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Schwierig zu bestimmen

Technik. - Fahrerassistenz ist das Zauberwort für die Automobilindustrie. Mit immer ausgefeilteren Hilfssystemen soll dem Menschen unter die Arme gegriffen werden. Dabei stoßen die technischen Helfer oft an ihre Grenzen. Etwa, woran ein müder oder unaufmerksamer Fahrer zu erkennen ist. Auf der präsentierten Psychologen Lösungsansätze.

Von Michael Fuhs | 14.10.2005
    Egal wie der Autofahrer seinen Kopf hält, der Bordcomputer schafft es immer wieder, die Augen auf den Kameraaufnahmen zu lokalisieren. Er berechnet, wie oft der Fahrer blinzelt. In der Regel geschieht das um so häufiger, je müder ein Mensch ist. Doch leider ist es nicht immer so, erklärt Harald Kolrep, Geschäftsführer der Firma Human-Factors-Consult:

    "Es gibt einzelne Personen bei denen die Lidschlagindikatoren schlicht nicht funktionieren, also es gibt Personen, die fangen an zu starren, wenn sie müde werden, also dass die Häufigkeit des Lidschlusses nicht zunimmt. Es gibt solche Fälle, es sind Einzelpersonen."

    Der Psychologe stellte sich die Frage, woran man die Müdigkeit von Autofahrern noch erkennen kann. Er ließ drei Beobachter Videoaufnahmen von 15 Fahrern beurteilen. Das Überraschende war, dass je nach Fahrer ganz andere Kriterien den Ausschlag dafür gaben, ob der Betreffende als müde eingestuft wurde oder nicht. Kolrep:

    "Es gibt beispielsweise Personen, die, wenn sie sehr müde werden, anfangen, periphere Aktivitäten zu starten, also sich am Kopf zu kratzen, oder die Lenkradhaltung sehr häufig zu ändern, also motorische Aktivität zu zeigen, die man normalerweise bei ihnen nicht sieht. Es gibt aber auch andere, die mit Körperspannung oder Muskelspannung zu tun haben, man sieht, dass die Sitzhaltung sich verändert mit zunehmender Müdigkeit, man kann sehen, dass die Mimik ausdrucksärmer wird bei müden Personen, und all diese Indikatoren kann man natürlich so systematisieren, dass man sie zuverlässig beobachten kann."

    Obwohl die drei Beobachter die Anzeichen sehr unterschiedlich eingeschätzt haben, stimmten sie in ihrem Gesamturteil sehr gut überein. Der menschliche Beobachter scheint also immer noch am besten geeignet zu sein, die Müdigkeit bei einem Autofahrer festzustellen, sagt Harald Kolrep. Seine nach allen Regeln der Psychologie erstellte Indikatorenskala soll jetzt die Entwicklung elektronischer Beifahrer erleichtern. Doch dabei gibt es noch eine andere Schwierigkeit. Nicht nur Schlaf bedroht die Fahrtüchtigkeit, erklärt Monica de Filippis von der Technischen Universität Berlin:

    "Driving without awareness heißt, Sie fahren Auto, zum Beispiel eine längere Fahrt, eine vielleicht langweiligere Fahrt, auf der Autobahn, und auf einmal merken sie, die letzte halbe Stunde, da können sie sich gar nicht mehr so daran erinnern, wo sie vorbei gefahren sind, wie viele Autos sie passiert haben, was sie gemacht haben, wie sie wirklich gefahren sind."

    Das erstaunliche Resultat der Berliner Psychologin: Driving without awareness, auf deutsch heißt das in etwa Fahren ohne Aufmerksamkeit, tritt auch auf, wenn der Fahrer nicht müde ist. Begünstigt wird es vor allem durch monotone Fahrstrecken. Dabei ist diesem Phänomen mit den zur Müdigkeitserkennung üblichen Lidschlaguntersuchungen nicht beizukommen. Deshalb arbeiten die Wissenschaftler daran, über die Blickbewegungen den Fahrerzustand zu detektieren. Denn wer am Steuer mit offenen Augen schläft, starrt tendenziell länger in die gleiche Richtung. Ein gut funktionierendes Detektionssystem, das mangelnde Aufmerksamkeit erkennt, löst aber nur die erste Hälfte des Problems. Katja Karrer, auch Psychologin an der Technischen Universität Berlin:

    "Ich sehe das Problem darin, dass man eventuell ein System zur Fahrerzustandserkennung dazu ausnutzen könnte als Fahrer, um länger wach zu bleiben. Das ist noch nicht erwiesen. Das ist eine Annahme, die häufig geäußert wird. Da könnte man gucken, woran liegt das, eventuell an der Art der Rückmeldung, wenn man einem Fahrer signalisiert, Sie sind in einer gefährlichen Situation, wird er vielleicht sicherer fahren, hingegen wenn man ihm eher das Gefühl vermittelt, das System passt auf dich auf, mach dir keine Sorgen, wird der Fahrer vielleicht das Risiko unterschätzen und unvorsichtig weiter fahren oder länger weiter fahren als eigentlich notwendig wäre."

    Und wer heute schon weiter fährt, obwohl er weiß, dass er zu müde ist, dem würde eine automatische Warnung auch nichts nutzen.