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Schwesig: "Die SPD muss sich nicht verbiegen für eine Große Koalition"

Auf dem SPD-Konvent haben 85 Prozent für Koalitionsgespräche gestimmt. "Ein ehrliches Ergebnis", findet die stellvertretende SPD-Vorsitzende Manuela Schwesig angesichts auch kritischer Stimmen. Fehler wie die Erhöhung der Mehrwertsteuer dürfe man daher nicht wiederholen.

Manuela Schwesig im Gespräch mit Mario Dobovisek | 21.10.2013
    Mario Dobovisek: Erst ist sie das größte Übel, das sich die Genossen vorstellen können, inzwischen verkauft der SPD-Vorstand seiner Basis die Große Koalition mit der Union als große Chance für die zum zweiten Mal in Folge bei den Wahlen weit abgeschlagene Partei. Die Basis murrte zwar beim Konvent der Partei gestern in Berlin, gab dann aber grünes Licht für Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU.
    Mit dabei war Manuela Schwesig, Arbeitsministerin in Mecklenburg-Vorpommern und stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD. Guten Morgen, Frau Schwesig!

    Manuela Schwesig: Guten Morgen, Herr Dobovisek.

    Dobovisek: Bisher hieß es immer, eine Große Koalition wäre für die SPD sehr schmerzhaft. Die NRW-SPD rund um Hannelore Kraft lehnte Verhandlungen deshalb auch lange ab. Wie stark war denn das Aspirin, das Sie den 200 Delegierten gestern geben mussten?

    Schwesig: Wir mussten zum Glück kein Aspirin verteilen. Wir haben sehr intensiv und auch streitbar diskutiert und haben geschaut, gibt es eine Basis für Koalitionsverhandlungen, und da waren für die Delegierten vor allem ursozialdemokratische Themen wichtig wie Verbesserung bei der Arbeit, zum Beispiel durch den Mindestlohn, aber auch für Leih- und Zeitarbeit, eine Pflegereform, die wir dringend brauchen, um die Arbeitsbedingungen derjenigen, die pflegen, aber auch die Bedingungen der Angehörigen zu verbessern, aber auch mehr Investitionen in Bildung und Infrastruktur sowie auch die Entlastung der Kommunen. Das sind alles Themen, die uns bewegen vor Ort in unserer politischen Arbeit, …

    Dobovisek: …, die aber nicht alle Delegierten überzeugen konnten. Nur 85 Prozent stimmten zu.

    Schwesig: Dafür, dass die Große Koalition in unseren Reihen so unbeliebt ist, fand ich, war das Ergebnis von 85 Prozent sehr überzeugend, und ich finde es auch gut, dass es weiterhin kritische Stimmen gibt und dass diese kritischen Stimmen dann auch dagegen stimmen. Das ist ein ehrliches Ergebnis.

    Dobovisek: Eine dieser kritischen Stimmen ist Klaus Barthel, wir haben ihn vorhin mit seinem Megafon gehört. Wie oft können Sie sich noch erlauben, über die Parteilinke hinwegzugehen?

    Schwesig: Die Parteilinke hat hier offensichtlich da ja auch verschiedene Meinungen, denn es gibt Vertreter der Parteilinken, wie zum Beispiel Ralf Stegner, die diesen Kurs unterstützen und die sagen, gerade für linke Politik muss man an die Regierung, um dann auch Punkte durchzusetzen, zum Beispiel der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn. Der wird in Deutschland ohne die SPD nicht kommen.

    Dobovisek: Nun wird am Ende der Koalitionsverhandlungen noch die Basis befragt werden, also 470.000 Mitglieder der SPD insgesamt. Wie viel Prozent müssen da mit Ja ankreuzen, damit Sie am Ende noch sagen können, die SPD steht hinter der Großen Koalition?

    Schwesig: Das muss schon ein gutes Ergebnis sein. Ein ganz knappes Ergebnis wäre natürlich sehr schwierig. Aber an diesem Punkt sind wir noch nicht. Wir haben jetzt …

    Dobovisek: Ich möchte aber gerne noch kurz an diesem Punkt bleiben. Wie viel Prozent wäre denn für Sie ein gutes Ergebnis?

