtweisen, um Perspektiven, und das bedeutet natürlich auch, um Wahrnehmungen und vor allem um Konstruktionen und Rekonstruktionen."

    Ausstellungsmacher inszenieren ihre eigene Wirklichkeit, sie konstruieren eine eigene Realität. Eine Ausstellung über die Familie wäre während der Nazidiktatur anders gestaltet worden als heute.
    Professor Thomas Macho sieht das Museum in der Hinsicht einer doppelten Anforderung ausgesetzt:

    "Einerseits soll es verzaubern, es soll uns mit Dingen, die eine bestimmte Aura haben, die bestimmte Erinnerungen transportieren, konfrontieren, und auf der anderen Seite soll es auch entzaubern, das heißt, diese Dinge, die vielleicht auch Erinnerungen glorifizieren, die vielleicht auch Ereignisse in einem falschen Licht darstellen, korrigieren. Die Korrekturfunktionen kann man gar nicht so leicht ausüben, weil man eben zum Zeitgeist, zum eigenen Zeitgeist, oft selbst gar nicht in einem aufgeklärten Reflektionsverhältnis steht, dass man diesen Zeitgeist einerseits schon wirklich erkennt und benennen kann und andererseits dann auch wirklich in den Inszenierungen der Dinge, die ein Museum ausstellt, aufdecken kann."

    Im optimalen Fall schafft eine Ausstellung Transparenz und gibt den Besuchern Gelegenheit, die Sichtweise der Ausstellungsmacher zu durchschauen. Ausstellungsmacher stehen wiederum vor der Aufgabe, sowohl den aktuellen Forschungsstand zu berücksichtigen als auch Besucher für ein Thema zu begeistern.

    Auch Kulturgeschichte lässt sich so inszenieren, dass sie aktuell wird, auch wenn ihr Ursprung Jahrhunderte oder gar Jahrtausende zurückliegt.

    "Wenn man es auf ein konkretes Beispiel beziehen wollte, dann könnte man vielleicht unsere Kunstausstellung 'Die zehn Gebote' heranziehen."

    Sagt Klaus Vogel heute. Die Ausstellung "Die zehn Gebote" wurde 2004 gezeigt. Die Ausstellungsmacher sagten damals:

    "Es war uns wichtig in diesem Raum zu sagen, wo sind die zehn Gebote niedergeschrieben, einmal in der Thora, einmal im Koran und einmal in der Bibel."

    "Zunächst mal kann man sagen, dass die drei monotheistischen Religionen in einem Traditionszusammenhang stehen."

    "Wir sind jetzt im ersten Raum, wo die Kunstausstellung anfängt mit den internationalen Kunstwerken."

    "Wir haben ursprünglich uns überlegt, eine kulturhistorische Ausstellung zu den zehn Geboten zu machen. Wir haben dann mit der Zeit erkannt, dass das vielleicht nicht in die richtige Richtung führt. Dieser Gegenwartsbezug, der uns ganz, ganz wichtig war, Kernanliegen, der hat es erfordert, dass wir von dem Abstand nehmen und dass wir uns auf zeitgenössische Kunst konzentrieren."

    Bei dieser Art von Inszenierung können auch nichtreligiöse Menschen Zugang zu religiösen Themen finden. Darüber hinaus zeigt sie Gemeinsamkeiten der drei großen monotheistischen Religionen, jenseits aktueller politischer Zerwürfnisse und Kriege.

    Dinge so zu präsentieren, dass ein anderer Blick entsteht und sich den Besuchern unterschiedliche Perspektiven bieten - das ist ein neuer, moderner Ansatz.

    Wenn heute ganze Schulklassen durch die Räume vieler Museen lärmen, erinnert wenig an den Pathos vergangener Jahrhunderte. So beobachtet auch Petra Bahr, dass…

    "… die Auratisierung der Museen abgenommen hat zugunsten einer möglichst populären Öffnung für die Zuschauerfluten. Das führt dazu, dass die Museen im Grunde inflationiert sind, also jeder kennt eines, es gibt Trabi-Museen, Motorradmuseen, es gibt Spielzeugmuseen und Krippenspielmuseen, also alles wird musealisiert, und damit ist natürlich diese Besonderheit des über die Schwelletretens, dieses ganz ungewöhnlichen Ortes im Grunde abgenutzt."

    Hat das zu einer Demokratisierung der Museen geführt? Nicht unbedingt. Nach wie vor besucht das ältere Bildungsbürgertum Museen der Hochkultur. Kunst und Kultur gehören für junge Menschen dann zum Lebensstil, wenn sie damit aufwachsen. Das Image als attraktive Freizeiteinrichtung, die anspruchsvolle Unterhaltung liefert, macht sie populär.

    Ein Balanceakt für Historische aber auch Kunstmuseen - zwischen geistiger Erhebung und Location mit Event-Charakter müssen sie eine Gratwanderung vollziehen, um mit modernen Medien mitzuhalten, meint Prof. Thomas Macho:

    "Wenn es nur eine Location mit Event-Charakter wäre, dann würde es rasch seine Funktion verlieren. Ich denke, dass das Museum nur seine Funktion im 21. Jahrhundert auch in den gigantischen Bezirken von Archivierungen und Virtualisierungen durch das Internet und die neuen Medien, auch die sozialen Medien, ermöglicht. Das Museum muss eigentlich ein Museum der Dinge bleiben, und das wird seine Chance auch im 21. Jahrhundert sein und bleiben, und das heißt, es muss sich genau an dieser Stelle von dem normalen Event-Charakter, der eben das Flüchtige, dass was sofort wieder verschwindet meint, abgrenzen."