    Schwesig: Ich leg mich da nicht auf%e fest. Aber sicherlich wäre ein Ergebnis 51 zu 49 sehr schwierig. Aber ich will noch mal sagen: Bis wir überhaupt eine Entscheidung zum Mitgliedervotum vorlegen, müssen wir jetzt erst mal einige Wochen harte Koalitionsverhandlungen führen und dann sehen, ob das Ergebnis uns überhaupt überzeugt, und ich denke, wenn diejenigen, die verhandeln, sagen, das ist ein gutes Ergebnis, das bringt unser Land voran, dass es uns dann gelingt, auch unsere Mitglieder in großer Mehrheit zu überzeugen.

    Dobovisek: Ich möchte Sie aus diesem Punkt, Frau Schwesig, aber ungern entlassen. 51 Prozent haben Sie gerade genannt als sehr schwierig. Würde das für Sie bedeuten, dass eine Große Koalition nicht zustande käme?

    Schwesig: Ich kann das Ergebnis nicht vorwegnehmen. Fakt ist, wir müssen doch jetzt erst mal verhandeln. Wir haben uns jetzt noch nicht einmal getroffen, um die Koalitionsverhandlungen aufzunehmen, und Sie wollen schon, dass ich ein Ergebnis vorwegnehme. Das kann ich nicht, das wäre ja auch unseriös. Das würde bedeuten, es würde schon irgendwie alles feststehen. Wir müssen jetzt sehen, was holen wir in diesen Punkten, die auch gestern der Parteikonvent als unverzichtbar erklärt hat, heraus und wie sieht das Gesamtergebnis aus, und dann hat man auch ein besseres Gefühl dafür, wie werden die Mitglieder an dieser Stelle votieren.

    Dobovisek: Beim letzten Mal haben die SPD-Minister, platt gesagt, die Arbeit in der Großen Koalition gemacht und Angela Merkel hat dafür die Lorbeeren geerntet. Wie wollen Sie das dieses Mal verhindern?

    Schwesig: Das ist genau die große Angst auch in der Mitgliedschaft. Ich glaube, dass diese Angst berechtigt ist, aber nicht in Bezug auf die Schilderung, die Sie eben gegeben haben, sondern nach meiner Einschätzung sind wir deshalb aus der letzten Großen Koalition schwierig herausgekommen oder mit einem sehr schlechten Ergebnis, weil in dieser Zeit die SPD ein sehr zerstrittener Laden war. Die SPD hat in diesen vier Jahren vier Parteivorsitzende verfrühstückt. Das kann man nicht machen, man braucht auch stabile Personalien an der Spitze. Und ein zweiter Punkt: Die SPD hat in der Großen Koalition ein zentrales Wahlversprechen gebrochen. Wir hatten die Erhöhung der Mehrwertsteuer bekämpft und haben sie dann doch erhöht, mehr als vorher Merkel wollte. Das war ein großer Fehler und ich bin sicher, dass uns so ein Fehler nicht noch mal passiert.

    Dobovisek: Ist Sigmar Gabriel eine stabile Personalie?

    Schwesig: Ja! Sigmar Gabriel hat als Parteivorsitzender in den letzten Wochen bewiesen, dass er hohem Druck standhält, dass er klaren Kurs macht, aber gleichzeitig in der Lage ist, die Partei, die sehr, sehr skeptisch ist, immer noch, mitzunehmen. Das hat er supergut gemacht und damit hat er bestimmt auch die Kritiker in den eigenen Reihen überzeugt.

    Dobovisek: Greifen wir doch noch mal einige der Punkte auf, die Sie vorhin auch schon genannt haben. Beim Mindestlohn hat sich die Union bewegt, auch beim Betreuungsgeld, da hat sich die SPD wiederum bewegt. Jetzt hören wir allerdings von einzelnen SPD-Mitgliedern, dass die Steuererhöhungen doch nicht vom Tisch sind. Ist das ein kluger Schachzug?

    Schwesig: Wir haben als Grundlage für unsere Koalitionsverhandlungen das Regierungsprogramm mit allen Punkten, die da drinstehen, und wir werden natürlich auch alle Punkte in den Verhandlungen ansprechen. Aber die Sondierungen dienten ja dazu, ein bisschen auszuloten, wer steht wo, und wir haben in den Sondierungen ziemlich stark gemacht, dass ohne einen Mindestlohn, flächendeckend 8,50 Euro, mit uns keine Koalition zustande kommt. Wir müssen den gemeinsamen Weg dahin suchen. Und die CDU hat sich ja ziemlich früh festgelegt, was das Thema Steuererhöhungen angeht, sodass wir jetzt schauen müssen, wie können wir dann die notwendigen Finanzierungen für bessere Bildung, aber auch für Infrastruktur, für die Entlastung der Kommunen dann finanzieren. Das werden alles Fragen sein, die jetzt in den Koalitionsverhandlungen ganz konkret auf den Tisch müssen.

    Dobovisek: Noch eine Frage, die ich Ihnen gerne noch mal stellen möchte, Frau Schwesig. Steuererhöhungen ja oder nein?

    Schwesig: Die Steuererhöhungen sind kein Selbstzweck. Uns ist wichtig, dass wir Geld für eine bessere Bildung bekommen, für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, aber auch für Infrastruktur und für Kommunen, und wenn das auch über einen anderen Weg gelingt, dann wäre das gut. Aber ein Punkt ist uns wichtig: Es muss auch Steuergerechtigkeit geben und dazu gehört vor allem die Bekämpfung des Steuerbetruges. Es kann nicht sein, dass fleißige Leute in Deutschland die Steuern bezahlen und andere sich gar nicht an den Aufgaben beteiligen.

    Dobovisek: Wie könnte denn ein anderer Weg aussehen als eben nicht Steuererhöhungen?

    Schwesig: Ja da werden wir jetzt ganz genau hinschauen, wie hoch der Spielraum ist. Wir wollen keine neuen Schulden machen, wir müssen aber in unserem Land dringend investieren: in eine bessere Bildung, in Infrastrukturen und die Kommunen entlasten. Wir haben viele Aufgaben, die vor uns liegen, und die müssen auch solide und gerecht finanziert werden.

    Dobovisek: Die SPD steuert also Richtung Große Koalition, wenn denn die Verhandlungen so ablaufen, wie Sie sich es gerne wünschen. Verdrängt die SPD mit der Großen Koalition auch ein bisschen die Aufarbeitung ihres, das muss man auch sagen, zweitschlechtesten Wahlergebnisses?

    Schwesig: Nein. Die Aufarbeitung des Wahlergebnisses hat jetzt auch in allen Diskussionen, allen Runden und Veranstaltungen eine Rolle gespielt und sie wird sicherlich auch noch mal eine Rolle spielen auf dem Bundesparteitag, der ja im November ansteht.

    Dobovisek: Allerdings steckt die SPD in der Großen Koalition natürlich in der Loyalitätsfalle mit der Union. Wie wollen Sie da rauskommen?

    Schwesig: Wir denken ja nicht darüber nach, wie kommt man jetzt wieder schnell raus, wenn man noch gar nicht zusammengekommen ist. Wir werden uns ganz konkret an unseren sozialdemokratischen Themen, die den Menschen auch helfen, langhangeln. Das ist gute Arbeit, Pflege, Bildung, Unterstützung für Familien und viele andere Sachen mehr. Und wenn wir da konkrete Punkte raushandeln, die wirklich auch den Menschen in unserem Land dienen, dann bin ich davon überzeugt, dass das auch honoriert wird, und man darf auch in einer Koalition zu bestimmten Themen unterschiedlicher Meinung sein. Die SPD muss sich nicht verbiegen für eine Große Koalition.

    Dobovisek: Die SPD stimmt auf ihrem Konvent für Koalitionsverhandlungen mit der Union, die bereits am Mittwoch aufgenommen werden. Dazu das Interview mit der stellvertretenden SPD-Chefin Manuela Schwesig. Vielen Dank dafür.

    Schwesig: Ich danke Ihnen, einen schönen Tag. Tschüss!


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